BGH Beschluss v. - IX ZB 5/21

Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens: Befugnis des Insolvenzgerichts zur Prüfung der vom Schuldner vorgelegten Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs

Leitsatz

Dem Insolvenzgericht steht keine inhaltliche Prüfungsbefugnis der von dem Schuldner vorgelegten Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs zu.

Gesetze: § 305 Abs 1 Nr 1 InsO

Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 16 T 596/20 Beschlussvorgehend Az: 2 BvR 1206/19 Stattgebender Kammerbeschlussvorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 17 T 312/19 Beschlussvorgehend AG Oldenburg (Oldenburg) Az: 33 IK 2/19

Gründe

I.

1Am beantragte die in O.       wohnhafte Antragstellerin unter Beifügung einer Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen und die Erteilung der Restschuldbefreiung. Eine persönliche Beratung der Antragstellerin in körperlicher Anwesenheit des bescheinigenden Rechtsanwalts mit Kanzleisitz in S.      hatte nicht stattgefunden. Eine Beratung war nur schriftlich und fernmündlich erfolgt. Das Insolvenzgericht wies den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig ab.

2Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Antragstellerin hatte keinen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ließ das Landgericht nicht zu. Auf die Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin hob das , ZVI 2020, 424 ff) die Entscheidung des Landgerichts wegen einer Verletzung des Grundrechts der Antragstellerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück.

3Mit dem angefochtenen Beschluss vom hat das Landgericht die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Abweisung ihres Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erneut zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landgericht nunmehr zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Antragstellerin weiterhin die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über ihr Vermögen und die Erteilung der Restschuldbefreiung.

II.

4Der Antragstellerin ist nach § 233 Satz 1 ZPO auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts zu gewähren. Die Antragstellerin war ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde einzuhalten, weil sie aus finanziellen Gründen nicht in der Lage war, innerhalb der Einlegungs- und Begründungsfrist einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung zu beauftragen. Sie hat jedoch innerhalb offener Rechtsbeschwerdefrist nach § 575 Abs. 1 ZPO Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren beantragt und die erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Diesem Antrag hat der Senat mit Beschluss vom stattgegeben. Das Hindernis zur Einlegung der Rechtsbeschwerde entfiel mit der Zustellung des Beschlusses am . Die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde ist innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO formgerecht beantragt und die versäumte Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde nachgeholt worden (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO).

III.

5Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

61. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei unzulässig, weil die Antragstellerin keine den Anforderungen des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO genügende Bescheinigung über den erfolglosen Versuch einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung vorgelegt habe. Die Bescheinigung sei auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners auszustellen. Eine nur telefonische Beratung sei hierfür grundsätzlich nicht ausreichend, weil nur in einem persönlichen Gespräch und durch das Beobachten von Reaktionen des Gegenübers auf individuelle Bedürfnisse und Verständnisprobleme beim Schuldner eingegangen werden könne. Das Insolvenzgericht sei auch berechtigt, die Antragsunterlagen darauf zu überprüfen, ob eine persönliche Beratung des Schuldners durch eine geeignete Person oder Stelle stattgefunden habe. Insbesondere dann, wenn Anzeichen dafür bestünden, dass die Voraussetzungen des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht erfüllt seien, habe das Insolvenzgericht von Amts wegen aufzuklären, ob eine inhaltlich falsche Bescheinigung eingereicht worden sei. Anlass für eine solche Prüfung bestehe, wenn - wie hier - zwischen dem Sitz der bescheinigenden Person und dem Wohnort des Insolvenzschuldners eine große räumliche Distanz bestehe. Es könne in der Regel nicht vermutet werden, dass sich eine überschuldete Person für die Durchführung eines außergerichtlichen Einigungsversuchs an eine weit entfernte Stelle wende, wenn zugleich in unmittelbarer Nähe gleichartige, kostenfreie Angebote zur Verfügung stünden.

72. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Insolvenzgericht ist zu einer inhaltlichen Überprüfung der von einer geeigneten Person oder Stelle ausgestellten Bescheinigung nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs nicht berufen.

8Gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO hat der Schuldner mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Bescheinigung vorzulegen, die von einer geeigneten Person oder Stelle auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners ausgestellt ist und aus der sich ergibt, dass eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Eröffnungsantrag erfolglos versucht worden ist. Hat der Schuldner die nach § 305 Abs. 5 Satz 2 InsO zu verwendenden amtlichen Formulare für das Verbraucherinsolvenzverfahren und das Restschuldbefreiungsverfahren nicht vollständig ausgefüllt vorgelegt, fordert ihn das Insolvenzgericht gemäß § 305 Abs. 3 Satz 1 InsO auf, das Fehlende unverzüglich zu ergänzen.

