Ausländerrecht: Anordnung des Transitaufenthalts einer asylsuchenden Familie mit minderjährigen Kindern auf dem Flughafen bei Verweigerung der Einreise; Verhältnismäßigkeit eines längeren Aufenthalts bei an Epilepsie erkranktem Kind
Gesetze: § 15 Abs 5 AufenthG, § 15 Abs 6 S 3 AufenthG, § 62 Abs 1 S 3 AufenthG, § 26 FamFG
Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-29 T 100/13vorgehend AG Frankfurt Az: 934 XIV 152/13 B
Gründe
I.
1Der Betroffene traf am mit seiner Ehefrau (Verfahren V ZB 89/13 des Senats) und seinen drei minderjährigen Kindern aus Zypern auf dem Luftweg auf dem Flughafen Frankfurt am Main ein. Dort wies er sich mit seinem gültigen ägyptischen Reisepass und seinem gültigen zypriotischen Schengen-Visum und einem gefälschten tschechischen Aufenthaltstitel aus und stellte einen Schutzantrag. Die beteiligte Behörde verweigerte ihm und seiner Familie am die Einreise, verfügte die Zurückweisung nach Zypern oder Großbritannien, wo der Betroffene einen Asylantrag gestellt hatte, und verbrachte die Familie in den Transitbereich des Flughafens. Zypern und Großbritannien waren zu einer Rücknahme des Betroffenen und seiner Familie nicht bereit.
2Auf den Antrag der beteiligten Behörde vom hat das gegen den Betroffenen zur Sicherung der Abreise den weiteren Aufenthalt im Transitbereich des Flughafens bis einschließlich angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Während des Beschwerdeverfahrens hat die beteiligte Behörde den Aufenthalt des Betroffenen und seiner Familie im Transitbereich mit der Begründung beendet, die zeitnahe Durchführung des Lufttransports sei unter anderem deshalb nicht gesichert, weil eines der Kinder (wegen einer epileptischen Erkrankung) einer ständigen medizinischen Betreuung bedürfe. Die daraufhin mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Aufenthaltsanordnung des Amtsgerichts festzustellen, fortgeführte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.
II.
3Das Beschwerdegericht meint, die Anordnung des weiteren Aufenthalts im Transitbereich des Flughafens sei rechtmäßig gewesen. Die Zurückweisungsentscheidung der beteiligten Behörde sei bestandskräftig geworden und für die Entscheidung über den weiteren Transitaufenthalt verbindlich gewesen. Die Zurückweisung habe nicht sofort vollzogen werden können, weil Zypern eine Rücknahme abgelehnt habe. Sie sei aber auf Grund der geplanten Remonstration gegenüber Zypern in den dafür bestehenden Fristen zu erwarten gewesen. Dass sich diese Erwartung nicht erfüllt habe, stelle die Prognose des Amtsgerichts nicht in Frage. Die Entscheidung sei auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Insbesondere habe ein Verstoß der beteiligten Behörde gegen das Beschleunigungsgebot nicht vorgelegen.
III.
4Diese Erwägungen tragen die Zurückweisung der Beschwerde des Betroffenen nicht.
51. Dafür muss nicht entschieden werden, ob die Verlängerung des Transitaufenthalts schon deshalb unzulässig war, weil sie auf einem unzulässigen Verlängerungsantrag der beteiligten Behörde beruhte.
6a) Mit § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG hat der Gesetzgeber zwar den angeordneten Aufenthalt des Ausländers im Transitbereich des Flughafens oder in einer Unterkunft nach § 15 Abs. 6 Satz 1 AufenthG einer Freiheitsentziehung gleichgestellt, soweit er - wie hier - über 30 Tage hinaus andauern soll (BT-Drucks. 16/5065, 165; Senat, Beschlüsse vom - V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315 f. Rn. 9 und vom - V ZB 275/10, FGPrax 2011, 257 Rn. 5). Dann nämlich bedarf er - wie die bei einer Ankunft auf dem Land- oder Seeweg allein mögliche Verhängung von Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5 AufenthG - einer richterlichen Anordnung. Das Festhalten des Betroffenen auf dem Flughafen steht trotz der Möglichkeit, auf dem Luftweg abzureisen, nach einer gewissen Dauer und wegen der damit verbundenen Eingriffsintensität einer Freiheitsentziehung gleich (vgl. EGMR, NVwZ 1997, 1102, 1104; Senat, Beschluss vom - V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315, 316 Rn. 23). Für diese richterliche Anordnung gelten deshalb auch - bezogen auf die Anordnungsvoraussetzungen des § 15 Abs. 6 Sätze 2 bis 5 AufenthG - die gleichen Grundsätze wie für die Anordnung von Zurückweisungshaft (Beschleunigungsgebot: Senat, Beschlüsse vom - V ZB 116/11, juris Rn. 5 und vom - V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315, 316 Rn. 23; Verhältnismäßigkeitsgebot: Senat, Beschlüsse vom - V ZB 116/11, juris Rn. 5 und vom - V ZB 154/11, FGPrax 2013, 38, 39 Rn. 13; Anforderung an die Prognose nach § 15 Abs. 6 Satz 4 AufenthG: Senat, Beschluss vom - V ZB 117/11, juris Rn. 5; Belehrung nach Art. 36 WÜK: Senat, Beschluss vom - V ZB 275/10, FGPrax 2011, 257 Rn. 6 f.).
