NWB Nr. 8 vom Seite 543 Fach 27 Seite 3769

Übersicht über die Berufskrankheiten

von Dr. Peter Pulte, Duisburg

I. Vorbemerkungen

Berufskrankheiten sind gem. § 551 RVO die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. Der Begriff der ”Berufskrankheit” ist hiernach enger als der des Arbeitsunfalls.

Die Bestrebungen, den Schutz der Unfallversicherung auch auf berufsbedingte Erkrankungen auszudehnen, begegneten zunächst großen Schwierigkeiten. Vor allem blieb lange unentschieden, ob als Berufskrankheiten nur solche gelten sollten, die in bestimmten Berufen gehäuft auftreten (z. B. Staublunge im Bergbau), oder ob sich der Unfallversicherungsschutz auch auf andere Erkrankungen erstrecken sollte, sofern sie nur berufsbedingt sind. Der Gesetzgeber hat sich für die erstgenannte Regelung entschieden.

Somit enthält das Gesetz die Ermächtigung, solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind und denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Die Aufnahme einer Berufskrankheit in die Berufskrankheitenliste ist mithin eine sozialpolitische Entscheidung.

II. Inhalt der Berufskrankheitenverordnung

Die zur Zeit gültige BeKV-Liste enthält 59 Erkrankungen, wobei jeweils bestimmte Krankheiten zu Gruppen zusammengefaßt sind. Zu den Berufskrankheiten gehören insbesondere Erkrankungen durch Arsen, Asbest, Benzol, Blei, Mangan, Quecksilber, Phosphor oder deren Verbindungen, Erkrankungen durch Erschütterung bei der Arbeit mit Preßluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen sowie Lärmschwerhörigkeit, Quarzstaublungenerkrankungen (Silikose), Bronchialasthma sowie schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen.

III. Berufsbedingte Erkrankungen

An dem Prinzip der Benennung bestimmter Berufskrankheiten in der Berufskrankheitenliste hat der Gesetzgeber in allen BeKV festgehalten. Ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine Ausdehnung des Unfallversicherungsschutzes auf berufsbedingte Erkrankungen, die nicht in der Rechtsverordnung bzw. jeweils geltenden Berufskrankheitenliste aufgeführt sind, wurde mit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) von 1983 getan. Hiernach sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind. Damit soll Entschädigung für eine S. 544Krankheit, die die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Berufskrankheitenliste erfüllt, schon gezahlt werden, wenn die BeKV noch nicht entsprechend geändert oder ergänzt worden ist. Eine solche Krankheit ist zwar keine Berufskrankheit, wird aber wie eine solche entschädigt.

”Neue Erkenntnisse” liegen dann vor, wenn erst nach Erlaß der jeweils geltenden BeKV von der Wissenschaft mit genügender Sicherheit eine Krankheit als Berufskrankheit erkannt wird, so daß der Verordnungsgeber diese Berufskrankheit noch nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufnehmen konnte. Die ”übrigen Voraussetzungen” des § 551 RVO sind einmal der Erwerb der Erkrankung bei einer versicherten Tätigkeit, zum anderen das Faktum, daß die Krankheit nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht ist, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.

Lehnt allerdings der Verordnungsgeber nach erkennbarer Prüfung der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse die Aufnahme einer Erkrankung in die Berufskrankheitenliste ausdrücklich ab, so ist diese nicht mehr neu; die Erkrankung kann im Einzelfall nicht mehr anerkannt werden.

Von den in der Berufskrankheitenliste aufgeführten Berufserkrankungen und den diesen gem. § 551 Abs. 2 RVO gleichzusetzenden berufsbedingten Erkrankungen sind solche berufsbedingten Erkrankungen zu unterscheiden, die trotz Berufsbedingtheit nicht dem Unfallversicherungsschutz unterliegen, für deren Heilbehandlung also die allgemeine Krankenversicherung zuständig ist.

IV. Leistungen der Unfallversicherung

In der seit 1977 geltenden BeKV sind die versicherungsrechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen bei den Berufserkrankungen dahingehend geändert worden, daß sie nur entschädigungspflichtig sind, wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Erkrankung ursächlich waren oder sein können. Dieser versicherungsrechtliche Tatbestand tritt jedoch in den wenigsten Erkrankungsfällen ein, weshalb zwischen der Zahl der gemeldeten Erkrankungen und der Zahl der ”anerkannten Berufskrankheiten” eine große Diskrepanz besteht.

Für die Berufskrankheiten gelten die für Arbeitsunfälle maßgebenden Vorschriften entsprechend. Der Unternehmer muß bei jeder Berufskrankheit, die den Erkrankten mehr als 3 Tage arbeitsunfähig macht oder die tödlich verlaufen ist, Anzeige auf einem hierfür vorgesehenen Formblatt erstatten. Der Träger der Unfallversicherung gewährt bei Berufserkrankungen Heilbehandlung, Berufshilfe, Geldleistungen (Rente) an den Erkrankten.

Bei Berufskrankheiten richten sich die Entschädigungsleistungen nach dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die MdE resultiert in der Unfallversicherung (§ 581 RVO) aus den vorhanden gewesenen und nach einer Berufskrankheit (oder einem Arbeitsunfall) verbleibenden Arbeitsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, d. h. dem ganzen Gebiet des wirtschaftlichen Lebens. Die dem Versicherten verbleibenden Arbeitsmöglichkeiten müssen seiner Vorbildung, seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechend zumutbar sein. Streitig ist, ob schon eine MdE von 10 % ausreichend ist, oder ob eine MdE in rentenberechtigendem Grade von 20 % erforderlich ist.

