BGH Beschluss v. - 4 StR 449/21

Strafzumessung bei sexuellem Kindesmissbrauch: Berücksichtigung von Tatfolgen bei einer Tatserie; Anforderungen an die Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftiger immaterieller Schäden in der Adhäsionsentscheidung

Gesetze: § 46 Abs 2 StGB, § 176a StGB, § 403 StPO, §§ 403ff StPO, § 253 BGB, § 823 Abs 2 BGB

Instanzenzug: LG Detmold Az: 23 KLs 20/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten – jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen – wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 32 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 796 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Zudem hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat hinsichtlich des Adhäsionsausspruchs den aus der Beschlussformel ersichtlichen geringen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

32. Auch der Strafausspruch hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.

4a) Die Strafkammer hat allerdings bereits bei der Bemessung der Einzelstrafen berücksichtigt, dass die Taten zu erheblichen psychischen Folgen bei der Nebenklägerin geführt haben. Dabei ist der Strafkammer aus dem Blick geraten, dass festgestellte Tatfolgen einer Serie von Sexualdelikten nur dann bei der Einzelstrafbemessung mit ihrem vollen Gewicht berücksichtigt werden können, wenn sie unmittelbare Folge allein einzelner Taten sind; sind sie Folge aller abgeurteilten Straftaten, können sie strafzumessungsrechtlich nur einmal bei der Gesamtstrafenbildung berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 7/21 Rn. 4 und vom – 2 StR 469/19 Rn. 2). Der Senat kann jedoch ausschließen, dass die Strafkammer, hätte sie dies bedacht, mildere als die im unteren Bereich der anwendbaren Strafrahmen liegenden Einzelstrafen verhängt hätte.

5b) Die Strafkammer hat es zudem unterlassen, für die unter II. der Urteilsgründe im Rahmen der Ziffern „822.-827.“ festgestellte siebte Tat – also bei richtiger Bezifferung im 828. Fall – eine Einzelstrafe festzusetzen.

6In entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO setzt der Senat auf Antrag des Generalbundesanwalts diese Einzelstrafe auf ein Jahr und drei Monate Freiheitsstrafe fest. Die Strafkammer hat in den vergleichbaren Fällen 822-827 jeweils auf eine solche Strafe erkannt. Den Urteilsgründen sind keine zumessungsrelevanten Besonderheiten im Fall 828 zu entnehmen. Daher ist auszuschließen, dass das Landgericht für diese Tat eine mildere Einzelstrafe verhängt hätte. Das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO) hindert den Senat nicht, die Festsetzung nachzuholen (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 433/10 Rn. 2 und vom – 2 StR 606/97, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Strafausspruch 10).

73. Der Adhäsionsausspruch weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:

„Soweit festgestellt ist, dass der Angeklagte zum Ersatz künftiger immaterieller Schäden verpflichtet ist, mangelt es an einer Begründung eines entsprechenden Feststellungsinteresses. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt ein derartiger Ausspruch eine einzelfallbezogene Begründung voraus, aus der sich ergibt, dass künftig immaterielle Schäden, die nicht bereits von dem Ausspruch über die Verurteilung des Angeklagten zur Zahlung der Schmerzensgeldbeträge umfasst sind, wahrscheinlich entstehen werden (vgl. Senat, Beschluss vom – 4 StR 168/20, BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 389/21, vom – 1 StR 135/21, NStZ-RR 2021, 347, und vom – 2 StR 397/19). Eine solche Begründung kann den Urteilsgründen, die insoweit lediglich darauf abstellen, dass die Nebenklägerin das ihr zugefügte Leid psychisch noch nicht verarbeitet hat (UA S. 17), nicht entnommen werden. So enthalten die Urteilsgründe keine Hinweise auf die Wahrscheinlichkeit anderer zukünftiger immaterieller Schäden als diejenigen, die das Landgericht bereits bei der Bemessung des der Nebenklägerin zuerkannten Schmerzensgeldes in den Blick genommen hat (UA S. 16). Der Adhäsionsausspruch hat insoweit zu entfallen (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO).“

8Dem kann sich der Senat mit Blick auf die Einheitlichkeit des – unbeschränkt geltend gemachten – Schmerzensgeldes (vgl. Rn. 6 mwN) nicht verschließen. Insoweit war daher von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abzusehen.

94. Der Generalbundesanwalt weist zu Recht darauf hin, dass das Landgericht über die Fälle 1786 bis 1885 der unbeschränkt zugelassenen Anklage nicht entschieden hat und auch eine Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO insoweit nicht erfolgt ist. Diese prozessualen Taten sind daher weiter bei der Strafkammer anhängig. Sie wird hierüber noch eine Entscheidung zu treffen haben, um ihrer Kognitionspflicht gemäß § 264 StPO zu genügen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:110222B4STR449.21.0

Fundstelle(n):
CAAAI-59443