Pfändung von Arbeitseinkommen: Berücksichtigung des von dem unterhaltsberechtigten Ehegatten des Schuldners bezogenen Mindestelterngeldes bei der Berechnung des unpfändbaren Teils
Leitsatz
Das Mindestelterngeld nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG ist aufgrund seiner besonderen Zweckbindung nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO zuzurechnen.
Gesetze: § 850c Abs 6 ZPO, § 54 Abs 3 Nr 1 SGB 1, § 2 Abs 4 S 1 BEEG
Instanzenzug: LG Landshut Az: 34 T 1673/21 Beschlussvorgehend AG Erding Az: 2 M 1275/20
Gründe
I.
1Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer titulierten Geldforderung in Höhe von 5.124,38 € nebst Zinsen und Kosten. Das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - hat auf Antrag der Gläubigerin am einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem unter anderem Arbeitseinkommen des Schuldners gepfändet wurde.
2Am hat die Gläubigerin beantragt, die unterhaltsberechtigte Ehefrau des Schuldners solle wegen eigenen Einkommens nach § 850c Abs. 4 ZPO a.F. bei der Bestimmung des unpfändbaren Arbeitseinkommens des Schuldners teilweise unberücksichtigt bleiben. Der Schuldner ist dem entgegengetreten mit der Begründung, es handele sich bei den von seiner Ehefrau bezogenen Einkünften um Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (im Folgenden: BEEG) in Höhe von monatlich 509 €, welches allerdings zur Bedarfsdeckung nicht ausreichend sei, da die Eheleute in einem teuren Landkreis lebten und die Ehefrau vollständig vom Einkommen des Schuldners abhängig sei. Die Gläubigerin hat erwidert, dass die Ehefrau des Schuldners einen ihr zugestandenen Bedarf von 601,50 € in Höhe von 509 € selbst zu decken imstande sei, so dass sie bei der Berechnung des dem Schuldner pfändungsfrei zu belassenden Betrages in Höhe von 84 % unberücksichtigt bleiben müsse.
3Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss dahingehend abgeändert, dass die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens nach § 850c Abs. 4 ZPO a.F. nur teilweise als Unterhaltsberechtigte zu berücksichtigen sei. Es hat angenommen, der nach der Tabelle unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners sei wegen seiner teilweise zu berücksichtigenden gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau um weitere 392,50 € monatlich zu erhöhen.
4Bei seiner Berechnung hat das Amtsgericht das Elterngeld der Ehefrau des Schuldners nicht in voller, sondern lediglich in Höhe von 209 € als deren eigenes Einkommen (§ 850c Abs. 4 ZPO a.F.) angesehen und unter Annahme eines Eigenbedarfs von 601,50 € einen berücksichtigungsfähigen Unterhaltsanspruch in Höhe von 392,50 € ermittelt.
5Gegen diesen Beschluss hat die Gläubigerin sofortige Beschwerde eingelegt, wobei sie weiterhin beantragt hat, die Ehefrau des Schuldners bei der Bestimmung des pfändbaren Betrages zu 84 % unberücksichtigt zu lassen, hilfsweise den zusätzlich zu verbleibenden Betrag unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Gläubigerin neu festzusetzen.
6Das Beschwerdegericht hat den Beschluss des Amtsgerichts dahingehend abgeändert, dass der nach der Tabelle zu § 850c Abs. 3 ZPO a.F. unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners wegen der teilweise zu berücksichtigenden gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau nur um weitere 92,50 € monatlich zu erhöhen ist, wobei der sich hieraus ergebende Gesamtbetrag den Betrag nicht übersteigen darf, der sich in Anwendung der Tabelle zu § 850c Abs. 3 ZPO a.F. bei voller Berücksichtigung der Ehefrau des Schuldners als unterhaltsberechtigter Person als unpfändbarer Betrag ergeben würde.
7Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Schuldner die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung.
II.
8Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
91. Das Beschwerdegericht hat unter Bezugnahme auf die vom , NJW-RR 2005, 1239, juris Rn. 9 zu § 850c Abs. 4 ZPO a.F. aufgestellten Grundsätze ausgeführt, die Bemessung des eigenen Bedarfs der Ehefrau mit 601,50 € durch die Gläubigerin und das Amtsgericht erscheine auch unter Berücksichtigung der Einwände des Schuldners sachgerecht. Die Ehefrau des Schuldners sei aufgrund eigener Einkünfte in Höhe von 509 € monatlich in der Lage, ihren Bedarf in dieser Höhe selbst zu decken. Sie erhalte Elterngeld in Höhe von 509 € monatlich, welches das Amtsgericht in Höhe von 300 € aufgrund der Regelung in § 10 Abs. 1 BEEG, § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I unzutreffend nicht als eigenes Einkommen der Ehefrau berücksichtigt habe. Eine pauschale Nichtberücksichtigung in Anlehnung an § 54 Abs. 3 SGB I trage dem im Rahmen von § 850c Abs. 4 ZPO a.F. vorzunehmenden Ausgleich zwischen den Interessen des Vollstreckungsgläubigers, des Schuldners und des Unterhaltsberechtigten nicht ausreichend Rechnung. Es gehe nicht um eine Pfändung beim Unterhaltsberechtigten, sondern um die Wertungsfrage, inwieweit dessen Einkünfte zu berücksichtigen seien. Das Elterngeld habe eine Doppelnatur: Es diene zum einen als konkreter Einkommensersatz und andererseits einkommensunabhängig der Familienförderung. Das Mindestelterngeld werde gemäß § 10 Abs. 5 Satz 1 BEEG in voller Höhe auf Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) angerechnet. In Anbetracht dessen erscheine es zulässig, nicht nur den Teil des Elterngeldes, welcher Einkommensersatz der unterhaltsberechtigten Person sei, als eigene Einnahmen im Rahmen des § 850c Abs. 4 ZPO a.F. zu berücksichtigen, sondern auch das Mindestelterngeld in Höhe von 300 €, selbst wenn dies nach dem Willen des Gesetzgebers auch der Familienförderung diene.
10Hiernach verbleibe bei der Ehefrau ein ungedeckter Bedarf in Höhe von 92,50 €. In dieser Höhe sei der dem Schuldner pfandfrei zu belassende Teil des Arbeitseinkommens zu erhöhen.
112. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Soweit das Beschwerdegericht davon ausgegangen ist, der unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners sei lediglich um 92,50 € zu erhöhen, liegt dem eine rechtsfehlerhafte Ermessensausübung zugrunde. Denn zu Unrecht hat das Beschwerdegericht das Mindestelterngeld der unterhaltsberechtigten Ehefrau des Schuldners als deren eigene Einkünfte im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO (§ 850c Abs. 4 ZPO a.F.) angesehen.
12a) Gemäß § 850c Abs. 6 ZPO, welcher mit Wirkung zum durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung der Vorschriften des Pfändungsschutzes (BGBl. I 2020 S. 2466) ohne inhaltliche Änderungen an die Stelle des bisherigen § 850c Abs. 4 ZPO a.F. getreten ist (vgl. BT-Drucks. 19/19850, S. 29), kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine Person, welcher der Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt, wenn diese Person eigene Einkünfte hat.
13Ab welcher Höhe die Berücksichtigung eines eigenen Einkommens des Unterhaltsberechtigten bei der Bestimmung der Pfändungsfreibeträge aus Arbeitseinkommen oder diesem gleichgestellter Bezüge des Unterhaltspflichtigen ausgeschlossen ist, hat der Gesetzgeber bewusst nicht im Einzelnen geregelt (BT-Drucks. 8/693, S. 48 f.). Das folgt schon aus der Verwendung des Begriffs des billigen Ermessens. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verbietet sich deshalb eine schematisierende Betrachtungsweise. Das Gericht hat vielmehr seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine bloß einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinn des § 850c Abs. 6 ZPO (§ 850c Abs. 4 ZPO a.F.) widerspricht (vgl. Rn. 5, WM 2020, 1550; Beschluss vom - VII ZB 24/05, NJW-RR 2006, 568, juris Rn. 11; Beschluss vom - IXa ZB 142/04, NJW-RR 2005, 795, juris Rn. 13).
14Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung hat das Vollstreckungsgericht zu erwägen, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten, die ihm für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, dergestalt zu berücksichtigen sind, dass dem Schuldner für den damit bereits gedeckten Bedarf des Unterhaltsberechtigten ein Einkommensbetrag nicht verbleiben muss. Von maßgebender Bedeutung ist zunächst die Höhe der Eigeneinkünfte des Unterhaltsberechtigten, sodann aber dessen Lebensbedarf, der aus diesen Einkünften zu bestreiten ist. Die im einzelnen Fall nach billigem Ermessen zu treffende Entscheidung obliegt dem Tatrichter ( Rn. 6, WM 2020, 1550; Beschluss vom - IX ZB 101/09 Rn. 7, NZI 2010, 578).
15b) Nach diesen Grundsätzen, die im Ausgangspunkt auch das Beschwerdegericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben.
16aa) Die eigenen Einkünfte (§ 850c Abs. 6 ZPO) der unterhaltsberechtigten Ehefrau des Schuldners hat das Beschwerdegericht im Hinblick auf das Mindestelterngeld nicht richtig bestimmt.
17(1) Zutreffend ist das Beschwerdegericht allerdings davon ausgegangen, dass Elterngeld insoweit als Einkommen des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen ist, als es den Mindestelterngeldbetrag, welcher für das sogenannte "Basiselterngeld" bei 300 € liegt (§ 2 Abs. 4 Satz 1, § 4a Abs. 1 BEEG), übersteigt. Die Vorschrift des § 850c Abs. 6 ZPO erfasst grundsätzlich alle Einkünfte des Berechtigten ohne Rücksicht auf deren Herkunft (vgl. Rn. 8 f., NJW-RR 2009, 1279; PG/Ahrens, ZPO, 13. Aufl., § 850c Rn. 33). Das oberhalb des Mindestbetrags liegende Elterngeld ist abhängig vom Erwerbseinkommen vor der Geburt (vgl. § 2 Abs. 1-3 BEEG). Das Elterngeld hat insoweit eine Entgeltersatzfunktion (vgl. Rn. 19, NJW-RR 2020, 882; vgl. auch Schmitt in Brose/Weth/Volk, MuSchG/BEEG, 9. Aufl., § 10 BEEG Rn. 3 m.w.N.) und stellt deshalb auch im Rahmen von § 850c Abs. 6 ZPO eigenes Einkommen des Berechtigten dar (allg. Meinung; vgl. etwa Steder in Keller, Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 709).
18(2) Rechtsfehlerhaft hat das Beschwerdegericht hingegen auch das Mindestelterngeld der unterhaltsberechtigten Ehefrau des Schuldners als deren eigene Einkünfte im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO angesehen.
19(a) Ob das Mindestelterngeld nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG, welches der unterhaltsberechtigte Ehegatte des Schuldners bezieht, im Rahmen von § 850c Abs. 6 ZPO als eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten zu behandeln ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
20Nach einer - im Streitfall auch vom Beschwerdegericht vertretenen - Auffassung - zählt das Elterngeld insgesamt - also auch in Höhe des Mindestelterngeldes nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG - zu den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten (Stöber/Rellermeyer/Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl., Rn. C.262 mit Fn. 619; ebenso zum vormaligen Erziehungsgeld LG Konstanz, Beschluss vom - 6 T 71/00, RPfleger 2000, 507, 507 f.; LG Heilbronn, Beschluss vom - 1 b T 122/03, JurBüro 2003, 660, 660 f.; unklar hingegen BeckOK ZPO/Riedel, Stand: , § 850c Rn. 24.1; vgl. auch , JurBüro 1998, 664, für die allgemeine Berücksichtigung von laufenden Sozialleistungen).
