Kleine dynamische Bezugnahmeklausel - Tarifsukzession - ergänzende Vertragsauslegung - Chefarztvergütung
Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 242 BGB, § 2 Abs 1 TVÜ-VKA, § 4 Abs 1 TVÜ-VKA, § 17 Abs 2 TVÜ-VKA, § 19 Abs 2 TVÜ-VKA, § 1 Abs 2 TV-Ärzte/VKA, § 16 TV-Ärzte/VKA, § 305c Abs 2 BGB
Instanzenzug: Az: 1 Ca 840/08 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 19 Sa 1681/09 19 Sa 1742/09 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung Vergütung nach dem zwischen dem Marburger Bund und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) geschlossenen Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom (im Folgenden: TV-Ärzte/VKA) beanspruchen kann.
2Die nicht tarifgebundene Beklagte betreibt ein Krankenhaus. Der Kläger, Mitglied im Marburger Bund, ist seit dem für die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgänger als Chefarzt der Radiologie tätig.
Im Arbeitsvertrag von 1994 heißt es ua.:
4Daneben haben die Parteien ein Liquidationsrecht des Klägers vereinbart sowie eine übertarifliche Garantiezahlung, soweit die Einkünfte aus den Liquidationsrechten einen monatlichen Fixbetrag nicht erreichen.
5Nach der Ersetzung des Bundes-Angestelltentarifvertrags (im Folgenden: BAT) durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom (im Folgenden: TVöD) zum vergütete die Beklagte den Kläger weiter nach VergGr. I BAT-West.
6Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe eine Vergütung nach Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte/VKA zu. Eine ergänzende Vertragsauslegung ergebe die Anwendung der Vergütungsregelungen des TV-Ärzte/VKA. Bei letzterem handele es sich um einen seit dem geltenden speziellen Ärztetarifvertrag für die an kommunalen Krankenhäusern beschäftigten Ärztinnen und Ärzte.
Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - sinngemäß beantragt,
8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Der Vertrag sei nicht lückenhaft, der Kläger sei weiter nach VergGr. I des BAT-West zu vergüten. Chefärzte seien vom jeweiligen Geltungsbereich jedes der infrage kommenden Tarifverträge ausgenommen worden. Selbst wenn man von einer Regelungslücke ausgehe, müsse diese nach Entgeltgruppe 15Ü TVöD geschlossen werden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich der geltend gemachten Vergütungsansprüche nach der Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA stattgegeben und sie abgewiesen, soweit der Kläger weitergehende Vergütungsansprüche geltend gemacht hat. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Parteien zurückgewiesen. Der Kläger hat die von ihm eingelegte Revision zurückgenommen. Die Beklagte verfolgt mit der Revision das Klageabweisungsbegehren weiter.
Gründe
10Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA.
11I. Der TV-Ärzte/VKA findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Unabhängig von der fehlenden beiderseitigen Tarifgebundenheit gilt der TV-Ärzte/VKA nach seinem § 1 Abs. 2 nicht für Chefärzte, deren Arbeitsbedingungen einzelvertraglich vereinbart worden sind. Darüber hinaus sind nach § 16 Buchst. d TV-Ärzte/VKA in Entgeltgruppe IV (nur) Leitende Oberärzte, denen die ständige Vertretung des Chefarztes übertragen ist (zu den Eingruppierungsmerkmalen des § 16 Buchst. d TV-Ärzte/VKA vgl. - AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 5), nicht aber Chefärzte eingruppiert.
12II. Ein Anspruch des Klägers auf Vergütung nach Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA ergibt sich nicht aus dem Arbeitsvertrag.
13Gemäß § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags erhält der Kläger für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich eine Vergütung entsprechend der VergGr. I BAT-West der Anlage 1a zum BAT-West. Diese Vereinbarung enthält eine kleine dynamische Bezugnahme.
141. Bei § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags handelt es sich nach der Rechtsprechung des Senats ( - 5 AZR 363/05 - Rn. 20 ff., BAGE 117, 155; vgl. auch - Rn. 18, BAGE 128, 73) um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB). Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten ( - Rn. 24 mwN, BAGE 126, 198). Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist durch das Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen ( - Rn. 13, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 58 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 13).
