BVerwG Beschluss v. - 6 PB 47/09

Einstellungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts; Erledigung der Hauptsache; übereinstimmende Erledigungserklärungen; Nichtzulassungsbeschwerde

Leitsatz

Der im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen ergangene Einstellungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts kann nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden.

Gesetze: § 78 ArbGG, § 83a Abs 2 S 1 ArbGG, § 90 Abs 2 ArbGG, § 91 Abs 1 S 2 ArbGG, § 92 ArbGG, § 92a Abs 1 ArbGG, § 88 Abs 2 S 1 PersVG SN

Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: PL 9 B 640/07 Beschlussvorgehend VG Dresden Az: PL 9 K 949/07

Gründe

1Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 88 Abs. 2 Satz 1 SächsPersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg. Sie ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie unstatthaft ist (§ 88 Abs. 2 Satz 1 SächsPersVG i.V.m. § 72a Abs. 5 Satz 3, § 92a Satz 2 ArbGG).

21. Die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 92a Satz 1 ArbGG ist nur statthaft, wenn die angefochtene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nach § 92 Abs. 1 Satz 1 ArbGG rechtsbeschwerdefähig ist. Es muss sich dabei um "den das Verfahren beendenden Beschluss" handeln. Im vorliegenden Fall geht es um einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, mit welchem es das Verfahren gemäß § 83a Abs. 2 Satz 1, § 90 Abs. 2 ArbGG eingestellt hat, weil es von übereinstimmenden Erledigungserklärungen aller Beteiligten ausgegangen ist. Eine derartige Verfahrenseinstellung ist kein verfahrensbeendender Beschluss im Sinne von § 92 Abs. 1 Satz 1 ArbGG.

3a) Für seine gegenteilige Auffassung kann sich der Antragsteller allerdings auf die überwiegende Meinung in der Kommentarliteratur zum Arbeitsgerichtsgesetz berufen (vgl. Matthes, in: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, Arbeitsgerichtsgesetz, 7. Aufl. 2009, § 81 Rn. 80, § 83a Rn. 14, § 92 Rn. 4; Dörner, in: GK-ArbGG, § 83a Rn. 24, § 92 Rn. 5; Hauck, in: Hauck/Helml, Arbeitsgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2006, § 92 Rn. 2; Koch, in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 10. Aufl. 2010, § 81 ArbGG Rn. 6, § 92 ArbGG Rn. 1; Busemann, in: Schwab/Weth, Arbeitsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2008, § 92 Rn. 3; ebenso LAG Mainz, Beschluss vom - 6 TaBV 10/82 - EzA § 92 ArbGG 1979 Nr. 1).

4b) Nach anderer, in der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte verbreiteter Auffassung unterliegen Einstellungsbeschlüsse nach § 83a Abs. 2 ArbGG nicht den Rechtsmitteln nach §§ 87, 92 ArbGG, sondern dem Beschwerdeverfahren nach §§ 78, 83 Abs. 5 ArbGG i.V.m. §§ 567 ff. ZPO (vgl. LAG Frankfurt, Beschluss vom - 4 TaBV 82/83 -; LAG Hamm, Beschlüsse vom - 8 TaBV 34/89 - LAGE § 81 ArbGG 1979 Nr. 1 und vom - 13 TaBV 53/99 - juris; - LAGE § 92 ArbGG 1979 Nr. 2; -; ebenso Weth, in: Schwab/Weth, a.a.O. § 81 Rn. 110, § 83a Rn. 18). Der Senat folgt dieser Auffassung.

