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FG Berlin-Brandenburg Urteil v. - 16 K 11306/19

Gesetze: AO § 2aAO § 32c Abs. 1 S. 1 Nr. 2AO § 30AO § 32i Abs. 2 S. 1AO § 32i Abs. 2 S. 2AO § 32i Abs. 9 S. 1AO § 32i Abs. 9 S. 2AO § 32eVO (EU) Nr. 679/2016 Art. 4 Nr. 1VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 15 Abs. 1VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 15 Abs. 3VO (EU) Nr. 679/2016 Art. 23 Abs. 1 Buchst. jIFG Berlin § 4; InsO § 80GVG § 17 Abs. 1 S. 1FGO § 33 Abs. 1 Nr. 4FGO § 40 Abs. 1FGO § 44GG Art. 12 Abs. 1GG Art. 19 Abs. 4GG Art. 31

Finanzrechtsweg bei Streitigkeiten über die Begrenzung datenschutzrechtlicher Auskunfts- und Betroffenenrechte durch die §§ 32a-32d AO

grundsätzlich kein Anspruch des Insolvenzverwalters gegen Finanzbehörden auf Akteneinsicht oder Auskunftserteilung betreffend steuerliche Daten über den Insolvenzschuldner

Leitsatz

1. Die Eröffnung des Finanzrechtswegs gemäß § 32i Abs. 2 Satz 2 AO für Klagen wegen eines Informationsanspruchs nach einem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gilt ab dem . Soweit bis dahin bei einem Verwaltungsgericht ein Verfahren anhängig war, in dem ein Informationsanspruch nach einem IFG gegenüber einer Finanzbehörde streitig ist, verbleibt es bei der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit,da gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt wird (sog. perpetuatio fori).

2. Wurde vor dem beim Finanzgericht von einem Insolvenzverwalter eine ausschließlich auf ein Informationsfreiheitsgesetz (hier: des Landes Berlin) gestützte Klage wegen Akteneinsicht erhoben und hat das Finanzgericht die Sache nicht bis zum an das Verwaltungsgericht verwiesen, verbleibt es bei der Zuständigkeit des Finanzgerichts; denn der Grundsatz, dass nachträgliche Veränderungen ohne Bedeutung sind, gilt nur rechtswegerhaltend. Treten, bevor es zu einer Verweisungsentscheidung des Finanzgerichts gekommen ist, Umstände ein, die die Zulässigkeit des Rechtswegs erst begründen (hier: die Einführung von § 32i Abs. 2 Satz 2 AO durch das JStG 2020), so sind diese zu berücksichtigen.

3. Der Finanzrechtsweg soll nur dann eröffnet sein, wenn die Finanzbehörde die Ablehnung der Auskunft zumindest auch auf einen der Gründe der §§ 32a-32d AO stützt und damit die Auslegung des steuerrechtlichen Datenschutzrechts relevant wird. Die Zuständigkeit ist allein nach dem schlüssigen Klägervortrag zu prüfen; es ist ausreichend für die Eröffnung des Finanzrechtswegs, wenn sich aus der ablehnenden Entscheidung ergibt, dass sich das Finanzamt auf einen der in §§ 32a-32d AO genannten Gründe stützt.

4. Eine auf Akteneinsicht und Auskunftserteilung gerichtete Klage ist als allgemeine Leistungsklage im Sinne von § 40 Abs. 1 FGO kombiniert mit einer Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) gegen den Ablehnungsbescheid statthaft.

5. Die mit Wirkung zum in Kraft getretene Regelung des § 32i Abs. 9 Satz 2 AO begründet im Hinblick auf ein bereits vorher anhängiges gerichtliches Verfahren keine zusätzliche Sachurteilsvoraussetzung der vorherigen erfolglosen Durchführung eines Vorverfahrens (§ 44 FGO). Bei gebotener verfassungskonformer Auslegung ist § 32i Abs. 9 Satz 2 AO dahingehend zu verstehen, dass die Voraussetzung der vorherigen erfolglosen Durchführung eines Vorverfahrens sich nicht auf im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung bereits anhängige Klageverfahren bezieht.

6. Der Insolvenzverwalter hat gegen die Finanzbehörde grundsätzlich keinen Anspruch auf Auskunft zu Abtretungsanzeigen des Insolvenzschuldners oder zu von der Finanzbehörde auf abgetretene Steueransprüche geleistete Zahlungen oder auf Akteneinsicht, es sei denn, die Finanzbehörde erklärt sich hiermit einverstanden (im Streitfall: kein Anspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO oder § 4 IFG Berlin und auch kein verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch eines Insolvenzverwalters wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG).

7. § 32e AO schließt als spezialgesetzliche Regelung (lex specialis) und vorrangiges Bundesrecht (Art. 31 GG) insbesondere über landesrechtliche Informationsfreiheitsgesetze eröffnete Auskunftsansprüche gegen das Finanzamt aus. Dadurch soll sichergestellt werden, dass anderweitige Informationszugangsansprüche nicht weitergehen als die Rechte nach der DSGVO und der AO. Die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder werden auf diesem Weg materiell-rechtlich modifiziert und bereichsspezifisch in ihren Rechtsfolgen verdrängt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
GmbH-StB 2022 S. 221 Nr. 7
ZIP 2022 S. 1287 Nr. 25
ZAAAI-57931

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FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.10.2021 - 16 K 11306/19

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