BAG Beschluss v. - 7 ABR 11/09

Instanzenzug: ArbG Mönchengladbach Az: 7 BV 43/08 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 10 TaBV 88/08 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat bei der Zuordnung von Arbeitnehmern zu Entgeltgruppen des Entgeltrahmen-Tarifvertrags für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg vom nach § 99 Abs. 1 BetrVG mitzubestimmen hat.

2Die Arbeitgeberin unterhält ua. am Standort N einen Betrieb mit 46 Arbeitnehmern, in dem der zu 2. beteiligte Betriebsrat gebildet ist. Sie wendet in ihrem Betrieb das Tarifwerk für die Beschäftigten in der Metallindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern an. Am schlossen der Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. - Südwestmetall - und die Industriegewerkschaft Metall den räumlich für das Land Baden-Württemberg einschließlich des Tarifgebiets Südwürttemberg-Hohenzollern geltenden Entgeltrahmen-Tarifvertrag (ERA-TV) sowie den Einführungstarifvertrag zum ERA-TV (ETV-ERA). Nach der Protokollnotiz zu § 2.1.2 ETV-ERA wurde die Einführungsphase für den ERA-TV auf die Zeit vom bis festgelegt. Nach Abschluss der Einführungsphase gilt der ERA-TV verbindlich. Bei der Arbeitgeberin wurde der ERA-TV am eingeführt.

Der ERA-TV lautet auszugsweise:

4Im Rahmen der zum beabsichtigten Einführung des ERA-TV informierte die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer mit Schreiben vom über die Zusammensetzung ihres Entgelts nach dem ERA-TV. Mit Schreiben vom forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf, ihn an den Eingruppierungen der betroffenen 39 Arbeitnehmer zu beteiligen. Die Arbeitgeberin teilte dem Betriebsrat unter dem mit, welchen Aufgabenbeschreibungen die einzelnen Arbeitnehmer der Niederlassung N zugeordnet worden seien. Der Zuordnungsvorgang sei nach dem ERA-TV Aufgabe des Arbeitgebers.

5Der Betriebsrat hat in dem von ihm am eingeleiteten Beschlussverfahren die Auffassung vertreten, dass die Arbeitgeberin die betroffenen 39 Arbeitnehmer durch deren Zuordnung zu bewerteten Arbeitsaufgaben ein- oder umgruppiere. Dabei sei er nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beteiligen.

Der Betriebsrat hat beantragt,

7Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat die Ansicht geäußert, nach den Bestimmungen des ERA-TV finde keine Ein- oder Umgruppierung von Arbeitnehmern mehr statt. Mit dem tariflichen Entgeltsystem werde die Bewertung und Einstufung einer Arbeitsaufgabe abschließend festgelegt. Der dem einzelnen Arbeitnehmer zustehende Grundentgeltanspruch folge automatisch der ihm übertragenen personenunabhängigen Arbeitsaufgabe. Die Arbeitgeberin wende kein Recht an, weil ihr Beurteilungsspielraum auf Null reduziert sei. Für eine Mitbeurteilung des Betriebsrats sei deshalb kein Raum. Ein Kontrollmechanismus unter zwingender Beteiligung des Betriebsrats sei durch das in § 7 ERA-TV geregelte Verfahren vor der Paritätischen Kommission gewährleistet. Das Mitbeurteilungsverfahren des § 99 BetrVG und das Reklamationsverfahren des § 10 ERA-TV könnten nicht nebeneinanderstehen.

8Das Arbeitsgericht hat den Anträgen des Betriebsrats stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin das Ziel der Abweisung der Anträge weiter.

9B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben den Anträgen des Betriebsrats zu Recht stattgegeben. Auch unter Geltung des ERA-TV finden Ein- und Umgruppierungen von Arbeitnehmern statt, die der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG unterliegen. Die Arbeitgeberin ist in entsprechender Anwendung von § 101 Satz 1 BetrVG verpflichtet, wegen der Umgruppierungen der betroffenen 39 Arbeitnehmer die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen und im Fall der Zustimmungsverweigerung Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG einzuleiten.

