Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Begründungsfehler bei der Gefährlichkeitsprognose
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 223 StGB, §§ 223ff StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Lübeck Az: 3 KLs 779 Js 3456/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und wegen Sachbeschädigung sowie Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Darüber hinaus hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang; im Übrigen bleibt sie erfolglos.
I.
2Der 40-jährige Angeklagte leidet an einer inzwischen chronifizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Daneben besteht eine leichte Intelligenzminderung und eine mittelgradige Hirnatrophie. Das - nach Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen von formalen Denkstörungen, anhaltenden körperlichen Halluzinationen und Vergiftungswahn geprägte - Krankheitsbild geht mit einem Verhaltensmuster einher, das auf die unmittelbare Befriedigung eigener Bedürfnisse bei gleichzeitig fehlender Frustrationstoleranz gerichtet ist. Erste Krankheitssymptome zeigten sich schon vor etwa 20 Jahren. Seit 2005 verschlechterte sich sein psychischer Zustand kontinuierlich. Gehäuft kam es zu verbal und körperlich fremdaggressivem Verhalten und, mitunter kurz aufeinanderfolgend, zu vollstationären Einweisungen in psychiatrische Kliniken sowie vorläufigen und langfristigen geschlossenen Unterbringungen nach Betreuungsrecht bzw. PsychKG. Der Angeklagte lebte mehr als zwei Jahrzehnte in betreuten Einrichtungen, ab 2012 im „Haus I. “ in Bad O. , wo er die nachfolgend geschilderten Anlasstaten beging.
3Im März 2019 bezeichnete er einen Mitarbeiter der Einrichtung als „Hurensohn“, weil dieser sich nicht den Wünschen des Angeklagten entsprechend verhielt (Tat II.1). Ein knappes Jahr später beschimpfte er eine Mitbewohnerin, die ihm keine Zigarette spendieren wollte, in beleidigender Art und Weise und verpasste ihr einen heftigen Faustschlag gegen die Schulter, so dass sie eine Prellung davontrug und mehrere Tage Schmerzen verspürte (Tat II.2). Anschließend schlug er in fortbestehender Erregung eine Bürotür im Verwaltungstrakt der Einrichtung ein (Tat II.3). Im April 2020 warf er nach einer von ihm begonnenen Auseinandersetzung mit einem Mitarbeiter der Einrichtung diesem ein zwei Liter fassendes Dekorationsglas an den Kopf, wobei er zuvor einer Reinigungskraft gegenüber angekündigt hatte, „den erschlag ich“. Der Geschädigte erlitt eine stark blutende Kopfplatzwunde, hatte mehrere Tage Schmerzen und war kurzzeitig krankgeschrieben (Tat II.4). Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war in allen Fällen krankheitsbedingt erheblich vermindert.
4Vom Vorwurf der Beleidigung einer Mitarbeiterin der Einrichtung im Oktober 2019 und der Körperverletzung zu Lasten einer Mitbewohnerin mittels zweier Faustschläge im Dezember 2019 hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen, weil infolge der Erkrankung seine Einsichtsfähigkeit bei Tatbegehung aufgehoben war und er das Unrecht seines Handelns nicht zu erkennen vermochte.
II.
51. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus kann keinen Bestand haben, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
6a) Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Dazu sind alle wesentlichen prognoserelevanten Umstände in den Urteilsgründen darzustellen und zusammenfassend zu würdigen. Als prognoseungünstig herangezogene tatsächliche Umstände aus dem Vorleben des Täters müssen dabei rechtsfehlerfrei festgestellt und belegt sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 6 StR 199/21; vom - 5 StR 318/20, StV 2021, 219; vom - 4 StR 632/19, StV 2021, 255 f.; vom - 4 StR 408/19, NStZ-RR 2020, 36 f.).
7b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Prognose, dass der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis für die Allgemeinheit gefährlich ist, hat das Landgericht nicht allein mit den Anlasstaten begründet, sondern auch mit zahlreichen früheren Gewalttätigkeiten, zu denen sich der Angeklagte nicht geäußert hat. Hierzu hat die Strafkammer indes keine eigenen konkreten Feststellungen getroffen, sondern ist lediglich pauschal den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt. Nach deren Einschätzung, der sich die Strafkammer angeschlossen hat, sei eine erneute Begehung von Delikten, wie sie dem Angeklagten vorgeworfen werden, insbesondere gefährliche impulsive Körperverletzungsdelikte, bedingt durch seine Reizbarkeit und Affektstörung bei verminderter Frustrationstoleranz und dem auf umgehende Bedürfnisbefriedigung ausgerichteten Verhalten überaus wahrscheinlich. Es stehe zu erwarten, dass er, wie bereits in der Vergangenheit geschehen, auch in Zukunft Körperverletzungsdelikte unter Einsatz von gefährlichen Gegenständen wie bei der letzten Anlasstat begehe, die ein erhebliches Verletzungspotential in sich trügen. Die zahlreichen früheren Gewalttätigkeiten seit Ausbruch der Schizophrenie wirkten sich neben anderen Faktoren (fehlende Krankheits- und Behandlungseinsicht sowie Medikamentencompliance, Chronifizierung der Krankheit und jüngst hinzugetretene Hirnorganik) bei bisher weitgehend erfolgloser Behandlung prognostisch äußerst ungünstig aus. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung von der Richtigkeit der sachverständigen Bewertung auf sich aus der Biographie des Angeklagten ergebende mehrfache Gefährdungen, aber auch konkrete Schädigungen von Personen gestützt. Hinsichtlich solcher Gefährdungen und Schädigungen fehlt es jedoch an der erforderlichen Tatsachenfeststellung im Urteil und darüber hinaus auch an der Angabe von dies bestätigenden Belegen. Einzelne Vorfälle und ihr Krankheitsbezug werden - ausgenommen zwei Vorfälle in den Jahren 2004 und 2005 - nicht konkret mitgeteilt. Soweit das Landgericht auf die beiden letztgenannten Vorkommnisse abgestellt hat, wonach der Angeklagte eine ihm unbekannte Frau sexuell motiviert belästigt und anschließend versucht haben soll, sie mit einem Hammer zu schlagen, und im zweiten Fall seine schwangere Schwägerin mit einem Messer bedroht haben soll, sind diese nicht beweiswürdigend unterlegt. Diese Mängel entziehen auch dem Hinweis auf das von der Sachverständigen verwendete Prognoseinstrumentarium HCR-20 die Grundlage (vgl. , StraFo 2016, 122 mwN).
82. Die bislang unzureichend begründete Gefahrprognose nötigt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs mit den zugrundeliegenden Feststellungen. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Senat schließt insbesondere aus, dass die Anordnung der Maßregel Einfluss auf die Höhe der verhängten Strafe gehabt hat.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:300921B5STR322.21.0
Fundstelle(n):
TAAAI-61490