BGH Beschluss v. - V ZB 238/11

Abschiebungshaftsache: Notwendige Beschwerdeentscheidung bei einer Beschwerde gegen die Haftanordnung oder einem Antrag auf Haftaufhebung verbunden mit einem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung

Leitsatz

Hat ein sich in Abschiebungshaft befindlicher Ausländer die Beschwerde gegen die Haftanordnung nach §§ 58 ff. FamFG oder den Antrag auf Haftaufhebung nach § 426 FamFG zulässigerweise mit dem Antrag analog § 62 FamFG verbunden, festzustellen, dass er durch die angefochtene Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist, muss das Beschwerdegericht über beide Anträge entscheiden; die Feststellung nach § 62 FamFG wird mit der Aufhebung der Haftanordnung durch das Beschwerdegericht nicht entbehrlich.

Gesetze: § 58 FamFG, §§ 58ff FamFG, § 62 FamFG, § 426 FamFG, Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 19 Abs 4 GG

Instanzenzug: LG Stade Az: 9 T 98/11vorgehend AG Zeven Az: 6 XIV 335 B

Gründe

I.

1Der Betroffene, ein senegalesischer Staatsbürger, hielt sich auf Grund einer ihm befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis zur Durchführung eines Studiums in Deutschland auf. Im November 2009 wurde eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und der Betroffene unter Androhung seiner Abschiebung in den Senegal aufgefordert, das Bundesgebiet bis zum zu verlassen. Der Betroffene, der seitdem nicht auffindbar war, wurde im August 2011 bei einer Verkehrskontrolle festgenommen; anschließend ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 2 (Ausländerbehörde) Abschiebungshaft gegen ihn an.

2Der Betroffene hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt, verbunden mit dem Antrag auf Feststellung, durch ihn in seinen Rechten verletzt zu sein. Das die Haftanordnung aufgehoben und die unverzügliche Entlassung des Betroffenen aus der Haft angeordnet, über den Feststellungsantrag jedoch nicht entschieden. Den danach von dem Betroffenen erneut gestellten Feststellungsantrag hat es mit Beschluss vom als unzulässig zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3Das Beschwerdegericht meint, der Feststellungsantrag sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da bereits in dem auf die Beschwerde ergangenen Beschluss ausgesprochen worden sei, dass die Abschiebungshaft wegen Fehlens des erforderlichen Einvernehmens der Staatsanwaltschaft (§ 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) nicht hätte angeordnet werden dürfen. Von daher verstehe es sich von selbst, dass der Betroffene durch den Beschluss des Amtsgerichts in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden sei. Die erstrebte Feststellung würde die Rechtsposition des Betroffenen nicht stärken, da die Entscheidung über die Beschwerde bereits die Feststellung enthalte, dass die Haftanordnung von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Diese Feststellung sei auch in einem möglichen Amtshaftungsprozess bindend.

III.

4Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG i.V.m. mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte (Senat, Beschluss vom - V ZB 172/09, FGPrax 210, 150, 151 Rn. 9 f.) und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist begründet.

51. Das Beschwerdegericht hat den Antrag des Betroffenen, analog § 62 FamFG die Rechtswidrigkeit des die Abschiebungshaft anordnenden Beschlusses des Amtsgerichts festzustellen, zu Unrecht als unzulässig verworfen.

6a) Bei rechtswidrigen Freiheitsentziehungen ist ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen an der richterlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft anzuerkennen, das weder von dem Ablauf des Verfahrens noch von dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme abhängt (Senat, Beschluss vom - V ZB 78/10, FGPrax 2011, 39 Rn. 12). Hat ein sich in Abschiebungshaft befindlicher Ausländer die Beschwerde gegen die Haftanordnung nach §§ 58 ff. FamFG oder den Antrag auf Haftaufhebung nach § 426 FamFG zulässigerweise mit dem Antrag analog § 62 FamFG verbunden, festzustellen, dass er durch die angefochtene Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 78/10, FGPrax 2011, 39 Rn. 13 und vom - V ZB 318/10, Rn. 16, juris), muss das Beschwerdegericht über beide Anträge entscheiden.

7Die Anträge verfolgen nicht dasselbe Rechtsschutzziel. Ziel einer Beschwerde gegen die Haftanordnung oder eines Antrags auf Haftaufhebung ist die Beseitigung der Freiheitsentziehung. Ziel des Feststellungsantrags ist die Rehabilitierung des Betroffenen in Bezug auf den mit der Haftanordnung verbundenen Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens (Senat, Beschluss vom - V ZB 314/10, FGPrax 2012, 44, 45 Rn. 14). Den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz bei Freiheitsentziehungen (Art. 19 Abs. 4 i.V.m. Art 2 Abs. 2 Satz 2 GG) wird bei unrechtmäßigen Inhaftierungen nur entsprochen, wenn dem Rehabilitierungsinteresse umfassend Rechnung getragen wird (vgl. BVerfGE 104, 202, 235). Vor diesem Hintergrund ist auf einen Antrag des Betroffenen, die Verletzung seiner Rechte durch die Inhaftierung auch dann auszusprechen, wenn das Beschwerdegericht mit der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Haftanordnung die Freiheitsentziehung beendet.

8b) Darüber hinaus sind die Ausführungen des Beschwerdegerichts zur Bindungswirkung seiner Entscheidung bei einer von dem Betroffenen geltend gemachten Haftentschädigung in der Sache nicht richtig.

9An die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist das über eine Haftentschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK entscheidende Gericht nur insoweit gebunden, als es in jenem Verfahren davon ausgehen muss, dass die Haftanordnung in dem Beschwerdeverfahren aufgehoben wurde (vgl. , BGHZ 103, 242, 245). Dass die Haft von Beginn an rechtswidrig war, steht dagegen nur dann fest, wenn das Beschwerdegericht auch dies gemäß § 62 FamFG im Tenor festgestellt hat (vgl. , NVwZ 2006, 960, 961 Rn. 7). An die Gründe eines die Haftanordnung aufhebenden Beschlusses ist das über eine Entschädigung befindende Gericht dagegen nicht gebunden, auch wenn es sich in der Regel daran orientieren wird (vgl. OLG Celle, InfAuslR 2009, 28). Da das aber nicht so sein muss und der Hinweis auf die Beschlussgründe deswegen mit Unsicherheiten behaftet ist, hat der Betroffene ein berechtigtes Interesse daran, dass die Rechtsverletzung durch das Beschwerdegericht in einer auch für andere Verfahren und Gerichtsbarkeiten bindenden Form festgestellt wird.

102. In der Sache ist der Feststellungsantrag begründet, da - wie in der Entscheidung über die Beschwerde ausgeführt - die Abschiebungshaft wegen des Fehlens des nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens notwendigen Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung (§ 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) nicht hätte angeordnet werden dürfen.

IV.

11Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 128c Abs. 3 Satz 2, § 30 Abs. 2 KostO. Der Kostenausspruch hat - soweit über die Kosten bereits im nicht angefochtenen entschieden worden ist - lediglich klarstellende Bedeutung.

Stresemann                                               Lemke                                           Schmidt-Räntsch

                                Czub                                                Kazele

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
QAAAI-28832