152. Danach enthält § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags eine kleine dynamische Bezugnahme.
16In § 4 Abs. 1 knüpfen die vertragsschließenden Parteien die Vergütung, obwohl leitende Ärzte (Chefärzte) nach § 3 Buchst. i BAT von dessen Geltungsbereich ausgenommen sind und dementsprechend die Vergütungsordnungen zum BAT keine Eingruppierungsmerkmale für Chefärzte enthalten, pauschal an die VergGr. I der Anlage 1a zum BAT-West einschließlich der in § 26 BAT vorgesehenen Struktur einer Gesamtvergütung bestehend aus der Grundvergütung und dem Ortszuschlag an und gestalten sie dynamisch. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung. Die Vergütung soll sich nach der VergGr. I der Anlage 1a zum BAT-West in der jeweils gültigen Fassung richten. Damit wollten die Rechtsvorgänger der Beklagten das Vergütungssystem des kommunalen öffentlichen Dienstes für die Vergütung der Chefärzte im dienstlichen Aufgabenbereich anwenden und die dort stattfindende Vergütungsentwicklung nachvollziehen (vgl. - NZA 2011, 109; - 5 AZR 888/08 - Rn. 14, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44). Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Bezugnahmen im Arbeitsvertrag auf anderweite normative Regelungen in der Regel dynamisch zu verstehen sind ( - 4 AZR 351/01 - zu III 1 b bb der Gründe, BAGE 103, 338; vgl. auch - 5 AZR 128/05 - Rn. 22, BAGE 116, 185).
173. Eine Erstreckung auf den TV-Ärzte/VKA trägt der Wortlaut der Bezugnahmeklausel aber nicht. Der TV-Ärzte/VKA ist keine „gültige Fassung“ des BAT. § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags ist zeit-, nicht jedoch inhaltsdynamisch ausgestaltet. Ein Zusatz, dass auch die den BAT ersetzenden Tarifverträge Anwendung finden sollen, wurde nicht in die Vergütungsvereinbarung der Parteien aufgenommen (vgl. - NZA 2011, 109; - 5 AZR 888/08 - Rn. 15, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44; - 4 AZR 796/08 - Rn. 18 f., AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 76 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 48).
184. Der TV-Ärzte/VKA ist nicht aufgrund der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB anwendbar. Die Anwendung der Unklarheitenregel auf arbeitsvertragliche Klauseln, die auf ein Tarifwerk Bezug nehmen, scheitert in der Regel schon daran, dass die Frage der Günstigkeit für den Arbeitnehmer nicht abstrakt und unabhängig von der jeweiligen Fallkonstellation beantwortet werden kann ( - Rn. 27, BAGE 128, 73). Das gilt nicht nur dann, wenn arbeitsvertraglich auf ein Tarifwerk insgesamt Bezug genommen wird, sondern auch, wenn die Parteien nur für einen Regelungsgegenstand - hier: Vergütung - auf ein Tarifwerk verweisen. Denn es ist nicht zwingend, dass eine Vergütung nach dem einen Tarifvertrag für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses günstiger ist als eine nach dem anderen Tarifvertrag. Die Frage, welcher Tarifvertrag in Bezug genommen ist, kann aber nicht jeweils abhängig vom Zeitpunkt der Geltendmachung unterschiedlich bestimmt werden. Ansonsten käme man von Fall zu Fall zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen hinsichtlich ein und derselben vertraglichen Bezugnahmeregelung. Je nachdem, welcher Tarifvertrag gerade eine für den Arbeitnehmer günstigere (also höhere) Vergütung vorsieht, käme es zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen und einem in der Praxis nur schwer handhabbaren „Hin und Her“ der Tarifanwendung ( -; Bayreuther NZA 2009, 935). Zudem ist die Bezugnahmeklausel in § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags anders als in dem der Entscheidung des Senats vom (- 5 AZR 128/05 - BAGE 116, 185) zugrunde liegenden Fall, in dem zweifelhaft war, ob eine statische oder dynamische Verweisung vorlag, selbst nicht unklar, sondern eindeutig. Dass der BAT nicht mehr fortentwickelt wurde, führt nicht zur Unklarheit der Bezugnahmeklausel.