10I. Die Anträge des Betriebsrats sind zulässig.

111. Wie die gebotene Auslegung ergibt, geht es dem Betriebsrat der Sache nach darum, sein Mitbestimmungsrecht bei der von der Arbeitgeberin vorgenommenen Zuordnung der 39 betroffenen Arbeitnehmer zu Entgeltgruppen und Entwicklungsstufen des ERA-TV durchzusetzen. Diese Vorgänge betrachtet der Betriebsrat als nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Eingruppierungen. Die Arbeitgeberin soll zu ihnen die Zustimmung des Betriebsrats einholen und im Fall der beachtlichen - also form- und fristgerechten - Zustimmungsverweigerung das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG einleiten.

122. Damit sind die Verfahrensgegenstände hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Arbeitnehmer, um deren Ein- oder Umgruppierung es gehen soll, sind namentlich bezeichnet. Die Anträge entsprechen den Formulierungen, die das Bundesarbeitsgericht in vergleichbaren Fällen für zulässig und sachdienlich erachtet hat. Ihnen entsprechende Beschlussformeln können nach § 85 Abs. 1 Satz 1, 3 ArbGG iVm. § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO vollstreckt werden (vgl.  - Rn. 12 mwN).

133. Für die Anträge besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Obwohl die Arbeitgeberin in ihrem an den Betriebsrat gerichteten Schreiben vom die Aufgabenbeschreibungen für die Stellen der betroffenen 39 Arbeitnehmer und die Entgeltgruppen nach dem ERA-TV angegeben hat, hat sie damit nicht die Zustimmung des Betriebsrats zu den Ein- oder Umgruppierungen der Arbeitnehmer erbeten. Sie hat vielmehr die Ansicht geäußert, nach den Vorgaben des ERA-TV finde keine mitbestimmungspflichtige Ein- oder Umgruppierung mehr statt. Der Zuordnungsvorgang sei Aufgabe des Arbeitgebers.

14II. Die Anträge sind begründet. Der Betriebsrat hat in entsprechender Anwendung von § 101 BetrVG Anspruch darauf, dass die Arbeitgeberin seine Zustimmung zu den Eingruppierungen der betroffenen 39 Arbeitnehmer einholt und im Fall der Verweigerung das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren durchführt. Der Betriebsrat ist bei der Zuordnung von Arbeitnehmern zu den Entgeltgruppen des ERA-TV zu beteiligen. Bei dieser Zuordnung handelt es sich um Ein- oder Umgruppierungen, bei denen der Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG mitzubestimmen hat.

151. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Ein- oder Umgruppierung zu unterrichten und dessen Zustimmung zu beantragen. Dem Arbeitgeber kann auf Antrag des Betriebsrats entsprechend § 101 Satz 1 BetrVG die Durchführung des Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG und des arbeitsgerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG aufgegeben werden, wenn er einen Arbeitnehmer ein- oder umgruppiert, ohne den Betriebsrat beteiligt zu haben. Der Anspruch dient der Sicherung des Mitbeurteilungsrechts des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen. Er setzt voraus, dass der Arbeitgeber überhaupt eine Ein- oder Umgruppierung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorgenommen hat (vgl. für die st. Rspr.  - Rn. 16 mwN).

16a) Eingruppierung ist die erstmalige oder erneute Einreihung, Umgruppierung die Änderung der Einreihung in eine im Betrieb geltende Vergütungsordnung durch Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer bestimmten Gruppe der Vergütungsordnung nach Maßgabe der dafür gültigen Kriterien. Eine Umgruppierung kann in der Feststellung bestehen, dass die Tätigkeit des Arbeitnehmers nicht oder nicht mehr den Merkmalen der Vergütungsgruppe entspricht, in die er bisher eingruppiert ist, sondern denen einer anderen (vgl.  - zu B II 2 a der Gründe mwN, BAGE 112, 238). Anlass für eine Änderung der bisherigen Einreihung kann auch die Änderung des bislang geltenden Vergütungsschemas bei unveränderter Tätigkeit des Arbeitnehmers sein (vgl.  - Rn. 15, BAGE 118, 141).

