Widerruf der Erlaubnis zum Führen einer Fachanwaltsbezeichnung: Wahrung der Jahresfrist für die Widerrufsentscheidung; Ermessensentscheidung der Rechtsanwaltskammer bei Versäumung der jährlichen Fortbildungspflicht
Gesetze: § 43c Abs 4 S 2 BRAO, § 15 FAO, § 25 Abs 2 FAO, § 48 Abs 4 S 1 VwVfG, § 49 Abs 2 S 2 VwVfG, § 49 Abs 3 S 2 VwVfG
Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Frankfurt Az: 2 AGH 14/10
Tatbestand
1Der Kläger führt seit 2001 die Bezeichnung "Fachanwalt für Strafrecht". In den Jahren 2002 und 2004 kam er der in § 15 FAO bestimmten Fortbildungspflicht nicht nach, 2005 wies er nur acht statt der in § 15 Abs. 2 FAO vorgeschriebenen zehn Zeitstunden nach. Nachdem er im Jahr 2007 abermals seinen Fortbildungspflichten und deren Nachweis nicht genügt hatte, gab ihm die Beklagte die Gelegenheit, die Fortbildung für das Jahr 2007 im Jahr 2008 nachzuholen. Der Kläger wies daraufhin lediglich zehn im Jahr 2008 erbrachte Zeitstunden nach. Mit Bescheid vom widerrief die Beklagte die Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Bescheid vom zurück. Auf die hiergegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof den Widerrufsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben, weil der Widerruf nicht innerhalb der Jahresfrist seit Kenntnis von den rechtfertigenden Tatsachen ergangen sei.
2Mit ihrer durch den Senat mit Beschluss vom zugelassenen Berufung erstrebt die Beklagte die Aufhebung des genannten Urteils und die Abweisung der Klage.
Gründe
3Die zulässige Berufung hat Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Berufung führt daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Abweisung der Klage.
41. In Einklang mit dem angefochtenen Urteil sieht der Senat die Prozessvoraussetzung eines rechtzeitigen Widerspruchs (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO) als gewahrt an.
5Der Widerrufsbescheid ist am an der ehemaligen Kanzleiadresse des Klägers durch Einlegung in den Hausbriefkasten und damit nicht wirksam zugestellt worden. Wie auch aus der anwaltlichen Versicherung seines vormaligen Sozius hervorgeht, hatte der Kläger nämlich seit August 2009 keinen Zugang zur Kanzlei sowie zur Briefkastenanlage mehr. Ferner war kein Hinweis auf einen Kanzleisitz des Klägers vorhanden. Die Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO setzt aber voraus, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, tatsächlich vom Adressaten genutzt wird (vgl. etwa , NJW-RR 2010, 489 Rn. 15; vom - IV ZB 5/08, ZIP 2008, 1747 Rn. 7). Der bloße, dem Empfänger zurechenbare Rechtsschein, dieser unterhalte unter der Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume, genügt für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht (vgl. , NJW 2011, 2440 Rn. 13 m.w.N.).
6Die hiergegen durch die Beklagte unter dem Aspekt nicht erfüllter Aufklärungspflicht (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 86 VwGO) gerichteten Angriffe gehen fehl. Angesichts der anwaltlichen Versicherung musste sich der Anwaltsgerichtshof nicht deswegen zu weiteren Beweiserhebungen gedrängt sehen, weil die Beklagte die Verlegung des Kanzleisitzes des Klägers "mit Nichtwissen" bestritten hat. Schließlich bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den Zustellungsmangel gezielt herbeigeführt haben könnte (vgl. BGH, aaO Rn. 15 m.w.N.).
72. Der Widerrufsbescheid vom ist entgegen der Auffassung des Anwaltsgerichtshofs innerhalb der in § 25 Abs. 2 FAO bestimmten Jahresfrist ergangen.
8Die Vorschrift des § 25 Abs. 2 FAO ist den in § 48 Abs. 4 Satz 1, auch in Verbindung mit § 49 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG enthaltenen Regelungen zur Rücknahme und zum Widerruf von Verwaltungsakten entlehnt. Hier wie dort handelt es sich bei der Jahresfrist um eine Entscheidungsfrist; sie beginnt erst zu laufen, wenn der Behörde sämtliche - auch für die Ermessenausübung - relevanten Tatsachen bekannt sind, mithin Entscheidungsreife eingetreten ist (vgl. BVerwGE 118, 174, 179; BVerwG, NVwZ 2002, 485 m.w.N.). Auch eine notwendige Anhörung muss grundsätzlich bereits erfolgt sein (BVerwG, aaO; m.w.N.; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Rn. 229; Gayer in Bader/, BeckOK-VwVfG, Stand , § 49 Rn. 68, 68.1).
