EU-Agrarförderung; Aufrechnungsmöglichkeiten mit ausstehenden Forderungen; Geltung nationaler Vollzugsvorschriften
Gesetze: Art 5b EGV 885/2006, EGV 1034/2008, EGV 1290/2005
Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 19 BV 06.2146 Urteil
Gründe
1Der Kläger begehrt die Auszahlung einer ihm mit Bescheid vom bewilligten Preisausgleichszahlung für Erzeuger landwirtschaftlicher Kulturpflanzen an seinen Vater, der sämtliche derartigen künftigen Forderungen des Klägers gegen den Beklagten am hatte pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. Der Beklagte erklärte demgegenüber die Aufrechnung mit einer offenen Rückforderung einer zu Unrecht gewährten Vorschusszahlung für Ölsaatenerzeuger aus dem Jahr 1993; der der Vorschusszahlung zugrunde liegende Bewilligungsbescheid war mit Bescheid vom aufgehoben und der Kläger zur Rückzahlung verpflichtet worden. Der Verwaltungsgerichtshof hat der Klage stattgegeben.
2Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Der Rechtssache kommt die vom Beklagten behauptete grundsätzliche Bedeutung nicht zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
3Der Beklagte hält sinngemäß die Frage für klärungsbedürftig, ob Art. 5b der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 der Kommission vom (ABl EU Nr. L 171 S. 90) in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 1034/2008 vom (ABl EU Nr. L 279 S. 13) auch auf das Wirtschaftsjahr 1998 Anwendung findet. Er entnimmt dieser Vorschrift seine Berechtigung, ausstehende Forderungen gegen einen Begünstigten mit künftigen Zahlungen an diesen Begünstigten ohne Rücksicht auf Aufrechnungsverbote des nationalen Rechts - wie § 392 BGB - zu verrechnen.
4Die Frage rechtfertigt die Durchführung des angestrebten Revisionsverfahrens nicht. Sie ist - im Einklang mit dem Berufungsurteil - offensichtlich zu verneinen. Art. 5b der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 ist durch die Änderungsverordnung (EG) Nr. 1034/2008 vom eingefügt worden. Die Änderungsverordnung trat am in Kraft. Ob sie auch zurückliegende Zeiträume erfasst, lässt sie offen. Sie ist jedoch frühestens ab dem anwendbar. Dies ergibt sich aus Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 885/ 2006; hiernach gilt diese Verordnung ab dem , einzelne ihrer Bestimmungen hingegen erst für das Haushaltsjahr 2007 und folgende. Zu einer weiter zurückreichenden Rechtsänderung wäre die Kommission auch gar nicht ermächtigt gewesen. Die Verordnung (EG) Nr. 885/2006 der Kommission beruht auf der Ermächtigung in Art. 42 der Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 des Rates vom über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (ABl EU Nr. L 209 S. 1). Diese Verordnung trat am in Kraft; sie galt nach ihrem Art. 49 grundsätzlich ab dem , in bestimmten Fällen ab dem und nur hinsichtlich des - hier nicht einschlägigen - Art. 31 auch für frühere Fälle. Auf die Wiedereinziehung bereits 1993 gezahlter und 1994 zurückgeforderter Beihilfen im Wege der Verrechnung mit 1998 bewilligten Zahlungen findet dieses Regelwerk hiernach keine Anwendung.
5Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Nachfolgeregelung der vom Berufungsgericht angewandten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung in Art. 73 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 der Kommission vom (ABl EU Nr. L 141 S. 18, berichtigt ABl EU Nr. L 291 S. 18) durch die Änderungsverordnung (EG) Nr. 380/2009 vom (ABl EU Nr. L 116 S. 9) unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 885/2006 ersatzlos gestrichen wurde. Denn diese Verordnung (EG) Nr. 380/2009 gilt ausweislich ihres Art. 2 erst für Beihilfeanträge für die Jahre bzw. Prämienzeiträume, die am oder später beginnen. Für frühere Prämienzeiträume blieb Art. 73 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 damit in Geltung. Die Vorschrift erfasste die ab dem beginnenden Wirtschaftsjahre oder Prämienzeiträume; sie löste Art. 49 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 der Kommission vom (ABl EG Nr. L 327 S. 11) ab, der für Wirtschaftsjahre oder Prämienzeiträume ab dem galt. Dieser wiederum war an die Stelle des Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom (ABl EG Nr. L 391 S. 36) in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 1678/98 vom (ABl EG Nr. L 212 S. 23) getreten, der seit dem galt und den das Berufungsgericht im vorliegenden Fall daher mit Recht angewendet hat.
6Im Übrigen ergibt sich aus Art. 5b der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 nicht die Berechtigung des Beklagten, ausstehende Forderungen gegen einen Begünstigten mit künftigen Zahlungen an diesen Begünstigten ohne Rücksicht auf Aufrechnungsverbote des nationalen Rechts zu verrechnen. Nach Art. 5b der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 rechnen die Mitgliedstaaten unbeschadet anderer in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehener Vollstreckungsmaßnahmen eine noch ausstehende Forderung an einen Begünstigten, die im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften festgestellt worden ist, gegen eine etwaige künftige Zahlung auf, die von der für die Eintreibung des geschuldeten Betrags zuständigen Zahlstelle an denselben Begünstigten zu leisten ist. Die Vorschrift führt nicht dazu, dass künftige Beihilfeansprüche des Begünstigten von vornherein nur in Höhe der Differenz zu dessen offenen Schulden entstünden; sie betrifft nicht das materielle Beihilferecht, sondern nur dessen Vollzug, nämlich die Modalitäten der Einziehung offener Forderungen. Ihre Bedeutung liegt ausweislich des 3. Erwägungsgrundes darin, die mit der Durchführung des Gemeinschaftsrechts befassten nationalen Behörden zu verpflichten, von nach dem nationalen Recht gegebenen Möglichkeiten, sich durch Aufrechnung zu befriedigen, auch Gebrauch zu machen. Dagegen sollen diese Möglichkeiten des nationalen Rechts nicht verändert oder gar das nationale durch ein gemeinschaftsrechtliches Aufrechnungsrecht ersetzt werden. Vielmehr bleibt es auch insofern bei dem Grundsatz, dass das materielle Gemeinschaftsrecht nach den Regeln des nationalen Rechts vollzogen wird (stRspr, vgl. - Slg. 1983, S. 2633 - Deutsche Milchkontor; BVerwG 3 C 22.02 - Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 44). Anhaltspunkte dafür, dass dieser Grundsatz hier hätte durchbrochen werden sollen (vgl. BVerwG 3 B 117.04 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 112 zu Art. 14 Abs. 4 und 5 der Verordnung <EWG> Nr. 3887/92), lassen sich der Verordnung (EG) Nr. 1034/2008 nicht entnehmen. Dies gilt umso mehr, als die Verordnung (EG) Nr. 885/2006 der Kommission - ebenso wie die ihr zugrunde liegende Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 des Rates - allein den Zahlungs- und Abrechnungsverkehr zwischen der Gemeinschaft (bzw. den europäischen Fonds EGFL und ELER) und den Mitgliedstaaten und nicht deren Außenverhältnis zu den Beihilfeempfängern betrifft; die Verordnung kann daher nur die mitgliedstaatlichen Behörden zu einer bestimmten Wahrnehmung ihrer gegebenen Rechte gegenüber den Beihilfeempfängern veranlassen, diese Rechte aber nicht erweitern.
Fundstelle(n):
SAAAI-54854