BVerwG Urteil v. - 2 C 36/20

Reichweite der Bindungswirkung einer Zurruhesetzungsverfügung für die Gewährung von Unfallruhegehalt

Leitsatz

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung eines Anspruchs auf Unfallruhegehalt ist der Zeitpunkt des Dienstunfalls, nicht der Zeitpunkt der Zurruhesetzung.

2. Die Bindungswirkung einer Zurruhesetzungsverfügung erstreckt sich nur auf den rechtlichen Grund der Zurruhesetzung, d.h. insbesondere darauf, ob der Beamte wegen des Erreichens einer Altersgrenze oder wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden ist, nicht jedoch auf die tatsächlichen Gründe, die zur dauernden Dienstunfähigkeit geführt haben.

Gesetze: § 44 Abs 1 S 1 BBG 2009, § 36 Abs 1 BeamtVG

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 1 A 612/14 Urteilvorgehend VG Gelsenkirchen Az: 12 K 6247/12 Urteil

Tatbestand

1Der im Jahr 1962 geborene Kläger, der bis zu seiner Zurruhesetzung im Jahr 2011 als Posthauptsekretär (Besoldungsgruppe A 8 BBesO) im Bundesdienst stand, begehrt die Gewährung von Unfallruhegehalt.

2Am wurde der Kläger im Dienst Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls. Zwei maskierte Männer hinderten ihn mit vorgehaltener Pistole, das Postamt bei Dienstschluss zu verlassen. Sie banden ihm mit Klebeband die Hände auf den Rücken und schlugen ihn mit der Pistole auf Kopf und Schulter. Dies führte zu Platzwunden am Kopf und Prellungen an der Schulter. Infolge des Überfalls war der Kläger bis Mitte Dezember 1991 sowie von Ende Januar 1992 bis Anfang März 1992 dienstunfähig.

3In der Folgezeit befand sich der Kläger wegen einer "depressiven Neurose" wiederholt in stationärer, zum Teil mehrmonatiger Behandlung in verschiedenen Kliniken. Zwischen den Behandlungen war er - mit Einschränkungen - im Dienst. Ferner litt der Kläger unter Alkoholsucht und entwickelte einen Hang zu pathologischem Spielen.

4Im August 2000 gewährte ihm die Unfallkasse wegen des Dienstunfalls vom einen Unfallausgleich für den Zeitraum von Oktober 1991 bis Mitte Juni 1992. Im Widerspruchsverfahren erließ die Unfallkasse aufgrund eines Vergleichs einen Abhilfebescheid und verlängerte den Unfallausgleich bis Mitte November 1992.

5Im März 2008 wurde die Arbeitszeit des Klägers um 10 Prozent reduziert. Es bestehe bei dem mit einem Grad von 60 vom Hundert schwerbehinderten Kläger die folgende Leistungsminderung: "Probleme mit dem Bewegungs-/Stützapparat, Knie-OP und Bandscheibenvorfall führen zu Einschränkungen beim Stehen und Gehen am Arbeitsplatz". Ab dem war der Kläger dienstunfähig erkrankt. Im August 2008 befand er sich zur stationären Anschlussheilbehandlung in einer orthopädischen Rehabilitationsklinik.

6Von Anfang Juni bis Mitte August 2010 war er in stationärer psychotherapeutischer Behandlung. Nachfolgend wurde ein Zurruhesetzungsverfahren eingeleitet.

7Der damalige Betriebsarzt der Deutschen Postbank AG, ein Facharzt für Arbeits- und Sozialmedizin, untersuchte den Kläger am auf seine Dienstfähigkeit. In dem Gutachten vom befand er den Kläger aus ärztlicher Sicht als dauernd dienstunfähig. Als "Zurruhesetzungsdiagnose" gab er an: "Verschleiß der Wirbelsäule und der großen Gelenke, künstliches Kniegelenk rechts". Als "Diagnosen" führte er auf: "Verschleißleiden LWS und HWS, Wirbelsäulensyndrom; Polyarthrose, künstliches Kniegelenk rechts; Depressive Störung".

8Noch im Oktober 2010 teilte die Deutsche Postbank AG dem Kläger die Absicht mit, ihn wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand zu versetzen. Wegen der Dienstunfähigkeit wurde auf das Zurruhesetzungsgutachten Bezug genommen. Der Kläger erhob keine Einwendungen gegen die Zurruhesetzung.

