BGH Beschluss v. - VI ZB 37/20

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Fristversäumung infolge unvollständiger Umsetzung einer anwaltlichen Einzelanweisung zur Notierung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfrist

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung infolge unvollständiger Umsetzung einer anwaltlichen Einzelweisung zur Notierung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfrist im Fristenkalender durch Kanzleipersonal.

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 139 ZPO, § 233 ZPO, § 236 Abs 2 S 1 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: Az: 89 S 1/20vorgehend Az: 237 C 195/19

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am zugestellt worden. Mit am beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am eingegangen. Mit der Berufungsbegründung hat der Kläger hinsichtlich der versäumten Frist zur Begründung der Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

2Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Kläger unter Vorlage einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten R. seiner Prozessbevollmächtigten im Wesentlichen ausgeführt, die Fristversäumnis beruhe allein auf dem Versehen von R. Das amtsgerichtliche Urteil sei seiner Prozessbevollmächtigten am zur Kenntnis gelangt. Diese habe dies in dem ihr mit dem Urteil übersandten Empfangsbekenntnis vermerkt und Urteil und Empfangsbekenntnis sodann ihrer Angestellten R. mit der konkreten Arbeitsanweisung übergeben, sowohl die einmonatige Notfrist zur Einlegung der Berufung als auch die zweimonatige Frist zur Berufungsbegründung zu notieren. R. habe aus Unachtsamkeit heraus die genannten Fristabläufe dann aber nicht vollständig in den Fristenkalender notiert, sondern allein die Berufungsfrist, nicht hingegen die Frist zur Berufungsbegründung. Erst durch eine routinemäßige Wiedervorlage der Akte am sei dieses Versäumnis bemerkt worden. R. sei seit 14 Jahren als Rechtsanwaltsfachangestellte tätig, habe sich in den fünfeinhalb Jahren der Zusammenarbeit mit der Prozessbevollmächtigten des Klägers stets als zuverlässig erwiesen und deren mündliche Anweisungen stets befolgt.

3Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

4Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die maßgeblichen Rechtsfragen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger auch nicht in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, auf ein willkürfreies Verfahren und auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 103 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).

51. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers sei zwar zulässig, aber unbegründet. Denn der Kläger habe keine hinreichenden Tatsachen dafür vorgetragen, dass er ohne sein Verschulden an der Wahrung der Frist gehindert gewesen sei. Sein Vortrag schließe eigenes organisatorisches Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten, das er sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen habe, nicht aus. Denn ein Rechtsanwalt müsse in den Fällen, in denen er die Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlasse, durch eine entsprechende Organisation des Fristenwesens in seiner Anwaltskanzlei sicherstellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert würden. Insbesondere habe er Vorkehrungen für Situationen zu treffen, in denen mögliche Unregelmäßigkeiten und Zwischenfälle einträten, also etwa Fristen entgegen ausdrücklicher Weisung versehentlich nicht im Fristenkalender eingetragen würden. Das Fehlen jeder Sicherung bedeute einen schweren Organisationsmangel, erst Recht wenn die Anweisung nur mündlich erteilt werde. Nach dem Vortrag des Klägers könne im Streitfall nicht davon ausgegangen werden, dass die Büroorganisation seiner Prozessbevollmächtigten diesen Anforderungen an Sicherheitsvorkehrungen genügt habe. So seien organisatorische Sicherungsmaßnahmen für Fälle, in denen mündliche Einzelanweisungen zur Fristenkontrolle ausnahmsweise in Vergessenheit gerieten, nicht dargetan.

6Schließlich sei die Berufungskammer nicht gemäß § 139 ZPO verpflichtet gewesen, den Kläger auf die Anforderungen an den Klägervortrag zum fehlenden Organisationsverschulden hinzuweisen. Vielmehr habe es dem Kläger oblegen, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vollständig zu den Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung, mithin auch zu einer ausreichenden Büroorganisation, vorzutragen. Das Fehlen solchen Vortrags erlaube den Schluss, dass es an den notwendigen Vorkehrungen gefehlt habe.

72. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.

8a) Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 277/11, NJW-RR 2012, 743 Rn. 11 f.; vom - XII ZB 150/08, FamRZ 2009, 1132 Rn. 19 ff.), die die Rechtsbeschwerde nicht in Frage stellt, hat der Rechtsanwalt, der einem Angestellten eine Begründungsfrist zur Eintragung in den Fristenkalender - wie hier - lediglich mündlich mitteilt, organisatorische Vorkehrungen dahingehend zu treffen, dass die Eintragung entweder sofort erfolgt oder die mündliche Einzelanweisung nicht in Vergessenheit gerät und die Fristeneintragung unterbleibt. Solche Sicherheitsvorkehrungen hat der Kläger mit seinem Wiedereinsetzungsgesuch - wie vom Berufungsgericht zutreffend ausgeführt - weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.

9b) Die mit der Rechtsbeschwerde nachgeholten Angaben zu in der Kanzlei der vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers bestehenden Anweisungen sind nicht mehr zu berücksichtigen. Nach § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO muss der Antrag auf Wiedereinsetzung die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten. Beruht das Versäumnis - wie im Streitfall - auf dem Versehen eines Büroangestellten, so hat die Partei alle Umstände darzulegen, die ein Organisations- oder sonstiges Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ausschließen (, FamRZ 2009, 1132 Rn. 23). Nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist ergänztes Vorbringen ist dabei grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 110/16, NJW-RR 2017, 1142 Rn. 14; vom - XII ZB 277/11, NJW-RR 2012, 743 Rn. 12; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 236 Rn. 14).

10c) Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es das Berufungsgericht unterlassen hätte, einen gemäß § 139 ZPO gebotenen Hinweis zu erteilen. Zwar können im Wiedereinsetzungsverfahren erkennbar unklare oder ungenaue Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, über die Frist nach § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 ZPO hinaus erläutert und vervollständigt werden (vgl. nur Senatsbeschluss vom - VI ZB 68/16, NJW-RR 2019, 502 Rn. 7; BGH, Beschlüsse - XII ZB 277/11, NJW-RR 2012, 743 Rn. 12; vom - XII ZB 150/08, FamRZ 2009, 1132 Rn. 24). Die Ausführungen des Klägers im Wiedereinsetzungsantrag zu etwaigen Sicherheitsvorkehrungen sind im Streitfall aber nicht unklar oder ungenau; vielmehr fehlt insoweit jeglicher Vortrag. Da die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens und deren Darlegung im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags stellt, bekannt sind und einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein müssen, erlaubt insoweit fehlender Vortrag den Schluss darauf, dass entsprechende Sicherungsvorkehrungen gefehlt haben (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 45/16, NJW-RR 2017, 956 Rn. 9; vom - VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 13; Rn. 15, juris). Ob die nun von der Rechtsbeschwerde vorgetragenen Sicherungsmaßnahmen - wie die Rechtsbeschwerde meint - Teil einer "routinemäßigen Kanzleiorganisation" darstellen, was "jeder ausgebildeten Kanzleifachangestellten […] schon in der Schule eingebläut" wird, ist insoweit ohne Bedeutung. Eine zur Nachfrage verpflichtende Vermutung dahingehend, dass ein tatsächlich eingetretenes Versäumnis nicht auf einer grundsätzlich fehlerhaften Organisation des Fristenwesens, sondern allein auf einem individuellen Fehler eines Angestellten beruht, gibt es nicht.

11d) Da das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu Recht zurückgewiesen hat, ist auch die Verwerfung der Berufung des Klägers als unzulässig wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht zu beanstanden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:150222BVIZB37.20.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2022 S. 855 Nr. 12
JAAAI-59056