Instanzenzug: ArbG Paderborn Az: 1 Ca 305/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 14 Sa 1062/19 Urteilnachgehend Az: 1 BvR 1263/22 Nichtannahmebeschluss
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Höhe angemessener Nachtarbeitszuschläge nach § 6 Abs. 5 ArbZG.
2Die Beklagte ist eine in der Rechtsform einer GmbH betriebene Zeitungsvertriebs- und Servicegesellschaft. Sie gehört zu der Unternehmensgruppe W. Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem als Zeitungszusteller beschäftigt. Auf Anweisung der Beklagten trug er werktags bis spätestens 06:00 Uhr Tageszeitungen aus. Donnerstags und samstags stellte er zudem Anzeigenblätter zu. Im Zeitraum von Oktober 2018 bis März 2019 arbeitete er regelmäßig an allen Werktagen mehr als zwei Stunden in der Zeit zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr. Die Beklagte vergütete die Arbeitsleitung bis zum mit dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro brutto und ab dem mit 9,19 Euro brutto pro Stunde. Daneben leistete sie einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 10 % auf den Bruttostundenlohn. Die Vergütung war zum 15. des jeweiligen Folgemonats fällig.
3Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen und später erweiterten Klage begehrt der Kläger einen um 20 Prozentpunkte höheren Nachtarbeitszuschlag. Die rechnerisch unumstrittene Vergütungsdifferenz für die Monate Oktober 2018 bis März 2019 beläuft sich auf zuletzt 1.181,66 Euro brutto.
4Der Kläger hat gemeint, für seine dauerhaft während der Nachtzeit versehene Arbeitsleistung sei ein Zuschlag von insgesamt 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt angemessen. Selbst wenn sich die Beklagte für ihr Zustellkonzept auf die Medienfreiheit berufen könne, dürfe das den Gesundheitsschutz der Nachtarbeitnehmer nicht unterlaufen, der durch § 6 Abs. 5 ArbZG gewährleistet werde.
5Der Kläger hat beantragt,
6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die flächendeckende Zustellung von Tageszeitungen in den frühen Morgenstunden sei Gegenstand der grundrechtlich garantierten Medienfreiheit und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung unverzichtbar. Für die Verwirklichung ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sei sie im Klagezeitraum zwingend auf die Nachtarbeit angewiesen gewesen. Der Zeitungsvertrieb sei nicht weniger systemrelevant und für das Gemeinwohl von Bedeutung als beispielsweise die Arbeit von Rettungsdiensten und Feuerwehren. Da allein die mit der ungünstigen Lage der Arbeitszeit verbundene Erschwernis habe ausgeglichen werden können, sei der Nachtarbeitszuschlag von 10 % angemessen.
7Die Erhöhung des Zuschlags um 20 Prozentpunkte gefährde die Medienfreiheit. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte behauptet, ihre Unternehmensgruppe habe ebenso wie alle deutschen Tageszeitungsverlage im Streitzeitraum unter erheblichem wirtschaftlichem Druck gestanden. Schon seit Jahren sei ein stetiger und signifikanter Rückgang der Anzeigen- und Beilagenumsätze, der Auflagenzahlen und der Abonnementkunden zu beklagen gewesen. Die Vertriebskosten hätten sich in demselben Zeitraum vor allem durch die Vorgaben des Mindestlohngesetzes überproportional erhöht. Die Unternehmensgruppe W habe im Jahr 2018 einen Verlust in Höhe von knapp 1,6 Mio. Euro ausgewiesen. Eine Erhöhung der Nachtarbeitszuschläge um 20 Prozentpunkte hätte allein durch eine weitere Erhöhung der Abonnementpreise ausgeglichen werden können und zwangsläufig weitere Kündigungen von Abonnements nach sich gezogen. Die Beklagte hat ferner gemeint, die Erhöhung des Nachtarbeitszuschlags auf 30 % stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr Grundrecht aus Art. 12 GG dar.
8Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiter das Ziel, dass die Klage abgewiesen wird.
Gründe
9Die Revision ist bis auf einen geringen Teil der Zinsforderungen unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Beklagte im Ergebnis zu Recht dazu verurteilt, höhere Nachtarbeitszuschläge zu zahlen.
10A. Die Klage ist zulässig. Sie ist hinreichend bestimmt.
11I. Bei mehreren im Weg einer objektiven Klagehäufung nach § 260 ZPO in einer Klage verfolgten Ansprüchen muss erkennbar sein, aus welchen Einzelforderungen sich die sog. Gesamtklage zusammensetzt ( - Rn. 47 mwN).
12II. Der Zahlungsantrag ist nach dem Vorbringen des Klägers abschließend auf konkrete Vergütungsdifferenzen für die Monate Oktober 2018 bis März 2019 gerichtet und nicht nur auf einen Teil hiervon. Die Klage ist dementsprechend als abschließende Gesamtklage zu verstehen (vgl. - Rn. 13; - 5 AZR 588/17 - Rn. 13). Der Kläger hat im Einzelnen dargelegt, aus welchen Forderungen sich die Gesamtklage zusammensetzt.
