Strafverurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.: Strafzumessung und Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot
Gesetze: § 46 Abs 3 StGB, § 176a Abs 4 StGB
Instanzenzug: LG Gera Az: 9 KLs 470 Js 18438/20 jug
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und wegen dreier Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu drei Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Indes kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.
31. Das Landgericht hat bei der Zumessung der Strafe für die Tat zum Nachteil der Nebenklägerin R. bereits die Verneinung der Voraussetzungen eines minder schweren Falles im Sinne von § 176a Abs. 4 StGB auf durchgreifend rechtsfehlerhafte Erwägungen gestützt.
4a) Es hat insoweit ausgeführt, auch die schwere Erkrankung des Angeklagten und dessen daraus folgende besondere Haftempfindlichkeit könne die Annahme eines minder schweren Falles für diese Tat nicht rechtfertigen und dies u.a. wie folgt begründet:
„Der Angeklagte wusste im Tatzeitpunkt bereits seit mehreren Jahren von seiner ALS-Erkrankung (...); dem Angeklagten wurde insbesondere erläutert, dass die Krankheit einen progedienten Verlauf aufweist, der aller Voraussicht nach im Laufe von zehn Jahren zum Tode führen würde. Der Angeklagte verstand dies (...). Indem der langjährig hafterfahrene Angeklagte somit in Kenntnis seiner Erkrankung und seiner geringen Lebenserwartung die verfahrensgegenständliche Straftat beging, riskierte er bewusst die ihm verbleibende Zeit in Freiheit, in der er sich noch halbwegs selbständig um seine Angelegenheiten kümmern kann und kein absoluter Pflegefall ist. Insoweit mag zwar die besonders hohe Haftempfindlichkeit des Angeklagten einen mildernden täterbezogenen Umstand darstellen. Bei dem jederzeit über seine Situation umfassend im Bild befindlichen und seine Freiheit wissentlich riskierenden Angeklagten ist aber zugleich die vorhandene irrige Vorstellung zu korrigieren, seine Krankheit sei eine Art Freibrief, der ihm erlaube, sich ob der verbleibenden Lebenserwartung von wenigen Jahren bewusst über die Rechtsordnung hinwegsetzen zu dürfen, ohne höhere, resp. zu einer Inhaftierung führende Strafen befürchten zu müssen.“
b) Diese Erwägungen lassen besorgen, dass die Strafkammer dem an amyotropher Lateralsklerose leidenden Angeklagten die Begehung der Straftat als solche vorgehalten hat, ohne dass Besonderheiten vorliegen, die es rechtfertigen könnten, das Unrecht der Tat straferhöhend zu werten, und damit gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen hat (vgl. , StV 2011, 224; Senat, Beschluss vom - 2 StR 233/14 mwN).
5c) Soweit die Strafrahmenwahl in diesen Ausführungen mit der Notwendigkeit begründet wird, beim Angeklagten eine vorhandene irrige Vorstellung des oben näher beschriebenen Inhalts zu korrigieren, legt dies zudem die Annahme nahe, das Landgericht habe sich bei der Strafzumessung von unklaren, weil gefühlsmäßig bestimmten oder von sachfremden Gründen leiten lassen (vgl. Senat, Beschlüsse vom - 2 StR 232/20; vom - 2 StR 173/17, jew. mwN). Sie verdeutlichen nicht, welchen anerkannten Strafzumessungsgesichtspunkten zur Beurteilung von Tat und Täter sie zuzuordnen sind, sind vielmehr von moralisierendem Charakter und haben deshalb zu unterbleiben.
6d) Dieser Rechtsfehler erfasst den Strafausspruch insgesamt, weil das Landgericht bei den Taten zum Nachteil der Nebenklägerin K. auch hinsichtlich der besonderen Haftempfindlichkeit des Angeklagten „umfassend“ auf seine vorherigen Ausführungen Bezug genommen hat.
72. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB hat die Strafkammer mit nicht nachvollziehbaren Erwägungen verneint. Zum einen geht sie bei der Bestimmung der tatzeitrelevanten Blutalkoholkonzentration davon aus, der Angeklagte habe zunächst vier Dosen eines Mischgetränks konsumiert, wohingegen er nach den Feststellungen den Inhalt von fünf solcher Dosen trank. Zum anderen ist nicht ersichtlich, inwiefern dem Umstand, dass der Angeklagte „den Alkohol über den gesamten Abend verteilt“ konsumierte, für sich genommen Aussagekraft bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit zukommen kann, obgleich die Trinkdauer bei der Ermittlung der Blutalkoholkonzentration bereits Berücksichtigung zu finden hat (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1428 mwN).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:030821B2STR217.21.0
Fundstelle(n):
KAAAI-59342