Strafbare Untreue: Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft
Gesetze: § 266 Abs 1 StGB, § 93 Abs 1 S 2 AktG
Instanzenzug: Az: 14 KLs 2/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Untreue aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Der Angeklagte war Vorstand der V. AG. Diese hielt 43,1 Prozent der Anteile der E. AG. Der Angeklagte wollte die Anteile veräußern, was er als schwierig einschätzte. Er unterzeichnete am für die V. AG einen Vertrag mit der D. AG (D. ), bei der es sich um einen leeren Firmenmantel mit Börsennotierung handelte. Dadurch beauftragte die V. AG die D. mit der Veräußerung des Aktienpaketes. Hierfür sollte die D. beim Zustandekommen einer Transaktion unter ihrer direkten oder indirekten Beteiligung ein Erfolgshonorar erhalten. Am unterzeichnete der Angeklagte für die V. AG einen weiteren Vertrag mit der Vi. GmbH ( Vi. ), der ebenfalls die - hier exklusive - Beratung sowie Unterstützung bei der Veräußerung der Anteile zum Gegenstand hatte und neben einem festen Beratungshonorar ein Erfolgshonorar vorsah. Die Vi. entfaltete im Folgenden verschiedene Tätigkeiten, wie etwa die Ansprache potentieller Investoren und die Erstellung einer umfangreichen Dokumentation.
4Parallel dazu suchte der Vorstand der E. AG in Abstimmung mit der Vi. Investoren aus deren Aktionärskreis. Am schloss die V. AG, vertreten durch den Angeklagten, einen Treuhand- und Garantievertrag mit einem Verkaufsangebot für die von der V. AG gehaltenen Stückaktien der E. AG zu einem Preis von insgesamt 11.520.000 €. Im Januar 2011 nahm eine Käuferin das Angebot an, deren Identität der Angeklagte erst am Tag der Pflichtmitteilung nach § 15 WpHG, dem , erfuhr. Das Aktienpaket wurde übertragen und der Kaufpreis überwiesen. Am stellte die D. , die nicht weiter tätig geworden war, der V. AG eine Rechnung über 1.228.080 €. Die Vi. stellte am dem Angeklagten abschließend 83.335,38 € und - auf dessen Veranlassung - der D. ein Erfolgshonorar von 300.000 € nebst Auslagen sowie Umsatzsteuer in Rechnung. Auf Anweisung des Angeklagten zahlte die V. AG am an die D. 1.228.080 €, nachdem ihm bei Nichtzahlung mit rechtlichen Schritten gedroht worden war.
5Die Veräußerung der Anteile stand nicht in Zusammenhang mit einer Tätigkeit der Vi. oder der D. . Dies hielt der Angeklagte seit Veröffentlichung der Pflichtmitteilung für möglich und nahm es billigend in Kauf. Auf sein Geheiß wurde seitens der D. das Erfolgshonorar der Vi. in Höhe von 357.480,76 € an diese überwiesen. Im Dezember 2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der V. AG eröffnet.
62. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte durch Abschluss der Verträge mit der D. und der Vi. bereits in objektiver Hinsicht den Missbrauchstatbestand der Untreue nicht verwirklicht habe. In Bezug auf die Zahlungsanweisung scheide dieser "mangels rechtsgeschäftlichen Handelns" aus. Die objektiven Voraussetzungen des Treubruchtatbestandes seien zwar durch die Anweisung auf die Rechnung der D. erfüllt, da es sich um eine Zahlung auf eine tatsächlich nicht entstandene Verbindlichkeit handele. Allerdings fehle es insoweit am subjektiven Tatbestand; denn der Angeklagte habe sich Umstände vorgestellt, auf deren Basis sein Verhalten nicht als pflichtwidrig zu werten sei. Weil er nicht sicher gewusst habe, dass das Tätigwerden von D. und Vi. in keinem Zusammenhang mit der Anteilsveräußerung gestanden habe, habe ein unternehmerischer Ermessensspielraum bestanden. Angesichts eines drohenden Rechtsstreits bei Zahlungsverweigerung sei die Entscheidung zu zahlen nicht evident wirtschaftlich unvertretbar gewesen und habe im Interesse des Unternehmens gelegen.
II.
7Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der Freispruch vom Vorwurf der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand; denn das Landgericht hat hierzu aufgrund eines rechtsfehlerhaften Beurteilungsmaßstabs nur unzureichende Feststellungen getroffen.
81. Die in den Urteilsgründen niedergelegten Feststellungen tragen nicht die Wertung, der Angeklagte habe in Bezug auf die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht ohne Vorsatz gehandelt.
9a) In rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass dem Vorstand einer Aktiengesellschaft bei der Leitung der Geschäfte eines Unternehmens ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist. Dazu gehört neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Inkaufnahme der Gefahr, bei der wirtschaftlichen Betätigung Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen zu unterliegen. Eine Pflichtverletzung liegt erst dann vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss. Diese zum Aktienrecht entwickelten, mittlerweile als sog. Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierten Grundsätze sind auch Maßstab für das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB (s. , BGHSt 61, 48 Rn. 57 mwN; Urteile vom - 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, 336; vom - 3 StR 628/19, NStZ 2021, 738 Rn. 15; kritisch dagegen Eibach/Scholz, ZStW 2021, 685). Eine Entscheidung auf unzulänglicher Tatsachengrundlage kann eine solche Pflichtverletzung indizieren. Diese ist letztlich nur dann zu bejahen, wenn ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt; der Leitungsfehler muss sich auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen (, wistra 2021, 324 Rn. 24 mwN).