13B. Die Revision ist überwiegend unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass für die Arbeitsstunden, die der Kläger im Zeitraum von Oktober 2018 bis März 2019 während der Nachtzeit geleistet hat, ein Zuschlag von insgesamt 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt angemessen ist. Der Zinsanspruch auf die Differenzvergütung für November 2018 besteht erst seit dem .
14I. § 6 Abs. 5 ArbZG verpflichtet den Arbeitgeber, soweit eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht besteht, dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.
151. Wie die Beklagte in dem Parallelrechtsstreit - 10 AZR 256/20 - vor dem Arbeitsgericht zu Protokoll erklärt hat und deshalb als gerichtsbekannt zu werten ist, besteht keine tarifvertragliche Ausgleichsregelung. Der Kläger war im Streitzeitraum Nachtarbeitnehmer iSd. Arbeitszeitgesetzes. Er erbrachte die von ihm arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung ausschließlich während der Nachtzeit iSv. § 2 Abs. 3 Halbs. 1 ArbZG. Da seine Arbeit mehr als zwei Stunden dieser Nachtzeit umfasste, leistete der Kläger Nachtarbeit iSd. Arbeitszeitgesetzes (§ 2 Abs. 4 ArbZG). Die Nachtarbeit versah er an allen Werktagen und damit an mehr als 48 Tagen im Kalenderjahr (§ 2 Abs. 5 Nr. 2 ArbZG).
162. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte ihr Wahlrecht dahin ausgeübt, den Ausgleichsanspruch allein durch Zahlung von Geld zu erfüllen. Auf diese Weise hat sich die durch § 6 Abs. 5 ArbZG begründete Wahlschuld iSv. § 262 BGB auf eine Geldleistung konkretisiert (vgl. - Rn. 26 mwN, BAGE 171, 280).
173. Bei dem Merkmal „angemessen“ in § 6 Abs. 5 ArbZG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Auslegung die Grundrechte zur Geltung zu bringen sind. Die Grundrechte des Grundgesetzes haben in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten mittelbare Drittwirkung im Sinn einer Ausstrahlungswirkung. Sie entfalten ihre Wirkung als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und strahlen als „Richtlinien“ in das Zivilrecht ein ( - Rn. 32, BVerfGE 148, 267; (A) - Rn. 52 mwN; - 10 AZR 334/20 - Rn. 28). Kollidierende Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden ( - Rn. 76 mwN, BVerfGE 152, 152; (A) - aaO; - 10 AZR 334/20 - aaO; - 10 AZR 299/18 (A) - Rn. 36, BAGE 165, 233). Die Reichweite der mittelbaren Grundrechtswirkung hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab ( - Rn. 33, aaO).
18a) Nachtarbeit ist schädlich ( ua. - zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 85, 191; (A) - Rn. 37; - 10 AZR 334/20 - Rn. 70; - 10 AZR 123/19 - Rn. 27, BAGE 171, 280; Schlachter/Heinig/Bayreuther Europäisches Arbeits- und Sozialrecht [EnzEuR Bd. 7] 2. Aufl. § 11 Rn. 33; EuArbRK/Gallner 3. Aufl. RL 2003/88/EG Art. 8 Rn. 3 mwN). Sie hat nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen für jeden Menschen negative gesundheitliche Auswirkungen ( ua. - aaO). Durch Arbeit während der Nachtzeit wird die sog. zirkadiane Rhythmik gestört. Zu der sozialen Desynchronisation kommt die physiologische Desynchronisation der Körperfunktionen, die sich typischerweise in Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden und kardiovaskulären Beeinträchtigungen äußert (Beermann Nacht- und Schichtarbeit - ein Problem der Vergangenheit? S. 4 f. = https://d-nb.info/992446481/34; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 26 ff., 37 f.; DGUV Report 1/2012 S. 81 f., 91 ff., 119 ff.). Sekundärstudien deuten darauf hin, dass sich Nachtarbeit auch negativ auf die Psyche auswirkt (vgl. Amlinger-Chatterjee Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 31). Anerkannt ist, dass Nachtarbeit umso schädlicher ist, in je größerem Umfang sie geleistet wird ( (A) - Rn. 38; - 10 AZR 334/20 - Rn. 71; - 10 AZR 123/19 - aaO mwN; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; vgl. auch den siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG; Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. EU C 165 vom S. 42).