9Mit Bescheid vom versetzte die Beklagte den Kläger ohne Angabe weiterer Gründe mit Ablauf des Monats Januar 2011 wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand.

10Mit Bescheid vom setzte die Beklagte die Versorgungsbezüge des Klägers fest. Hierbei führte sie aus, dass sie über die Gewährung einer Dienstunfallversorgung erst nach Prüfung aller ärztlichen Unterlagen und Gutachten entscheiden könne.

11Mit Bescheid vom lehnte es die Beklagte ab, dem Kläger Unfallruhegehalt zu gewähren. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies sie ein Jahr später zurück. Es fehle an der erforderlichen Kausalität des Dienstunfalls für Dienstunfähigkeit und Zurruhesetzung. Wesentlicher Grund für die Zurruhesetzung seien die körperlichen Beeinträchtigungen im Bewegungs- und Stützapparat gewesen. Die im Zurruhesetzungsgutachten mitdiagnostizierten depressiven Störungen fänden ihre Ursache im Übrigen nicht in dem Dienstunfall aus dem Jahre 1991, sondern in unfallfremden Umständen.

12Die Klage auf Verpflichtung zur Gewährung von Unfallruhegehalt ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat nach anfänglichen Bemühungen um eine Sachverhaltsermittlung darauf abgestellt, dass es am erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Dienstunfall und der Zurruhesetzung fehle. Der Kläger sei nicht wegen der psychischen Leiden, die er auf den Dienstunfall zurückführe, in den Ruhestand versetzt worden, sondern allein und bestandskräftig wegen orthopädischer Verschleißleiden, die unstreitig nicht auf dem Unfall beruhten. Seine Einwendungen hätte er in einem gegen die Zurruhesetzungsverfügung gerichteten Verfahren geltend machen müssen.

13Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids der Deutschen Post AG, Service Niederlassung Human Ressources Deutschland, Versorgungscenter, vom und deren Widerspruchsbescheids vom sowie der Urteile des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom zu verpflichten, dem Kläger Unfallruhegehalt wegen Dienstunfallfolgen des Ereignisses vom zu gewähren.

14Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

15Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zum einen legt das Berufungsurteil als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung des Klagebegehrens auf Gewährung von Unfallruhegehalt den Zeitpunkt der Zurruhesetzung statt den Zeitpunkt des Dienstunfalls zugrunde, ohne dass sich aber dieser Fehler auf das Ergebnis der Rechtsprüfung auswirkt (§ 144 Abs. 4 VwGO; 1.). Außerdem verletzt das Berufungsurteil Bundesrecht (§ 44 BBG und § 36 BeamtVG) dadurch, dass es der Zurruhesetzungsverfügung eine Bindungswirkung für den Anspruch auf Unfallruhegehalt beimisst, die ihr nicht zukommt (2.). Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (3.). Das Verfahren ist deshalb an das Oberverwaltungsgericht zur Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen zurückzuverweisen (4.).

161. Das Berufungsurteil hat als maßgeblichen Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens auf Gewährung von Unfallruhegehalt rechtsfehlerhaft den Zeitpunkt der Zurruhesetzung statt den Zeitpunkt des Dienstunfalls zugrunde gelegt.

17Der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung der Rechtslage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Unfallruhegehalt ist der Zeitpunkt des Dienstunfalls vom , sodass § 36 Abs. 1 BeamtVG i.d.F. der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 2298) Anwendung findet. Danach erhält der Beamte Unfallruhegehalt, wenn er infolge des Dienstunfalls dienstunfähig geworden und in den Ruhestand getreten ist.

