Verfahrensrüge im Revisionsverfahren: Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach vorausgegangener Verständigung; Darlegungslast für Kausalzusammenhang zwischen Rechtsverstoß und Urteil
Gesetze: § 257c Abs 5 StPO, § 344 Abs 2 StPO
Instanzenzug: LG Landshut Az: 6 KLs 57 Js 10932/09
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen „Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit Beihilfe zum Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln mit irreführender Bezeichnung in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln minderer Qualität" zu einer Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 35 Euro verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, die sie auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge stützt. Das Rechtsmittel hat bereits mit der Verfahrensrüge Erfolg.
21. Die Angeklagte erhebt die Rüge der Verletzung des § 257c Abs. 5 StPO.
3a) Der Verfahrensbeanstandung liegt folgendes Geschehen zugrunde:
4Dem Urteil des Landgerichts ging eine Verständigung gemäß § 257c StPO voraus. Darin sicherte das Landgericht der Angeklagten zu, für den Fall eines Geständnisses eine Geldstrafe „von nicht mehr als 200 Tagessätzen" zu verhängen (vgl. hingegen zur Verpflichtung des Gerichts zur Offenlegung des gesamten Umfangs der Rechtsfolgenerwartung vor Zustandekommen der Verständigung, ). Daraufhin erklärte die Angeklagte, dass sie die angeklagten Taten einräume. Eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO erfolgte zu keinem Zeitpunkt. Das Landgericht erachtete das Geständnis der Angeklagten für glaubhaft und hielt sich an die Verständigung, indem es eine Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen verhängte.
5b) Die Angeklagte beanstandet, dass eine Verständigung erfolgt sei, obwohl ihr rechtsfehlerhaft keine Belehrung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis der Verständigung nach § 257c Abs. 5 StPO erteilt worden sei. Ohne die Verständigung hätte sie kein Geständnis abgelegt.
6c) Die Rüge ist zulässig erhoben. Die Angeklagte hat einen Sachverhalt vorgetragen, der es dem Revisionsgericht ohne weiteres ermöglicht, allein aufgrund ihres Vortrags zu überprüfen, ob der gerügte Rechtsfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (vgl. nur ; Beschluss vom - 2 StR 34/13, NStZ-RR 2013, 222) und damit die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erfüllt.
7Soweit der Generalbundesanwalt den Vortrag vermisst, dass der Angeklagten vor ihrem Geständnis der Inhalt der vom Gesetz vorgeschriebenen Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO nicht bekannt gewesen sei, kann die Frage, ob ein Rechtsfehler vorliegt, im vorliegenden Fall auch ohne dies beantwortet werden.
8aa) Unter dem Gesichtspunkt der ausnahmsweise bestehenden Vortragspflicht zu sog. Negativtatsachen (vgl. , NStZ 2000, 49, 50) lässt sich jedenfalls im vorliegenden Fall keine diesbezügliche Vortragspflicht statuieren. Dafür, dass der bisher nur einmal, nämlich im Jahre 2008, mithin vor Inkrafttreten des § 257c StPO bestraften Angeklagten der Inhalt dieser Belehrung anderweitig bekannt geworden sein könnte, liegen keine Anhaltspunkte vor (vgl. hierzu ), so dass eine dem geltend gemachten Fehler möglicherweise entgegenstehende Verfahrenslage nach der konkreten Fallgestaltung (vgl. hierzu , 657/99 und 683/99, NJW 2005, 1999, 2003) nicht ernsthaft in Betracht kommt und schon deswegen nicht mit dem Revisionsvortrag ausgeschlossen werden muss.
9bb) Zwar wird das Beruhen des Urteils auf der fehlenden Belehrung verneint werden können, wenn sich feststellen lässt, dass der Angeklagte das Geständnis auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte ( u.a., Rn. 99, NJW 2013, 1058, 1067). Es kann offen bleiben, ob allein das Wissen um den Inhalt der Belehrung aus § 257c Abs. 5 StPO zu belegen geeignet ist, dass das Geständnis auch bei ordnungsgemäßer Belehrung durch das Gericht abgegeben worden wäre. Denn anders als beim Verstoß gegen die Belehrung über das Schweigerecht nach § 136 StPO trifft die Belehrungspflicht das Gericht. Es könnte daher für die Wahrung der Autonomie des Angeklagten durchaus von Gewicht sein, dass das hierfür zuständige Gericht die erforderliche Belehrung trotz der Verpflichtung hierzu nicht erteilt, selbst wenn er den Inhalt derselben in einem anderen Zusammenhang erfahren haben sollte.
10Jedenfalls aber ist die Prüfung, ob das angefochtene Urteil auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruht, grundsätzlich Aufgabe des Revisionsgerichts von besonderen Fallkonstellationen (vgl. hierzu , BGHR StPO § 338 Nr. 8, Beschränkung 8 mwN; Urteil vom - 3 StR 117/12, NJW 2013, 1827, 1831) abgesehen, braucht der Revisionsführer den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem behaupteten Rechtsverstoß und dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich darzulegen. Ein solches Erfordernis besteht auch hier nicht. Denn im Revisionsverfahren braucht der Angeklagte nicht zu behaupten und zu beweisen, dass er bei ordnungsgemäßer Belehrung nicht ausgesagt hätte, er braucht sich nicht mit dem Einwand auseinanderzusetzen, dass nach der Verfahrenslage das Schweigen ein ungeeignetes Verteidigungsmittel gewesen wäre (, BGHSt 38, 214, 226 f., nur insoweit verweist auch BVerfG aaO).
11d) Die Rüge ist auch begründet. Der von der Angeklagten gerügte Rechtsfehler liegt vor. Im Hinblick auf die negative Beweiskraft des Protokolls steht fest, dass die Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO nicht erfolgt ist. Diesem Umstand tritt die Staatsanwaltschaft in ihrer Gegenerklärung nicht entgegen. Die Angeklagte wurde daher vom Gericht nicht in die Lage versetzt, eine autonome Entscheidung über ihre Mitwirkung an der Verständigung zu treffen (vgl. hierzu u.a., Rn. 99, NJW 2013, 1058, 1067).
12Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. Die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmsweise ein Beruhen des Urteils auf der Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO ausgeschlossen werden kann, liegen nicht vor (vgl. oben zu c. aa.). Zudem ergibt sich aus dem Verfahrensablauf, dass das Geständnis der Angeklagten auf die Verständigung hin erfolgte, was sich auch mit ihrem Vortrag deckt. Vor diesem Hintergrund kann eine Ursächlichkeit der fehlenden Belehrung für das Prozessverhalten der Angeklagten und mithin für das Urteil, das sich auf das Geständnis der Angeklagten stützt, nicht ausgeschlossen werden.
132. Der Senat weist darauf hin, dass auch ein verständigungsbasiertes Geständnis der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegt, die in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzustellen ist. Es ist deshalb stets zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (st. Rspr. vgl. u.a. ). Im Urteil ist aber schon nicht dargestellt, was die Angeklagte zu den Tatvorwürfen angegeben hat. Der pauschale Verweis auf das Geständnis der Angeklagten ist nicht ohne weiteres geeignet, zwei prozessual selbständige Beihilfetaten zu belegen.
Raum Rothfuß Jäger
Cirener Radtke
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FAAAI-12905