Online-Nachricht - Montag, 02.05.2022

Strafrecht | Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften erfolglos (BVerfG)

Das BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die Einziehung von rund 176 Millionen Euro durch die Strafgerichte im Zusammenhang mit sog. Cum-Ex-Geschäften gerichtet hat ().

Hintergrund: Die §§ 73 ff. StGB regeln die Einziehung von Taterträgen. Nach § 73e Abs. 1 StGB ist die Einziehung ausgeschlossen, soweit der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat erwachsen ist, erloschen ist. Ist der Anspruch aber durch Verjährung erloschen, erlaubt § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB in der seit dem geltenden Fassung dennoch die Einziehung. Nach der Übergangsvorschrift des Art. 316j ist die Einziehung nach § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB in bestimmten Fällen auch für Taten möglich, die vor dem begangen wurden. Das gilt unter anderem für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.

Sachverhalt: Die Beschwerdeführerin ist als herrschendes Unternehmen mit der Bank durch einen 2007 geschlossenen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag verbunden. Seit dem Veranlagungszeitraum 2007 wird das steuerliche Einkommen der Bank der Beschwerdeführerin zugerechnet. Hierauf anfallende Steuern hat die Beschwerdeführerin zu entrichten.

Im April 2019 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen zwei Angeschuldigte wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen. Sie warf ihnen die Beteiligung an mehreren Cum-Ex-Geschäften vor, die in fünf Fällen Eigengeschäfte der Bank in den Jahren 2007 bis 2011 betrafen. Im März 2020 verurteilte das Landgericht die beiden Angeklagten wegen mehrerer Steuerhinterziehungsdelikte zu Freiheitsstrafen. Gegen die Beschwerdeführerin ordnete es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von etwa 176,5 Millionen Euro an. Die Strafkammer stellte fest, die Bank habe sich in den Jahren 2007 bis 2011 im Wege des Eigenhandels an sog. Cum-Ex-Geschäften beteiligt.

Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Beschwerdeführerin verwarf der Bundesgerichtshof. Bei den die Jahre ab 2010 betreffenden Taten seien die Rückzahlungsansprüche schon nicht verjährt. In den die Jahre bis 2009 betreffenden Fällen hindere eine mögliche Verjährung der Ansprüche die Einziehung gemäß § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB n.F. nicht. Die Übergangsvorschrift des Art. 316j EGStGB verstoße nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

Die Beschwerdeführerin rügt primär eine Verletzung des Verbots rückwirkend belastender Gesetze gemäß Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

  • Die vom Gesetzgeber in § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB getroffene Regelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

  • Der Gesetzgeber hat sich mit der Reform der Vermögensabschöpfung im Jahr 2017 für ein Nebeneinander von Einziehungsansprüchen einerseits und Ansprüchen der Geschädigten andererseits entschieden. Diese Regelungen unterscheiden sich in ihren Voraussetzungen, ihrem Umfang und ihrem Verjährungsregime. Die Einziehung gemäß §§ 73 ff. StGB ist nicht akzessorisch zu etwaigen Geschädigtenansprüchen, sie setzt solche nicht einmal voraus. Verbunden sind die unterschiedlichen Rechtsmaterien lediglich durch § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB, der eine doppelte Inanspruchnahme des Betroffenen vermeidet, sowie die Vorschriften zur Entschädigung der Tatverletzten aus den durch die Strafgerichte eingezogenen Vermögenswerten (§§ 459h StPO ff.).

  • Die Übergangsregelung des Art. 316j Nr. 1 EGStGB verstößt gleichfalls nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen das Rückwirkungsverbot.

  • Art. 316j Nr. 1 EGStGB führt zu einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen ("echte" Rückwirkung). Der Gesetzgeber begründete die Einführung des § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB damit, dass er eine gleichheitswidrige Abschöpfungslücke schließen wolle. Die mit Art. 316j Nr. 1 EGStGB zugleich angeordnete Rückwirkung begründete er damit, dass die Erwartung, deliktisch erlangte Vermögenswerte infolge Zeitablaufs behalten zu dürfen, nicht schutzwürdig sei. Er griff damit in abgeschlossene Vorgänge nachträglich ändernd ein.

  • Die angeordnete Rückbewirkung von Rechtsfolgen ist ausnahmsweise zulässig.

  • Eine „echte“ Rückwirkung ist zwar grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Sie ist aber anerkanntermaßen ausnahmsweise dann möglich, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern. In diesen Fällen muss der Vertrauensschutz zurücktreten. Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze.

  • Die hier zu beurteilende "echte" Rückwirkung ist durch solche überragenden Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt.

  • Der Gesetzgeber verfolgte mit der in Art. 316j Nr. 1 EGStGB enthaltenen Erstreckung der Wirkung des § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB n.F. auch auf Fälle, in denen steuerrechtliche Verjährung bereits eingetreten war, ausweislich der Gesetzesmaterialien das Ziel, durch Steuerhinterziehungen in großem Ausmaß eingetretene, in die Gegenwart fortwirkende Störungen der Vermögensordnung zu beseitigen und so der Rechtsgemeinschaft zu verdeutlichen, dass sich Straftaten nicht lohnen. Dieses Ziel ist legitim und überragend wichtig. Das Interesse der Allgemeinheit geht dem Interesse der Betroffenen, durch Steuerdelikte erlangte Vermögenswerte nach Eintritt der steuerrechtlichen Verjährung behalten zu dürfen, vor.

  • Die Bewertung eines bestimmten Verhaltens als Straftat ist die schärfste dem Gesetzgeber zur Verfügung stehende Form der Missbilligung menschlichen Verhaltens. Jede Strafnorm enthält somit ein mit staatlicher Autorität versehenes, sozial-ethisches Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise. Eine einmal begangene strafbare Handlung verliert ihren Unrechtscharakter nicht dadurch, dass die aus ihr gezogenen steuerlichen Vorteile auf der Grundlage der Abgabenordnung nicht mehr zurückgefordert werden können. Diese Folge zieht selbst der Eintritt der strafrechtlichen Verjährung nicht nach sich; erst recht revidiert die steuerrechtliche Verjährung das in den Strafnormen enthaltene Unwerturteil nicht. Da der deliktische Erwerbsvorgang durch den Eintritt der steuerrechtlichen Verjährung seitens der staatlich verfassten Gemeinschaft nicht nachträglich gebilligt wird, bleibt auch das auf diese Weise erworbene Vermögen weiterhin mit dem Makel deliktischer Herkunft behaftet. Die fortwährende Bemakelung von Vermögenswerten infolge strafrechtswidrigen Erwerbs stellt eine Ausprägung des allgemeinen Prinzips dar, dass das Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte grundsätzlich nicht schutzwürdig ist. Letztlich nicht schutzwürdig ist in derartigen Fällen nicht nur der bereicherte Straftäter selbst, sondern auch der Drittbereicherte, soweit dieser nicht gutgläubig eigene Dispositionen im Vertrauen auf die Beständigkeit seines Vermögenserwerbs getroffen hat.

Hinweis:

Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v. (il)

Fundstelle(n):
ZAAAI-60720