18Für die Unfallfürsorge ist allgemein das Recht maßgeblich, das im Zeitpunkt des Unfallereignisses gegolten hat, sofern sich nicht eine Neuregelung ausdrücklich Rückwirkung beimisst (stRspr, vgl. 6 C 38.66 - BVerwGE 31, 170 <172>, vom - 2 C 41.11 - Buchholz 239.1 § 37 BeamtVG Nr. 3 Rn. 8, vom - 2 C 1.12 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 25 Rn. 7 und vom - 2 C 18.17 - BVerwGE 163, 49 Rn. 9). Für die Gewährung von Unfallruhegehalt gilt nichts anderes ( 2 C 51.11 - Buchholz 239.1 § 37 BeamtVG Nr. 4 Rn. 8 <zu § 37 BeamtVG>; ebenso: - juris Rn. 26 <insoweit in LKRZ 2014, 126 nicht abgedruckt> und vom - 2 A 10395/13 - juris Rn. 30; VGH Mannheim, Urteile vom - 4 S 884/14 - juris Rn. 16 und vom - 4 S 2467/15 - juris Rn. 36; OVG Weimar, Urteil vom - 2 KO 653/15 - ThürVBl 2018, 286 <287>; OVG Lüneburg, Urteil vom - 5 LB 282/10 - NdsRpfl 2020, 316 <317>; allgemein zu allen Unfallfürsorgeleistungen: VGH Mannheim, Urteil vom - 4 S 473/19 - juris Rn. 35). Das folgt aus der Systematik des Beamtenversorgungsgesetzes: Das Unfallruhegehalt nach § 36 BeamtVG ist gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BeamtVG Teil der Unfallfürsorge und kein Altersruhegehalt und dementsprechend im Abschnitt "Unfallfürsorge" und nicht im Abschnitt "Ruhegehalt, Unterhaltsbeitrag" geregelt. Außerdem spricht hierfür auch der gesetzgeberische Zweck der Unfallfürsorge, nämlich die Beamtinnen und Beamten von der Sorge vor den finanziellen Folgen eines Dienstunfalles freizustellen und damit ihre Dienst- und Entschlussfreude zu stärken (vgl. dazu: Reich, BeamtVG 2. Auflage 2019, § 36 Rn. 1; Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, BBG, Stand: 9/2019, § 36 BeamtVG Rn. 6). Diesen Zweck kann das Unfallruhegehalt am besten erfüllen, wenn die Beamtinnen und Beamten sich darauf verlassen können, dass das im Zeitpunkt des Unfalls geltende Recht - jedenfalls grundsätzlich - auch noch im Zeitpunkt einer späteren unfallbedingten Versetzung in den Ruhestand gilt.

19Demgegenüber hat das Berufungsgericht die zum Zeitpunkt der Versetzung des Klägers in den Ruhestand am geltende Fassung des § 36 Abs. 1 BeamtVG vom (BGBl. I S. 150) angewendet. Dieser Rechtsfehler wirkt sich aber nicht auf das Ergebnis der Entscheidung aus (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil beide Gesetzesfassungen sich nur im Wortlaut unterscheiden - die neuere Gesetzesfassung formuliert, dass der Beamte infolge des Dienstunfalles dienstunfähig geworden und deswegen in den Ruhestand versetzt worden ist -, aber inhaltlich identisch sind.

202. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 44 BBG und § 36 BeamtVG) außerdem dadurch, dass es der Zurruhesetzungsverfügung eine Bindungswirkung für den Anspruch auf Unfallruhegehalt beimisst, die ihr nicht zukommt. Seine Annahme, die Bindungswirkung einer Zurruhesetzungsverfügung erstrecke sich auch auf den konkreten körperlichen Zustand oder die konkreten gesundheitlichen Gründe, wegen dessen oder derer der Beamte - nach der Einschätzung der zuständigen Behörde - im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, sodass die über die Bewilligung von Versorgungsleistungen entscheidende Behörde nicht eigenständig prüfen könne und dürfe, welche Erkrankungen eines Beamten die Annahme der Dienstunfähigkeit rechtfertigen, sondern insoweit an die (bestands- oder rechtskräftige) Einschätzung der zuständigen Behörde im Zurruhesetzungsverfahren gebunden sei, verletzt Bundesrecht.

21Die Bindungswirkung der Zurruhesetzungsverfügung erstreckt sich vielmehr nur auf den rechtlichen Grund der Zurruhesetzung, d.h. insbesondere darauf, ob die Zurruhesetzung wegen Erreichens einer Altersgrenze oder wegen dauernder Dienstunfähigkeit erfolgt ist. Sie erstreckt sich im Falle der Dienstunfähigkeit hingegen nicht auf die tatsächlichen Gründe, die zur Dienstunfähigkeit geführt haben.