21Die Gegenansicht, welcher sich das Amtsgericht angeschlossen hatte, zählt das Mindestelterngeld hingegen nicht zu den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten (vgl. Hk-ZV/Meller-Hannich, 4. Aufl., § 850c ZPO Rn. 21; Ahrens, NZI 2009, 423, 424; Mock, Die Praxis der Forderungsvollstreckung, 1. Aufl., § 6 Rn. 200; vgl. auch Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 4. Aufl., § 850c Rn. 42; Stein/Jonas/Würdinger, ZPO, 23. Aufl., § 850c Rn. 28; ebenso zum vormaligen Erziehungsgeld LG Frankfurt am Main, Beschluss vom - 2/9 T 760/95, RPfleger 1996, 298; LG Hagen, Beschluss vom - 3 T 457/92, RPfleger 1993, 30, 30 f.; PG/Ahrens, ZPO, 13. Aufl., § 850c Rn. 36; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 18. Aufl., § 850c Rn. 11; Hk-ZPO/Kemper, 9. Aufl., § 850c Rn. 14; Nober in: Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl., § 850c Rn. 11; Hintzen, NJW 1995, 1861, 1862).
22(b) Der letztgenannten Auffassung gebührt der Vorzug. Das Mindestelterngeld nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG ist aufgrund seiner besonderen Zweckbindung, die auch in der Unpfändbarkeitsregelung des § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I zum Ausdruck kommt, nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO zuzurechnen.
23Ziel des Elterngeldes ist es vor allem, Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu unterstützen, wenn sich die Eltern vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmern. Jeder betreuende Elternteil, der seine Erwerbstätigkeit unterbricht oder reduziert, soll einen an seinem individuellen Einkommen orientierten Ausgleich für die damit verbundenen finanziellen Einschränkungen erhalten (vgl. BT-Drucks. 16/1889, S. 2, 15; , SozR 4-7837 § 2 Nr. 7, juris Rn. 59). Letzteres gilt jedoch nicht für das Mindestelterngeld, das auch bei fehlender Erwerbstätigkeit gezahlt wird. Das Mindestelterngeld ist eine reine Förderungsleistung, die allen Eltern als Ausgleich für finanzielle Einschränkungen in den ersten Lebensmonaten des Kindes zustehen soll und der Anerkennung der Betreuungsleistung dient (vgl.BT-Drucks. 16/1889, S. 26; Schmitt in Brose/Weth/Volk, MuSchG/BEEG, 9. Aufl., § 10 BEEG Rn. 3). Das Elterngeld hat daher nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Doppelfunktion dergestalt, dass es bis zum Mindestbetrag eine allgemeine Honorierung der Erziehungs- und Betreuungsleistung und erst im über diesen Betrag hinausgehenden Umfang eine Entgeltersatzleistung im engeren Sinn darstellt (vgl. Rn. 19, NJW-RR 2020, 882; , SozR 4-7837 § 1 Nr. 3, juris Rn. 33; Urteil vom - B 10 EG 17/09 R, SozR 4-7837 § 2 Nr. 7, juris Rn. 57).