9a) Ob das Insolvenzgericht befugt ist, die Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs inhaltlich zu prüfen, ist umstritten.

10Nach einer Auffassung haben die Insolvenzgerichte die Befugnis, die Bescheinigung daraufhin zu überprüfen, ob die geeignete Stelle oder Person den Schuldner persönlich beraten hat. Die Frage, in welchem Fall die materiellen Voraussetzungen der Bescheinigung geprüft werden dürfen, wird im Einzelnen aber differenziert beantwortet. Teilweise wird vertreten, dass ein inhaltliches Prüfungsrecht ohne Einschränkungen bestehe, weil es sich bei dem außergerichtlichen Einigungsversuch um eine Zulässigkeitsvoraussetzung handele, die das Insolvenzgericht von Amts wegen zu prüfen habe (AG Fürth, ZVI 2017, 192; Frind, Praxishandbuch Privatinsolvenz, 3. Aufl., Teil 2 Rn. 102a; MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 305 Rn. 98; Entschließung des BAKinso, ZInsO 2014, 2565). Teilweise wird eine inhaltliche Prüfungsbefugnis nur dann bejaht, wenn bereits aus der Bescheinigung selbst Anhaltspunkte erkennbar seien, die gegen eine persönliche Beratung des Insolvenzschuldners sprächen. Solche Anhaltspunkte sollen etwa dann vorliegen, wenn zwischen dem Sitz der die Bescheinigung ausstellenden Person oder Stelle und dem Wohnort des Schuldners eine erhebliche räumliche Distanz bestehe (LG Köln, NZI 2016, 171, 172; LG Düsseldorf, ZVI 2017, 145, 146; AG Potsdam, ZInsO 2015, 599, 600; AG Kaiserslautern, ZVI 2016, 320, 321; HK-InsO/Waltenberger, 10. Aufl., § 305 Rn. 32, 35; Jaeger/Foerste, InsO, § 305 Rn. 30; Frind, ZInsO 2016, 307, 309 f). Teilweise wird eine inhaltliche Prüfungskompetenz nur in Ausnahmefällen angenommen (LG Landshut, ZVI 2017, 146, 147; wohl auch Nerlich/Römermann/Römermann, InsO, 2015, § 305 Rn. 33; Heyer, ZVI 2020, 201, 202).

11Nach anderer Auffassung wird eine inhaltliche Überprüfung der Bescheinigung durch die Insolvenzgerichte abgelehnt (Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 305 Rn. 124; HmbKomm-InsO/Ritter, 9. Aufl., § 305 Rn. 17; BK-InsO/Beth, 2019, § 305 Rn. 111 ff, 116; NK-Privatinsolvenz/Homann, § 305 InsO Rn. 35; Ahrens, Aktuelles Privatinsolvenzrecht, 3. Aufl., Rn. 152 ff; Möhring, ZVI 2020, 205, 211; Zipperer, ZVI 2015, 363, 366; Schmidt, ZVI 2017, 129). Das Insolvenzgericht habe ausschließlich die Vollständigkeit der vom Schuldner mit dem Eröffnungsantrag vorgelegten Erklärungen und Unterlagen zu prüfen.

12b) Zutreffend ist die zuletzt genannte Auffassung. Es fehlt an einer gesetzlichen Grundlage für eine Prüfung der Bescheinigung durch das Insolvenzgericht darauf, in welcher Form und Qualität eine persönliche Beratung und eingehende Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners stattgefunden hat, soweit dies von einer geeigneten Person oder Stelle bescheinigt worden ist.

13aa) Der Wortlaut des § 305 InsO sieht keine inhaltliche Prüfungsbefugnis des Insolvenzgerichts vor.

14Nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO hat der Schuldner eine Bescheinigung über einen erfolglosen Versuch einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung vorzulegen. Das nach § 305 Abs. 5 Satz 2 InsO zwingend zu verwendende Formblatt für die Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs (Anlage 2 der Verbraucherinsolvenzformularverordnung) sieht Angaben zu der Bezeichnung und Anerkennung der geeigneten Person oder Stelle sowie zum außergerichtlichen Einigungsversuch vor. Es schließt mit der vorgedruckten Formulierung, dass auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse bescheinigt werde, dass der Schuldner erfolglos versucht habe, eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans zu erzielen.