17b) Eine Vergütungsordnung iSv. § 99 Abs. 1 BetrVG ist ein kollektives und - jedenfalls bei Geltung nur eines betrieblichen Vergütungssystems - mindestens zwei Vergütungsgruppen enthaltendes Entgeltschema, das eine Zuordnung der Arbeitnehmer zu einer der Vergütungsgruppen nach bestimmten generell beschriebenen Merkmalen vorsieht (vgl.  - Rn. 21 mwN, AP BGB § 613a Nr. 380 = EzA BetrVG 2001 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 20). Woraus sich die Geltung der Vergütungsordnung ergibt, ist unerheblich. Sie kann in einem Tarifvertrag enthalten sein, auf einer Betriebsvereinbarung beruhen, aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarungen im Betrieb allgemein zur Anwendung kommen oder vom Arbeitgeber einseitig geschaffen sein (vgl.  - Rn. 12 mwN, AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 44 = EzA BetrVG 2001 § 99 Eingruppierung Nr. 5; siehe dazu, dass es für die nach § 99 Abs. 1 BetrVG vorzunehmende und mitzubeurteilende Ein- oder Umgruppierung nicht auf die Tarifbindung des einzelnen Arbeitnehmers ankommt, näher  -).

18c) Ein- und Umgruppierungen iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sind stets personenbezogene Einzelmaßnahmen. Die vom Arbeitgeber vorzunehmende und vom Betriebsrat mitzubeurteilende Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe einer Vergütungsordnung betrifft einzelne Arbeitnehmer. Davon zu unterscheiden sind personenunabhängige Bewertungen von Stellen, Arbeitsplätzen oder Tätigkeiten. Sie können maßgebliche Vorgaben für die Ein- oder Umgruppierung des Arbeitnehmers enthalten, der auf dem bewerteten Arbeitsplatz tätig wird oder die bewertete Tätigkeit ausübt. Die abstrakte Bewertung einer Stelle, eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ist dabei selbst keine der Mitbestimmung nach § 99 BetrVG unterfallende personelle Einzelmaßnahme. Sie ist unabhängig vom Stellen- oder Arbeitsplatzinhaber oder von demjenigen, der die Tätigkeit ausübt. Gegenstand des als Mitbeurteilungsrecht ausgestalteten Mitbestimmungsrechts ist nicht die Bewertung des Arbeitsplatzes oder der Tätigkeit, sondern die sich daraus ergebende Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer Vergütungs- oder Entgeltgruppe (vgl.  - Rn. 18 mwN; - 7 ABR 123/09 - Rn. 30 f., NZA 2011, 531).

19d) Das Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen reicht nicht weiter als die Notwendigkeit zur Rechtsanwendung durch den Arbeitgeber. Soweit die Urheber der Vergütungsordnung selbst die betreffende Stelle, den Arbeitsplatz oder die Tätigkeit mit bindender Wirkung in ihr abstraktes Vergütungsschema eingereiht, also bewertet haben, ist kein Raum für eine - erneute - Beurteilung des Arbeitsplatzes und eine damit korrespondierende Mitbeurteilung des Betriebsrats (vgl.  - Rn. 26 f., BAGE 118, 141). Dass sich die Beurteilung des Arbeitgebers und damit die Mitbeurteilung des Betriebsrats wegen konkretisierter Vorgaben in der Vergütungsordnung reduziert, bedeutet aber nicht, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 99 Abs. 1 BetrVG gänzlich entfällt (so auch  - Rn. 58, BAGE 130, 286). Eingruppierung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist stets „Normenvollzug“. Dieser erübrigt sich nicht deswegen, weil die Norm mitbestimmungsfreie konkrete Vorgaben enthält. Eine vom Arbeitgeber vorzunehmende und vom Betriebsrat mitzubeurteilende Ein- oder Umgruppierung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG entfiele allenfalls dann, wenn die Normgeber selbst - die Wirksamkeit einer solchen Regelung unterstellt - konkrete Arbeitnehmer bestimmten Vergütungs- oder Entgeltgruppen zuordneten (vgl.  - Rn. 19 mwN).

