Zulässigkeit der Berufung in einer Familiensache bei Falschbezeichnung der angefochtenen Entscheidung und des statthaften Rechtsmittels
Leitsatz
Die Berufung ist auch bei Falschbezeichnung der angefochtenen Entscheidung und des statthaften Rechtsmittels in der Rechtsmittelfrist zulässig eingelegt, wenn das Berufungsgericht sie vor Ablauf der Rechtsmittelfrist anhand der vorliegenden Akten eindeutig zugeordnet hat.
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 517 ZPO, § 519 Abs 3 ZPO
Instanzenzug: Az: II-1 UF 295/11vorgehend AG Bielefeld Az: 34 F 869/09
Gründe
I.
1Die Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Das Familiengericht hat der Abänderungsklage des unterhaltspflichtigen Klägers durch ein am verkündetes Anerkenntnisteil- und Schlussurteil unter Zurückweisung seines weitergehenden Antrags teilweise stattgegeben. Das Urteil ist dem Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden.
2Mit einem an das Amtsgericht gerichteten Telefax vom , ausweislich des Sendevermerks des Faxgeräts abgesandt am und bei der Geschäftsstelle des Amtsgerichts eingegangen am , hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Angabe des Kurzrubrums "B. ./. dto." sowie des erstinstanzlichen Aktenzeichens "gegen den Beschluss des Gerichts vom " Beschwerde eingelegt, gleichzeitig um Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nachgesucht und sich Antragstellung und Begründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Am selben Tag () ist auch das Original dieses Schriftsatzes bei der erstinstanzlichen Posteingangsstelle eingegangen. Auf richterliche Verfügung hat das Amtsgericht die Rechtsmittelschrift nebst Akte an das Oberlandesgericht übersendet, wo beides am eingegangen ist.
3Zwischenzeitlich hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit einem weiteren Telefax vom , das ausweislich des Sendevermerks am um 18:20 Uhr abgesendet worden ist und ausweislich des Empfangsvermerks des Telefaxgeräts der amtsgerichtlichen Posteingangsstelle dort am Freitag, den , um 6:22 Uhr eingegangen ist, auf seine eingelegte Beschwerde Bezug genommen und angegeben, dass es sich dabei um einen Schreibfehler gehandelt habe. Tatsächlich solle sich die Beschwerde gegen den "Beschluss vom " richten. Dem Schreiben hat er eine entsprechend berichtigte Beschwerdeschrift beigefügt. Die Amtsrichterin hat am selben Tag die Weiterleitung an das Oberlandesgericht verfügt. Die Geschäftsstelle des Amtsgerichts hat die Verfügung am Montag, den ausgeführt, dem Tag, an dem auch das Original des Schriftsatzes beim Amtsgericht eingegangen ist. Beides - Telefax und Original - ist am beim Oberlandesgericht eingegangen.
4Mit Beschluss vom hat das Oberlandesgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe mit der Begründung verweigert, das Rechtsmittel sei in unzulässiger Weise eingelegt.
5Mit einem weiteren, nicht unterzeichneten und auf den datierten Telefax, welches nach dem Sendevermerk am um 10:31 Uhr abgesendet worden und ausweislich des Empfangsberichts am selben Tag um 9:27 Uhr beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat der Kläger eine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat beantragt. Den Antrag hat der Vorsitzende unter Hinweis auf die bereits am abgelaufene Begründungsfrist abgelehnt.
6Daraufhin hat der Kläger mit einem am als Telefax und am im Original eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und das Rechtsmittel in der Sache begründet.
7Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
8Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anzuwenden, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100).
91. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.
102. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Statthaftes Rechtsmittel gegen das angefochtene Urteil sei die Berufung, die innerhalb der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht hätte eingehen müssen. Unerlässlich sei dabei die Bezeichnung des Urteils, gegen welches sich die Berufung richte, sowie die Erklärung, dass Berufung eingelegt werde. Zweifel oder Mehrdeutigkeiten könnten durch beigefügte Unterlagen oder andere Erklärungen, die das Rechtsmittelgericht noch innerhalb der Rechtmittelfrist erreichten, ausgeräumt werden, spätere "klarstellende" Parteierklärungen jedoch nicht berücksichtigt werden.