9Nach Maßgabe dieser Grundsätze war im August 2008 noch keine Entscheidungsreife eingetreten. Zwar hatte der Kläger in seinem Schreiben vom für das Jahr 2007 den (im weiteren Verlauf dann nicht vorgelegten) Nachweis einer nur vierstündigen Fortbildung angekündigt. Die Beklagte konnte diesem Schreiben indessen allenfalls entnehmen, dass der Kläger im Jahr 2007 säumig gewesen war, schon aber nicht, in welchem Umfang und aus welchem Grund. Wie auch aus einem auf dem genannten Schreiben angebrachten Vermerk hervorgeht, sollte dem Kläger ferner Gelegenheit gegeben werden, die im Jahr 2007 versäumte Fortbildung im Jahr 2008 nachzuholen. An der Berechtigung der Beklagten, unter solchen Vorzeichen auf den Widerruf der Erlaubnis (zunächst) zu verzichten, ist dabei nicht zu zweifeln (vgl. auch AnwZ (B) 37/00, NJW 2001, 1945; Hartung in Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 25 FAO Rn. 3). Ferner wurde die in § 25 Abs. 3 Satz 1 FAO vorgeschriebene Anhörung erst Mitte des Jahres 2009 durchgeführt, also weniger als ein Jahr vor dem Widerrufsbescheid vom .
103. Der Widerrufsbescheid ist auch in der Sache nicht zu beanstanden.
11a) Der Kläger hat, was er nicht in Abrede stellt, im Jahr 2007 seiner Fortbildungspflicht sowie deren Nachweis nach § 15 FAO nicht genügt. Damit lagen die Voraussetzungen des § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO im Zeitpunkt des Widerrufs vor. Auf die durch den Anwaltsgerichtshof im Zusammenhang mit der Rechtzeitigkeit des Widerspruchs aufgeworfene Frage, ob Fortbildungen zwischen den Jahren 2007 und 2008 "verrechnet" werden durften, kommt es schon deswegen nicht an, weil der Kläger im Jahr 2008 lediglich zehn Stunden Fortbildung nachgewiesen hat, und damit in diesem Zeitraum jedenfalls ein Fortbildungsdefizit von zehn Stunden besteht.
12b) Zu Unrecht rügt der Kläger, die Beklagte habe von dem ihr nach § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO zustehenden Ermessen (hierzu eingehend BGH, aaO Rn. 4 ff.) keinen Gebrauch gemacht. Dass sich die Beklagte des ihr zustehenden Ermessensspielraums bewusst war, ergibt sich bereits aus dem im Widerrufsbescheid erörterten Umstand wiederholter Fristsetzungen zur Nachholung der Fortbildung. Soweit der Kläger beanstandet, die Beklagte habe etwaige Hinderungsgründe (z.B. Krankheit, Terminprobleme, Ausfall von Veranstaltungen) nicht abgewogen, sind solche Hinderungsgründe seinem Vortrag nicht zu entnehmen noch sonst ersichtlich und konnten mithin nicht in die Abwägung eingestellt werden. Mit Rücksicht darauf, dass die Erwägungen, von denen sich die Beklagte beim Widerruf hat leiten lassen, auch mit Blick auf frühere Versäumnisse des Klägers eindeutig erscheinen (vgl. BVerwG, NVwZ 1988, 525, 526; Eyermann/Rennert, VwGO, 13. Aufl., § 114 Rn. 18), bedarf keiner Entscheidung, ob bei Fehlen besonderer Gründe hinsichtlich des Gestattungswiderrufs gar eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen ist (so Offermann-Burckart in Henssler/Prütting, aaO § 43c BRAO Rn. 39). Aus denselben Gründen schadet es nicht, dass der Widerspruchsbescheid im Rahmen einer Hilfserwägung nur knapp die Rechtmäßigkeit des Bescheids betont.
134. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 1 GKG. Die Bemessung eines Streitwerts von 12.500 € in Verfahren betreffend das Führen der Fachanwaltsbezeichnung entspricht der ständigen Praxis des Senats. Umstände, die im vorliegenden Fall ein Abweichen von dieser Praxis anzeigen könnten, sind nicht ersichtlich.
Kayser König Fetzer
Wüllrich Hauger
Fundstelle(n):
EAAAI-11005