19III. Ein Anspruch des Klägers auf Vergütung nach dem TV-Ärzte/VKA lässt sich nicht auf eine ergänzende Auslegung des Arbeitsvertrags stützen.
201. Es ist nachträglich eine Regelungslücke entstanden.
21Im kommunalen Bereich wurde der BAT zum durch den TVöD ersetzt, § 2 Abs. 1 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der Kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (im Folgenden: TVÜ-VKA) vom . Ab diesem Zeitpunkt wurden der BAT und die Vergütungstarifverträge zum BAT nicht mehr weiterentwickelt. Durch die Tarifsukzession ist die zeitdynamisch angelegte Bezugnahme auf den BAT im Arbeitsvertrag zur statischen geworden. Der letzte Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT datiert vom . Ihn als Grundlage der Vergütung des Klägers zu betrachten, wäre weder mit dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags noch dem Zweck einer zeitdynamischen Bezugnahme vereinbar. Es träte eine statische Fortgeltung der bereits heute überholten tariflichen Rechtslage des Jahres 2003 ein ( - Rn. 18 ff., AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44). Mithin lässt sich ohne Vervollständigung der arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarung nach dem ihr zugrunde liegenden Regelungsplan eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht erzielen (vgl. - Rn. 23, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 76 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 48; - 3 AZR 640/07 - Rn. 33, BAGE 130, 202).
222. Die bereits zum entstandene nachträgliche Regelungslücke ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen.
23a) Bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat die ergänzende Vertragsauslegung nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise (und nicht nur der konkret beteiligten Parteien) ausgerichtet sein muss. Die Vertragsergänzung muss deshalb für den betroffenen Vertragstyp als allgemeine Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein. Es ist zu fragen, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Unvollständigkeit ihrer Regelung bekannt gewesen wäre ( - NZA 2011, 109; - 5 AZR 627/06 - Rn. 26, BAGE 122, 182; - 5 AZR 721/05 - Rn. 34, AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6).
24b) Aus der dynamischen Ausgestaltung der Bezugnahme auf eine Vergütung entsprechend der VergGr. I BAT-West der Anlage 1a zum BAT-West ergibt sich der Wille der Parteien, die Vergütung nicht in einer bestimmten Höhe bis zu einer Vertragsänderung festzuschreiben, sondern sie - dynamisch - an der jeweiligen Höhe der Vergütung eines Angestellten im öffentlichen Dienst, der in die VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT-West eingruppiert ist, auszurichten. Deshalb hätten die Parteien redlicherweise für den Fall einer Tarifsukzession eine Vergütung entsprechend der Vergütungsgruppe vereinbart, die der im Arbeitsvertrag bezeichneten Vergütungsgruppe nachfolgt und ihr entspricht. Ein „Einfrieren“ der Vergütung auf den Zeitpunkt der Tarifsukzession entsprach nicht ihren Interessen.
25Die VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT-West galt zwar ab dem - für neu eingestellte Beschäftigte - nicht fort, die Ausgestaltung entsprechender Arbeitsverhältnisse erfolgt außertariflich, § 17 Abs. 2 TVÜ-VKA. Zum schon Beschäftigte der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT-West wurden aber in die Entgeltgruppe 15Ü übergeleitet, § 4 Abs. 1 Satz 1 iVm. der Anlage 1 TVÜ-VKA, § 19 Abs. 2 TVÜ-VKA. Es ist deshalb anzunehmen, dass die Parteien eine Vergütung entsprechend der Entgeltgruppe 15Ü TVöD vereinbart hätten, wenn sie eine Ersetzung der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT bedacht hätten.
