Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit
Leitsatz
Die Streitigkeit um die Zustimmung zu einer Fahrplanänderung für einen Buslinienfernverkehr bezieht sich nicht auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO; die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts richtet sich in solchen Fällen nach § 52 Nr. 3 VwGO.
Gesetze: § 52 Nr 1 VwGO, § 52 Nr 3 VwGO, § 53 Abs 1 Nr 3 VwGO, § 53 Abs 3 VwGO, § 2 Abs 1 Nr 3 PBefG, § 11 PBefG, § 40 Abs 2 PBefG, § 45 Abs 2 PBefG
Instanzenzug: Az: 3 K 1391/14 Beschluss
Gründe
11. Die Klägerin, ein Personenbeförderungsunternehmen, beabsichtigt eine Fahrplanänderung für einen bereits genehmigten Fernbuslinienverkehr und begehrt dafür die Erteilung einer Genehmigung nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) bzw. die Erteilung der Zustimmung nach § 40 Abs. 2 i.V.m. § 45 Abs. 2 PBefG.
2Mit Schreiben vom zeigte die Klägerin der Beklagten eine Fahrplanänderung für den von ihr von einem anderen Verkehrsunternehmen übernommenen Fernbuslinienverkehr auf der Strecke Karlsruhe-Pforzheim-Stuttgart-München an. Statt - wie bisher genehmigt - viermal täglich an fünf Tagen in der Woche sollte die Strecke nunmehr sechsmal täglich an allen sieben Wochentagen bedient und dabei in Stuttgart wie bisher der Busbahnhof Stuttgart-Vaihingen als Haltestelle angefahren werden. In dem von der Beklagten gemäß § 14 PBefG eingeleiteten Anhörungsverfahren verweigerte die Stadt Stuttgart das nach § 11 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 PBefG erforderliche Einvernehmen; die Haltestelle am Busbahnhof Stuttgart-Vaihingen sei u.a. aus Gründen der Verkehrssicherheit für den Fernbuslinienverkehr im geplanten Umfang nicht geeignet. Unter dem widersprach die Beklagte daraufhin gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 2 PBefG der angezeigten Fahrplanänderung und lehnte es mit Bescheid vom ab, ihr zuzustimmen.
3Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben und angekündigt zu beantragen, die ablehnenden Bescheide aufzuheben und die Beklagte zur Genehmigung der Fahrplanänderung zu verpflichten.
4Mit Beschluss vom , eingegangen am , hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts angerufen. Es ist der Auffassung, die in Rede stehende Genehmigung bzw. Zustimmung zu der von der Klägerin angestrebten Fahrplanänderung betreffe ein ortsgebundenes Recht im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO; wegen der Länge der Strecke kämen mehrere Gerichte in Betracht.
52. Die Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts ist unzulässig. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 53 Abs. 3 VwGO sind nicht erfüllt, weil für das Streitverfahren nicht die Zuständigkeit verschiedener Gerichte in Betracht kommt. Die Streitigkeit bezieht sich nicht auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO, vielmehr richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach § 52 Nr. 3 VwGO. Örtlich zuständig ist danach das Verwaltungsgericht Karlsruhe.
6Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO wird das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch das nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn der Gerichtsstand sich nach § 52 richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen. Kommen Gerichtsstände in mehreren Bundesländern in Betracht, ist das nächsthöhere Gericht im Sinne dieser Regelung das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 AV 1.95 - NVwZ 1996, 998 m.w.N. und vom - 7 ER 420.62 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 2 S. 2).
7a) Die strittige Frage, ob die Beklagte zu Recht die Zustimmung zu der von der Klägerin angestrebten Fahrplanänderung abgelehnt hat, bezieht sich nicht auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO; nach dieser Regelung ist bei Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt.
