Insolvenzfestigkeit einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachten Pfändung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung
Leitsatz
Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachte Pfändung des erst nach Aufhebung des Verfahrens entstehenden Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne des § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG insolvenzfest ist.
Gesetze: § 91 Abs 1 InsO, § 1b Abs 2 S 1 BetrAVG
Instanzenzug: Az: 2 T 175/11vorgehend AG Stuttgart-Bad Cannstatt Az: 6 M 13374/05
Gründe
I.
1Wegen einer Hauptforderung in Höhe von 80.000 € nebst Zinsen und Kosten erwirkte der Gläubiger am einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen die Schuldnerin. Gepfändet wurden Ansprüche der Schuldnerin auf die Versicherungssumme aus zwei mit der Drittschuldnerin geschlossenen Lebensversicherungsverträgen. Die Pfändung bezog "künftig fällig werdende Ansprüche" sowie "das Recht auf Kündigung und Umwandlung der Versicherung" ein.
2Bei den Lebensversicherungsverträgen handelte es sich um Direktversicherungen im Sinne des § 1b Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz - BetrAVG), welche der Arbeitgeber der Schuldnerin abgeschlossen hatte. Der Erlebensfall sollte am und am eintreten und sah jeweils eine Kapitalleistung der Drittschuldnerin vor.
3Am wurde über das Vermögen der Schuldnerin ein Insolvenzverfahren eröffnet. Nachdem die Schuldnerin am aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war, bezog sie am eine Rente der D. und eine solche ihres ehemaligen Arbeitsgebers. Spätestens am begann die Wohlverhaltensphase zur Erlangung der Restschuldbefreiung.
4Mit Vollstreckungserinnerung von diesem Tag hat sich die Schuldnerin gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom gewandt. Die Erinnerung ist erfolglos geblieben. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Beschwerdegericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass (nur) die zukünftigen Ansprüche der Schuldnerin auf Auszahlung der Versicherungssummen gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen werden. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin sinngemäß weiterhin die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erreichen.
II.
5Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
61. Unter Hinweis auf eine Entscheidung des , WM 2010, 2366) hat das Beschwerdegericht die Ansicht vertreten, der Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung sei bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls pfändbar. § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG in Verbindung mit § 851 Abs. 1 ZPO stehe nicht entgegen. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei auch nicht im Hinblick auf das im Jahr 2006 eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wegen eines sich aus § 91 Abs. 1 InsO ergebenden Erwerbsverbots aufzuheben. Der Gläubiger habe schon vor Verfahrenseröffnung eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der gepfändeten künftigen Forderungen erlangt.
72. Dies hält rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.
8a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne von § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls als zukünftige Forderung pfändbar ( aaO Rn. 9f). Dies hat das Beschwerdegericht mit Recht erkannt und wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt.
9b) Auch § 91 Abs. 1 InsO vermag die Aufhebung des vom Beschwerdegericht auf die zukünftigen Ansprüche der Schuldnerin auf Auszahlung der Versicherungssummen beschränkten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht zu begründen.
10aa) Nach § 91 Abs. 1 InsO können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Wird eine künftige Forderung gepfändet, entsteht das Pfandrecht erst mit der Begründung der voraus gepfändeten Forderung. Wegen § 91 Abs. 1 InsO kann in diesem Fall der Pfandgläubiger an der Forderung zu Lasten der Masse kein Pfandrecht erwerben. Dies gilt auch für die Pfändung einer aufschiebend bedingten Forderung. § 91 Abs. 1 InsO schont jedoch solche Erwerbsanwärter, die bereits eine gesicherte Rechtsstellung an dem Erwerbsgegenstand erworben haben. Wenn der Pfandrechtsgläubiger schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der gepfändeten Forderung erlangt hat, ist die Pfändung insolvenzfest (, WM 2012, 549 Rn. 29 ff; vgl. auch , BGHZ 191, 277 Rn. 9; vom - IX ZR 62/12, WM 2013, 1040 Rn. 27). Diese Grundsätze gelten auch für die Pfändung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne von § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG.