15Eine inhaltliche Überprüfung der vom Schuldner vorgelegten Bescheinigung nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch das Insolvenzgericht darauf, in welcher Form und Qualität eine persönliche Beratung stattgefunden hat, ergibt sich auch nicht aus § 305 Abs. 3 und Abs. 5 InsO. Der Amtsermittlungsgrundsatz des § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO gilt zwar grundsätzlich auch im Verbraucherinsolvenzverfahren. § 305 Abs. 3 InsO sieht aber einschränkend vor, dass das Insolvenzgericht lediglich zu prüfen hat, ob der Schuldner die zwingend zu verwendenden amtlichen Formulare nach § 305 Abs. 5 InsO vollständig ausgefüllt abgegeben hat. Diese Prüfung bezieht sich sowohl auf die vollständige Vorlage der amtlichen Formulare als auch auf deren vollständige Ausfüllung (vgl. HmbKomm-InsO/Ritter, 9. Aufl., § 305 Rn. 17; Nerlich/Römermann/Römermann, InsO, 2015, § 305 Rn. 30, 32; Möhring, ZVI 2020, 205, 211). Es widerspräche aber dem Zweck des Formularzwangs, dem Insolvenzgericht eine zügige Prüfung zu ermöglichen und dem Schuldner seinerseits eine vollständige Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu erleichtern, wenn die Insolvenzgerichte über die Formulare hinausgehende Anforderungen stellen dürften (Zipperer, ZVI 2015, 363, 365; vgl. auch BK-InsO/Beth, 2019, § 305 Rn. 112).

16bb) Gegen eine inhaltliche Prüfung der Bescheinigung nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch das Insolvenzgericht spricht der Umstand, dass diese nur durch geeignete Personen oder Stellen ausgestellt werden kann.

17Der Gesetzgeber hat es zur Vermeidung von Gefälligkeitsbescheinigungen als ausreichend erachtet, die Erteilung der Bescheinigung in die Hände von geeigneten Personen oder Stellen zu legen. Dabei hat er Rechtsanwälte, Notare und Steuerberater kraft ihres Berufs und wegen des bestehenden Berufs- und Standesrechts, welches eine verantwortungsbewusste Tätigkeit sichere, für grundsätzlich geeignet angesehen (BT-Drucks. 12/7302, S. 190). Die Bestimmung, welche Personen oder Stellen im Einzelnen als geeignet anzusehen sind, hat der Gesetzgeber den Ländern überlassen (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 aE InsO). Von der Ermächtigung zur Bestimmung der geeigneten Personen oder Stellen haben alle 16 Bundesländer durch Ausführungsgesetze Gebrauch gemacht (vgl. die Zusammenstellung bei Becker, KTS 2000, 157, 166 ff sowie BK-InsO/Beth, 2019, § 305 Rn. 49). Das hier maßgebliche Niedersächsische Ausführungsgesetz zur Insolvenzordnung (Nds. AGInsO vom , zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes vom , Nds. GVBl. S. 66) sieht vor, dass nur die in § 1 angeführten Personen oder Stellen für die Ausstellung von Bescheinigungen nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO geeignet sind. Dabei handelt es sich zum einen um Mitglieder von Rechtsanwaltskammern, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer sowie die von ihnen gebildeten Personengesellschaften oder juristischen Personen des Privatrechts (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 2 Nds. AGInsO) und zum anderen um Einrichtungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die entweder unmittelbar als geeignet anzusehen sind (etwa Schuldnerberaterstellen in Niedersachsen, die in der Trägerschaft von Gemeinden oder Landkreisen stehen, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Nds. AGInsO) oder bei der zuständigen Behörde ein Anerkennungsverfahren durchlaufen haben (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 3 Nds. AGInsO).