10In subjektiver Hinsicht reicht grundsätzlich bedingter Vorsatz in Bezug auf die objektiven Tatbestandsmerkmale aus (vgl. , BVerfGE 126, 170, 207 f.; , BGHSt 46, 30, 34 f.; vom - 3 StR 336/00, NStZ 2001, 155).
11b) Nach diesen Maßstäben ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, dass es an einer Pflichtverletzung oder an dem entsprechenden - vom Landgericht verneinten - subjektiven Tatbestand fehlt.
12aa) Es erscheint bereits widersprüchlich, dass die Strafkammer einerseits die Zahlungsanweisung mangels einer zugrundeliegenden Honorarforderung als objektiv pflichtwidrig angesehen, andererseits einen Vorsatz des dies in Kauf nehmenden Angeklagten verneint hat. Wenn das Verhalten des Angeklagten pflichtwidrig war und er die dafür maßgeblichen Umstände für möglich hielt sowie hinnahm, erschließt sich nicht, wieso ein entsprechender bedingter Vorsatz nicht gegeben war. Läge dagegen die Zahlung noch innerhalb des unternehmerischen Handlungsspielraumes, wäre sie nicht pflichtwidrig.
13bb) Ungeachtet dessen rechtfertigen die festgestellten Tatsachen für sich gesehen nicht die im Rahmen des subjektiven Tatbestands dargelegte Schlussfolgerung der Strafkammer, der Angeklagte habe keine evident unvertretbare wirtschaftliche Entscheidung getroffen. Die Urteilsgründe erweisen sich insoweit als lückenhaft. Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, aufgrund welcher Informationslage er die Überweisung veranlasste. Ob er insoweit den zu beachtenden Anforderungen gerecht wurde und pflichtgemäß handelte, lässt sich daher nicht prüfen.
14Zu Informationspflichten von Vorstandsmitgliedern ist anerkannt, dass sie grundsätzlich in der konkreten Entscheidungssituation die Ausschöpfung aller verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art verlangen, um auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen. Die konkrete Entscheidungssituation ist danach der Bezugsrahmen des Ausmaßes der Informationspflichten. Dementsprechend ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass sich der Vorstand eine unter Berücksichtigung des Faktors Zeit und unter Abwägung der Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung "angemessene" Tatsachenbasis verschafft; je nach Bedeutung der Entscheidung ist eine breitere Informationsbasis rechtlich zu fordern. Dem Vorstand steht danach letztlich ein dem konkreten Einzelfall angepasster Spielraum zu, den Informationsbedarf zur Vorbereitung seiner unternehmerischen Entscheidung selbst abzuwägen. Ausschlaggebend ist dabei nicht, ob die Entscheidung tatsächlich auf der Basis angemessener Informationen getroffen wurde und dem Wohle der Gesellschaft diente, sondern es reicht aus, dass der Vorstand dies vernünftigerweise annehmen durfte. Die Beurteilung des Vorstands im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung muss aus der Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters vertretbar erscheinen (s. insgesamt , NJW 2017, 578 Rn. 34 mwN).
15Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Es bleibt offen, ob und gegebenenfalls wie sich der Angeklagte etwa über die Berechtigung der gegen die V. AG erhobenen Forderungen und das Risiko eines angedrohten Rechtsstreits informierte beziehungsweise in der konkreten Situation hätte informieren müssen. Nach den getroffenen Feststellungen ergibt sich nicht ohne Weiteres, dass die Zahlung allein auf Anforderung der Vertragspartner und Drohung mit einem Rechtsstreit unternehmerisch vertretbar war. Dabei ist unter anderem von Belang, dass die Käuferin aus dem Kreis der Aktionäre der E. AG stammte, es sich bei der D. um einen leeren Firmenmantel handelte und die Höhe der Forderung Anlass für eine sorgfältige Prüfung hätte geben können.
162. Die Sache ist mithin bereits wegen des zuvor Dargelegten zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen; denn eine vorsätzliche Pflichtverletzung ist nicht rechtsfehlerfrei abgelehnt worden, und eine Strafbarkeit des Angeklagten scheidet nicht aus sonstigen Gründen von vornherein aus. Eine Auseinandersetzung mit weiteren von der Strafkammer angeführten Erwägungen, etwa zum Ausschluss des Missbrauchstatbestands bei Zahlungsanweisungen (vgl. dagegen beispielsweise , NJW 2010, 92 Rn. 52 ff.), ist danach entbehrlich.
17Die bisherigen Feststellungen sind insgesamt aufzuheben, da der Angeklagte sie angesichts des Freispruchs mangels Beschwer nicht hat angreifen können (vgl. , juris Rn. 17). Daher bedarf keiner weiteren Erörterung, ob sie durch eine fehlerfreie Beweiswürdigung belegt sind.
18In der neuen Hauptverhandlung wird näher in den Blick zu nehmen sein, ob eine objektive Pflichtverletzung vorliegt (s. oben unter II. 1. b). Dafür können insbesondere die zivilrechtliche Lage und der - tatsächliche sowie zu verlangende - Informationsstand des Angeklagten eingehender zu beleuchten sein.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:100222U3STR329.21.0
Fundstelle(n):
AG 2022 S. 821 Nr. 22
DB 2022 S. 2655 Nr. 45
ZIP 2022 S. 2435 Nr. 48
wistra 2022 S. 294 Nr. 7
wistra 2022 S. 3 Nr. 6
WAAAI-60319