BGH Beschluss v. - 1 StR 236/21

Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen: Eintritt des Taterfolgs; Steuererklärung nach Kenntnis von der Einleitung eines Strafverfahrens; Strafurteilsgründe

Gesetze: § 370 Abs 1 Nr 2 AO, § 370 Abs 2 AO, § 393 AO, § 22 StGB, § 23 StGB, § 267 Abs 1 S 1 StPO

Instanzenzug: LG München II Az: W5 KLs 65 Js 34698/15

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten S.        wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt; gegen den Angeklagten B.  hat es wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in fünf Fällen unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus einem früheren Urteil eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt; im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen.

2Die gegen ihre Verurteilungen gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts - der Angeklagte S.        auch die Verletzung formellen Rechts - beanstanden, haben mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

31. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte S.        in den Jahren 2009 bis 2016 im Bereich der Vermittlung von Edelmetallankäufen hauptsächlich in Form von Goldsparplänen als gewerblicher Anlagevermittler und als Angestellter für verschiedene, unter anderem schweizerische und niederländische Gesellschaften tätig, an denen er überwiegend zumindest faktisch beteiligt war; von den Gesellschaften erzielte Gewinne ließ er sich entweder auf seine ausländischen Bankkonten überweisen oder er entnahm sie auf eine nicht mehr feststellbare Weise und zahlte sie in bar auf seine Konten ein.

4a) Die ihm hieraus in den Jahren 2009 und 2010 zugeflossenen Einnahmen gab der Angeklagte S.        in seinen Einkommensteuererklärungen für diese Veranlagungszeiträume nicht vollständig an; zudem erklärte er für den Veranlagungszeitraum 2010 keine Gewerbesteuer. Ab dem Jahr 2012 spiegelte er den deutschen Finanzbehörden wahrheitswidrig vor, dass er nicht mehr in Deutschland, sondern im Ausland wohne; für die Veranlagungszeiträume 2012 bis 2016 gab er keine Einkommensteuererklärungen ab.

5Insgesamt verkürzte der Angeklagte S.        nach den Berechnungen des Landgerichts für die Besteuerungszeiträume 2009 und 2010 sowie 2012 bis 2016 an Einkommen- und Gewerbesteuer 275.693 Euro.

6b) Der Angeklagte B.  unterstützte den Angeklagten S.        in den Jahren 2012 bis 2016 und überwies als Geschäftsführer einer der Gesellschaften des Angeklagten S.        auf dessen ausländische Konten insgesamt 466.811,01 Euro als verdeckte Gewinnausschüttung.

72. Das Landgericht hat die Taten des Angeklagten S.        bezüglich der Einkommensteuer betreffend die Veranlagungszeiträume 2009 und 2010 als Steuerhinterziehung in zwei Fällen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, betreffend die Veranlagungszeiträume 2012 bis 2016 und - bezüglich der Gewerbesteuer - betreffend den Veranlagungszeitraum 2010 als Steuerhinterziehung in sechs Fällen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gewertet. Wann die Veranlagungsarbeiten für die Einkommensteuer jeweils im Großen und Ganzen abgeschlossen waren, hat die Kammer nicht festgestellt.

II.

8Die Revisionen der Angeklagten sind teilweise begründet.

91. Die vom Angeklagten S.        erhobene Verfahrensrüge hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher dargelegten Gründen keinen Erfolg.

102. Die Sachrüge der Angeklagten führt in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des angegriffenen Urteils.

11a) Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten S.        in den Fällen III. A. 1. c) (5), III. A. 1. c) (6) und III. A. 1. c) (7) der Urteilsgründe (Hinterziehung der Einkommensteuer bezüglich der Jahre 2014 bis 2016) wegen vollendeter Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht, weil die Strafkammer nicht alle erforderlichen Feststellungen getroffen hat.

12aa) Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen mitteilen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 484/18 Rn. 4 und vom - 1 StR 538/17 Rn. 11, jeweils mwN). Bei der Blankettstrafnorm des § 370 AO, die erst zusammen mit den sie ausfüllenden steuerrechtlichen Vorschriften die maßgebliche Strafvorschrift bildet, muss sich aus den Feststellungen ergeben, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung geführt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 567/19 Rn. 6 und vom - 1 StR 159/19 Rn. 8).

