BAG Urteil v. - 6 AZR 340/21

Instanzenzug: Az: 23 Ca 2454/18 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 14 Sa 516/19 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit zweier Nachkündigungen im Insolvenzverfahren der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden Schuldnerin).

2Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom hob dieses mit Beschluss vom die Eigenverwaltung auf und bestellte den Beklagten und bisherigen Sachwalter zum Insolvenzverwalter. Dieser erklärte mit Schreiben vom die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der seit September 1998 als Flugbegleiterin beschäftigten Klägerin zum . Zur Begründung berief sich der Beklagte auf die Stilllegung des Flugbetriebs.

3Mit ihrer am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin mit einem Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 Satz 1 KSchG die Unwirksamkeit der Kündigung vom geltend gemacht sowie daneben ua. beantragt festzustellen, „dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände, insbesondere weitere Kündigungen, aufgelöst worden ist“. Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der hiergegen eingelegten Berufung hat die Klägerin auch die beiden vorgenannten Anträge uneingeschränkt weiterverfolgt.

4Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erklärte der Beklagte mit Schreiben vom und zwei Nachkündigungen zum bzw. , die der Klägerin am bzw. zugingen.

5Mit Schriftsatz vom hat der Beklagte den von der Klägerin gegen die (erste) Kündigung vom erhobenen Kündigungsschutzantrag anerkannt. Die Klägerin hat sich ihrerseits mit Schriftsatz vom , am Folgetag bei Gericht eingegangen und dem Beklagten am zugestellt, nunmehr auch mit einem Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 Satz 1 KSchG gegen die Nachkündigung vom gewandt. In Bezug auf die zweite Nachkündigung vom hat die Klägerin mit Schriftsatz vom , an diesem Tag bei Gericht eingegangen und dem Beklagten am zugestellt, ebenfalls einen Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 Satz 1 KSchG erhoben.

6Die Klägerin ist der Auffassung, dass die beiden Nachkündigungen, die sie in zulässiger Weise zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht habe, unwirksam seien. Für sie liege kein Kündigungsgrund vor. Überdies sei die Sozialauswahl fehlerhaft, das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB verletzt und das Konsultationsverfahren sowie die Massenentlassungsanzeige nicht ordnungsgemäß erfolgt.

7Die Klägerin hat zuletzt - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt

8Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Einführung der Nachkündigungen in das Berufungsverfahren stelle stets eine Klageerweiterung dar, die unzulässig sei. Im Übrigen seien die Nachkündigungen sozial gerechtfertigt.

9Das Landesarbeitsgericht hat entsprechend des auf die (erste) Kündigung vom bezogenen Anerkenntnisses des Beklagten am ein Teilanerkenntnisurteil erlassen. Im Übrigen, dh. im Hinblick auf den allgemeinen Feststellungsantrag sowie die erstmals in der Berufungsinstanz gestellten, auf die Nachkündigungen vom und bezogenen Kündigungsschutzanträge, hat es die Berufung mit Schlussurteil vom zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht diesbezüglich zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die Kündigungen vom und .

Gründe

10Die beschränkt auf die Kündigungsschutzanträge, die die Nachkündigungen vom und zum Gegenstand haben, eingelegte Revision ist zulässig und begründet, weswegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts insoweit aufzuheben ist (§ 72 Abs. 5 ArbGG, § 562 Abs. 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hätte die Berufung im Hinblick auf diese Anträge mit der von ihm gegebenen Begründung nicht zurückweisen dürfen. Entgegen seiner Annahme hat die Klägerin, indem sie diese Anträge in das Berufungsverfahren eingeführt hat, ihre Klage nicht erweitert und damit geändert. Aus diesem Grund waren die Voraussetzungen des § 533 ZPO von der Klägerin nicht einzuhalten. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts selbst stellt sich auch nicht gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG, § 561 ZPO aus anderen Gründen als richtig dar. Die streitbefangenen Kündigungen gelten nicht gemäß § 7 KSchG als von Anfang an wirksam. Die Klägerin hat insoweit die Klageerhebungsfrist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts über die Wirksamkeit der Kündigungen im Übrigen nicht selbst entscheiden kann, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 72 Abs. 5 ArbGG, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11I. Die Klägerin hat die Kündigungsschutzklagen in Bezug auf die Nachkündigungen vom und in prozessual zulässiger Weise in das Berufungsverfahren eingeführt.

121. Die im Hinblick auf eine im Verlauf eines Gerichtsverfahrens erklärte Kündigung vorgenommene „Punktualisierung“ (zu diesem Begriff Niemann NZA 2021, 1378, 1379) eines allgemeinen Feststellungsantrags auf einen Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 KSchG ist nach § 264 Nr. 2 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 154/21 - Rn. 11 ff.) bereits entschieden und nimmt darauf Bezug. Für das Berufungsverfahren gilt insoweit nichts anderes. Eine solche Punktualisierung kann im Berufungsverfahren daher ungeachtet der Voraussetzungen des § 533 ZPO vorgenommen werden, sofern der allgemeine Feststellungsantrag wie vorliegend in der Berufungsinstanz angefallen ist (dazu ausführlich  - Rn. 18 ff.).