5c) Zuzugeben ist, dass das Merkmal des verfahrensbeendenden Beschlusses nach seinem Wortlaut einen Einstellungsbeschluss nach § 83a Abs. 2 ArbGG erfassen kann. Eine solche Wertung verbietet sich jedoch nach dem Rechtsmittelsystem des Gesetzes. § 92 Abs. 1 Satz 1 ArbGG knüpft an die vorhergehende Bestimmung in § 91 ArbGG an und meint daher den Beschluss, durch welchen das Landesarbeitsgericht über die Beschwerde entschieden hat. Ebenso nimmt § 87 Abs. 1 ArbGG sinngemäß auf den Beschluss nach § 84 ArbGG Bezug, mit dem das erstinstanzliche Beschlussverfahren abgeschlossen worden ist. §§ 87, 92 ArbGG eröffnen die Rechtsmittel gegen im Beschlussverfahren ergangene Entscheidungen, die in ihrer Bedeutung Urteilen vergleichbar sind. Es sind dies diejenigen Beschlüsse, durch welche aufgrund materieller Erkenntnis über das Begehren des Antragstellers streitig entschieden wird. Darunter fallen die Einstellungsbeschlüsse nach § 83a Abs. 2 ArbGG nicht, mit denen bei Vorliegen oder Fingierung übereinstimmender Erledigungserklärungen ohne weitere Sachprüfung die vorgesehenen formellen Konsequenzen gezogen werden. Ihnen liegt keine materielle Prüfung zugrunde, auch nicht dahingehend, ob ein erledigendes Ereignis tatsächlich eingetreten ist. Das Verfahren ist einzustellen, wenn die Erledigungserklärungen aller Beteiligten vorliegen oder die Zustimmung der sonstigen Beteiligten zur Erledigungserklärung des Antragstellers als erteilt gilt. Das unterschiedliche Gewicht beider Arten von Beschlüssen kommt in der jeweiligen Zusammensetzung der Gerichte zum Ausdruck. Während die Beschlüsse nach §§ 84, 91 und 96 ArbGG durch den vollständigen kollegialen Spruchkörper gefasst werden, ist die Einstellung bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen Sache des Vorsitzenden allein (§ 83a Abs. 2 Satz 1, § 90 Abs. 2, § 95 Satz 4 ArbGG). Sie ist - anders als die Beschlüsse nach §§ 84, 91 ArbGG - nicht förmlich zuzustellen, sondern lediglich formlos mitzuteilen (§ 81 Abs. 2 Satz 3, § 83a Abs. 2 Satz 2 ArbGG).

6Die Anwendung der §§ 87 ff., 92 ff. ArbGG führt dazu, dass der gesamte Streitstoff in der höheren Instanz anfällt. Dies wäre bei der Anwendung auf Einstellungsbeschlüsse nach § 83a Abs. 2 ArbGG insbesondere im Verhältnis von erster und zweiter Instanz unangemessen, weil dem Beschwerdegericht die Zurückverweisung versagt ist (§ 91 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Ein Rechtsmittel gegen einen Beschluss nach § 83a Abs. 2 ArbGG wird sich vernünftigerweise dagegen wenden, dass das Gericht eingestellt hat, obschon die erforderlichen Erledigungserklärungen nicht vorliegen bzw. nicht als abgegeben gelten. Darauf ist das Beschwerdeverfahren nach §§ 78, 83 Abs. 5 ArbGG zugeschnitten: Das Landesarbeitsgericht hebt den erstinstanzlichen Beschluss auf und ordnet den Fortgang des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht an. Auf diese Zusammenhänge hat das Landesarbeitsgericht Hamm überzeugend hingewiesen (Beschluss vom a.a.O. Rn. 6 f.).

7Auch das Bundesarbeitsgericht sieht in seinem Beschluss vom - 1 ABR 64/06 - (BAGE 125, 300) den Rechtsmittelzug nach §§ 87, 92 ArbGG dadurch gekennzeichnet, dass sich das Rechtsmittel gegen einen Beschluss richtet, der eine materielle Erkenntnis enthält (a.a.O. S. 301). Daran fehlt es - wie dargelegt - bei Einstellungsbeschlüssen nach § 83a Abs. 2 ArbGG.

82. Die Anwendung der Regelungen über die Beschwerde nach §§ 78, 83 Abs. 5 ArbGG i.V.m. §§ 567 ff. ZPO führt nicht zur Statthaftigkeit des vorliegenden Rechtsbehelfs.

9a) Nach § 83 Abs. 5 ArbGG findet gegen Beschlüsse und Verfügungen des Arbeitsgerichts oder seines Vorsitzenden die Beschwerde nach Maßgabe des § 78 ArbGG statt. § 78 Satz 1 ArbGG verweist auf die Beschwerdevorschriften der Zivilprozessordnung. Es handelt sich dabei um die sofortige Beschwerde zum Landesarbeitsgericht nach §§ 567 ff. ZPO und die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht nach §§ 574 ff. ZPO (§ 78 Satz 3 ArbGG). An die Stelle der Zulassungsgründe nach § 574 Abs. 2 und 3 Satz 1 ZPO treten diejenigen nach § 72 Abs. 2 ArbGG (§ 78 Satz 2 ArbGG). Daraus folgt, dass ein Beschluss des Landesarbeitsgerichts, mit welchem dieses über die Beschwerde gegen einen nicht verfahrensbeendenden Beschluss des Arbeitsgerichts entschieden hat, mit der Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht angefochten werden kann, wenn diese vom Landesarbeitsgericht zugelassen wurde (vgl. - BAGE 105, 195 <197 f.>).

