Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - Berücksichtigung von schriftsätzlichem Vortrag vor Zustellung des Urteils - Übergabe des Urteilstenors an die Geschäftsstelle - willentliche Verlautbarung des Gerichts auf Anfrage eines Beteiligten - Selbstbindung des Gerichts
Gesetze: § 160a SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, § 133 S 1 SGG, § 134 SGG, § 202 S 1 SGG, § 318 ZPO, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: Az: S 20 SB 1974 /15 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 13 SB 280 /17 Urteil
Gründe
1I. Der Kläger wendet sich in der Hauptsache gegen die Herabsetzung seines Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 20 bzw 30. Mit Urteil vom , das ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, hat das LSG entschieden, dass die angefochtenen Bescheide der Beklagten für den Zeitraum bis vollständig und entsprechend dem Anerkenntnis der Beklagten vom für die Zeit ab dem insoweit aufgehoben werden, als der GdB auf weniger als 30 herabgesetzt wird. Im Übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
2Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das Berufungsgericht habe sich mit seinen Ausführungen im Schreiben vom zur Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg und dem Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X nicht auseinander gesetzt. Schriftsätze, die vor der Verkündung des Urteils eingehen, seien aber vom Gericht zu berücksichtigen. Vorliegend sei die Verkündung gemäß § 133 S 1 SGG durch die Zustellung des Urteils ersetzt worden, die am erfolgt sei.
3II. Die Beschwerde ist nicht zulässig. Der Kläger hat in seiner allein fristgerechten Beschwerdebegründung vom den von ihm allein gerügten Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 S 3 SGG erforderlichen Weise bezeichnet.
4Der Kläger trägt vor, das LSG habe in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass sein Schreiben vom nicht mehr zu berücksichtigen sei, nachdem ihm auf telefonische Nachfrage auf Veranlassung des Berichterstatters in Rücksprache mit dem Vorsitzenden durch die Geschäftsstelle der Tenor mitgeteilt worden sei. Dies sei jedoch nicht zutreffend. Das Schreiben vom hätte vom LSG berücksichtigt werden müssen, weil ihm das ohne mündliche Verhandlung ergangene Urteil des LSG erst am zugestellt worden sei. Zwar ist es zutreffend, dass nach § 133 S 1 SGG bei Urteilen, die nicht aufgrund mündlicher Verhandlung ergehen, die Verkündung durch Zustellung ersetzt wird. Der Kläger verkennt jedoch, dass ein Urteil schon vor der in § 133 S 1 SGG vorgeschriebenen Zustellung wirksam und damit für das Gericht nach § 202 S 1 SGG iVm § 318 ZPO unabänderbar sein kann. Das kann dann der Fall sein, wenn die Urteilsformel schriftlich niedergelegt und von den beteiligten Richtern unterschrieben worden ist und sich das Gericht durch Verlautbarung gebunden, dh sich des Urteils entäußert hat, in dem dieses mit dem Willen des Gerichts aus dem inneren Geschäftsbetrieb hinausgetreten ist (vgl - Juris RdNr 8; - Juris RdNr 8; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 125 RdNr 4b). Eine solche Verlautbarung liegt auch dann vor, wenn der Urteilstenor der Geschäftsstelle übergeben wurde und ein Beteiligter auf Anfrage über die Entscheidung unterrichtet wird, etwa - wie vorliegend der Kläger am - von der Geschäftsstelle im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden (vgl - SozR 1500 § 124 Nr 5 S 9 f; - Juris RdNr 7; - Juris RdNr 9; Keller, aaO, Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 133 RdNr 5; Harks in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 133 RdNr 7, jeweils mwN). Warum trotz der hiernach bereits am eingetretenen Bindungswirkung des angefochtenen Urteils das Schreiben des Klägers vom - und insbesondere dort enthaltener etwaiger neuer Vortrag - vom Berufungsgericht bei der Entscheidungsfindung noch hätte berücksichtigt werden müssen, zeigt der Kläger nicht auf.
5Im Übrigen trägt er selbst vor, dass sich das LSG gleichwohl ("Ungeachtet dessen …") in den Entscheidungsgründen von sich aus mit den von ihm in diesem Schreiben (und in dem als dessen Anlage beigefügten Schreiben vom ) vorgetragenen Argumenten sowohl hinsichtlich der dort zitierten Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg als auch zum Bestimmtheitsgebot des § 33 SGB X sowie der Problematik einer rückwirkenden Aufhebung auseinander gesetzt habe. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet jedoch nur, dass das Gericht die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (stRspr, zB BH - Juris RdNr 6 mwN). Genau dies hat das LSG aber getan, indem es ausgeführt hat, dass dem klägerischen Schreiben vom kein neuer - dh aus früheren Schreiben des Klägers nicht bereits bekannter - Vortrag zu entnehmen sei, der zu einer anderen Beurteilung hätte führen können. Das Prozessgrundrecht auf rechtliches Gehör gibt einem Beteiligten keinen Anspruch darauf, mit seinem Vorbringen auch in der Sache Erfolg zu haben, letztlich also "erhört" zu werden. Dass das LSG der Rechtsansicht des Klägers nicht gefolgt ist und er das Berufungsurteil inhaltlich für unzutreffend hält, eröffnet die Revisionsinstanz nicht (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom - B 9 V 21/18 B - Juris RdNr 11 mwN).
6Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
7Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
8Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:270519BB9SB619B0
Fundstelle(n):
TAAAI-60748