§ 2 UStG Rechtsfolgen bei Beendigung der Organschaft
1. Ende der Organschaft
1.1 Allgemeines
Gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG liegt eine Organschaft vor, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Die Organschaft endet zu dem Zeitpunkt, zu dem eine der Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht mehr erfüllt ist. Das ist z. B. der Fall, wenn
sich die Stimmrechtsverhältnisse durch Aufnahme weiterer Gesellschafter in die Organgesellschaft entscheidend ändern (vgl. , UR 1990 S. 355, BFH/NV 1990 S. 741),
der Betrieb des Organträgers oder der Organgesellschaft veräußert oder
die Organgesellschaft in eine PersGes umgewandelt wird.
1.1.1 Die Liquidation der Organgesellschaft hat, solange sie noch nicht abgeschlossen ist, keine Auswirkung auf ihre Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers. Der Liquidationsbeschluss führt deshalb nicht zur Beendigung des Organschaftsverhältnisses; die Organgesellschaft rechnet vielmehr (noch) so lange zum Unternehmen des Organträgers, bis die Liquidation abgeschlossen und das vorhandene Gesellschaftsvermögen veräußert ist (, UR 1991 S. 378, m. w. N.). Dies gilt selbst dann, wenn im Rahmen der Liquidation nur noch Umsätze aus der Verwertung sicherungsübereigneter Gegenstände bewirkt werden (, EFG 1990 S. 543).
Dagegen führt die Liqudation des Organträgers regelmäßig zur Beendigung der Organschaft, weil mit der Einstellung der aktiven unternehmerischen Tätigkeit des Organträgers die wirtschaftliche Eingliederung der Organgesellschaft entfällt (vgl. , EFG 1976 S. 34, und , EFG 1998 S. 971).
1.1.2 Auch durch die Vermögenslosigkeit der Organgesellschaft wird die Organschaft nicht beendet; sie dauert fort, bis alle Rechtsbeziehungen der Organgesellschaft abgewickelt sind (vgl. , UR 1992 S. 176, BFH/NV 1992 S. 346, und v. V R 128/93, UR 1996 S. 265 BFH/NV 1996 S. 275). Dies gilt auch in Fällen, in denen der Antrag der Organgesellschaft auf Insolvenzeröffnung mangels einer die Kosten deckenden Masse abgelehnt wird.
1.2 Insolvenzverfahren
Zum ist die Insolvenzordnung in Kraft getreten (Art. 110 EGInsO). Gleichzeitig wurden die bisherigen konkurs- und vergleichsrechtlichen Bestimmungen aufgehoben (Art. 2 EGInsO). Gem. Art. 103 Abs. 1 EGInsO sind allerdings auf Konkurs- und Vergleichsverfahren, die vor dem beantragt worden sind, die bisher geltenden gesetzlichen Vorschriften weiterhin anzuwenden. Gleiches gilt für Anschlusskonkursverfahren, bei denen der dem Verfahren vorausgehende Vergleichsantrag vor dem gestellt worden ist (Art. 103 S. 2 EGInsO). Für die Frage, wie sich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf ein bestehendes Organschaftsverhältnis auswirkt, ist daher zu unterscheiden:
1.2.1 Verfahren, die vor dem beantragt wurden
1.2.1.1 Wird über das Vermögen der Organgesellschaft ein Vergleichsverfahren eröffnet, so endet die Organschaft mit der Bestellung des Vergleichsverwalters durch das Amtsgericht, wenn der Vergleichsverwalter den maßgeblichen Einfluss auf die Organgesellschaft erhält und ihm eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist (, BFH/NV 1996 S. 84). Das ist z. B. der Fall, wenn das Amtsgericht
dem Vergleichsverwalter die Kassenführungsbefugnisse überträgt (§ 12 Satz 2, § 57 Abs. 2 VerglO),
gegenüber der Organgesellschaft ein allgemeines Veräußerungs- und Verfügungsverbot erlässt (§ 12 Satz 3, § 59 bis 65 VerglO) und
es ihr verbietet, ohne Zustimmung des Vergleichsverwalters Verbindlichkeiten einzugehen (§ 12 Satz 2, §57 Abs. 1 VerglO;
vgl. Mösbauer, UR 1995 S. 321, 324, und Schiffer, DStR 1998 S. 1989, 1994; s. a. , BFH/NV 2001 S. 493).