11Hier habe der Klägervertreter das Datum der Zustellung nicht genannt und auch keine Abschrift der anzufechtenden Entscheidung eingereicht. Insbesondere habe er nicht "Berufung", sondern "Beschwerde" eingelegt, dies nicht gegenüber dem Rechtsmittelgericht getan, sondern gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht und er habe die anzufechtende Entscheidung nicht als das am verkündete Urteil, sondern als Beschluss vom bezeichnet und damit eine Entscheidung benannt, die im vorliegenden Verfahren als Prozesskostenhilfebeschluss tatsächlich - antragsgemäß - zu seinen Gunsten ergangen sei. Damit habe er die Formalien einer Beschwerde gegen die im Prozesskostenhilfeverfahren ergangene Entscheidung erfüllt. Die Erklärung sei ihrem Erklärungswert nach eindeutig und somit keiner Auslegung zugänglich. Immerhin sei auch der Kläger selbst der Auffassung, dass sein Rechtsmittel unzulässig war, andernfalls hätte er keine Klarstellung für erforderlich erachtet. Seine Klarstellung sei jedoch trotz unverzüglicher Weiterleitung durch das Amtsgericht erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangen und könne damit nicht mehr berücksichtigt werden. Die Berufung sei daher bereits nicht in zulässiger Weise eingelegt worden.
12Zudem sei die Berufung nicht rechtzeitig begründet worden. Die Frist zur Berufungsbegründung habe am Montag, den geendet. Bis zu dem Zeitpunkt habe dem Oberlandesgericht ein Verlängerungsantrag nicht vorgelegen.
13Auch sei keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil der Kläger nicht glaubhaft gemacht habe, dass er die Fristen ohne Verschulden versäumt habe. Bei der Berufungseinlegung habe der Kläger nach Erkennen seines Irrtums mit der Absendung seines zweiten Telefaxes nicht bis zum Abend des 17. November zuwarten dürfen, weil er zu dem Zeitpunkt unter gewöhnlichen Umständen nicht mehr damit habe rechnen dürfen, dass das Schreiben so rechtzeitig an das Oberlandesgericht weitergeleitet werde, das es noch innerhalb der laufenden Berufungsfrist dort einginge. Hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist habe der Kläger sein fehlendes Verschulden nicht ausreichend glaubhaft gemacht, insbesondere auch nicht durch die eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten, sie habe den auf den datierten und vom Prozessbevollmächtigten unterzeichneten "Berufungsfristverlängerungsantrag" am selben Tag eingetütet und frankiert in den regulären Postgang gegeben.
143. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Oberlandesgericht hat zu Unrecht dem Kläger die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und seine Berufung verworfen.
15a) Die gegen das erstinstanzliche Urteil statthafte Berufung ist rechtzeitig durch die innerhalb der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangene erste Rechtsmittelschrift eingelegt worden. In der Rechtsmittelschrift waren sowohl das erstinstanzliche Aktenzeichen als auch das Kurzrubrum korrekt angegeben, so dass kein Zweifel bestand, welcher Rechtssache es zuzuordnen war. Auch war das Rechtsmittel von demselben Rechtsanwalt eingelegt worden, der den Kläger bereits in der Vorinstanz vertreten hatte, so dass durch einen Abgleich der Rechtsmittelschrift mit der beim Oberlandesgericht zeitgleich eingegangenen Akte nicht zweifelhaft sein konnte, für welche Partei das Rechtsmittel eingelegt war (vgl. - juris). Zwar waren in der Rechtsmittelschrift die angefochtene Entscheidung und das statthafte Rechtsmittel falsch bezeichnet; außerdem war sie unrichtiger Weise beim erstinstanzlichen Gericht statt beim Rechtsmittelgericht eingereicht worden. Hieraus konnte jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass der Kläger sich gegen den antragsgemäß zu seinen Gunsten und ratenfrei ergangenen Prozesskostenhilfebeschluss vom wenden wollte. Die Falschbezeichnungen in der Rechtsmittelschrift waren evident, weil der Kläger durch die Entscheidung vom offensichtlich nicht beschwert war. Außerdem hat der Kläger zugleich beantragt, ihm "Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren" zu bewilligen. Auch daraus wurde ersichtlich, dass