24Die besondere Zweckbindung des Mindestelterngeldes wird nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers in vollstreckungsrechtlicher Hinsicht über die Vorschrift des § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I abgesichert, wonach Elterngeld bis zur Höhe der nach § 10 BEEG anrechnungsfreien Beträge, also grundsätzlich in Höhe von 300 € (vgl. § 10 Abs. 1 und 2 BEEG), unpfändbar ist (vgl. Häusler in Hauck/Noftz, SGB I, Stand: April 2009, § 54 Rn. 49 ff.). Zwar geht es im Streitfall nicht um eine - wegen § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I unzulässige - Pfändung des Mindestelterngeldes bei einem der Elternteile. Die in § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I zum Ausdruck kommende Wertung ist jedoch auch bei der Beantwortung der Frage heranzuziehen, welche Eigeneinkünfte des Unterhaltsberechtigten dazu führen, dass er bei der Bestimmung des pfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens des Schuldners unberücksichtigt bleiben kann. Denn § 850c Abs. 6 ZPO lässt den Vollstreckungsgläubiger nach Maßgabe der dort zu treffenden Billigkeitsentscheidung mittelbar von den Einkünften des Unterhaltsberechtigten profitieren, indem diese im Ergebnis zu einer Anhebung des beim Schuldner pfändbaren Betrags durch Streichung oder nur teilweise Gewährung der Pauschale nach § 850c Abs. 2 und 3 ZPO führen. Dabei sind die Einkünfte des Unterhaltsberechtigten so zu behandeln wie entsprechende (Elterngeld-)Ansprüche des Schuldners: Der Vollstreckungsgläubiger kann nicht verlangen, gegenüber der unterhaltsberechtigten Person besser als gegenüber dem Schuldner gestellt zu werden. Da das Mindestelterngeld, würde es der Schuldner beziehen, gemäß § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I unpfändbar wäre, kann es auch nicht zu den berücksichtigungsfähigen Einkünften des Unterhaltsberechtigten gezählt werden (vgl. Ahrens, NZI 2009, 423, 424).
25(c) Gestützt wird die fehlende Berücksichtigungsfähigkeit des Mindestelterngeldes als Einkommen des Unterhaltsberechtigten im Rahmen von § 850c Abs. 6 ZPO auch durch die Vorschrift des § 11 Satz 1 BEEG, wonach Unterhaltsverpflichtungen durch die Zahlung des Elterngeldes nur insoweit berührt werden, als die Zahlung 300 € monatlich übersteigt. Nach dieser materiell dem Unterhaltsrecht zuzuordnenden Vorschrift stellt das Mindestelterngeld kein anrechenbares Einkommen des Unterhaltsberechtigen dar. Es handelt sich um unterhaltsrechtlich neutrales Einkommen, das dem Berechtigten neben seinem Unterhaltsbedarf zur Verfügung stehen soll (vgl. Rn. 29, MDR 2011, 43; Dose in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl., § 1 Rn. 118). Der hinter § 11 Satz 1 BEEG stehende Rechtsgedanke ist auf die hiesige Fallkonstellation zu übertragen (vgl. Jaritz in Roos/Bieresborn, MuSchG/BEEG, Stand: Juli 2021, § 11 BEEG Rn. 4 f. zur Bedeutung der Wertentscheidung des § 11 BEEG auch in anderen Regelungszusammenhängen): Zwar findet im Rahmen von § 850c Abs. 6 ZPO keine Anrechnung des Einkommens des Berechtigten statt, sondern die Pauschale nach § 850c Abs. 2 und 3 ZPO wird entweder gestrichen oder dem Schuldner nur teilweise gewährt (vgl. Hk-ZPO/Kemper, 9. Aufl., § 850c Rn. 13). Dies dient aber ebenfalls dazu, der fehlenden Bedürftigkeit auf Seiten des Unterhaltsberechtigten angemessen Rechnung zu tragen (vgl. PG/Ahrens, ZPO, 13. Aufl., § 850c Rn. 30). Dem Unterhaltsberechtigten darf daher auch im Rahmen von § 850c Abs. 6 ZPO nicht zugemutet werden, seinen Unterhaltsbedarf ganz oder teilweise vom Mindestelterngeld zu bestreiten.