1.2.1.2 Die in Tz. 1.2.1.1 dargestellten Grundsätze zum Vergleichsverfahren gelten entsprechend für die Sequestration. Wird vor Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft zur Sicherung der Masse ein Sequester bestellt, so endet deshalb die Organschaft bereits mit der Anordnung der Sequestration, wenn dem Sequester nach der Sequestrationsanordnung derart weitgehende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse zustehen, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung möglich ist. Diese Voraussetzungen liegen bei Anordnung einer sog. Verwaltungssequestration regelmäßig vor. Wird dagegen die Sequestration lediglich zusammen mit einem allgemeinen Veräußerungsverbot angeordnet (sog. Sicherungssequestration), so besteht die Organschaft bis zur Konkurseröffnung fort, weil hier der Organträger den maßgeblichen Einfluss auf die Organgesellschaft behält (vgl. , BStBl 1997 II S. 580). Die organisatorische Eingliederung bleibt ebenfalls bestehen, wenn nach der Sequestrationsanordnung der Sequester und der Organträger Entscheidungen nur einvernehmlich treffen können (sog. ”Pattsituation”, , BFH/NV 2002 S. 223).
1.2.1.3 Die Organschaft endet regelmäßig spätestens mit der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft, weil der Organträger den wesentlichen Einfluss auf die Organgesellschaft an den Konkursverwalter verliert (vgl. , BStBl 1997 II S. 580). Anders ist es jedoch, wenn Organgesellschaft und Organträger gleichzeitig in Konkurs fallen und denselben Konkursverwalter erhalten. Hier bleibt die Organschaft zumindest in den Fällen weiter bestehen, in denen die finanzielle und wirtschaftliche Eingliederung besonders ausgeprägt ist (vgl. Birkenfeld, HdU, § 37 RZ 90).
1.2.1.4 Im Regelfall führen weder die Anordnung der Sequestration noch die Eröffnung des Vergleichs- und Konkursverfahrens über das Vermögen des Organträgers zur Beendigung der Organschaft. Dieses Maßnahmen ändern nichts an der Abhängigkeit der Organgesellschaft, sondern beeinflussen lediglich die personelle Willensbildung beim Organträger, die für die Ausübung der Beherrschung maßgeblich ist (Plückebaum-Malitzky, UStG, § 2 Abs. 2 RZ 378; Schiffer, DStR 1998 S. 1989, 1991). Dies gilt zumindest solange, wie das Unternehmen des Organträgers trotz Sequestration, Vergleich oder Konkurs noch über einen nennenswerten Zeitraum fortgeführt werden soll. Erst die Liquidation des Organträgers beendet im Regelfall die Organschaft gegenüber der Organgesellschaft (vgl. dazu Tz. 1.1.1.).
Die Organschaft endet nur ausnahmsweise mit dem Konkurs des Organträgers, wenn sich der Konkurs nicht auf die Organgesellschaft erstreckt und der Konkursverwalter auf ihre laufende Geschäftsführung keinen Einfluss nimmt (, BStBl 1999 II S. 258).
1.2.2 Verfahren, die nach dem beantragt werden
1.2.2.1 Die Frage, wie sich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach der InsO auf ein bestehendes Organschaftsverhältnis auswirkt, ist entsprechend den in Tzn. 1.2.1 ff. dargestellten Grundsätzen zu entscheiden. Danach ergibt sich Folgendes:
1.2.2.2 Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter für das Vermögen der Organgesellschaft bestellt und wird der Organgesellschaft ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, so geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögens der Organgesellschaft gem. § 22 Abs. 1 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. In diesem Fall endet die Organschaft mit Wirksamwerden der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters, weil der Organträger nicht mehr die Möglichkeit hat, seinen Willen in der Organgesellschaft umzusetzen.
Wird hingegen ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne dass der Organgesellschaft ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird (vgl. § 22 Abs. 2 InsO), so endet die Organschaft nur dann, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter aufgrund der ihm im Einzelfall übertragenen Pflichten den maßgeblichen Einfluss auf die Organgesellschaft erhält und ihm eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist.
1.2.2.3 Die Organschaft endet regelmäßig spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft, weil der Organträger den wesentlichen Einfluss auf die Organgesellschaft an den Insolvenzverwalter verliert (§ 80 InsO, s. auch Tz. 4 der Vollstreckungskartei - Insolvenzverfahren - Karte 2).
Etwas anderes gilt grundsätzlich nur in den Fällen, in denen das Insolvenzgericht in dem Beschl. über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. §§ 270 ff. InsO die Eigenverwaltung der Insolvenzmasse durch den Schuldner unter Aufsicht eines Sachwalters anordnet. Hier besteht die Organschaft regelmäßig auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort, weil die Verfügungs- und Verwertungsbefugnis über das Vermögen der Organgesellschaft im Wesentlichen beim Schuldener und damit beim Organträger verbleibt (§ 270 Abs. 1 InsO; s. auch Vollstreckungskartei - Insolvenzverfahren - Karte 24). Die Organschaft endet jedoch auch in den Fällen der Eigenverwaltung mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn dem Sachwalter derart weitreichende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse eingeräumt werden, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung möglich ist. Ein solcher (Ausnahme-)Fall liegt insbesondere vor, wenn
der Sachwalter die Kassenführungsbefugnis gem. § 275 Abs. 2 InsO an sich zieht,
es der Organgesellschaft verboten ist, ohne Zustimmung des Sachwalters Verbindlichkeiten einzugehen (vgl. § 275 Abs. 1 InsO) und
auch die übrigen Rechtsgeschäfte der Organgesellschaft auf Anordnung des Insolvenzgerichts weitgehend der Zustimmung des Sachwalters bedürfen (vgl. § 277 Abs. 1 InsO).
