BGH Urteil v. - IV ZR 531/14

Haftpflichtversicherung: Unmittelbare Inanspruchnahme des Versicherers durch den Geschädigten ohne vorherige Feststellung des Haftpflichtanspruchs

Leitsatz

Das Trennungsprinzip in der Haftpflichtversicherung steht einer unmittelbaren Inanspruchnahme des Versicherers durch den Geschädigten auch ohne vorherige Feststellung des Haftpflichtanspruchs nicht entgegen, wenn der Deckungsanspruch wirksam an den Geschädigten abgetreten ist.

Gesetze: § 100 nF VVG, §§ 100ff nF VVG, § 149 aF VVG, §§ 149ff aF VVG

Instanzenzug: Hanseatisches Az: 13 U 164/12vorgehend Az: 317 O 47/12

Tatbestand

1Die Kläger nehmen - teils aus eigenem, teils aus abgetretenem Recht - die beklagte Anwaltssozietät unter anderem wegen unnütz aufgewandter Prozesskosten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegen einen Notar in Anspruch. Diese Ansprüche beruhen darauf, dass dem Notar bei der vertraglichen Gestaltung der Übertragung von insgesamt elf Grundstücken Fehler unterlaufen sind, die zum doppelten Anfall der Grunderwerbsteuer bei den Erwerbern führten. Bei diesen Erwerbern handelt es sich um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, an der der Kläger zu 1 beteiligt ist, die Klägerin zu 2 und einen Rechtsanwalt, der seine Ansprüche gegen die Beklagte an den Kläger zu 1 abgetreten hat (im Folgenden als Zedent bezeichnet).

2Die Beklagte war von den Klägern und dem Zedenten mit der Geltendmachung dieser Ansprüche mandatiert worden, nachdem der Notar verstorben und Nachlassinsolvenz angeordnet worden war. Die Insolvenzverwalterin erkannte die zur Tabelle angemeldeten Schadensersatzansprüche gegen den Notar nicht an, trat jedoch die Freistellungsansprüche des Notars aus seiner Berufshaftpflichtversicherung gegen den Versicherer an die Erwerber ab.

3Die Beklagte erhob für den Zedenten zunächst bezüglich eines von ihm erworbenen Grundstücks Klage gegen den Versicherer auf Zahlung, hilfsweise Feststellung der Deckungspflicht. Hierbei sollte es sich nach Vorstellung der Beteiligten um einen Musterprozess handeln. In erster Instanz wurde diese Klage zwar mit dem Hauptantrag abgewiesen, jedoch stellte das Landgericht auf den Hilfsantrag fest, dass der Versicherer verpflichtet sei, Leistungen in Höhe von 36.040 € zu gewähren.

4Daraufhin erhob die Beklagte nunmehr für die Kläger Feststellungsklagen gegen den Versicherer auch bezüglich aller weiteren Grundstücke. Diese Klagen wurden wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen. Die Abtretung des Deckungsanspruchs durch die Insolvenzverwalterin sei wegen des in § 7 Ziff. 3 AHB der Haftpflichtversicherung des Notars enthaltenen Abtretungsverbots mangels Zustimmung des Versicherers unwirksam.

5Parallel dazu wies das Oberlandesgericht im Berufungsverfahren des ersten Prozesses darauf hin, dass auf den Hilfsantrag nur die Feststellung der Deckungspflicht, aber keine Entscheidung über den Haftpflichtanspruch möglich sei. Auf eine dahingehende Antragsbeschränkung des dortigen Klägers erging (nur noch) ein Anerkenntnisurteil des Inhalts, dass die dortige Beklagte verpflichtet sei, Leistungen zu gewähren, soweit sich der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch "als begründet erweisen sollte".

6Anschließend machten die Erwerber den Haftpflichtanspruch gegen den Notar gerichtlich gegenüber der Insolvenzverwalterin geltend.

7Im vorliegenden Rechtsstreit nehmen die Kläger die Beklagte unter anderem auf Ersatz der unnütz aufgewandten Prozesskosten in den wegen der fehlenden Aktivlegitimation erfolglosen Prozessen gegen den Versicherer in Anspruch.

8Diese Kosten in Höhe von insgesamt 36.963,86 € hat das Landgericht den Klägern durch Teilurteil zuerkannt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision.

Gründe

9Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

10I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Prozesse gegen den Versicherer seien überflüssig gewesen, weil die entscheidende Frage nach der Haftung des Notars im vorweggenommenen Deckungsprozess wegen des in der Haftpflichtversicherung geltenden Trennungsprinzips nicht hätte geklärt werden können.