19b) Das Bundesverfassungsgericht hat für den Bereich der Nachtarbeit erkannt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, den Schutz der Arbeitnehmer vor den schädlichen Folgen der Nachtarbeit zu regeln ( ua. - zu C III 3 der Gründe, BVerfGE 85, 191). Eine solche Regelung war notwendig, um dem objektiven Gehalt der Grundrechte, insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, zu genügen ( (A) - Rn. 36 ff.; - 10 AZR 334/20 - Rn. 44). Das hohe Gewicht, das der Gesundheit des Einzelnen in der Wertordnung des Grundgesetzes zukommt, zeigt sich daran, dass sich für dieses Rechtsgut aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Schutzpflichten des Staates ergeben können. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Staat, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen ( ua. - Rn. 145, BVerfGE 157, 30).
20c) Die Regelungen in § 6 ArbZG dienen in erster Linie dem Schutz des Arbeitnehmers vor den schädlichen Folgen der Nacht- und Schichtarbeit (BT-Drs. 12/5888 S. 21, 25 f.). Nach § 6 Abs. 5 ArbZG sollen Nachtarbeitnehmer einen angemessenen Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundenen Beeinträchtigungen erhalten, ohne dass der Gesetzgeber Vorgaben zum Umfang des Ausgleichs macht (BT-Drs. 12/5888 S. 22, 26, 52). Soweit § 6 Abs. 5 ArbZG einen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich begründet, tritt eine gesundheitsschützende Wirkung jedenfalls in den Fällen ein, in denen sich die Dauer der zu erbringenden Arbeitszeit für den Arbeitnehmer durch den bezahlten Freizeitausgleich insgesamt verringert und er zeitnah gewährt wird. Soweit ein Nachtarbeitszuschlag vorgesehen ist, soll er den Arbeitnehmer in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen ( - Rn. 28 mwN, BAGE 171, 280). Zwischen den Alternativen des Belastungsausgleichs besteht nach der gesetzlichen Regelung kein Rangverhältnis. Der Freizeitausgleich ist nicht vorrangig. Die Angemessenheit des Ausgleichs iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG ist für beide Alternativen nach einem einheitlichen Maßstab zu beurteilen. Der Umfang der Ausgleichsverpflichtung hängt nicht davon ab, für welche Art des Ausgleichs sich der Arbeitgeber entscheidet. Vielmehr müssen sich die jeweiligen Leistungen nach ihrem Wert grundsätzlich entsprechen ( - Rn. 29 mwN, aaO, auch zu den abweichenden Auffassungen in der Literatur).
21aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt ein Zuschlag in Höhe von 25 % auf das jeweilige Bruttostundenentgelt oder die Gewährung einer entsprechenden Zahl von bezahlten freien Tagen regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG dar (vgl. - Rn. 30 mwN, BAGE 171, 280).
22bb) Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch ein geringerer als der regelmäßig angemessene Ausgleich den Anforderungen nach § 6 Abs. 5 ArbZG genügen.
23(1) Eine Verringerung des Zuschlags mit der Begründung, dass Nachtarbeit unvermeidbar ist, kann in Betracht kommen, wenn die Nachtarbeit aus zwingenden technischen Gründen oder aus zwingend mit der Art der Tätigkeit verbundenen Gründen bei wertender Betrachtung vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 6 Abs. 5 ArbZG unvermeidbar ist ( - Rn. 34, BAGE 171, 280; - 10 AZR 423/14 - Rn. 29, BAGE 153, 378). Zuletzt ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einschränkend angenommen worden, dass eine Verminderung des Zuschlags jedenfalls dann möglich ist, wenn überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls die Nachtarbeit zwingend erfordern, wie das etwa im Rettungswesen der Fall sein kann ( - Rn. 56, BAGE 162, 340; kritisch zu diesem Kriterium Polzin SR 2019, 303, 310 f.).