8aa) Den Gesetzgebungsmaterialien zu § 52 Nr. 1 VwGO (BT-Drs. 3/55 S. 35) ist zu entnehmen, dass durch diese Regelung nicht nur die so genannten radizierten Realrechte, sondern auch andere Rechte erfasst werden sollen, die zu einem bestimmten Territorium in besonderer Beziehung stehen (vgl. dazu BVerwG, Beschlüsse vom - 7 AV 11.96 u.a. - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 37 = NJW 1997, 1022 <1023> und vom - 2 ER 402.63 - BVerwGE 18, 26 <28>).
9Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehören zu den ortsgebundenen Rechten im Sinne dieser Regelung vor allem die an ein bestimmtes Grundstück geknüpften Rechte, weil sie unter Voraussetzung dieser örtlichen Gebundenheit eingeräumt sind. Ferner zählen dazu die nur in der natürlichen Ausübung an bestimmte Grundstücke gebundenen Rechte, weil auch in diesen Fällen die in § 52 Nr. 1 VwGO vorausgesetzte weitgehende Verbindung zwischen dem strittigen Recht und dem Territorium besteht, auf dem es ausgeübt wird. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht § 52 Nr. 1 VwGO in einem Verwaltungsrechtsstreit für anwendbar erachtet, in dem es um den Widerruf der Erlaubnis zum Befahren eines Sees ging ( 7 ER 420.62 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 2), ebenso wegen des engen räumlichen Zusammenhangs mit dem Betrieb eines Verkehrsflughafens für eine Klage gegen die Festlegung von An- und Abflugstrecken ( 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <277>) sowie bei einer Klage auf nachträgliche Schutzauflagen nach Unanfechtbarkeit eines straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses ( 9 A 33.03 - NVwZ-RR 2004, 551 <552>). Dagegen hat das Bundesverwaltungsgericht die Anwendbarkeit von § 52 Nr. 1 VwGO bei einer Anfechtungsklage verneint, die sich gegen Bescheide richtete, mit denen nach Maßgabe des Gesetzes zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz - GenTG) in der damals geltenden Fassung die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen an verschiedenen Standorten genehmigt worden war; zur Begründung hat das Bundesverwaltungsgericht darauf abgestellt, dass diese Genehmigung wegen der in § 14 Abs. 3 GenTG normativ angelegten Ergänz- und Austauschbarkeit der im Antragsverfahren angegebenen und überprüften Standorte nicht mit hinreichender Nachhaltigkeit standortbezogen sei (Beschluss vom - 7 AV 11.96 u.a. - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 37 = NJW 1997, 1022 <1023>).
10bb) Ausgehend davon handelt es sich bei dem Rechtsstreit um die Zustimmung zu der von der Klägerin angestrebten Fahrplanänderung nicht um eine Streitigkeit, die sich auf ein ortgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO bezieht.
11Gemäß § 40 Abs. 1 PBefG, der nach § 45 Abs. 2 PBefG auch auf den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen anwendbar ist, müssen Fahrpläne die Führung der Linie, ihren Ausgangs- und Endpunkt sowie die Haltestellen und Fahrzeiten enthalten. Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 PBefG bedürfen Fahrpläne und deren Änderungen vorbehaltlich § 45 Abs. 2 Nr. 2 PBefG der Zustimmung der Genehmigungsbehörde. Zwar weist der Fahrplan - ebenso wie die Linienverkehrsgenehmigung - insoweit einen Ortsbezug auf, als dort die Streckenführung und die durch den betreffenden Linienverkehr zu bedienenden Haltestellen festgelegt werden. Ein Ortsbezug spiegelt sich auch im Versagungsgrund des § 13 Abs. 2 Nr. 1 PBefG wider; danach ist u.a. beim Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen die Genehmigung zu versagen, wenn der Verkehr auf Straßen durchgeführt werden soll, die sich aus Gründen der Verkehrssicherheit oder wegen ihres Bauzustandes hierfür nicht eignen. Ob ein solcher Hinderungsgrund besteht, ist nicht nur im Genehmigungsverfahren nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 PBefG, sondern auch in einem nachträglichen Verfahren auf Zustimmung zu einer Fahrplanänderung nach § 40 Abs. 2 und § 45 Abs. 2 PBefG zu prüfen (vgl. u.a. 11 B 12.321 - juris Rn. 74). Doch beschränkt sich das Prüfprogramm der Genehmigungsbehörde bei der Entscheidung über die Zustimmung zu einer Fahrplanänderung nicht auf solche Fragen mit Ortsbindung. Vielmehr hat sie regelmäßig auch zu prüfen, ob durch eine Änderung des bisherigen Fahrplans öffentliche Verkehrsinteressen beeinträchtigt werden (vgl. § 13 Abs. 2 Nr. 3 PBefG; s. dazu auch 11 B 10.2554 - juris Rn. 55 f. sowie Bauer, PBefG, § 40 PBefG Rn. 10). Außerdem sind nach § 40 Abs. 2 Satz 3 PBefG, wenn durch Fahrplanänderungen die Interessen anderer Verkehrsunternehmen berührt werden, diese vor der Änderung zu hören. Auch das weist über eine rein ortsgebundene Fragestellung hinaus.
