Grundsatzrüge nach ergänzendem Verfahren (hier: Heilung eines Bekanntmachungsfehlers)
Gesetze: § 214 Abs 4 BauGB
Instanzenzug: Thüringer Oberverwaltungsgericht Az: 1 N 352/17 Urteil
Gründe
1I. Die Beigeladene hat ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom ergangenen Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts mit Schriftsatz vom zurückgenommen. Das Beschwerdeverfahren ist deshalb in entsprechender Anwendung von § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
2II. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt erfolglos. Sie ist unbegründet.
31. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
4Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4).
5a) Das Oberverwaltungsgericht hat sein Urteil allein tragend darauf gestützt, dass die Bekanntmachung der Genehmigung des Bebauungsplans im Amtsblatt nicht den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen genüge (UA S. 11). Insoweit macht die Antragsgegnerin keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf geltend. Sie hat vielmehr nach Ergehen des Normenkontrollurteils ein ergänzendes Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB durchgeführt und hält den Bekanntmachungsfehler für geheilt. Sie meint, damit die Entscheidungserheblichkeit von Rechtsfragen zur Lärmemissionskontingentierung herbeigeführt zu haben. Dies führt nicht zur Zulassung der Revision.
6aa) Mit dem - wirksamen - Abschluss des ergänzenden Verfahrens erlangt ein ursprünglicher Bebauungsplan zusammen mit dem geänderten Bebauungsplan insgesamt als ein Bebauungsplan Wirksamkeit, der sich aus zwei Teilnormgebungsakten zusammensetzt (stRspr, vgl. 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 22 und vom - 4 CN 8.19 - ZfBR 2021, 874 Rn. 7). Eine solche Änderung der Rechtslage wäre in einer Revisionsentscheidung zu beachten (vgl. 4 CN 6.16 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 108 Rn. 10 und vom - 4 CN 8.19 - a.a.O.) und könnte auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde Bedeutung erlangen (vgl. 4 BN 38.15 - BauR 2016, 1769 Rn. 2).
7Eine Rechtsänderung durch das ergänzende Verfahren kann jedoch nicht zur Zulassung wegen einer als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Frage führen, die das Oberverwaltungsgericht nicht beantwortet hat. Denn es ist grundsätzlich nicht Sinn der Revisionszulassung, die Anwendung neuen Rechts im Einzelfall ohne vorherige Prüfung durch die Instanzgerichte zu ermöglichen ( 1 B 11.05 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 32 S. 13 f.). Die Revisionszulassung setzt vielmehr eine Rechtsfrage voraus, die für das angegriffene Urteil entscheidungserheblich war (BVerwG, Beschlüsse vom - 7 BN 3.18 - Buchholz 406.27 § 32 BBergG Nr. 2 Rn. 11 und vom - 6 B 13.13 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 181 Rn. 19). Zwar hat sich das Oberverwaltungsgericht zu Mängeln der Kontingentierung geäußert. Diese Ausführungen tragen das Urteil aber nicht (vgl. UA S. 15). Insoweit weicht der Fall von der Konstellation ab, über die durch Senatsbeschluss vom - 4 BN 38.15 - (BauR 2016, 1769) zu entscheiden war. Auf die - zwischen den Beteiligten umstrittene - Frage, ob das ergänzende Verfahren mangelfrei durchgeführt worden ist, kommt es nicht an.
8bb) Hiervon unabhängig sind die in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen in der Rechtsprechung beantwortet.
9Die Festsetzung von Lärmemissionskontingenten findet bei einer internen Gliederung eines Baugebiets ihre Rechtsgrundlage in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO. Dem Tatbestandsmerkmal des Gliederns in dieser Vorschrift wird nur Rechnung getragen, wenn das Baugebiet in einzelne Teilgebiete mit verschieden hohen Emissionskontingenten zerlegt wird ( 4 CN 7.16 - BVerwGE 161, 53 Rn. 15; vgl. UA S. 15). Bei einer Gliederung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO muss die Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets gewahrt bleiben. Die Lärmemissionskontingentierung eines Industriegebiets ist dabei von § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO nur gedeckt, wenn ein Teilgebiet von einer Emissionsbeschränkung ausgenommen wird ( 4 CN 5.19 - NVwZ 2021, 1141 Rn. 13, vgl. UA S. 16).
10Weiteren Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf: Unterschiedliche Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung lassen die Anforderungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO an die Gliederung des Baugebiets unberührt. Diese Anforderungen verlangen auch für die Überplanung eines Bestandes Beachtung, weil sie sich aus der Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung ergeben.
11b) Die Beschwerde formuliert ihre zum Rechtsschutzbedürfnis aufgeworfene Verfahrensrüge zugleich als Rüge einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Diese Rüge verfehlt die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Sie legt die fallübergreifende Bedeutung der Frage nicht dar, sondern beschränkt sich auf eine Kritik im Einzelfall.
122. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
13a) Das Oberverwaltungsgericht hat das Rechtsschutzbedürfnis zutreffend angenommen.
14Ist ein Antragsteller antragsbefugt im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, ist regelmäßig auch das Rechtsschutzbedürfnis gegeben ( 4 CN 3.18 - BVerwGE 164, 74 Rn. 14). Das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll nur verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann ( 4 CN 4.19 - BVerwGE 169, 219 Rn. 11 m.w.N.). Das Oberverwaltungsgericht hat das Rechtsschutzbedürfnis selbständig tragend mit dem Hinweis bejaht, dass die Antragsteller bei einem Erfolg ihres Antrags die aus ihrer Sicht fehlerhafte Einordnung ihres Grundstücks als Gewerbegebiet beseitigen können (UA S. 10). Insoweit zeigt die Beschwerde keinen Verfahrensfehler auf. Hiervon unabhängig hat das Oberverwaltungsgericht das Rechtsschutzbedürfnis angenommen, weil eine erneute Planung zum Verzicht auf die Ausweisung bestimmter Flächen oder zu günstigeren Festsetzungen für die Antragsteller führen könnte. Eine solche Aussicht genügt ( 4 CN 3.18 - BVerwGE 164, 74 Rn. 14).
15b) Die Beschwerde rügt, mit der Ablehnung eines Beweisantrags habe das Oberverwaltungsgericht gegen die Pflicht zur Amtsaufklärung aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO und den Überzeugungsgrundsatz aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen. Dies bleibt erfolglos. Nach der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts (stRspr, vgl. 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119> und Beschluss vom - 4 B 38.13 - NVwZ 2014, 1246 Rn. 27) kam es auf die unter Beweis gestellten baulichen Gegebenheiten im Plangebiet und damit das Bestehen eines faktischen Gewerbe- oder Industriegebiets nicht an (UA S. 15).
163. Zur Klarstellung weist der Senat auf Folgendes hin: Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts nach § 133 Abs. 5 Satz 3 VwGO rechtskräftig. Dessen Gegenstand ist der Bebauungsplan Gewerbe- und Industriegebiet "Ölmühle" in seiner ursprünglichen Fassung. Ob der Bebauungsplan in der Fassung der Bekanntmachung vom wirksam ist, ist damit nicht entschieden.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:201221B4BN36.21.0
Fundstelle(n):
RAAAI-06327