24(2) Ebenso kommt ein geringerer Zuschlag in Betracht, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit im Vergleich zu der üblichen Situation geringer ist. Das kann beispielsweise bei der nächtlichen Bereitschaftszeit gegeben sein. Sie ist auch in ihren inaktiven Teilen arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit und keine Ruhezeit (vgl. - [Dopravní podnik hl. m. Prahy] Rn. 28 f.; - C-742/19 - [Ministrstvo za obrambo] Rn. 93 ff.; - C-344/19 - [Radiotelevizija Slovenija] Rn. 28 ff.; - C-580/19 - [Stadt Offenbach am Main] Rn. 29 ff.; grundlegend - [Jaeger] Rn. 48 ff.; - C-303/98 - [Simap] Rn. 48 ff.; - Rn. 45; - 5 AZR 505/20 - Rn. 35). Nächtliche Bereitschaftszeiten oder auch Bereitschaftsdienste sind daher nach § 6 Abs. 5 ArbZG ausgleichspflichtig ( - Rn. 33, BAGE 171, 280; Anzinger/Koberski ArbZG 5. Aufl. § 6 Rn. 78a; NK-GA/Wichert § 6 ArbZG Rn. 44). Ein geringerer Zuschlag als 25 % des Bruttoarbeitsentgelts kann gleichwohl wegen des Charakters des Zuschlags als Entgeltbestandteil und finanzieller Ausgleich angemessen sein. Während der nächtlichen Bereitschaftszeit ist typischerweise davon auszugehen, dass es zu inaktiven Zeiten der Entspannung und einer geringeren Arbeitsbelastung kommt (vgl. - Rn. 44, BAGE 162, 340; - 10 AZR 369/10 - Rn. 25). Das Unionsrecht steht dem nicht entgegen. Für die Höhe des Entgelts besteht nach Art. 153 Abs. 5 AEUV keine Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union. Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Richtlinie 2003/88/EG regeln Fragen des Arbeitsentgelts im Ausgangspunkt deshalb nicht. Die Art und Weise der Vergütung von Bereitschaftszeiten unterliegt vielmehr dem innerstaatlichen Recht. Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats dürfen vorsehen, dass bei der Vergütung einer Bereitschaftszeit Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden, und Zeiten, in denen keine tatsächliche Arbeit geleistet wird, in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden, selbst wenn diese Zeiten insgesamt als „Arbeitszeit“ für die Zwecke der Anwendung dieser Richtlinie anzusehen sind (vgl. - [Dopravní podnik hl. m. Prahy] Rn. 42; - C-344/19 - [Radiotelevizija Slovenija] Rn. 58; - C-580/19 - [Stadt Offenbach am Main] Rn. 57; - Rn. 55, aaO; - 5 AZR 36/19 - Rn. 18, BAGE 170, 172).
25cc) Eine Erhöhung des Regelwerts auf 30 % kommt in Betracht, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit unter qualitativen (Art der Tätigkeit) oder quantitativen (Umfang der Nachtarbeit) Gesichtspunkten die gewöhnlich mit der Nachtarbeit verbundene Belastung übersteigt. Ein solcher Fall ist typischerweise bei einer Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit gegeben (vgl. - Rn. 32, BAGE 171, 280; - 5 AZR 25/17 - Rn. 50 mwN, BAGE 162, 340; - 10 AZR 423/14 - Rn. 28 mwN, BAGE 153, 378; Schaub/Linck ArbR-HdB 19. Aufl. § 69 Rn. 35).
26d) Die allgemeinen Grundsätze zu einer angemessenen Höhe der Zuschläge berücksichtigen hinreichend die Grundrechte des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
27aa) Die Berufsfreiheit der Arbeitgeber aus Art. 12 Abs. 1 GG ist mit dem auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beruhenden Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Ausgleich zu bringen.
28(1) Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG gewährt allen Deutschen das Recht, den Beruf frei zu wählen und frei auszuüben. Sie umfasst jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient. Das Grundrecht ist nach Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen anwendbar, soweit sie eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offensteht. Als Teil der Berufsfreiheit ist damit auch die Vertrags- und Dispositionsfreiheit des Unternehmers geschützt ( - Rn. 14). Das Grundrecht sichert ua. die Teilnahme am Wettbewerb im Rahmen der hierfür aufgestellten rechtlichen Regeln. Es gewährleistet den Arbeitgebern das Recht, die Arbeitsbedingungen mit ihren Arbeitnehmern im Rahmen der Gesetze frei auszuhandeln. Die Vertragsfreiheit wird zwar auch durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet. Ist jedoch die Vertragsfreiheit gerade im Bereich beruflicher Betätigung betroffen, die ihre spezielle Gewährleistung in Art. 12 Abs. 1 GG gefunden hat, scheidet die gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiäre allgemeine Handlungsfreiheit als Prüfungsmaßstab aus (vgl. - Rn. 78, BVerfGE 116, 202). Der Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG richtet sich allerdings nicht gegen jedwede auch nur mittelbar wirkende Beeinträchtigung des Berufs. Es genügt nicht, dass eine Rechtsnorm oder ihre Anwendung unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit entfalten. Da nahezu jede Norm oder deren Anwendung unter bestimmten Voraussetzungen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit haben kann, drohte das Grundrecht sonst, konturlos zu werden ( ua. - Rn. 96 mwN, BVerfGE 155, 238).
29(2) § 6 Abs. 5 ArbZG knüpft tatbestandlich allein an die Beschäftigung während der Nachtzeit an. Ein Zuschlag von bis zu 30 % oder eine entsprechende Zahl freier Tage betrifft grundsätzlich alle wirtschaftlichen Tätigkeiten, die zur Nachtzeit ausgeübt werden. Er berührt die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübung des Arbeitgebers regelmäßig nicht in einem Umfang, der einer objektiv berufsregelnden Tendenz gleichkäme (vgl. dazu ua. - zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 111, 191). Dieser geringen Betroffenheit der Berufsfreiheit stehen gewichtige Interessen des Gesundheitsschutzes gegenüber.