13Bei der Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen tritt - sofern nicht vorher ein Schätzungsbescheid ergangen ist - der Taterfolg der Steuerverkürzung zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Veranlagung stattgefunden hätte, wenn die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht worden wäre; dies ist spätestens dann der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 640/10 Rn. 8 und vom - 5 StR 500/98 Rn. 3). Hierzu bedarf es ausreichender tatsächlicher Feststellungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 60/21 Rn. 6 und vom - 1 StR 544/09 Rn. 76 ff.).

14bb) Das angefochtene Urteil genügt in den Fällen III. A. 1. c) (5), III. A. 1. c) (6) und III. A. 1. c) (7) der Urteilsgründe den sich hieraus ergebenden Darstellungsanforderungen nicht. Das Landgericht hat insoweit lediglich festgestellt, dass der Angeklagte S.        für die Veranlagungszeiträume 2014 bis 2016 keine Einkommensteuererklärung abgegeben hat; wann die Veranlagungsarbeiten in dem zuständigen Finanzamt tatsächlich im Wesentlichen abgeschlossen waren, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Taten - wie von dem Landgericht angenommen - überhaupt vollendet sind.

15cc) Hinsichtlich der Tatvollendung hätte sich das landgerichtliche Urteil in den genannten Fällen zudem damit auseinandersetzen müssen, ob die Strafbewehrung der Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung suspendiert war.

16Nach den Urteilsgründen ergingen nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens gegen den Angeklagten S.        am und sodann am Durchsuchungsbeschlüsse, wobei nach den Ausführungen im landgerichtlichen Urteil zumindest letzterer unter anderem wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung betreffend die Veranlagungszeiträume 2014 und 2015 erlassen wurde (UA S. 82). Wann diese Durchsuchungsanordnungen vollzogen wurden und dem Angeklagten das Steuerstrafverfahren bekannt gegeben wurde, lässt das Landgericht rechtsfehlerhaft offen. Sollte der Angeklagte aber bereits vor dem Ende des Großteils der Abschlussarbeiten und damit vor Tatvollendung Kenntnis von dem eingeleiteten Strafverfahren erlangt haben, wäre wegen des Verbots des Zwangs zur Selbstbelastung seine Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für die Veranlagungszeiträume entfallen, auf die sich das eingeleitete Strafverfahren bezieht; insoweit wäre der Angeklagte nur wegen Versuchs (§ 370 Abs. 2 AO) zu bestrafen (vgl. Rn. 8 mwN).

17dd) Aufgrund der auch insoweit lückenhaften Darstellung kann der Senat in den Fällen der Hinterziehung der Einkommensteuer betreffend die Veranlagungszeiträume 2014 bis 2016 - anders als in den Fällen der Einkommen- und Gewerbesteuerhinterziehung bezüglich der Jahre 2009 und 2010 sowie 2012 und 2013 - auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass die Taten zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Steuerstrafverfahrens bereits vollendet waren.

18b) Ist das Vorliegen einer vorsätzlich begangenen Haupttat des Angeklagten S.        in den Fällen III. A. 1. c) (5), III. A. 1. c) (6) und III. A. 1. c) (7) der Urteilsgründe nicht tragfähig begründet worden, kann auch die Verurteilung des Angeklagten B.  wegen Beihilfe zu diesen Taten (§ 27 StGB) keinen Bestand haben.

193. Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen III. A. 1. c) (5), III. A. 1. c) (6) und III. A. 1. c) (7) der Urteilsgründe entzieht den insoweit gegen die Angeklagten verhängten Einzelstrafen sowie beiden Gesamtstrafenaussprüchen die Grundlage. Der Senat hebt auch die übrigen gegen die Angeklagten festgesetzten Einzelstrafen auf, um dem neuen Tatgericht eine in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 567/19 Rn. 9 und vom - 1 StR 403/19 Rn. 8).

204. Die dem Schuldspruch in den Fällen III. A. 1. c) (5), III. A. 1. c) (6) und III. A. 1. c) (7) der Urteilsgründe zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler berührt, so dass diese ebenfalls aufzuheben sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Übrigen haben die Feststellungen bestand.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:041121B1STR236.21.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2022 S. 289 Nr. 9
AO-StB 2022 S. 50 Nr. 2
BB 2022 S. 2973 Nr. 51
BFH/NV 2022 S. 303 Nr. 3
wistra 2022 S. 204 Nr. 5
PAAAI-06264