11bb) Im Streitfall fehlt es schon an einem Rechtserwerb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
12(1) Die Regelungen der §§ 80 ff InsO gelten nur für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens. Über den Wortlaut des § 91 Abs. 1 InsO hinaus reicht ein Rechtserwerb irgendwann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens deshalb nicht aus; er muss vielmehr vor Beendigung des Verfahrens erfolgen. Eine Anwendung des § 91 Abs. 1 InsO nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens kommt nur in Betracht, wenn und soweit es sich um einen der Nachtragsverteilung nach § 203 Abs. 1 InsO unterliegenden Gegenstand der Masse handelt (vgl. Piekenbrock in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 91 Rn. 2; vgl. auch , WM 2008, 305 Rn. 10).
13Vorliegend begann spätestens im Zeitpunkt der Einlegung der Vollstreckungserinnerung am die Wohlverhaltensphase. Dies setzt eine vorherige Beendigung des Insolvenzverfahrens voraus (vgl. D. Fischer in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, aaO § 291 Rn. 2; MünchKomm-InsO/Stephan, 3. Aufl., § 291 Rn. 35; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., Vorbemerkung zu § 286 Rn. 40). Ein durch § 91 Abs. 1 InsO möglicherweise gesperrter Pfändungspfandrechtserwerb hätte sich daher nach Verfahrenseröffnung und vor dem vollziehen müssen. Davon ist nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht auszugehen. Die Rechtsbeschwerde zeigt übergangenen Vortrag der insoweit darlegungsbelasteten Schuldnerin (vgl. , WM 2014, 2052 Rn. 15; Sternal in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 2. Aufl., § 766 Rn. 48; MünchKomm-ZPO/Schmidt/Brinkmann, 4. Aufl., § 766 Rn. 45; Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 766 Rn. 27) nicht auf.
14(2) Bei einer Direktversicherung handelt es sich nach der Legaldefinition des § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG um eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers, die durch den Arbeitgeber für die betriebliche Altersversorgung abgeschlossen und bei der das Bezugsrecht ganz oder teilweise dem Arbeitnehmer oder seinen Hinterbliebenen eingeräumt wird. Das Rechtsverhältnis des Arbeitgebers zum Versicherer und damit auch das dem Arbeitnehmer eingeräumte Bezugsrecht richten sich allein nach dem Versicherungsvertrag. Demgegenüber beurteilen sich die auf die Versicherung bezogenen Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer nach dem zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnis (, WM 2014, 2183 Rn. 11; BAGE 73, 209, 213; 134, 372 Rn. 17; vgl. auch , VersR 1996, 1089). Ob es zu einem Rechtserwerb der Schuldnerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekommen ist, beurteilt sich nach den Regelungen des Versicherungsvertrags. Vorausgesetzt ist der Eintritt eines die Schuldnerin berechtigenden Versicherungsfalls vor der Beendigung des Insolvenzverfahrens.
15Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts sollte der jeweilige Erlebensfall erst im Laufe des Jahrs 2014 eintreten, mithin nach Beendigung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Ein früherer Eintritt des Versicherungsfalls ist nicht ersichtlich. Zu Unrecht verweist die Rechtsbeschwerde auf § 6 BetrAVG. Diese Bestimmung regelt das arbeitsrechtliche Versorgungsverhältnis, schafft jedoch keinen Versicherungsfall im Sinne des § 159 VVG (BAGE 79, 360, 366 ff; zu § 166 VVG aF). Dass in den streitbefangenen Versicherungsverträgen der Versorgungsfall des § 6 BetrAVG zum Versicherungsfall bestimmt worden wäre, ist nicht festgestellt und wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt. Auf die Frage, ob der Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition erlangt hat, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.
Kayser Gehrlein Vill
Fischer Grupp
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2015 S. 12 Nr. 5
NAAAI-26905