30(3) Die aus § 6 Abs. 5 ArbZG regelmäßig folgende Verpflichtung, für eine Arbeitsleistung in der Nacht einen Ausgleich in Höhe von bis zu 30 % zu gewähren, soll den Anreiz zur Anordnung dieser besonders gesundheitsschädlichen Arbeit vermindern. Mit Nachtarbeitszuschlägen kann jedenfalls der mit dieser Arbeitsform verbundenen sozialen Desynchronisation entgegengewirkt werden (vgl. - Rn. 28 mwN, BAGE 171, 280). Das genügt für die Eignung im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. ua. - Rn. 102, BVerfGE 155, 238). Die Förderung des Gesundheitsschutzes stellt ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel von Verfassungsrang dar (Art. 2 Abs. 2 GG; - Rn. 47). In der Werteordnung des Grundgesetzes kommt ihr ein hohes Gewicht zu. Mit Blick darauf darf ihr Schutz auch mit Mitteln angestrebt werden, die das Grundrecht der Berufsfreiheit empfindlich betreffen (vgl. ua. - Rn. 95, BVerfGE 126, 112; - 1 BvR 3262/07 ua. - Rn. 119, 122, BVerfGE 121, 317). Die durch die Höhe der Nachtarbeitszuschläge ohnehin nur in geringem Umfang betroffene Berufsfreiheit der Arbeitgeber hat daher hinter den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zurückzutreten.
31(4) Die Interessen der Arbeitgeber finden Eingang in die Höhe der Zuschläge, indem nicht ein fester Zuschlag als angemessen angesehen wird. Die Höhe des angemessenen Zuschlags richtet sich nach der Gegenleistung, für die sie bestimmt ist ( - Rn. 31 ff., BAGE 171, 280; - 10 AZR 423/14 - Rn. 27, BAGE 153, 378). Abzustellen ist auf die Art und den Umfang der zur Nachtzeit ausgeübten Tätigkeit sowie auf die damit verbundenen Belastungen für die Nachtarbeitnehmer. In einem differenzierenden System kann so auf die Umstände des Einzelfalls Rücksicht genommen werden. Eine Absenkung der grundsätzlich als angemessen angesehenen Zuschlagshöhe von 25 % kann im Fall von Nachtarbeit in Betracht kommen, die aus überragend wichtigen Gründen des Gemeinwohls unvermeidbar ist ( - Rn. 39 ff., aaO; - 5 AZR 25/17 - Rn. 56, BAGE 162, 340). Entsprechendes gilt für Zeiten mit geringerer Arbeitsbelastung (vgl. - Rn. 44, aaO; - 10 AZR 369/10 - Rn. 25).
32bb) Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG steht dem nach § 6 Abs. 5 ArbZG geschuldeten Ausgleich für Nachtarbeit von bis zu 30 % ebenfalls nicht entgegen. Bloße Umsatz- und Gewinnchancen oder tatsächliche Gegebenheiten werden auch unter dem Gesichtspunkt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs nicht von der Eigentumsgarantie erfasst ( ua. - Rn. 86, BVerfGE 155, 238; - 1 BvR 2821/11 ua. - Rn. 240, BVerfGE 143, 246).
33II. Die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts, für die vom Kläger im Klagezeitraum geleistete Nachtarbeit sei ein Zuschlag von 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt angemessen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nur im Ergebnis stand.
341. Bei der Anwendung des Merkmals „angemessen“ kommt dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zu ( - Rn. 36 mwN, BAGE 171, 280; - 5 AZR 25/17 - Rn. 37, BAGE 162, 340). Er ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist ( - Rn. 16; - 10 AZR 123/19 - aaO). Aufgrund des Beurteilungsspielraums ist es möglich, dass verschiedene Landesarbeitsgerichte oder verschiedene Kammern eines Landesarbeitsgerichts bei vergleichbaren Sachverhalten in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise unterschiedliche Zuschlagshöhen als angemessen iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG ansehen. Feste höchstrichterliche Werte über Richtwerte hinaus lässt der tatrichterliche Beurteilungsspielraum nicht zu ( - aaO).
352. Nach der von der Beklagten nicht angegriffenen Feststellung des Landesarbeitsgerichts leistete der Kläger im streitigen Zeitraum durchgehend Vollarbeit. Das Berufungsgericht hat eine Verringerung des für Dauernachtarbeit regelmäßig angemessenen Zuschlags wegen einer im Vergleich zu der üblichen Situation geringeren Belastung durch die Dauernachtarbeit daher folgerichtig nicht in Betracht gezogen. Insbesondere hat es zu Recht davon abgesehen, den für Dauernachtarbeit regelmäßig angemessenen Zuschlag in Höhe von 30 % abzusenken, weil es sich bei der Zeitungszustellung um eine sog. leichte Tätigkeit handle. Die Höhe des angemessenen Nachtarbeitszuschlags richtet sich nicht nach der Schwere der vertraglich geschuldeten Tätigkeit. Der Zuschlag knüpft an das dem Nachtarbeitnehmer für die Nachtarbeit „zustehende“ Bruttoarbeitsentgelt an ( - Rn. 39, BAGE 162, 340). Die Höhe des Zuschlags richtet sich nach der Gegenleistung, für die sie bestimmt ist (vgl. - Rn. 31 mwN, BAGE 171, 280).
