BGH Urteil v. - 2 StR 119/13

Besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs: Tateinheitliche Verurteilung wegen Körperverletzung; Gewalttätigkeiten aus einer Menschenmenge heraus bei tätlicher Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und der Polizei; strafschärfende Wertung des Fehlens eines Strafmilderungsgrundes

Gesetze: § 46 Abs 3 StGB, § 113 StGB, § 125 Abs 1 StGB, § 125a S 1 StGB, § 224 Abs 1 StGB

Instanzenzug: Az: 23 KLs 23/12

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen - wobei es in einem Fall beim Versuch blieb - und mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt sowie die Einziehung eines bei der Tat verwendeten Messers angeordnet. Ferner hat es den Angeklagten verurteilt, an die Nebenkläger jeweils ein Schmerzensgeld zu zahlen, und festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, den Nebenklägern sämtliche immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, soweit die Ersatzansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

2Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

31. Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte am an einer Demonstration gegen eine Wahlkampfkundgebung der Partei „P.         in B.        teil. Als der Angeklagte erfuhr, dass Teilnehmer der Kundgebung „Mohamed-Karikaturen“ des dänischen Zeichners Kurt Westergaard hochhielten, begannen er und eine Gruppe gewaltbereiter Demonstranten, Steine und andere Gegenstände auf die Polizeibeamten zu werfen, die zur Absperrung einer Straßenkreuzung eingesetzt waren. Der Zugführer der eingesetzten Polizeihundertschaft, der Zeuge R.   , gab daraufhin den Befehl, vor die Absperrgitter zu rücken und den Kreuzungsbereich zu räumen. Während die Beamten des Polizeizugs die gewalttätige Menschenmenge unter Einsatz von Reizgas zurück drängten, gelang es dem Angeklagten, hinter die Kette der vorrückenden Beamten zu gelangen. Er zog das von ihm mitgeführte Messer und lief damit auf einzelne Polizeibeamte zu. Er stach zuerst in Richtung der Oberschenkel des Zeugen R.   , der in eine Auseinandersetzung mit anderen Demonstrationsteilnehmern verwickelt war. Dieser konnte den Stich abwehren. Daraufhin eilten weitere Beamte herbei und versuchten, den Angeklagten aus dem Kreuzungsbereich zu vertreiben. Der Angeklagte lief nun auf den Polizeibeamten S.   zu, der als Mitglied des Beweissicherungstrupps das Geschehen filmte, und stach diesem in den linken Oberschenkel. Anschließend warf er Steine gegen weitere in der Nähe stehende Polizeibeamte. Die Polizeibeamtin M.       , die ihn zurückdrängen wollte, stach er in beide Oberschenkel. Die Beamtin erlitt eine zehn cm und eine drei cm lange Schnittwunde. In der Folge konnte der Angeklagte überwältigt und festgenommen werden.

42. Das Landgericht hat die Tat als Landfriedensbruch gemäß § 125 Abs.1, § 125a Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 StGB, als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB zum Nachteil der Geschädigten S.   , M.       und R.   , wobei es bei der Tat zum Nachteil des Geschädigten R.   beim Versuch blieb, sowie als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs.1, § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gewertet.

II.

5Die Revision des Angeklagten ist teilweise begründet.

61. Die Nachprüfung des Schuldspruchs, der Einziehung sowie der Adhäsionsentscheidung hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

7Der tateinheitlichen Verurteilung des Angeklagten wegen Landfriedensbruchs und zugleich wegen gefährlicher Körperverletzung steht auch die Subsidiaritätsklausel des § 125 Abs. 1 StGB nicht entgegen, wonach der Täter wegen Landfriedensbruchs nur bestraft wird, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht wird. Zwar greift die Subsidiaritätsklausel des § 125 StGB auch dann ein, wenn - wie hier und unter II.2.a) ausgeführt - ein besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs nach § 125a StGB vorliegt. Maßstab für den vorzunehmenden Vergleich ist dann aber der Strafrahmen der als Strafzumessungsregel ausgestalteten Bestimmung des § 125a Satz 1 StGB, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren androht (, NStZ 2011, 576, 577 mwN). Wegen übereinstimmender Strafrahmen des § 125a Satz 1 StGB und des § 224 Abs. 1 StGB steht daher die Subsidiaritätsklausel einer tateinheitlichen Verurteilung nicht entgegen.