202. Nach diesen Grundsätzen ist die Arbeitgeberin verpflichtet, den Betriebsrat bei der Zuordnung von Arbeitnehmern zu Entgeltgruppen des ERA-TV nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

21a) Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrem Unternehmen in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer. Sie ist nach § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden und wendet den ERA-TV in ihrem Betrieb in N als kollektive Vergütungsordnung an.

22b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einer Entgeltgruppe des ERA-TV eine mitbestimmungspflichtige Ein- oder Umgruppierung nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist. Bei den Zuordnungen der im Antrag genannten 39 Arbeitnehmer zu den Entgeltgruppen des ERA-TV handelt es sich um Umgruppierungen.

23aa) Die Bestimmungen der §§ 4 bis 7 ERA-TV sind dahin zu verstehen, dass die Tarifvertragsparteien ein abschließendes tarifliches Konzept für die Bewertung von Arbeitsaufgaben geregelt haben. Nach § 4.1 ERA-TV ist Grundlage für die Ermittlung des Grundentgeltanspruchs des/der Beschäftigten gemäß § 9.1 ERA-TV die eingestufte Arbeitsaufgabe. Sie wird nach § 4.2 Satz 1 ERA-TV durch die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers bestimmt und nach § 4.2 Satz 2 ERA-TV ganzheitlich betrachtet. Nach § 5.1.1 ERA-TV sind Gegenstand der Bewertung und Einstufung die Anforderungen der entsprechend der betrieblichen Arbeitsorganisation übertragenen Arbeitsaufgabe. Nach § 5.1.2 ERA-TV sind bei der Bewertung alle wertigkeitsprägenden Teilaufgaben zu berücksichtigen. Als System der Arbeitsaufgabenbewertung sieht der ERA-TV das sog. Stufenwertzahlverfahren vor. Das Verfahren basiert auf den fünf angeführten und in der Anlage 1 zum ERA-TV näher definierten Bewertungsmerkmalen, deren Anforderungsniveaus durch Stufeneinteilungen differenziert sind. Die Gewichtung der Bewertungsmerkmale und Stufen wird durch zugeordnete Punkte vorgenommen. Die Gesamtpunktzahl wird 17 Entgeltgruppen zugeordnet, vgl. § 6 ERA-TV. Das Stufenwertzahlverfahren kann unmittelbar (§ 6.4.1 ERA-TV) oder in Form einer Vergleichsbewertung - bezogen auf die in einem Anhang aufgelisteten 122 tariflichen Niveaubeispiele (§ 6.4.2 ERA-TV) oder bezogen auf von der Paritätischen Kommission, ggf. auf Unternehmensebene erstellte betriebliche Ergänzungsbeispiele (§ 6.4.3 ERA-TV) - angewandt werden (§ 5.2.2 ERA-TV). Die Einstufung der Arbeitsaufgabe nach einem der drei Systemanwendungen erfolgt zunächst vorläufig durch den Arbeitgeber und dann - soweit nicht in kleineren Betrieben das vereinfachte Einstufungsverfahren zur Anwendung kommt - durch die Paritätische Kommission in einem näher geregelten Verfahren (hierzu § 7.3 ERA-TV) mit diversen Eskalationsstufen, an deren Ende ggf. ein Losentscheid stehen kann (§ 7.3.5 ERA-TV). Sie unterliegt schon deshalb nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG, weil sie als abstrakte Bewertung unabhängig von demjenigen ist, der die Arbeitsaufgabe ausübt. Die Einstufung der Arbeitsaufgabe ist keine personelle Einzelmaßnahme (vgl.  - Rn. 24).