363. Die Angemessenheit des Ausgleichs nach § 6 Abs. 5 ArbZG hängt auch nicht davon ab, ob die Nachtarbeit in Vollzeit oder in Teilzeit ausgeführt wird. Ein Nachtarbeitnehmer iSv. § 2 Abs. 2 und 5 ArbZG hat nach § 6 Abs. 5 ArbZG Anspruch auf einen angemessenen Ausgleich immer dann, wenn seine Arbeit mehr als zwei Stunden der in § 2 Abs. 3 ArbZG definierten Nachtzeit umfasst (§ 2 Abs. 4 ArbZG; allgemeine Auffassung, vgl. nur Schliemann ArbZG 4. Aufl. § 6 Rn. 87). Auch für die Angemessenheit des Ausgleichs für Dauernachtarbeit kann es deshalb nicht darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer während der gesamten Nachtzeit iSv. § 2 Abs. 3 ArbZG gearbeitet hat. Die besondere Belastung durch Dauernachtarbeit folgt typischerweise daraus, dass die Nachtarbeit über lange Zeiträume hinweg in Anspruch genommen wird. Dem siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG ist zu entnehmen, dass lange Nachtarbeitszeiträume besonders nachteilig für die Gesundheit der Arbeitnehmer sind und ihre Sicherheit bei der Arbeit beeinträchtigen können.
374. Das Landesarbeitsgericht hat seinen Beurteilungsspielraum mit der Annahme überschritten, der für Dauernachtarbeit regelmäßig angemessene Nachtarbeitszuschlag von 30 % könne unter keinen Umständen verringert werden. Damit hat es den unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ in § 6 Abs. 5 ArbZG verkannt.
38a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hängt es von der Art der Arbeitsleistung ab, ob der vom Gesetzgeber mit dem Entgeltzuschlag verfolgte Zweck, im Interesse der Gesundheit des Arbeitnehmers Nachtarbeit zu verteuern und auf diesem Weg einzuschränken, zum Tragen kommen oder nur die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis ausgeglichen werden kann ( - Rn. 44, BAGE 162, 340; - 5 AZR 545/04 - zu I 4 a, b der Gründe, BAGE 115, 372).
39b) Der Wegfall dieses sog. Lenkungszwecks führt bei einem Ausgleich nach § 6 Abs. 5 ArbZG in Geld nicht zwangsläufig zu einem abgesenkten Zuschlag. Ein Nachtarbeitszuschlag wirkt sich zwar unabhängig von seiner Höhe nicht auf die Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers aus ( - Rn. 43 mwN, BAGE 171, 280). Dennoch bezweckt er nicht ausschließlich eine Verteuerung der Nachtarbeit, um sie möglichst weitgehend zu vermeiden. Vielmehr sollen diejenigen Arbeitnehmer, die Nachtarbeit leisten, zumindest einen angemessenen finanziellen Ausgleich für die damit verbundenen Beeinträchtigungen erhalten und in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigt werden. Diese Zwecke lassen sich auch bei unvermeidbarer Nachtarbeit erreichen ( - Rn. 44 mwN, aaO).
40c) Allerdings kommt es bei Nachtarbeit, die aus den unter Rn. 23 genannten Gründen unvermeidbar ist, in Betracht, den Zuschlag zu verringern.
415. Die angefochtene Entscheidung erweist sich trotz dieses Rechtsfehlers im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO), soweit das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil mit Blick auf die Hauptforderung bestätigt hat. Bei wertender Betrachtung ist vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 6 Abs. 5 ArbZG für die vom Kläger im Zeitraum von Oktober 2018 bis März 2019 geleistete Dauernachtarbeit ein Zuschlag in Höhe von insgesamt 30 % auf das ihm zustehende Bruttoarbeitsentgelt angemessen.
42a) Die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, auf die sich die Beklagte im Streitfall berufen kann, führt nicht dazu, die Zuschläge nach § 6 Abs. 5 ArbZG in der regelmäßig anfallenden Höhe abzusenken.
43aa) Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass der Vertrieb von Tageszeitungen durch Botenzustellung zur Nachtzeit auch noch im Streitzeitraum zu den für funktionierende freie Medien notwendigen Hilfstätigkeiten gehörte und damit dem Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unterfiel (vgl. - zu II 2 b der Gründe; - 1 BvQ 2/99 - zu II 2 a der Gründe).