26(d) Soweit die Rechtsbeschwerdeerwiderung gegen die Nichtberücksichtigung des Mindestelterngeldes als Einkommen im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO anführt, auch an sich unpfändbare Geldleistungen müssten berücksichtigt werden, weil andernfalls, was nicht richtig sein könne, auch nur dasjenige Arbeitseinkommen zu den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten zählen dürfe, das über dem Pfändungsfreibetrag des § 850c ZPO liege, greift dieser Einwand nicht durch. Nicht diese Unpfändbarkeit als solche ist der ausschlaggebende Gesichtspunkt für die fehlende Berücksichtigungsfähigkeit des Mindestelterngeldes als Einkommen des Unterhaltsberechtigten. Entscheidend ist vielmehr die hinter der Unpfändbarkeit stehende besondere, in der Natur des Mindestelterngeldes liegende Zweckbindung, welche beim Unterhaltsberechtigten, der das Mindestelterngeld bezieht, gleichermaßen abzusichern ist wie beim Schuldner, würde dieser das Mindestelterngeld erhalten. Diese Absicherung wird beim Schuldner, würde er das Elterngeld beziehen, durch § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I bewirkt und beim Unterhaltsberechtigten, dadurch dass das Mindestelterngeld nicht als dessen Einkommen im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO zu berücksichtigen ist (dazu oben II. 2. b) aa) (2) (b)). Die Unpfändbarkeit des Arbeitseinkommens unterhalb der Pfändungsbeträge des § 850c ZPO hat dagegen einen anderen Grund, nämlich die Sicherung der Lebensgrundlage des Schuldners, dem hinreichende Mittel belassen werden, um ein angemessenes Leben oberhalb des Existenzminimums führen zu können, ohne auf staatliche Leistungen angewiesen zu sein (vgl. Rn. 13, NJW-RR 2014, 1197). Eine entsprechende Sicherung für den Unterhaltsberechtigten findet nicht etwa dadurch statt, dass dessen Arbeitseinkommen erst oberhalb des Pfändungsfreibetrags zu den eigenen Einkünften im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO gezählt wird, sondern indem das billige Ermessen dahingehend ausgeübt wird, dass auch für den Unterhaltsberechtigten ein Betrag verbleibt, der den notwendigen Unterhalt abdeckt.
27(e) Anders als das Beschwerdegericht und die Rechtsbeschwerdeerwiderung meinen, folgt die Berücksichtigungsfähigkeit des Mindestelterngeldes als Einkommen des Unterhaltsberechtigten im Sinne von § 850c Abs. 6 ZPO auch nicht aus dem Umstand, dass nach § 10 Abs. 5 Satz 1 BEEG der Mindestelterngeldbetrag in voller Höhe auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) angerechnet wird. § 10 Abs. 5 Satz 1 BEEG stellt bereits keinen eigenständigen Grundsatz, sondern lediglich eine Ausnahme zu § 10 Abs. 1 BEEG dar, wonach das Elterngeld bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist, bis zu einer Höhe von insgesamt 300 € im Monat als Einkommen gerade unberücksichtigt bleibt. Die in § 10 Abs. 5 Satz 1 BEEG angeordnete Ausnahme wird vom Gesetzgeber im Übrigen mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung und einer stärkeren Konturierung des differenzierten Anreiz- und Unterstützungssystems in der Grundsicherung begründet. Danach wird der Bedarf des betreuenden Elternteils und der des Kindes im System der Grundsicherung bereits durch die Regelsätze und die Zusatzleistungen umfassend gesichert (vgl. BT-Drucks. 17/3030, S. 47 f.; Schmitt in Brose/Weth/Volk, MuSchG/BEEG, 9. Aufl., § 10 BEEG Rn. 22). Im vorliegenden Zusammenhang geht es indes nicht um die Frage, ob und wie einzelne staatliche Leistungen kumulierbar sind, sondern um die Frage, ob der Vollstreckungsgläubiger mittelbar von den Geldleistungen, welche die gegenüber dem Schuldner unterhaltsberechtigte Person von dritter Seite erhält, profitieren kann.
28bb) Gegen die Berechnung des eigenen Bedarfs der unterhaltsberechtigten Ehefrau des Schuldners erhebt die Rechtsbeschwerde keine Einwände; Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.
III.
29Der angefochtene Beschluss kann nach alledem keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben. Die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit dieses unter Beachtung der oben dargestellten Rechtsgrundsätze erneut über die sofortige Beschwerde der Gläubigerin entscheidet.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:230222BVIIZB41.21.0
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 10 Nr. 14
NJW-RR 2022 S. 579 Nr. 9
WM 2022 S. 626 Nr. 13
DAAAI-57798