24bb) Das Landesarbeitsgericht hat auch richtig angenommen, dass die Zuordnungen der Arbeitnehmer, die die Aufgaben versehen, zu Entgeltgruppen des ERA-TV mitbestimmungspflichtige Ein- oder Umgruppierungen sind. Die Bewertung der Arbeitsaufgaben nach dem ERA-TV macht die Zuordnung des einzelnen Arbeitnehmers zu einer Entgeltgruppe nicht entbehrlich. Insbesondere bleibt zu prüfen, ob die Entgeltgruppe, der der einzelne Arbeitnehmer zugeordnet wird, der bewerteten und eingestuften Arbeitsaufgabe entspricht und ob der Arbeitnehmer die Arbeitsaufgabe tatsächlich ausführt. Die vom Arbeitgeber vorzunehmende und vom Betriebsrat zu kontrollierende Beurteilung ist keine grundlegend andere als bei einem Entgelttarifvertrag, der bestimmte Stellen bestimmten Entgeltgruppen zuordnet oder der bei Vergütungsgruppen, die durch abstrakt beschriebene Tätigkeitsmerkmale definiert werden, bestimmte Tätigkeitsbeispiele aufführt (vgl.  - Rn. 25).

25(1) Nach § 9.2 Satz 1 ERA-TV teilt der Arbeitgeber dem Beschäftigten und dem Betriebsrat die aus seiner Sicht zutreffende Entgeltgruppe schriftlich mit. Das setzt zwingend die Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer Entgeltgruppe sowie die damit einhergehende Einschätzung voraus, dass der Arbeitnehmer die einer bestimmten Einstufung entsprechende Arbeitsaufgabe ausführt. Darin liegt die mitbestimmungspflichtige Ein- oder Umgruppierungs„entscheidung“ des Arbeitgebers.

26(2) Mit ihrer Argumentation, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 99 BetrVG seien nicht erfüllt, weil vom Arbeitgeber im tariflichen Verfahren kein Recht anzuwenden, sondern Recht zu gestalten sei, übersieht die Arbeitgeberin, dass die Ein- oder Umgruppierung kein gestaltender „Akt“ oder „Vorgang“ ist, sondern Normenvollzug. Der Arbeitnehmer „ist“ eingruppiert. Er „wird“ nicht eingruppiert. Der Arbeitgeber äußert auch unter Geltung des ERA-TV seine Ansicht der „richtigen“ Entgeltgruppe des Arbeitnehmers. Das unterliegt der Mitbeurteilung durch den Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG (vgl.  - Rn. 27). Auf die Verfahrensrüge der Arbeitgeberin, das Landesarbeitsgericht habe ihren entsprechenden Vortrag übergangen, kommt es deswegen aus materiell-rechtlichen Gründen nicht an. Entsprechendes gilt für die im Zusammenhang mit der gegenwartsbezogenen Betrachtung sowie dem außergerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten erhobenen formellen Rügen der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und des rechtlichen Gehörs.

27(3) Auch der Hinweis der Arbeitgeberin, nach § 9.1 ERA-TV werde dem Arbeitnehmer rechtsgestaltend eine eingestufte Arbeitsaufgabe übertragen, dem dann sein Grundentgeltanspruch folge, steht einem Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats nicht entgegen. Der Grundentgeltanspruch setzt nach § 9.1 ERA-TV die Übertragung einer eingestuften Arbeitsaufgabe im Sinne einer rechtsgestaltenden Maßnahme des Arbeitgebers voraus. Einer bestimmten Entgeltgruppe zugeordnet ist aber nach § 9.1 ERA-TV „der Beschäftigte“. Dieser hat Anspruch auf das Grundentgelt einer bestimmten Entgeltgruppe. Dass sich die Bewertung durch den Arbeitgeber darauf beschränkt zu befinden, welche - nach den tariflichen Regelungen abschließend - bewertete Arbeitsaufgabe der Beschäftigte ausführt, macht eine Rechtsanwendung nicht überflüssig. Diese Bewertung ist gerade die der Mitbestimmung unterliegende Rechtsanwendung (vgl.  - Rn. 28).