11Die Beklagte hätte hierfür den sichersten Weg, nämlich ein Vorgehen gegen die Insolvenzverwalterin, wählen müssen. Die Klagen gegen den Versicherer hätten nur verloren gehen oder eine wertlose Feststellung zum Deckungsanspruch herbeiführen können. Sie seien daher wirtschaftlich sinnlos gewesen. Darüber, dass die Leistungspflicht des Versicherers mit den erhobenen Klagen nicht zu klären gewesen sei, habe die Beklagte die Kläger und den Zedenten nicht genügend aufgeklärt. Selbst wenn die Kläger die weitere Problematik des Abtretungsverbots hätten erkennen müssen, entlaste das die Beklagte nicht von eigenen Informations- und Beratungspflichten. Es gebe keine ausreichenden Hinweise darauf, dass dem Zedenten die zentrale, sich aus dem Trennungsprinzip ergebende Problematik bewusst gewesen sei, wonach allenfalls ein Feststellungsurteil mit der Einschränkung habe erwirkt werden können, dass der Versicherer wegen des Schadensersatzanspruchs Deckung zu gewähren habe, soweit sich dieser als begründet erwiese, weshalb noch ein getrennter Haftpflichtprozess zu führen wäre.

12II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

131. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass bereits das in der Haftpflichtversicherung grundsätzlich geltende Trennungsprinzip einem Erfolg der Klagen gegen den Versicherer von vornherein entgegengestanden habe.

14a) Dieses Trennungsprinzip besagt, dass grundsätzlich im Haftpflichtprozess zu entscheiden ist, ob und in welcher Höhe der Versicherungsnehmer dem Dritten gegenüber haftet, und im Deckungsprozess geklärt wird, ob der Versicherer dafür eintrittspflichtig ist (Senatsurteil vom - IV ZR 168/09, VersR 2011, 1003 Rn. 16 m.w.N.; st. Rspr.).

15Das ist im Streitfall nicht deshalb anders, weil über den Nachlass des haftpflichtigen Notars das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet worden ist. Ein Direktanspruch des Geschädigten, wie er heute in § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VVG geregelt ist, besteht nicht, weil die Pflichtverletzung des Notars im Jahre 2001 geschah, der Versicherungsfall also vor dem Stichtag des Art. 1 Abs. 2 EGVVG eintrat und deshalb das Versicherungsvertragsgesetz in der bis zum geltenden Fassung (im Folgenden VVG a.F.) anzuwenden ist. Den Klägern stand daher lediglich das Absonderungsrecht des § 157 VVG a.F. zu (vgl. auch § 110 VVG 2008).

16Zwar kann dieses Recht auf abgesonderte Befriedigung ebenfalls dazu führen, dass der Geschädigte den Haftpflichtversicherer des Schädigers auch ohne Pfändung und Überweisung des Deckungsanspruchs unmittelbar auf Zahlung in Anspruch nehmen kann. Dies gilt aber nur, wie der Senat mehrfach entschieden hat, unter der weiteren Voraussetzung, dass der Haftpflichtanspruch des Geschädigten gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. festgestellt worden ist, weil dieser durch § 157 VVG a.F. keine weitergehende Rechtsstellung als der Versicherungsnehmer erlangt (, VersR 2004, 634 unter II 2 juris Rn. 11; vom - IV ZR 131/92, VersR 1993, 1222 unter 1 b juris Rn. 7; vom - IV ZR 264/89, VersR 1991, 414 unter 2 juris Rn. 16). An einer solchen Feststellung fehlte es hier. Insbesondere hatte die Insolvenzverwalterin den Anspruch nicht anerkannt.

17b) Verkannt hat das Berufungsgericht aber, dass eine Ausnahme vom Grundsatz der Notwendigkeit vorheriger Feststellung des Haftpflichtanspruchs im Falle einer wirksamen Abtretung des Deckungsanspruchs an den Geschädigten gilt, so dass sich Haftungs- und Deckungsanspruch in einer Hand vereinigen, wie der Senat ebenfalls bereits in zwei Fällen entschieden hat (, VersR 1980, 522 unter I juris Rn. 10 und vom - IV ZR 102/74, VersR 1975, 655 unter 1 b juris Rn. 13 f.).