44(1) Die Verbreitung von Berichten über Vorgänge des öffentlichen Lebens unterfällt der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ( - Rn. 94, BVerfGE 152, 152). Freie Medien tragen durch Information und Kritik zur freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung bei ( - zu II 1 a der Gründe). Das Grundrecht sichert die Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten für die Herstellung und Aufrechterhaltung des auf Verwirklichung der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit gerichteten Kommunikationsprozesses ( - Rn. 24; - 1 BvR 1548/82 - [Presse-Grossist] zu B I der Gründe, BVerfGE 77, 346). Davon umfasst ist auch die Freiheit der Herstellung und Verbreitung von Druckerzeugnissen ( - zu B I 1 a der Gründe, BVerfGE 113, 63).
45(2) Freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Medien sind konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und deshalb von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat (vgl. - Rn. 16 mwN). Sie sind für die moderne Demokratie unentbehrlich ( - zu B I 1 b aa der Gründe, BVerfGE 113, 63; grundlegend ua. - zu C 1 der Gründe, BVerfGE 20, 162). Freie Medien erbringen durch die öffentliche Vermittlung und Kommunikation wahrer Tatsachen von allgemeinem Interesse eine Leistung, die von öffentlichem Interesse und gesellschaftlich bedeutsam ist. Die Herstellung eines gemeinsamen Tatsachenfundaments, von dem die Allgemeinheit ausgehen kann, ist elementare Voraussetzung demokratischen, aber auch privaten Entscheidens - sowohl bei einer politischen Wahl als auch bei wirtschaftlichen Entscheidungen ( - Rn. 23).
46(3) Freie Medien gewinnen ihren Standard aus der Rücksicht auf das Gemeinwohl. Sie teilen diese Besonderheit, aus der sich ihre Charakterisierung als öffentliche Aufgabe ergibt, mit anderen Dienstleistungen oder Tätigkeiten von öffentlichem Interesse (vgl. ua. - BVerfGE 31, 314).
47bb) Die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleitete Grundrechtsposition der Beklagten rechtfertigt es bei wertender Betrachtung vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 6 Abs. 5 ArbZG nicht, den Zuschlag unter den für Dauernachtarbeit angemessenen Regelwert von 30 % zu senken.
48(1) Auch der durch die Pressefreiheit vermittelte Schutz der Arbeitgeber ist mit dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abzuwägen. Das Ergebnis der vorzunehmenden Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Den Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG kommt ein hoher Rang zu, der mit Blick auf das Arbeitsrecht zB das Gewicht des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes überwiegen kann ( - Rn. 16 mwN).
49(2) Allerdings schützt das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG nur vor einer nicht wertneutralen Einflussnahme auf den Inhalt des Medienprodukts oder auf dessen Verbreitung. Die Medienfreiheit gewährleistet nicht, dass Medienerzeugnisse verbreitet werden können, ohne die allgemein geltende Rechtsordnung zu beachten ( - zu II 2 c der Gründe). Nachteilige Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die auf der Anwendung geltenden Arbeitsschutzrechts beruhen, genügen daher grundsätzlich nicht für die Annahme eines Eingriffs in die Medienfreiheit. Das Grundrecht der Medienfreiheit kann auch nicht davor schützen, dass sich bestimmte Vertriebsformen auf längere Sicht als wirtschaftlich unrentabel erweisen.
50(3) Der Zuschlag von bis zu 30 % dient dem verfassungsrechtlich besonders wichtigen Ziel des Gesundheitsschutzes. Dabei handelt es sich um ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel von Verfassungsrang ( - Rn. 47). In der Wertordnung des Grundgesetzes kommt ihm ein hohes Gewicht zu (vgl. ua. - Rn. 95, BVerfGE 126, 112; - 1 BvR 3262/07 ua. - Rn. 119, 122, BVerfGE 121, 317).
51(4) Die Pflicht der Beklagten, an ihre in Dauernachtarbeit eingesetzten Zeitungszusteller Zuschläge in Höhe von 30 % zu leisten, lässt ihr Recht unberührt, Nachtarbeit anzuordnen und entsprechende Leistungen am Markt anzubieten. Die Beklagte hat zwar auf den seit Jahren zu beobachtenden Umsatzrückgang bei gleichzeitig steigenden Kosten hingewiesen. Sie werde durch die Belastung mit einem Nachtarbeitszuschlag von 30 % wirtschaftlich überfordert. Auf Dauer werde der Vertrieb und in der Folge auch die Herstellung von Tageszeitungen in Frage gestellt. Dabei handelt es sich jedoch um rein wirtschaftliche Erwägungen. Ihnen darf der mit § 6 Abs. 5 ArbZG verfolgte Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer nicht untergeordnet werden ( - Rn. 48, BAGE 162, 340; vgl. den vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG). Das gilt auch für Nachtarbeitszuschläge, die nur mittelbar gesundheitsschützend wirken, weil sie die Nachtarbeit verteuern und in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen.