12Danach liegt die für die Anwendung von § 52 Nr. 1 VwGO erforderliche Ortsgebundenheit bei einem Rechtsstreit über die Zustimmung zu einer Fahrplanänderung (§ 40 PBefG) nicht vor. Hinzu kommt, dass die Heranziehung von § 52 Nr. 1 VwGO gerade bei Fernbuslinien, die entlang ihres in aller Regel gerichtsbezirksüberschreitenden Streckenverlaufs Bezüge nicht nur zu einem, sondern zu einer Vielzahl von Orten aufweisen, von vornherein nicht geeignet wäre, eine gesicherte Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts zu ermöglichen. Insoweit ähnelt die Sachlage dem vom entschiedenen Fall, in dem eine Genehmigung zur Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen auf verschiedenen in mehreren Gerichtsbezirken gelegenen Standorten angefochten worden war.
13b) Stattdessen ist die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts in solchen Fällen nach § 52 Nr. 3 VwGO zu bestimmen. Örtlich zuständig ist nach Satz 1 dieser Regelung bei allen anderen Anfechtungsklagen vorbehaltlich der Nummern 1 und 4 das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde. Da das nach Satz 5 der Bestimmung auch bei Verpflichtungsklagen in den Fällen der Sätze 1, 2 und 4 gilt, ist bei einem Verpflichtungsbegehren das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der erstrebte Verwaltungsakt, hier die Zustimmung zu der Fahrplanänderung nach § 40 PBefG, die ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt ist (vgl. Bidinger, Personenbeförderungsrecht, § 40 PBefG Anm. 3c; Fromm/Sellmann/Zuck, Personenbeförderungsrecht, 4. Aufl. 2013, § 40 PBefG Rn. 2), zu erlassen wäre.
14Dementsprechend ist hier - der sich aus § 11 Abs. 3 und 4 PBefG ergebenden behördlichen Zuständigkeit der Stadt Karlsruhe folgend - das Verwaltungsgericht Karlsruhe örtlich zuständig. Durch Anwendung von § 52 Nr. 3 VwGO wird die in § 11 Abs. 3 und 4 PBefG für das Verwaltungsverfahren vorgesehene Auflösung einer Konkurrenz von Behördenzuständigkeiten in das verwaltungsgerichtliche Verfahren gleichsam "verlängert" (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Kraft in: Eyermann, 14. Aufl. 2014, § 52 Rn. 13). Zudem ermöglicht § 52 Nr. 3 VwGO - anders als das bei § 52 Nr. 1 VwGO der Fall wäre - in solchen Verfahren regelmäßig eine klare Zuständigkeitsbestimmung und macht damit ein das Hauptsacheverfahren verzögerndes Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach § 53 VwGO entbehrlich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2016:180716B3AV1.16.0
Fundstelle(n):
XAAAI-51131