10b) Indes bestimmt § 90 Abs. 3 ArbGG, dass gegen Beschlüsse und Verfügungen des Arbeitsgerichts oder seines Vorsitzenden kein Rechtsmittel stattfindet. Dies bedeutet, dass nicht verfahrensbeendende Beschlüsse, welche das Landesarbeitsgericht als Ausgangsgericht fasst, abweichend von § 83 Abs. 5, § 90 Abs. 2 ArbGG unanfechtbar sind (vgl. Matthes, a.a.O. § 90 Rn. 13; Dörner, a.a.O. § 90 Rn. 17; Hauck, a.a.O. § 90 Rn. 4; Koch, a.a.O. § 90 Rn. 3; Busemann, a.a.O. § 90 Rn. 27). Die entsprechende Anwendung von § 90 Abs. 3 ArbGG auf die vorliegende Fallkonstellation ergibt, dass Einstellungsbeschlüsse des Oberverwaltungsgerichts nach § 83a Abs. 2 ArbGG nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen werden können.

11c) Allerdings wird es in Teilen der Literatur als Redaktionsversehen des Gesetzgebers behandelt, dass dieser im Zuge der Prozessrechtsreform zum § 90 Abs. 3 ArbGG nicht ebenso wie die vergleichbare Vorschrift des § 70 ArbGG gestrichen hat (vgl. Dörner, a.a.O. § 90 Rn. 17; Koch, a.a.O. § 90 Rn. 3; a.A. Busemann, a.a.O. § 90 Rn. 28 f.; offengelassen von a.a.O. S. 197). Folgt man dieser Auffassung und sieht man daher § 90 Abs. 3 ArbGG hier als unanwendbar an, so ändert dies nichts am Ergebnis. Der Rechtsbehelf des Antragstellers bleibt unstatthaft.

12aa) Weder das Beschwerderecht der Zivilprozessordnung noch §§ 78, 83 Abs. 5 ArbGG sehen die Möglichkeit vor, die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde mit einer Nichtzulassungsbeschwerde anzugreifen. Insbesondere nehmen §§ 78, 83 Abs. 5 ArbGG nicht die Regelungen über die Nichtzulassungsbeschwerde in §§ 72a, 92a ArbGG in Bezug. Die Verweisung auf die Regeln über die Zulassung der Revision beschränkt sich für die Rechtsbeschwerde auf die Bezugnahme der Zulassungsgründe (§ 78 Satz 2 ArbGG). Damit findet gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 ZPO keine Nichtzulassungsbeschwerde statt (vgl. BAG, Beschlüsse vom - 3 AZB 24/08 - AP Nr. 11 zu § 85 ArbGG 1979 Rn. 8 und vom - 9 AZA 8/09 - juris Rn. 6).

13bb) Die Umdeutung der vom Antragsteller erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde in eine Rechtsbeschwerde nach § 78 ArbGG i.V.m. § 574 ff. ZPO scheidet aus. Die Rechtsbeschwerde ist nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) oder das Beschwerdegericht sie in seinem Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Weder sind besondere Rechtsbehelfe für die Überprüfung von Einstellungsbeschlüssen nach Erledigung der Hauptsache vorgesehen, noch hat das Oberverwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss die Rechtsbeschwerde zugelassen (vgl. in diesem Zusammenhang a.a.O. Rn. 4).

143. Der Senat konnte über die Beschwerde des Antragstellers entscheiden, ohne ihm Gelegenheit zu geben, zur Beschwerdeerwiderung des Beteiligten zu 1 Stellung zu nehmen. Der vorliegende Beschluss ist nicht auf Gesichtspunkte gestützt, die erstmals in der Beschwerdeerwiderung vorgetragen wurden und zu denen der Antragsteller rechtliches Gehör hätte erhalten müssen.

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Fundstelle(n):
RAAAI-54863