V. Geltung in der ehemaligen DDR

Die genannten Vorschriften in der Unfallversicherung (§§ 551, 581 RVO) sowie die Berufskrankheitenverordnung gelten im Gebiet der ehemaligen DDR erst ab dem . Bis dahin gelten die §§ 220 und 221 des Arbeitsgesetzbuches der DDR, die Berufskrankheiten-VO v. 26. 2. 1981 (GBl I S. 137) und die Liste der Berufskrankheiten v. (GBl I S. 139, ber. S. 312) weiter. S. 545

VI. Katalog der anerkannten Berufskrankheiten

Nr. Krankheiten


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1     Durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten
11    Metalle oder Metalloide
1101  Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen
1102  Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen
1103  Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen
1104  Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen
1105  Erkrankungen durch Mangan oder seine Verbindungen
1106  Erkrankungen durch Thallium oder seine Verbindungen
1107  Erkrankungen durch Vanadium oder seine Verbindungen
1108  Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen
1109  Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen
      Verbindungen
1110  Erkrankungen durch Beryllium oder seine Verbindungen
12    Erstickungsgase
1201  Erkrankungen durch Kohlenmonoxid
1202  Erkrankungen durch Schwefelwasserstoff
13    Lösemittel, Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) und
      sonstige chemische Stoffe
1301  Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der
      Harnwege durch aromatische Amine
1302  Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe
1303  Erkrankungen durch Benzol oder seine Homologe
1304  Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols
      oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge
1305  Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff
1306  Erkrankungen durch Methylalkohol (Methanol)
1307  Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen
1308  Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen
1309  Erkrankungen durch Salpetersäureester
1310  Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder
      Alkylaryloxide
1311  Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder
      Alkylarylsulfide
1312  Erkrankungen der Zähne durch Säuren
1313  Hornhautschädigungen des Auges durch Benzochinon
1314  Erkrankungen durch para-tertiär-Butylphenol

Zu den Nummern 1101 bis 1110, 1201 und 1202, 1303 bis 1309: Ausgenommen sind Hauterkrankungen. Diese gelten als Krankheiten i. S. dieser Anlage nur insoweit, als sie Erscheinungen einer Allgemeinerkrankung sind, die durch Aufnahme der schädigenden Stoffe in den Körper verursacht werden, oder gemäß Nummer 5101 zu entschädigen sind.


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2     Durch physikalische Einwirkungen verursachte Krankheiten
21    Mechanische Einwirkungen
2101  Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes
      sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung
      aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung,
      die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit
      ursächlich waren oder sein können
2102  Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig
      wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich
      belastenden Tätigkeiten
2103  Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit
      Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen
      oder Maschinen
2104  Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die
      zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für
      die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben
      der Krankheit ursächlich waren oder sein können
2105  Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel durch ständigen
      Druck
2106  Drucklähmung der Nerven
2107  Abrißbrüche der Wirbelfortsätze S. 546
22 Druckluft
2201  Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft
23    Lärm
2301  Lärmschwerhörigkeit
24    Strahlen
2401  Grauer Star durch Wärmestrahlung
2402  Erkrankungen durch ionisierende Strahlen
3     Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte
      Krankheiten  sowie Tropenkrankheiten
3101  Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im
      Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem
      Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der
      Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war
3102  Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten
3103  Wurmkrankheit der Bergleute, verursacht durch Ankylostoma
      duodenale oder Strongyloides stercoralis
3104  Tropenkrankheiten, Fleckfieber
4     Erkrankungen der Atemwege und der Lungen, des Rippenfells
      und Bauchfells
41    Erkrankungen durch anorganische Stäube
4101  Quarzstaublungenerkrankung (Silikose)
4102  Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver
      Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose)
4103  Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch
      Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura
4104  Lungenkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung
      (Asbestose) oder mit durch Asbeststaub verursachter
      Erkrankung der Pleura
4105  Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells und
      des Bauchfells
4106  Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch
      Aluminium oder seine Verbindungen
4107  Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallstäube bei der
      Herstellung oder Verarbeitung von Hartmetallen
4108  Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch
      Thomasmehl (Thomasphosphat)
4109  Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch
      Nickel oder seine Verbindungen
4110  Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch
      Kokereirohgase
42    Erkrankungen durch organische Stäube
4201  Exogen-allergische Alveolitis
4202  Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch
      Rohbaumwoll-, Rohflachs- oder Rohhanfstaub (Byssinose)
4203  Adenokarzinome der Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen durch
      Stäube von Eichen- oder Buchenholz
43    Obstruktive Atemwegserkrankungen
4301  Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive
      Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die zur
      Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die
      Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der
      Krankheit ursächlich waren oder sein können
4302  Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe
      verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur
      Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die
      Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der
      Krankheit ursächlich waren oder sein können
5     Hautkrankheiten
5101  Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die
      zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für
      die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben
      der Krankheit ursächlich waren oder sein können
5102  Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautveränderungen
      durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen, Pech oder ähnliche
      Stoffe
6     Krankheiten sonstiger Ursache
6101  Augenzittern der Bergleute

Fundstelle(n):
NWB Fach 27 Seite 3769 - 3772
NWB1991 Seite 543 - 546
YAAAA-83806