263. Mit dem Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA zum ist entgegen der Auffassung des Klägers eine (weitere) Regelungslücke nicht entstanden.
27a) Der TV-Ärzte/VKA hat zwar, allerdings erst mit Wirkung zum , den BAT für die in den Geltungsbereich des TV-Ärzte/VKA fallenden Ärztinnen und Ärzte ersetzt, § 2 Abs. 1 TVÜ-Ärzte/VKA. § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags ist dadurch aber nicht - erneut - lückenhaft geworden. Die von den Parteien gewollte Dynamik der Vereinbarung einer Vergütung „entsprechend der Vergütungsgruppe I BAT-West der Anlage 1a zum BAT-West“ war durch die vorzunehmende Schließung der Lücke zum durch die Anwendung der Entgeltgruppe 15Ü TVöD erhalten geblieben. Diese ist - jedenfalls bislang - keine „statische“ Entgeltgruppe, ihre Tabellenwerte wurden zum , , sowie 1. Januar und erhöht. Zudem gibt es im TV-Ärzte/VKA keine der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT-West entsprechende Entgeltgruppe. Auch eine Zuordnung der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT-West bzw. der Entgeltgruppe 15Ü TVöD zu einer der Entgeltgruppen des § 16 TV-Ärzte/VKA erfolgte nicht.
28b) Selbst wenn man eine Lücke deshalb annehmen würde, weil die Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht bedenken konnten, das Bezugsobjekt ihrer Vergütungsvereinbarung werde in Zukunft durch zwei die Arbeitsverhältnisse von Ärzten regelnde Tarifwerke (die allerdings beide Chefärzte aus ihrem Geltungsbereich ausgeschlossen haben) ersetzt (so wohl Bayreuther NZA 2009, 935), ist nicht anzunehmen, dass die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien eine Vergütung nach dem TV-Ärzte/VKA vereinbart hätten.
29aa) Als redliche Vertragsparteien hätten die Parteien, wenn sie bei Vertragsschluss bedacht hätten, dass die arbeitsvertraglich in Bezug genommene Vergütungsordnung durch mehrere tarifliche Vergütungssysteme ersetzt werden könnte, eine Anlehnung ihrer Vergütung an das Vergütungssystem gewählt, das der im Arbeitsvertrag benannten „Vergütungsgruppe I BAT-West der Anlage 1 a zum BAT-West“ entspricht oder am nächsten kommt. Eine „Überleitung“ bzw. „Ersetzung“ der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT erfolgte nur durch die Entgeltgruppe 15Ü TVöD. Dagegen enthält der TV-Ärzte/VKA überhaupt keine der VergGr. I der Vergütungsordnung zum BAT entsprechende Entgeltgruppe und hat zudem ein gegenüber dem früheren BAT vollständig neues Eingruppierungssystem für die von ihm erfassten Ärztinnen und Ärzte (also nicht für Chefärzte) geschaffen, §§ 16 ff. TV-Ärzte/VKA. Einer derartigen diskontinuierlichen Ersetzung ihrer Vergütungsabrede hätten redliche Vertragsparteien nicht den Vorzug gegenüber der mit einer Vergütung entsprechend Entgeltgruppe 15Ü TVöD kontinuierlichen Entwicklung gegeben (ähnlich Anton ZTR 2009, 2, 5). Es wäre keine angemessene Lösung, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die Vergütungsvereinbarung und die Vergütung der Parteien auf ein „neues System“ umzustellen, wenn ein die Kontinuität der bisherigen Vergütungsabrede wahrendes Vergütungssystem zur Verfügung steht. Dass über die von den Parteien gewollte Dynamisierung der Vergütung hinaus der Kläger auch an strukturellen Änderungen der tariflichen Vergütungsregelungen oder an neuen tariflichen Entgeltsystemen für Ärzte, die nicht Chefärzte sind, teilhaben soll, lässt sich dem Regelungsplan des § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags nicht entnehmen. Dafür hat der Kläger auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte vorgebracht.