28(4) Die Zuordnungen der vom Antrag erfassten 39 Arbeitnehmer zu den Entgeltgruppen des ERA-TV sind Umgruppierungen iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Die veränderten Einreihungen beruhen auf der Änderung des bislang geltenden tariflichen Vergütungsschemas durch die Einführung des ERA-TV. Die Tätigkeiten der Arbeitnehmer blieben unverändert.

29c) Die Tarifvertragsparteien haben das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Ein- oder Umgruppierungen nicht beseitigt. Ein solcher Regelungswille ist weder Abs. 2 der Protokollnotiz zu § 9.1 ERA-TV noch § 10 ERA-TV zu entnehmen. Sonst wären die genannten Regelungen unwirksam. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält Mindestbestimmungen über die Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Die Tarifvertragsparteien können diese Rechte nicht wirksam ausschließen, sofern nicht das Betriebsverfassungsgesetz selbst eine solche Möglichkeit - etwa nach Maßgabe des § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG - vorsieht (vgl.  - Rn. 29 mwN). Eine tarifliche Regelung, die die Mitbestimmung des Betriebsrats ausschlösse, wäre daher - jedenfalls dann, wenn die Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag die Eingruppierung der einzelnen Arbeitnehmer nicht selbst konkret vornähmen - unwirksam. Es ist nicht anzunehmen, dass die Parteien des ERA-TV unwirksame Regelungen schaffen wollten. Abs. 2 der Protokollnotiz zu § 9.1 ERA-TV und § 10 ERA-TV sind nach dem Grundsatz der geltungserhaltenden Interpretation auszulegen.

30aa) Bei der übereinstimmenden Bekundung der Tarifvertragsparteien in Abs. 2 der Protokollnotiz zu § 9.1 ERA-TV, „dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Verfahren nach § 99 BetrVG bezüglich einer Eingruppierung/Umgruppierung nicht mehr vorliegen“, handelt es sich demnach lediglich um die Äußerung einer - unzutreffenden - Rechtsansicht. Die Protokollnotiz gibt insgesamt eine Auffassung wieder und drückt keinen rechtlichen Gestaltungswillen aus.

31bb) Auch das Reklamationsverfahren des § 10 ERA-TV schließt die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bei Ein- und Umgruppierungen nicht aus. Es regelt vielmehr ein neben der gesetzlichen Mitbestimmung bestehendes Verfahren im Fall der schriftlichen Reklamation durch den Arbeitnehmer oder den Betriebsrat, die sich auf die mitgeteilte Entgeltgruppe bezieht. Die erfolgreiche Reklamation der Einstufung der Arbeitsaufgabe kann Auswirkungen auf die richtige Eingruppierung des Arbeitnehmers haben. Sie ersetzt die vom Arbeitgeber vorzunehmende Ein- oder Umgruppierung jedoch nicht.

d) Die Annahme eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus § 99 Abs. 1 BetrVG führt schließlich entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin nicht zu einem unzulässigen Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG verbürgte Tarifautonomie. Die Tarifvertragsparteien haben bestimmt, dass und wie die Arbeitsaufgaben abschließend und verbindlich eingestuft und bewertet werden. Daran sind die Betriebsparteien gebunden. Eine Richtigkeitskontrolle der Einstufung und Bewertung der Arbeitsaufgaben findet im Mitbestimmungsverfahren des § 99 BetrVG nicht statt. Die rechtsanwendende Beurteilung der Betriebsparteien ist auf die Frage beschränkt, ob die mitgeteilte Entgeltgruppe der bewerteten und eingestuften Arbeitsaufgabe entspricht und ob der Arbeitnehmer die Arbeitsaufgabe tatsächlich ausführt. Hier bedeutet das, dass der Betriebsrat bei der Zuordnung der betroffenen 39 Arbeitnehmer zu den Entgeltgruppen des ERA-TV zu beteiligen ist. Er könnte eine Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 2 BetrVG aber nicht darauf stützen, die Einstufung und die Bewertung der den Arbeitnehmern übertragenen Arbeitsaufgaben nach den Entgeltgruppen seien unzutreffend.

Fundstelle(n):
JAAAI-19074