82. Der Strafausspruch hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

9a) Die zu Lasten des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung erfolgte Berücksichtigung der Erfüllung zweier Regelbeispiele des besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs (§ 125a Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 StGB) ist nicht zu beanstanden.

10Der Angeklagte, der zunächst gemeinsam mit anderen aus einer gewaltbereiten Gruppe von Demonstranten heraus Steine und Gegenstände in Richtung der vorrückenden Polizeibeamten warf, blieb auch nach dem Durchbrechen der Polizeikette Teil dieser Menschenmenge. Bei seinem Angriff gegen die drei Polizeibeamten, bei dem er die Regelbeispiele des § 125a Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 StGB erfüllte, handelte es sich daher noch um eine Gewalttätigkeit im Sinne des § 125 Abs. 1 StGB, die „mit vereinten Kräften“ aus dieser Menge heraus begangen wurde.

11Dem steht nicht entgegen, dass sich der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt räumlich von der Gruppe entfernt hatte. Maßgebend für die Beurteilung, ob es sich bei einem Angriff um eine Einzelaktion eines Täters oder aber um eine „mit vereinten Kräften“ „aus einer Menschenmenge“ heraus begangene Gewalttätigkeit handelt, ist, ob die konkret ausgeführte Gewalttätigkeit von der in der gewaltbereiten Menge vorhandenen Grundstimmung und zustimmenden Haltung getragen wird (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 28. Aufl. § 125 Rdn. 10; Schäfer in Münchener Kommentar, StGB 2. Aufl. § 125 Rdn. 17). In diesem Fall ist der Angriff eines Täters als Ausdruck des die Menge beherrschenden feindlichen Willens und damit als ein mit vereinten Kräften aus der Menschenmenge heraus begangener Angriff anzusehen.

12So war es nach den Feststellungen hier. Zwar hatten sich durch das Vorrücken der Polizeikette von der zuvor kompakten Menge der Demonstranten Kleingruppen abgespalten. Mindestens eine dieser Gruppen ging aber im Kreuzungsbereich und ebenfalls im Rücken der Polizei weiterhin gewalttätig vor. Für die Messerangriffe des Angeklagten bildete sie sowie die von den Polizeibeamten zurückgedrängte Menge, aus der heraus sich der Angeklagte erst unmittelbar zuvor räumlich gelöst hatte, daher nicht nur Kulisse, sondern durch ihre feindliche Haltung gegen die eingesetzten Beamten weiterhin die Basis (vgl. , NJW 1995, 2643, 2644, insoweit in BGHSt 41, 182 nicht abgedruckt; Lenckner aaO, § 125 Rdn. 10). Die Messerangriffe des Angeklagten, die sich - entsprechend der Grundstimmung in der zurückgedrängten Gruppe von gewaltbereiten Demonstranten - gegen die eingesetzten Polizeibeamten richteten, waren Teil der von dieser Gruppe ausgehenden Gewalttätigkeiten, so dass er den Tatbestand des § 125 Abs. 1 StGB verwirklichte.

13b) Bei der Bemessung der Freiheitsstrafe hat das Landgericht jedoch auch zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass sich seine Angriffshandlungen gegen „Repräsentanten des Staats“ richteten, die hierzu „keinerlei Anlass“ gegeben hatten. Diese Erwägung stößt auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. Senat, Urteil vom - 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320; Rn. 4 juris) auf durchgreifende rechtliche Bedenken.

14Schon die strafschärfende Erwägung, dass sich die Angriffe gegen „Repräsentanten des Staates“ richteten, ist mit im Blick auf das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) nicht unbedenklich. Sie lässt besorgen, dass das Landgericht den Umstand, dass es sich bei den Geschädigten um Polizeibeamte handelte, noch einmal zu Lasten des Angeklagten eingestellt hat, obgleich schon der Tatbestand des § 113 StGB eine gegen einen Amtsträger der Bundesrepublik gerichtete Handlung voraussetzt. Im Übrigen wird man auch kaum annehmen können, Gewalttätigkeiten, die im Rahmen eines (schweren) Landfriedensbruchs gegen Unbeteiligte oder sonstige Dritte begangen werden, verwirklichten eine „geringere“ Schuld als Gewalt gegen Polizeibeamte.