18Durch das Merkmal der "Geeignetheit" hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung die Insolvenzgerichte von einer inhaltlichen Prüfung entbunden und die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der Beratung und Prüfung der bescheinigenden Person oder Stelle auferlegt (Ahrens, Aktuelles Privatinsolvenzrecht, 3. Aufl., Rn. 152a; Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 305 Rn. 124; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2020, § 305 Rn. 14; BK-InsO/Beth, 2019, § 305 Rn. 116). Die Eignung der Person oder Stelle bietet die Gewähr dafür, dass die bescheinigten Umstände vorliegen. Eine inhaltliche Überprüfung der Bescheinigung durch die Insolvenzgerichte würde zum einen die der bescheinigenden Person oder Stelle übertragenen Aufgaben aushöhlen. Zum anderen würde die Entscheidung des Gesetzgebers sowohl der Insolvenzordnung als auch des Ausführungsgesetzes zur Insolvenzordnung, bestimmte Personen oder Stellen als geeignet anzusehen, unterlaufen. Soweit eine Person oder Stelle kraft Gesetzes oder nach Durchlaufen eines Anerkennungsverfahrens als geeignet zur Erstellung der Bescheinigung nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO angesehen wird, obliegt es nicht den Insolvenzgerichten, die gesetzgeberische Grundentscheidung oder die Entscheidung der Anerkennungsbehörde durch eine Kontrolle der Aufgabenwahrnehmung durch die geeignete Person oder Stelle im Einzelfall zu überprüfen (vgl. Zipperer, ZVI 2015, 363, 364; BK-InsO/Beth, 2019, § 305 Rn. 116).

19Eine Kontrolle der geeigneten Personen, wie Rechtsanwälte, Steuerberater und ähnliche sieht der Gesetzgeber bereits durch das jeweilige Berufs- und Standesrecht gewährleistet (vgl. Schmidt, ZVI 2017, 219, 220). Handelt es sich bei der geeigneten Person um einen Rechtsanwalt oder Steuerberater, kommt im Fall einer unzureichenden Beratung und Prüfung zudem die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der bescheinigenden Person auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzung in Betracht (Ahrens, Aktuelles Privatinsolvenzrecht, 3. Aufl., Rn. 154, 157a).

20cc) Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 305 InsO einerseits den besonderen Bedürfnissen der Verbraucher besser Rechnung tragen, andererseits aber die Gerichte soweit wie möglich entlasten wollte (BT-Drucks. 12/7302, S. 154, 189). Zum Zweck der Verfahrensbeschleunigung und der Entlastung der Gerichte wurde der Schuldner verpflichtet, mit dem Eröffnungsantrag geeignete Unterlagen und einen Schuldenbereinigungsplan vorzulegen. Eine inhaltliche Überprüfung der nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorzulegenden Bescheinigung über den erfolglosen Versuch einer außergerichtlichen Schuldenbereinigung darauf, in welcher Form und Qualität die persönliche Beratung durchgeführt wurde, durch die Insolvenzgerichte würde auch diesem Gesetzeszweck zuwiderlaufen (Nerlich/Römermann/Römermann, InsO, 2015, § 305 Rn. 31).

21dd) Auch aus dem Umstand, dass die Regelung in § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom (BGBl I S. 2379) um den Passus "auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners" ergänzt worden ist, kann nicht auf die Einführung einer inhaltlichen Prüfungsbefugnis des Insolvenzgerichts geschlossen werden (HmbKomm-InsO/Ritter, 9. Aufl., § 305 Rn. 17; Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 305 Rn. 125; Ahrens, Aktuelles Privatinsolvenzrecht, 3. Aufl., Rn. 153; Möhring, ZVI 2020, 205, 211; Zipperer, ZVI 2015, 363, 365; Heyer, ZVI 2013, 214, 217; aA MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 305 Rn. 98).

22(1) Nach der bis zum geltenden Fassung des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO hatte der Schuldner mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Bescheinigung vorzulegen, die von einer geeigneten Person oder Stelle ausgestellt war und aus der sich ergab, dass eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Eröffnungsantrag erfolglos versucht worden ist. Das Insolvenzgericht hatte nach § 305 Abs. 3 Satz 1 InsO aF von Amts wegen zu prüfen, ob der Schuldner die in § 305 Abs. 1 InsO aF genannten Erklärungen und Unterlagen vollständig abgegeben und eingereicht hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hatte sich das Insolvenzgericht dabei aber auf eine Prüfung der Vollständigkeit der Erklärungen und eingereichten Unterlagen zu beschränken. Eine inhaltliche Prüfung hatte das Insolvenzgericht dagegen grundsätzlich nicht vorzunehmen (, ZVI 2010, 18 Rn. 8 mwN).

23(2) Durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte wurde die Regelung des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO dahingehend ergänzt, dass die Bescheinigung nunmehr "auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners" zu erstellen ist. Der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO kann nicht entnommen werden, dass den Insolvenzgerichten durch die Gesetzesänderung nunmehr ein inhaltliches Prüfungsrecht der vom Schuldner vorzulegenden Bescheinigung eingeräumt werden sollte.

24Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO sah vor, dass vom Schuldner eine Bescheinigung vorzulegen sei, die von einer geeigneten Person oder Stelle "auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners ausgestellt ist und aus der sich ergibt, dass innerhalb der letzten sechs Monate vor dem Eröffnungsantrag eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans erfolglos versucht worden ist oder eine außergerichtliche Einigung offensichtlich aussichtslos war" (BT-Drucks. 17/11268, S. 9). Der Entwurf enthielt neben der Einfügung des nunmehr Gesetz gewordenen Passus zur persönlichen Beratung und eingehenden Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners also die weitere Regelung, dem Schuldner die Möglichkeit zu eröffnen, von einem außergerichtlichen Einigungsversuch abzusehen, wenn dieser aussichtslos erschiene (Aussichtslosigkeitsbescheinigung). Zur Stärkung des außergerichtlichen Einigungsversuchs sollte der Einigungszwang in den Fällen wegfallen, in denen eine Übereinkunft mit den Gläubigern offensichtlich nicht zu erwarten oder wegen der Komplexität nicht durchführbar sei. Voraussetzung für das Ausstellen der Bescheinigung über die erfolglose Durchführung des außergerichtlichen Einigungsversuchs oder über die Aussichtslosigkeit eines solchen sei - "wie bislang" - eine eingehende Beratung des Schuldners und Prüfung seiner Finanz- und Vermögensverhältnisse (BT-Drucks. 17/11268, S. 33 f). Die vom Schuldner vorgetragene und von der geeigneten Person oder Stelle bescheinigte Aussichtslosigkeit eines außergerichtlichen Einigungsversuchs könne vom Gericht überprüft werden (BT-Drucks. 17/11268, S. 34).

25Die Einführung der Aussichtslosigkeitsbescheinigung scheiterte im Rechtsausschuss (BT-Drucks. 17/13535, S. 29), weil von ihr keine Entlastung, sondern sogar eine Mehrbelastung der Insolvenzgerichte erwartet wurde. Die vorgeschlagene Ergänzung des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO um den Passus "auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners" wurde allerdings Gesetz.

26Aus dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kann nicht geschlossen werden, dass dem Insolvenzgericht nunmehr eine inhaltliche Prüfung der vom Schuldner vorzulegenden Bescheinigung zukommen sollte. Eine gerichtliche Überprüfung hatte der Gesetzgeber lediglich für den Fall der Vorlage einer Aussichtslosigkeitsbescheinigung erwogen. Durch die Streichung dieser Möglichkeit im Rechtsausschuss ist die erwogene gerichtliche Prüfung aber hinfällig geworden (Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 305 Rn. 125). Aus der Gesetzesbegründung kann zudem entnommen werden, dass eine Prüfung der finanziellen Situation des Schuldners und dessen Beratung durch eine geeignete Person - "wie bislang" (BT-Drucks. 17/11268, S. 33; vgl. auch Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2021, § 305 Rn. 7) - weiterhin für erforderlich gehalten wurde. Damit ist aber keine inhaltliche Prüfungsbefugnis des Insolvenzgerichts verbunden. Vielmehr richtet sich das Erfordernis der persönlichen Beratung und eingehenden Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners an die geeignete Person oder Stelle (vgl. Ahrens, Aktuelles Privatinsolvenzrecht, 3. Aufl., Rn. 139; aA Frind, ZInsO 2016, 307, 308; ders. Praxishandbuch Privatinsolvenz, 3. Aufl., Teil 2 Rn. 102a). Dieser ist die Pflicht übertragen, die Beratung des Schuldners und die Prüfung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse ordnungsgemäß und verantwortungsbewusst auszugestalten.

273. Das Amtsgericht durfte den Antrag der Antragstellerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels inhaltlicher Prüfungsbefugnis nicht mit der Begründung abweisen, die Bescheinigung nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO sei ohne persönliche Beratung und eingehende Prüfung der Einkommens- und Vermögenssituation der Antragstellerin erteilt worden, weil die Antragstellerin nur telefonisch und schriftlich beraten worden war. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben. Eine eigene abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich; die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO iVm § 572 Abs. 3 ZPO analog; vgl. , ZVI 2019, 199 Rn. 24 mwN), das die weiteren Voraussetzungen für die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens zu prüfen haben wird.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:240222BIXZB5.21.0

Fundstelle(n):
WM 2022 S. 675 Nr. 14
ZIP 2022 S. 816 Nr. 16
XAAAI-58344