30bb) Ein anderes Auslegungsergebnis lässt sich nicht damit begründen, der TV-Ärzte/VKA sei der „speziellere“ Tarifvertrag. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem tatsächlich so ist (verneinend etwa Bayreuther NZA 2009, 935: „tarifrechtlich (…) gleichwertig“). Jedenfalls für Chefärzte ist der TV-Ärzte/VKA schon deshalb nicht „spezieller“, weil er für sie ebenso wie der TVöD nicht gilt, § 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA, und keine Regelungen für die Berufsgruppe der Chefärzte enthält. Zudem handelt es sich bei dem Prinzip der Sachnähe oder Spezialität um eine tarifrechtliche Kollisionsregel, die dazu dient, eine Tarifkonkurrenz aufzulösen (vgl. dazu ErfK/Franzen 11. Aufl. § 4 TVG Rn. 65 ff. mwN; - Rn. 49, AP TVG § 3 Nr. 48 = EzA TVG § 3 Nr. 34). Eine Tarifkonkurrenz kann aber bei der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag nicht entstehen ( - Rn. 20, BAGE 124, 34; - 4 AZR 549/08 (A) - Rn. 99, AP TVG § 3 Nr. 46 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 23). Für die ergänzende Vertragsauslegung ist deshalb das tarifrechtliche Prinzip der Spezialität ohne Belang, sofern sich nicht aus dem Regelungsplan des Vertrags Gegenteiliges ergibt.
31cc) Eine Vergütung entsprechend dem TV-Ärzte/VKA hätten die Parteien nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien auch nicht deshalb vereinbaren müssen, weil Chefärzte stets mehr verdienen müssten als ihr in Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA eingruppierter ständiger Vertreter.
32Einen allgemeinen Grundsatz, ein Vorgesetzter sei stets höher zu vergüten als seine ihm unterstellten Mitarbeiter, gibt es im Arbeitsrecht ebenso wenig wie ein „Abstandsgebot“ ( - NZA 2011, 109; vgl. für tarifliche Vergütungsregelungen - 6 AZR 665/08 - AP TVÜ § 4 Nr. 1). Überdies erzielt ein Chefarzt aufgrund der Einräumung des Liquidationsrechts als variablen weiteren Vergütungsbestandteil neben der Festvergütung in der Regel ein höheres Einkommen als die ihm unterstellten Ärzte.
33dd) Eine Vergütung entsprechend der Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung käme selbst dann nicht in Betracht, wenn die Beklagte allen Ärzten, die nicht Chefärzte sind und die sie vor dem nach der Vergütungsordnung zum BAT-West vergütete, ab Vergütung nach dem TV-Ärzte/VKA gewähren würde, was allerdings im Streitfall vom Landesarbeitsgericht noch nicht einmal festgestellt worden ist. Aus einer zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags erfolgten, der damaligen Tarifeinheit im öffentlichen Dienst folgenden einheitlichen Anwendung eines tariflichen Vergütungssystems auf alle bei ihr beschäftigten Ärzte einschließlich der Chefärzte ließe sich ein hypothetischer Wille der Beklagten, daran bei späterer Tarifpluralität für Ärzte, die nicht Chefärzte sind, festhalten zu wollen, nicht herleiten. Dafür bietet der Regelungsplan des § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags keine Anhaltspunkte.
34Auch der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz - so er im Bereich der Vergütung trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit überhaupt Anwendung findet (vgl. dazu - AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 209 = EzA BGB 2002 § 242 Gleichbehandlung Nr. 20; - 5 AZR 168/09 - AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 211 = EzA BGB 2002 § 242 Gleichbehandlung Nr. 22) - könnte in diesem Falle die Beklagte nicht zur „Überleitung“ der Chefärzte in den TV-Ärzte/VKA verpflichten, weil eine Differenzierung zwischen der Gruppe der Chefärzte und der Gruppe der „sonstigen Ärzte“ schon aufgrund von § 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA sachlich gerechtfertigt wäre.
IV. Die Kostentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
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Fundstelle(n):
NAAAI-19171