132. Die Punktualisierung des von der Klägerin im Berufungsverfahren weiterverfolgten allgemeinen Feststellungsantrags auf die insgesamt zwei Kündigungsschutzanträge gemäß § 4 Satz 1 KSchG mit Schriftsätzen vom und unterfällt somit § 264 Nr. 2 ZPO. Darum greift § 533 ZPO nicht ein. Die Berufung hätte - entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts - insoweit nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden dürfen, dass die Voraussetzungen dieser Norm nicht vorliegen.

14II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG, § 561 ZPO aus anderen Gründen als richtig dar. Die Klage ist nicht deshalb unbegründet, weil die Wirksamkeit der Kündigungen gemäß § 7 KSchG fingiert wird. Die Klägerin hat die Klageerhebungsfrist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt.

151. Der Arbeitnehmer kann die Unwirksamkeit einer im Laufe des Berufungsverfahrens erklärten Kündigung auch in diesem zwischen den Parteien anhängigen Berufungsverfahren geltend machen. Entscheidet er sich für diesen Weg, muss er gleichwohl - ggf. unter Berücksichtigung der Regelung des § 167 ZPO - die Klageerhebungsfrist des § 4 Satz 1 KSchG wahren. Dem kann der Arbeitnehmer durch fristgerechte Erhebung einer Kündigungsschutzklage nachkommen. Diesem Erfordernis wird er aber auch durch einen im Berufungsverfahren bereits anhängigen oder innerhalb von drei Wochen nach Zugang der weiteren Kündigung erhobenen allgemeinen Feststellungsantrag gerecht, selbst wenn er diesen erst nach Ablauf der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG punktualisiert. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 154/21 - Rn. 23 ff. mwN) bereits entschieden und nimmt darauf Bezug.

16Ob das Gleiche zu gelten hat, wenn eine solche Punktualisierung unterbleibt, kann dahinstehen (für die Frage der Notwendigkeit der Punktualisierung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz, wenn die weitere Kündigung vor diesem Zeitpunkt zugeht, ebenfalls offengelassen, dem aber zuneigend  - Rn. 34, BAGE 163, 24; vgl. auch  - Rn. 34, BAGE 146, 161). Die Klägerin hat vorliegend mit den Schriftsätzen vom bzw. die Kündigungen vom und in das Berufungsverfahren eingeführt.

172. Die Klägerin hat zwar den Kündigungsschutzantrag betreffend die am zugegangene Kündigung vom erst mit einem am und damit nach Ablauf der Klageerhebungsfrist des § 4 Satz 1 KSchG beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz in den Prozess eingeführt. Sie hat aber bereits durch die Aufrechterhaltung des allgemeinen Feststellungsantrags auch in der Berufungsinstanz diese Frist in Bezug auf die Kündigung vom gewahrt.

18In Bezug auf die am zugegangene Kündigung vom wahrt schon die Erhebung der Kündigungsschutzklage mit dem am beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und dem Beklagten am zugestellten Schriftsatz unter Berücksichtigung des § 167 ZPO die dreiwöchige Klageerhebungsfrist des § 4 Satz 1 KSchG. Auf die auch hier gegebene Fristwahrung durch den bereits rechtshängigen allgemeinen Feststellungsantrag kommt es für diese Kündigung nicht an.

19III. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht konsequent - zu der Wirksamkeit der Kündigungen im Übrigen keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Deshalb kann der Senat über diese nicht selbst entscheiden, sondern hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 72 Abs. 5 ArbGG, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Bei seiner neuen Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob der Kündigungsschutzantrag der zeitlich späteren Kündigung als unechter Hilfsantrag zu verstehen ist und nur für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag der zeitlich früheren Kündigung anfällt (vgl. zum Antragsverständnis bei mehreren Kündigungsschutzanträgen  - Rn. 63, BAGE 149, 355; - 2 AZR 598/12 - Rn. 17, 19, BAGE 146, 353; für den Fall mehrerer Änderungsschutzanträge  - Rn. 14). Weiter wird es unter Berücksichtigung des Stationierungsortes Leipzig der Klägerin über die Wirksamkeit der Nachkündigung(en) zu befinden haben, insbesondere darüber, ob diese dem Anwendungsbereich des § 17 KSchG unterfallen.

20IV. Die auf die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beschränkte Aufhebung im Kostenpunkt erklärt sich aus dem Umstand, dass die Klägerin die in der Revisionsinstanz allein angefallenen, gegen die Nachkündigungen vom und gerichteten Kündigungsschutzanträge erstmals im Berufungsverfahren erhoben hat.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2022:280422.U.6AZR340.21.0

Fundstelle(n):
SAAAI-62296