7b) Ob und in welchem Umfang das aber auf der Grundlage von § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auch für die Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG und deren Auswirkungen auf die Zulässigkeit des Antrags gilt, ist zweifelhaft. Die Vorschrift des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist an den sachlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft ausgerichtet und könnte auf die Verlängerung des Transitaufenthalts nur teilweise, nämlich nur hinsichtlich der Anforderungen nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 FamFG, angewendet werden. Ob ein Verlängerungsantrag nach § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG unzulässig ist, wenn er diesen Anforderungen nicht genügt, muss hier nicht entschieden werden.
82. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts genügt jedenfalls nicht den Anforderungen an die richterliche Sachverhaltsermittlung.
9a) Für die Anordnung des weiteren Transitaufenthalts über 30 Tage hinaus gilt jedenfalls die für die Anordnung einer Freiheitsziehung unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (für Freiheitsentziehung: BVerfG, NJW 2009, 2659, 2660). Insbesondere darf auch die Verlängerung des Transitaufenthalts entsprechend der Vorschrift des § 62 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gegenüber Familien mit minderjährigen Kindern nur in Ausnahmefällen und nur solange angeordnet werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist (Senat, Beschluss vom - V ZB 154/11, FGPrax 2013, 38, 39 Rn. 14).
10b) Daran, dass die Anordnung des verlängerten Transitaufenthalts durch das Amtsgericht diesen Anforderungen genügt, bestanden nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts erhebliche Zweifel. Diesen Zweifeln ist es nicht nachgegangen, obwohl es nach § 26 FamFG dazu verpflichtet war.
11aa) Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass eines der minderjährigen Kinder des Betroffenen schwerbehindert ist und unter epileptischen Anfällen leidet. Die beteiligte Behörde hat dazu dem Gericht mitgeteilt, sie habe dem Betroffenen und seiner Familie die Einreise gestattet, weil eines der Kinder „ständiger medizinischer Behandlung bedurfte“. Nach den dem Beschwerdegericht vorliegenden Akten der Behörde lag dieser Mitteilung ein Bericht der nachgeordneten Bundespolizeiinspektion zugrunde, demzufolge dieses Kind wegen epileptischer Anfälle mehrfach in stationärer Behandlung in den umliegenden Krankenhäusern war. Nach diesen Angaben sprach viel dafür, dass die Erkrankung des Kindes schon vor Stellung des Verlängerungsantrags bekannt war. Dann aber war von vornherein zweifelhaft, ob das Ziel der Aufenthaltsverlängerung, die Sicherung der Abreise (§ 15 Abs. 6 Satz 3 AufenthG), überhaupt erreichbar war und ob der weitere Transitaufenthalt der Familie angesichts der besonderen Bedürfnisse dieses Kindes noch dem Kindeswohl entsprach und den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips genügte. Die beteiligte Behörde hat den Transitaufenthalt letztlich aus gerade diesem Grund von sich aus beendet.
12bb) Das Beschwerdegericht musste diese Zweifel aufklären, da es auf Grund des gestellten Feststellungsantrags zu prüfen hatte, ob die Verlängerung des Transitaufenthalts des Betroffenen sachlich gerechtfertigt war. Dafür ist es unerheblich, ob der Haftrichter Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Prüfung hatte oder ob es die beteiligte Behörde unter Verstoß gegen ihre Verpflichtung, ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben (§ 27 Abs. 2 FamFG), unterlassen hat, in dem Verlängerungsantrag auf die Erkrankung des Kindes hinzuweisen. Es kommt allein auf die objektive Sach und Rechtslage an (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 189/10, FGPrax 2011, 202 Rn. 5 für die Nichterwähnung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens).
IV.
13Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann deshalb keinen Bestand haben. Das Beschwerdegericht wird die aufgezeigten Gesichtspunkte aufzuklären und nach Gewährung rechtlichen Gehörs zu entscheiden haben, ob der Transitaufenthalt nach dem Ergebnis der ergänzenden Feststellungen, insbesondere zu der Frage, seit wann die Erkrankung des Kindes der beteiligten Behörde bekannt war, objektiv gerechtfertigt war.
Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch
Brückner Weinland
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
EAAAI-11903