sich das Rechtsmittel gegen eine Hauptsacheentscheidung - insoweit kam nur das Urteil vom in Betracht - richten sollte. Die falsche Bezeichnung der Entscheidungsform ("Beschluss" statt "Urteil") und die falsche Einlegung des Rechtsmittels beim erstinstanzlichen Gericht mögen - wie auch das Oberlandesgericht in Betracht zieht - dadurch zu erklären sein, dass vom Klägervertreter übersehen wurde, dass hier noch ein Verfahren nach dem bis zum geltenden alten Verfahrensrecht vorliegt. Sie lassen daher ebenfalls keinen Schluss darauf zu, das Rechtsmittel habe sich nicht gegen die Hauptsacheentscheidung richten sollen. Tatsächlich hat auch das Oberlandesgericht das eingelegte Rechtsmittel von Beginn an als Berufung gegen die Hauptsacheentscheidung verstanden und es entsprechend behandelt. In der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts ist die Sache als Rechtsmittel gegen eine Hauptsacheentscheidung unter dem "UF"-Registerzeichen eingetragen worden und nicht - wie bei der Beschwerde gegen einen Prozesskostenhilfebeschluss - unter dem "WF"-Registerzeichen. Als angefochtene Entscheidung hat die Geschäftsstelle eingetragen: "gegen eine sonstige Entscheidung vom ". Der Senatsvorsitzende des Oberlandesgerichts hat diese Angaben und die Aktenzeichenvergabe durch seine Eingangsverfügung vom bestätigt sowie als Gegenstand des Verfahrens die Rubrik "UF Berufung/Beschwerde Unterhalt f. d. Ehegatten / Lebenspartner" markiert und nicht die Rubrik "WF Sonstige Beschwerden VKH/PKH-Sache". Die damit verfügte Eintragung des Verfahrens als Rechtsmittel gegen die Hauptsacheentscheidung vom spiegelt den - auch objektiv zutreffenden - Empfängerhorizont des Gerichts im Zeitpunkt des Eingangs der Sache wider, noch bevor erst am darauffolgenden Tag der "klarstellende" Schriftsatz beim Oberlandesgericht vorlag.
16b) Gegen die versäumte Rechtsmittelbegründungsfrist hat das Oberlandesgericht zu Unrecht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Mittellosigkeit einer Partei einen Wiedereinsetzungsgrund i.S.v. § 233 ZPO dar, wenn sie die Ursache für die Fristversäumung ist. Das ist dann der Fall, wenn sich die Partei infolge der Mittellosigkeit außerstande sieht, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung und Begründung ihres Rechtsmittels zu beauftragen (BGH Beschlüsse vom - VIII ZB 55/10 - NJW 2011, 230 Rn. 19 und vom - V ZB 19/99, NJW 1999, 3271 unter II 3 b cc). Im Regelfall wird vermutet, dass eine Partei bis zur Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch so lange als schuldlos an der Fristwahrung gehindert anzusehen sei, wie sie nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit einer die Prozesskostenhilfe ablehnenden Entscheidung rechnen muss ( - NJW 2012, 2041 Rn. 16).
17Legt eine mittellose Partei bereits mit dem Prozesskostenhilfeantrag Berufung ein, so ist ihr hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist - bei rechtzeitig nachgeholter Prozesshandlung - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn über den Prozesskostenhilfeantrag erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist entschieden wurde und sie die Berufung deshalb nicht rechtzeitig begründen konnte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Berufungskläger sich für bedürftig halten durfte und aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, damit ohne Verzögerung über sein Prozesskostenhilfegesuch entschieden werden konnte ( - WuM 2007, 396).
18Im vorliegenden Fall ist die das Prozesskostenhilfegesuch ablehnende Entscheidung am - somit nach Ablauf der Begründungsfrist - ergangen und dem Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden. Rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der Kläger den Wiedereinsetzungsantrag mit Schriftsatz vom gestellt und zugleich die versäumte Prozesshandlung der Rechtsmittelbegründung nachgeholt.
19Auf die rechtzeitige Absendung des auf den datierten Begründungsfristverlängerungsantrags kommt es danach nicht an.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Nedden-Boeger
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
OAAAI-29809