15Jedenfalls erweist sich die Erwägung, dass die Geschädigten dem Angeklagten „keinerlei Anlass“ für einen Angriff gegeben hätten, als rechtsfehlerhaft. Da die Polizeibeamten dem Angeklagten jedenfalls insoweit einen „Anlass“ gegeben hatten, als sie ihn unter Einsatz unmittelbaren Zwangs aus den Kreuzungsbereich wegdrängten bzw. dies absicherten, kann das Landgericht bei dieser Erwägung nur darauf abgestellt haben, dass es keinen berechtigten oder sonst verständlichen Anlass für den Messereinsatz gab. Dabei handelt es sich aber letztlich um eine strafschärfende Berücksichtigung des bloßen Fehlens eines strafmildernden Umstands.

16Zwar schlagen nach allgemeinen Strafzumessungsgrundsätzen nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung strafmildernd zu Buche, wie z.B. eine Tatverstrickung durch Dritte oder der Umstand, dass das Opfer selbst zu der Situation beigetragen hat, aus der heraus die Tat begangen wird. Das Fehlen solcher mildernden Umstände berechtigt indes nicht, dies zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 73/12, NStZ 2013, 46). Daher kann der Umstand, dass ein Täter "grundlos" gegen das Tatopfer vorgeht (vgl. Rn. 6 juris; Senat, Beschluss vom - 2 StR 668/97 Rn. 3 juris) oder, dass das Opfer dem Täter "keinerlei Anlass“ für die Tat geboten hat (vgl. ; Senat, Urteil vom - 2 StR 392/92), grundsätzlich nicht strafschärfend berücksichtigt werden, weil damit lediglich das Fehlen von Umständen beschrieben wird, die sich - wenn sie vorlägen - strafmildernd auswirken könnten.

17Zwar darf der Grundsatz, wonach das Fehlen eines Strafmilderungsgrunds keinen Strafschärfungsgrund darstellt, nicht dahin missverstanden werden, dass die Einbeziehung gegebener Tatsachen in die Abwägung der Umstände, die für die Strafzumessung von Bedeutung sind, stets dann rechtsfehlerhaft sei, wenn sie im Urteil in negativer Formulierung umschrieben sind. Die revisionsrichterliche Überprüfung der Strafzumessung hat sich vielmehr am sachlichen Gehalt der Ausführungen des Tatgerichts und nicht an dessen - möglicherweise missverständlichen oder sonst unzureichenden - Formulierungen zu orientieren (, BGHSt 34, 345, 349 f.; vgl. auch im Ergebnis: Rn. 15 juris). Nur wenn die Strafe tatsächlich an bloß fiktiven Erwägungen oder an einem nur hypothetischen Sachverhalt gemessen wird, der zu dem zu beurteilenden keinen Bezug hat, wird ein rechtlich fehlerhafter Maßstab an die Wertung des Verhaltens des Angeklagten angelegt (vgl. , NStZ 1981, 60 mwN; Beschluss vom - 4 StR 288/13 Rn. 7 juris; Beschluss vom - 4 StR 392/12, NStZ-RR 2013, 81, 82).

18Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Ausgangspunktes hat das Landgericht mit seiner Formulierung, dass es für den Angeklagten „keinerlei Anlass“ gab, die Polizeibeamten anzugreifen, im Ergebnis allein darauf abgestellt, dass der Angeklagte von der Tat hätte absehen können und müssen, weil er für sie keinen von den Polizeibeamten geschaffenen berechtigten oder „verständlichen“ Anlass hatte. Dies stellt eine strafschärfende Verwertung des Umstands dar, dass die Tat überhaupt rechtswidrig begangen wurde.

19c) Bedenken begegnet im Übrigen die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte befinde sich zwar erstmals in Haft, diese Erfahrung habe ihn aber „in keiner Weise zu beeindrucken“ vermocht. Es fehlt hier an einem sachlichen Zusammenhang zwischen dem grundsätzlich strafmildernden Umstand der Erstverbüßung und seiner weitgehenden Relativierung.

20Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Strafzumessung zu einer geringeren Strafe gelangt wäre.

Fischer                    Krehl                      Eschelbach

                 Ott                       Zeng

Fundstelle(n):
IAAAI-11945