BGH Beschluss v. - 2 BGs 88/12

Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung im Haftbefehlseröffnungsverfahren: Anforderungen an die Darlegung eines gestörten Vertrauensverhältnisses

Gesetze: § 142 Abs 1 S 1 StPO, § 143 StPO

Gründe

1Die Aufhebung der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist außerhalb des Regelungsbereichs des § 143 StPO aus wichtigem Grund zulässig, wenn der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet ist (vgl. BVerfG, NStZ 2002, 99, 100 m.w.N.). Ein die Aufhebung der Bestellung rechtfertigender wichtiger Grund liegt unter anderem dann vor, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Pflichtverteidiger und Beschuldigtem endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann (vgl. , NStZ-RR 2005, 240; Urteil vom - 4 StR 364/93, BGHSt 39, 310, 314 ff). Maßstab hierfür ist die Sicht eines verständigen Beschuldigten. Die nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses ist vom Beschuldigten oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (vgl. , NStZ 2008, 418; vom - 1 StR 483/97, NStZ 1998, 311; Urteil vom - 4 StR 364/93 aaO). In Fällen, in denen - wie hier - das Anhörungsverfahren nach § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO zwar eingehalten wurde, dem Beschuldigten aber wegen der Gegebenheiten des Verfahrens zur Haftbefehlseröffnung eine nur sehr eingeschränkte Überlegungszeit für die Auswahl eines Verteidigers eingeräumt werden konnte, dürfen die Anforderungen an die Darlegung eines gestörten Vertrauensverhältnisses allerdings nicht überspannt werden.

2Von diesem Maßstab ausgehend liegen die Voraussetzungen für einen Wechsel des Pflichtverteidigers vor. Die Ausführungen in den Schreiben des Beschuldigten vom 16. und lassen - zumal unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich das Strafverfahren gegen den Beschuldigten noch in einem sehr früheren Verfahrensstadium befindet, - den Schluss zu, dass das für eine sachgerechte Verteidigung erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und Rechtsanwalt S. nicht mehr besteht. Bei dieser Bewertung kommt es auf die Frage, ob die verschiedenen vom Beschuldigten erhobenen Behauptungen tatsächlich zutreffen, nicht maßgeblich an.

3Die Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt S. ist daher aufzuheben. Gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4, § 141 Abs. 4, § 142 Abs. 1 StPO wird Rechtsanwalt G. dem Beschuldigten als neuer Pflichtverteidiger beigeordnet.

Bender

Richter am Bundesgerichtshof

Fundstelle(n):
LAAAI-34780