22a) Eine Bindungswirkung für die der Regelung eines Verwaltungsakts zugrundeliegenden Tatsachen hat dieser nur, sofern und soweit dies kraft Gesetzes bestimmt ist ( 8 C 23.05 - Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 35 Rn. 22 und Beschluss vom - 8 B 47.14 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 85 Rn. 15; vgl. entsprechend zur "Tatbestandswirkung": 5 C 27.10 - BVerwGE 140, 311 Rn. 20).

23Der Senat hat jüngst bereits entschieden, dass die "Ursache" der Dienstunfähigkeit nicht an der Bindungswirkung einer Zurruhesetzungsverfügung gemäß § 44 Abs. 1 BBG teilnimmt ( 2 C 10.20 - NVwZ 2021, 1546 Rn. 26). Jede Versetzung in den Ruhestand kann nur "wegen" eines bestimmten, gesetzlich festgelegten Grundes verfügt werden ( 2 C 22.06 - Buchholz 232 § 47 BBG Nr. 3 Rn. 9 und vom - 2 C 10.20 - NVwZ 2021, 1546 Rn. 26). Der gesetzlich festgelegte Grund konkretisiert den Umfang der Bindungswirkung einer Zurruhesetzungsverfügung. § 44 Abs. 1 BBG nennt als gesetzlichen Grund für die vorzeitige Zurruhesetzung allein die Dienstunfähigkeit. Unerheblich ist hingegen, auf welcher Ursache die Dienstunfähigkeit beruht ( 2 C 10.20 - NVwZ 2021, 1546 Rn. 26 mit Verweis auf den Beschluss vom - 2 B 5.19 - Buchholz 232.01 § 26 BeamtStG Nr. 11 Rn. 9 f.), also hier auf einen bestimmten Dienstunfall. Die Klärung der Frage, ob die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit auf einen Dienstunfall zurückzuführen ist, ist dem Verfahren über die Festsetzung der Versorgungsbezüge (vgl. § 2 Nr. 4 BeamtVG) vorbehalten ( 2 C 10.20 - NVwZ 2021, 1546 Rn. 26).

24Auch die konkrete gesundheitliche Beeinträchtigung des Beamten nimmt nicht an der Bindungswirkung der Zurruhesetzungsverfügung teil. Zwar ist der Wortlaut des § 36 Abs. 1 BeamtVG diesbezüglich - unabhängig von der jeweiligen Gesetzesfassung - nicht eindeutig (aa), dies folgt jedoch aus systematischen Erwägungen (bb).

25aa) Die im vorliegenden Verfahren maßgebliche Fassung des § 36 Abs. 1 BeamtVG 1990 lautet wie erwähnt: "Ist der Beamte infolge des Dienstunfalles dienstunfähig geworden und in den Ruhestand getreten, so erhält er Unfallruhegehalt". Dies kann bei reiner Wortlautbetrachtung sowohl so verstanden werden, dass sich das Wort "infolge" allein auf die Dienstunfähigkeit bezieht, als auch so, dass es sich auf die Dienstunfähigkeit und den Eintritt in den Ruhestand bezieht. Nach dem Wortlaut der heutigen Fassung des § 36 BeamtVG setzt das Dienstunfallruhegehalt voraus, dass der Beamte "infolge des Dienstunfalls dienstunfähig geworden und deswegen in den Ruhestand versetzt worden" ist. Dies kann so verstanden werden, dass ein Ruhegehalt nicht gewährt wird, wenn der Dienstunfall zwar zu einer Dienstunfähigkeit geführt hat, der Beamte aber nicht wegen der konkreten unfallbedingten Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden ist. Andererseits kann das Wort "deswegen" aber auch lediglich auf die Dienstunfähigkeit bezogen und die Regelung so zu verstehen sein, dass es ausreicht, dass der Dienstunfall zur Dienstunfähigkeit geführt hat und der Beamte in den Ruhestand versetzt worden ist.

26bb) Aus der Systematik des Beamtenversorgungsrechts ergibt sich jedoch, dass die Bindungswirkung (nur) für den gesetzlichen Grund der Versetzung in den Ruhestand besteht. Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des Senats (unzutreffend deshalb auch 4 B 16.17 - juris Rn. 27).