18Diese Ausnahme gilt nicht nur für die dort entschiedenen Sachverhalte einer Abtretung nach § 38 Abs. 3 KVO oder bei Transportverträgen, die dem Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) unterliegen. Vielmehr hat der Senat in der jüngeren der beiden Entscheidungen ganz allgemein ausgesprochen, dass die Gründe, die gegen die Behandlung der Haftpflichtfrage und der Deckungsfrage in einem einheitlichen Prozess sprechen, dann nicht durchgreifen, wenn der Schädiger seine Deckungsansprüche wirksam an den Geschädigten abgetreten hat (Senatsurteil vom aaO). Auch im vorherigen Urteil hat er bereits allgemein ausgeführt, dass das Trennungsprinzip in Fällen entwickelt worden ist, in denen Haftpflichtanspruch und Deckungsanspruch nicht in einer Hand vereinigt waren (Senatsurteil vom aaO juris Rn. 13), dass der Haftpflichtgläubiger aber nach einer wirksamen Abtretung den Versicherer auch dann auf Zahlung in Anspruch nehmen könne, wenn die Haftpflichtfrage im Haftpflichtverhältnis noch nicht geklärt sei (ebenso OLG Stuttgart VersR 2000, 881 juris Rn. 27; a.A. KG VersR 2007, 349 unter 1 b juris Rn. 20). Der unmittelbare Zahlungsanspruch in diesem Fall folge auch aus dem Umstand, dass Haftpflichtanspruch und Deckungsanspruch nunmehr in einer Hand vereinigt seien; es sei nicht einzusehen, warum der Haftpflichtgläubiger, dem nach der Abtretung beide Ansprüche zustehen, in einem Deckungsprozess die Haftpflichtfrage nicht zur Vorfrage machen dürfe (Senatsurteil vom aaO unter 1 b juris Rn. 14).

19Anderes ergibt sich nicht aus dem Senatsurteil vom (IV ZR 223/99, VersR 2001, 90). Diese Entscheidung befasst sich nur mit dem dort hilfsweise verfolgten Deckungsanspruch, nachdem die Revision wegen des abgewiesenen Zahlungsanspruchs nicht angenommen worden war. Die Feststellung einer wirksamen Abtretung des Deckungsanspruchs liegt diesem Urteil nicht zugrunde.

20Auch die herrschende Meinung in der Literatur ist bereits für das VVG a.F. davon ausgegangen, dass der Geschädigte, dem der Deckungsanspruch wirksam abgetreten ist, direkte Zahlungsklage gegen den Versicherer erheben kann (Voit/Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 156 Rn. 11; Baumann, VersR 2010, 984, 985 f.; Hösker, VersR 2013, 952, 954; v. Rintelen in Späte/Schimikowski, Haftpflichtversicherung 2. Aufl. 1 AHB Rn. 359).

21c) Danach stand das Trennungsprinzip einem Klageerfolg nicht entgegen, sofern die Abtretung des Deckungsanspruchs auch ohne Zustimmung des Versicherers wirksam war bzw. der Versicherer sich auf seine fehlende Zustimmung wegen Treuwidrigkeit nicht berufen durfte. In diesem Fall wäre eine Klärung der Haftpflichtfrage bei richtiger Rechtsanwendung durch die Gerichte gewährleistet gewesen und die erhobenen Klagen wären nicht von vornherein wirtschaftlich sinnlos gewesen, so dass die Beklagte jedenfalls die vom Berufungsgericht angenommene Pflichtverletzung nicht begangen hat.

222. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO); ob die Beklagte den Klägern anderweitig wegen Anwaltsverschuldens haftet, kann aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden.

23Der Rechtsanwalt muss die Erfolgsaussichten des Begehrens seines Mandanten umfassend prüfen und den Mandanten hierüber belehren. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist. Die mit der Erhebung einer Klage verbundenen Risiken muss der Rechtsanwalt nicht nur benennen, sondern auch deren ungefähres Ausmaß abschätzen (, VersR 2013, 102 Rn. 22 m.w.N.; st. Rspr.).

24Insoweit stellt sich die Frage, ob die Beklagte über das Risiko, dass die Abtretung an die Kläger möglicherweise unwirksam war, ausreichend belehrt hat. Da die Wirksamkeit der Abtretung nach einer in den Versicherungsbedingungen enthaltenen Klausel von der Zustimmung des Versicherers abhängen sollte, konnten die Klagen nur Erfolg haben, wenn das Berufen des Versicherers auf die fehlende Zustimmung treuwidrig war.

25Ob insoweit eine zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung der Beklagten auch unbeschadet des bei wirksamer Abtretung nicht eingreifenden Trennungsprinzips zu bejahen ist, kann im gegenwärtigen Verfahrensstand nicht beurteilt werden. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - bislang ebenso keine Feststellungen getroffen wie zu der Frage, ob eine eventuelle Pflichtverletzung kausal für die Entscheidung der Kläger zur Klageerhebung gegen den Versicherer gewesen ist. Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um ihm die Nachholung dieser Feststellungen zu ermöglichen.

Felsch                                Dr. Karczewski                               Lehmann

              Dr. Brockmöller                                Dr. Bußmann

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:200416UIVZR531.14.0

Fundstelle(n):
DStRE 2017 S. 574 Nr. 9
MAAAI-33105