52(5) Im Gegensatz zu den Betreibern von Krankenhäusern, Pflegeheimen und Rettungsdiensten ist die Beklagte nicht gesetzlich verpflichtet, Nachtarbeit anzuordnen. Die Zeitungszustellung während der Nachtzeit dient für sich genommen auch nicht einem überragend wichtigen Gemeinwohlziel von Verfassungsrang, während das für den Gesundheitsschutz und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems zutrifft (vgl. - Rn. 47; - 1 BvR 2011/07 ua. - Rn. 95, 99, BVerfGE 126, 112).
53(6) Der Zuschlag von 30 % steht nicht außer Verhältnis zu der Einschränkung grundrechtlich geschützter Positionen derjenigen, die - wie die Beklagte - einen Zeitungszustelldienst betreiben. Weder ist erkennbar, dass ein Nachtarbeitszuschlag von 30 % die Beklagte unzumutbar belastet, noch durfte sie darauf vertrauen, dass ein Zuschlag von lediglich 10 % für die von ihren Zeitungszustellern geleistete Dauernachtarbeit angemessen iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG ist. Die von der Beklagten herangezogene Entscheidung des Fünften Senats des - 5 AZR 148/08 -) betraf keinen Zeitungszusteller, sondern einen Beschäftigten des Wach- und Sicherheitsdienstes, dessen Nachtarbeit zudem - anders als im Streitfall - durch Phasen der Entspannung gekennzeichnet war.
54b) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann den Regelungen in § 10 Abs. 1 ArbZG und § 24 Abs. 2 MiLoG idF vom (aF) nicht entnommen werden, dass eine Anhebung des Zuschlags für die in Dauernachtarbeit versehene Zeitungszustellung auf 30 % ausgeschlossen ist.
55aa) Zeitungszusteller dürfen zwar nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 ArbZG ebenso wie Arbeitnehmer in Rettungsdiensten und Krankenhäusern an Sonn- und Feiertagen beschäftigt werden, sofern die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Das grundsätzliche Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit (§ 9 ArbZG) dient jedoch - anders als der auf Unionsrecht beruhende § 6 Abs. 5 ArbZG - nicht dem Gesundheitsschutz, sondern der Umsetzung des aus Art. 140 GG iVm. Art. 139 WRV folgenden Gebots zum Schutz des Sonntags und der anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung (vgl. BT-Drs. 12/5888 S. 21, 28). Die Ausnahmeregelungen in § 10 Abs. 1 ArbZG sind deshalb für die Frage der Angemessenheit des Zuschlags nach § 6 Abs. 5 ArbZG nicht erheblich.
56bb) Die bereits am ausgelaufene Branchenausnahme in § 24 Abs. 2 MiLoG aF betraf allein die Grundvergütung für Zeitungszusteller. § 6 Abs. 5 ArbZG wurde durch das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie vom (BGBl. I S. 1348) nicht geändert. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber angenommen haben könnte, das Bundesarbeitsgericht halte einen Zuschlag von 10 % auf das Bruttoarbeitsentgelt für Dauernachtarbeit für angemessen. Er hat die Angemessenheit des Zuschlags für das regelmäßig in Nachtarbeit erfolgende Austragen von Zeitungen weder selbst bestimmt noch die Branche von der Zuschlagspflicht nach § 6 Abs. 5 ArbZG ausgenommen (vgl. - Rn. 28, 48 mwN, BAGE 171, 280).
57c) Danach bestehen die geltend gemachten Differenzansprüche für den Zeitraum von Oktober 2018 bis März 2019. Die Beklagte hat auf die in diesen Monaten geleisteten Nachtarbeitsstunden nur einen Zuschlag von jeweils 10 % anstelle des nach § 6 Abs. 5 ArbZG angemessenen Zuschlags von 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt gezahlt. Die von der Beklagten geschuldete, rechnerisch nicht umstrittene Gesamtdifferenz beläuft sich auf 1.181,66 Euro brutto.
586. Zinsen aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB für den Anspruch auf die weiteren Zuschläge stehen dem Kläger nach § 187 Abs. 1 BGB jeweils ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit des Vergütungsanspruchs zu (vgl. - Rn. 38). Da die Parteien insoweit den 15. des jeweiligen Folgemonats bestimmt haben, kann der Kläger Verzugszinsen auf die Differenzvergütung frühestens ab dem darauffolgenden Tag verlangen. Der fiel auf einen Samstag, so dass die Verzinsung der Differenzvergütung für November 2018 erst drei Tage später einsetzte.
59III. Der hilfsweise gestellte Antrag zu 2. fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Der Kläger hat ihn erkennbar nur für den Fall gestellt, dass er mit dem Antrag zu 1. unterliegt. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.
60C. Die Beklagte hat nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:101121.U.10AZR258.20.0
Fundstelle(n):
UAAAI-60619