27Wie bereits ausgeführt, entfalten Zurruhesetzungsbescheide wegen der Systematik des Beamtenversorgungsgesetzes Bindungswirkung hinsichtlich des "gesetzlich festgelegten Grundes" ( 2 C 22.06 - Buchholz 232 § 47 BBG Nr. 3 Rn. 9 und vom - 2 C 10.20 - NVwZ 2021, 1546 Rn. 26). Die Versetzung in den Ruhestand ist - wie die Ernennung des Beamten - ein statusverändernder Verwaltungsakt, der nach dem Ruhestandsbeginn nicht mehr korrigierbar ist. Das gilt auch für den Grund der Zurruhesetzung. Eine Aufspaltung in die Zurruhesetzung "als solche" einerseits und den "Grund" für die Zurruhesetzung andererseits ist nicht möglich. Dementsprechend muss der Grund für die Zurruhesetzung bei Erlass der Zurruhesetzungsverfügung feststehen; er darf nicht offen oder in der Schwebe bleiben. Kommt die Versetzung in den Ruhestand aus mehreren gesetzlichen Gründen in Betracht, so ist eine nachträgliche Änderung des Inhalts der Verfügung dahingehend, dass die Zurruhesetzung auf einen anderen der gesetzlichen Gründe gestützt wird, nicht möglich. Das schließt gleichermaßen Änderungen zugunsten wie zu Lasten des Beamten aus ( 2 C 65.11 - Buchholz 237.8 § 59 RhPLBG Nr. 1 Rn. 25 f.). Die Versorgungsbehörde muss die Versorgungsbezüge auf der Grundlage des durch die Versetzungsverfügung rechtsverbindlich bestimmten Grundes der vorzeitigen Zurruhesetzung festsetzen. (Nur) Insoweit entfaltet die Versetzungsverfügung Bindungswirkung ( 2 C 22.06 - Buchholz 232 § 47 BBG Nr. 3 Rn. 12). Die Bindung bezieht sich nur auf den "gesetzlich festgelegten Grund" (vgl. 2 C 10.20 - NVwZ 2021, 1546 Rn. 26).

28Dem liegt zugrunde, dass im Zurruhesetzungsverfahren allein die Frage maßgeblich ist, ob und inwieweit ein Beamter dauernd dienstunfähig ist. Wenn bereits ein gesundheitliches Leiden zur Dienstunfähigkeit führt, ist irrelevant, ob daneben ein weiteres annähernd gleich bedeutendes oder gar stärkeres gesundheitliches Leiden besteht, das ebenfalls zur Dienstunfähigkeit führt. Dies ist im Zurruhesetzungsverfahren nicht zu prüfen und der Zurruhesetzungsbescheid enthält deshalb auch diesbezüglich keine Aussage. Dementsprechend werden im Zurruhesetzungsverfahren ärztlicherseits Funktionsbegutachtungen zur Klärung der Dienstunfähigkeit durchgeführt, wohingegen im Unfallfürsorgerecht nach §§ 30 ff. BeamtVG Kausalitätsbegutachtungen durchgeführt werden, um die Ursache einer Beeinträchtigung festzustellen (vgl. BH - NZS 2017, 440 <zur Funktionsbegutachtung bei einer Erwerbsminderungsrente> und Urteil vom - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 44 Rn. 52 <zur Kausalitätsbeurteilung beim Arbeitsunfall>). Dadurch wird das Zurruhesetzungsverfahren vereinfacht und der Umfang der in diesem Verfahren notwendigen Untersuchungen reduziert, sodass die Versetzung des dienstunfähigen Beamten in den Ruhestand nicht unnötig verzögert wird - sowohl im Interesse des Beamten, dessen Grenzen seiner gesundheitlichen Leistungsfähigkeit zu beachten sind, als auch im Interesse des Dienstherrn und der Allgemeinheit, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung zu gewährleisten (vgl. 2 C 7.97 - BVerwGE 105, 267 <270 f.>). Die Bindungswirkung einer Entscheidung kann sich schlechterdings nicht auf einen Umstand erstrecken, der nicht Gegenstand des normativ vorgegebenen Prüfungsprogramms ist, das dieser Entscheidung zugrunde liegt.