1.2.2.4 Entsprechend den in Tz. 1.2.1.4 dargestellten Grundsätzen führen weder die Beantragung noch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Organträgers zur Beendigung der Organgesellschaft. Die Organschaft endet regelmäßig erst, wenn der Organträger seine aktive unternehmerische Tätigkeit einstellt und in die Liquidation eintritt.
2. Rechtsfolgen der Beendigung der Organschaft
2.1 Ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft stellen Organträger und Organgesellschaft zwei selbständige ustl. Rechtssubjekte dar, die zueinander in Leistungsaustauschbeziehungen treten können (vgl. , UR 1990 S. 355, BFH/NV 1990 S. 741). Die damit verbundene Trennung des Organkreises in verschiedene Unternehmen beinhaltet keine (Teil-)Geschäftsveräußerung. Im Übrigen gilt Folgendes:
2.2 Umsätze, die von der Organgesellschaft (noch) vor Beendigung der Organschaft ausgeführt wurden, sind stets dem Organträger zuzurechnen und von diesem zu versteuern, auch wenn die hierauf entfallende USt (z. B. in den Fällen der Ist-Besteuerung oder bei Konkurs der Organgesellschaft) erst nach Beendigung der Organschaft entsteht (, EFG 1993 S. 747). Berichtigungsansprüche nach § 17 UStG, die diese Umsätze betreffen, richten sich ebenfalls ausschließlich gegen den Organträger als leistenden Unternehmer (Birkenfeld, HdU, § 37 RZ 98).
2.3 Umsätze, die nach Beendigung der Organschaft von der Organgesellschaft ausgeführt werden, sind dagegen grundsätzlich von der Organgesellschaft als leistendem Unternehmer zu versteuern. Hat jedoch der Organträger An- und Vorauszahlungen auf diese Umsätze bereits der Umsatzbesteuerung unterworfen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 4, Buchst. b UStG), so bleibt diese Besteuerung auch nach Beendigung der Organschaft bestehen. Von der Organgesellschaft ist dementsprechend nur der im Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft noch offene Restpreis zu versteuern (, BStBl 2002 II S. 255).
2.4 Der Vorsteuerabzug aus Leistungsbezügen der Organgesellschaft vor Beendigung der Organschaft steht auch dann nur dem Organträger zu, wenn die Rechnung erst nach Beendigung der Organschaft bei der Organgesellschaft eingeht und von dieser beglichen wird (Birkenfeld, HdU, I RZ 231). Vorsteuerberichtigungsansprüche nach § 17 UStG, die diese Leistungsbezüge betreffen, richten sich ebenfalls ausschließlich gegen den Organträger (, BFH/NV 1992 S. 140, und v. V B 230/91, BFH/NV 1994 S. 277).
2.5 Vorsteuern aus Leistungen, die die Organgesellschaft nach Beendigung der Organschaft bezieht, können grundsätzlich nur von der Organgesellschaft abgezogen werden. Hat jedoch der Organträger vor Beendigung der Organschaft An- oder Vorauszahlungen auf diese Leistungen entrichtet und hieraus den (vorgezogenen) Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 UStG vorgenommen, so ist die Organgesellschaft lediglich zum Vorsteuerabzug aus dem im Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft noch offenen Restpreis berechtigt; der vorgezogene Vorsteuerabzug aus den An- und Vorauszahlungen steht weiterhin dem Organträger zu (vgl. , BStBl 2002 II S. 255).
2.6 Durch die Beendigung der Organschaft wird der Berichtigungszeitraum nach § 15a UStG nicht unterbrochen (Abschn. 215 Abs. 2 S. 6 UStR 1996). Vorsteuerberichtigungsansprüche für WG der Organgesellschaft, die noch zu Zeiten der Organschaft angeschafft oder hergestellt wurden, richten sich daher auch dann gegen die Organgesellschaft, wenn der erstmalige Vorsteuerabzug nach § 15 UStG dem Organträger zugestanden hat.
2.7 Auch nach Beendigung der Organschaft haftet die Organgesellschaft für die vom Organträger geschuldeten USt und Vorsteuerrückforderungsbeträge nach § 73 AO, soweit diese vor Beendigung der Organschaft entstanden sind (, EFG 1992 S. 373).
OFD
Hannover v. - S
7105
Fundstelle(n):
NWB EN 1157/2002
QAAAA-86431