29Die vom Berufungsgericht herangezogenen älteren Entscheidungen des Senats stützen die gegenteilige Betrachtung des Berufungsurteils ersichtlich nicht. Den Entscheidungen des Senats in den Verfahren BVerwG 2 C 24.92 und 2 C 27.03 kann keineswegs entnommen werden, dass sich im Unfallruhegehaltsverfahren der maßgebliche Grund der Zurruhesetzung danach bestimmt, auf welche Erkrankungen der Dienstherr seine Annahme gestützt hat, der Beamte sei wegen Dienstunfähigkeit zur Ruhe zu setzen. Im Verfahren BVerwG 2 C 24.92 hat der Senat bereits verneint, dass die Zurruhesetzungsverfügung eine Aussage hinsichtlich der Ursache der Dienstunfähigkeit enthält, und die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen ( 2 C 24.92 - Buchholz 237.6 § 227 NdsLBG Nr. 1 S. 2 - 4). Eine Aussage dazu, ob der Anspruch auf Unfallruhegehalt bei einer entsprechenden Festlegung in der Zurruhesetzungsverfügung ohne weitere Prüfung bestanden hätte, enthält diese Entscheidung nicht. In dem Verfahren BVerwG 2 C 27.03 ging es allein um die Frage, welche von mehreren im Zurruhesetzungsverfahren zugrunde gelegten Beeinträchtigungen als wesentlich mitwirkende Ursache der Dienstunfähigkeit anzusehen ist. Der Senat verwies insoweit lediglich auf die bindenden Feststellungen der Vorinstanz ( 2 C 27.03 - BVerwGE 122, 53 <54 f.>).

30Gesetzlicher Grund der Versetzung des Klägers in den Ruhestand ist deshalb ausschließlich seine dauernde Dienstunfähigkeit im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG. Nur dies steht verbindlich für das Verfahren über die Gewährung von Unfallruhegehalt fest.

31Dementsprechend verletzt die weitergehende Annahme einer Bindungswirkung der Zurruhesetzungsverfügung - im Sinne einer Einbeziehung der tatsächlichen Gründe, die zur Dienstunfähigkeit geführt haben - Bundesrecht. Dies gilt erst recht für die darüber hinaus greifende Annahme des Berufungsgerichts, die bindenden Feststellungen von Erkrankungen könnten bloßen Vorstufen der Zurruhesetzungsverfügung (etwa dem eingeholten ärztlichen Gutachten) entnommen werden, wenn die Zurruhesetzungsverfügung - wie hier - selbst keine Begründung enthält.

323. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

33Der Vergleich aus dem Jahre 2001 steht der Geltendmachung eines Anspruchs auf Unfallruhegehalt nach § 36 BeamtVG nicht entgegen. Ungeachtet der Frage seiner rechtlichen Zulässigkeit ist er jedenfalls ersichtlich auf Ansprüche auf Unfallausgleich nach § 35 BeamtVG beschränkt und erstreckt sich deshalb nicht auf einen etwaigen und erst später entstehenden Anspruch auf Unfallruhegehalt nach § 36 BeamtVG.

34Ob dem Anspruch des Klägers eine Verletzung von Unfallmeldepflichten entgegensteht, kann auf der Grundlage der bisher im gerichtlichen Verfahren getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden. Gegenstand der Meldepflicht bei Dienstunfällen ist nicht nur der Dienstunfall (§ 45 Abs. 1 BeamtVG), sondern sind auch die einzelnen Unfallfolgen ( 2 C 18.17 - BVerwGE 163, 49 Rn. 22). Ob die psychischen Beeinträchtigungen, an denen der Kläger im Zeitpunkt seiner Zurruhesetzung litt, gesondert meldepflichtige Dienstunfallfolgen waren und ob er seiner dann bestehenden Meldepflicht nachgekommen ist, ist von den Vorinstanzen nicht festgestellt.

354. Das Berufungsgericht wird somit zu ermitteln haben, ob der Kläger den Meldepflichten nach § 45 Abs. 2 BeamtVG entsprochen hat. Bejahendenfalls wird es - unter Heranziehung eines medizinischen Sachverständigen - weiter zu prüfen haben, ob die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers im Zeitpunkt der Zurruhesetzungsverfügung dienstunfallbedingt und - falls ja - ob sie eine wesentliche Mitursache für die Dienstunfähigkeit des Klägers waren.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:021221U2C36.20.0

Fundstelle(n):
DAAAI-57733