Versorgungsausgleich: Berechnung des Ehezeitanteils in der gesetzlichen Rentenversicherung im Falle eines Besitzschutzes
Leitsatz
Im Falle eines Besitzschutzes nach § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ist der Ehezeitanteil aus der tatsächlich gezahlten höheren Rente zu errechnen (Fortführung der Senatsbeschlüsse vom - IVb ZB 504/80, FamRZ 1982, 33; vom - IVb ZB 876/80, FamRZ 1984, 673 und vom - XII ZB 225/94, FamRZ 1997, 160).
Gesetze: § 88 Abs 1 S 2 SGB 6, § 39 VersAusglG, § 41 VersAusglG
Instanzenzug: Az: 15 UF 52/19 Beschlussvorgehend AG Eckernförde Az: 8 F 476/17
Gründe
I.
1Die Beteiligte zu 1 (Deutsche Rentenversicherung Bund) wendet sich gegen den durchgeführten Versorgungsausgleich hinsichtlich des bei ihr bestehenden Anrechts der Antragsgegnerin.
2Der im März 1954 geborene Antragsteller (im Folgenden: Ehemann) und die im Juli 1955 geborene Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) heirateten am . Aus der Ehe ging ein im Jahr 1991 geborenes Kind hervor. Die Ehefrau bezog seit dem eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und bezieht im unmittelbaren Anschluss hieran seit dem eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Auf den am zugestellten Antrag hat das die Ehe geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt.
3Während der gesetzlichen Ehezeit ( bis ; § 3 Abs. 1 VersAusglG) erwarb der Ehemann Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Beamtenversorgung. Die Ehefrau erwarb ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung, dessen Ehezeitanteil die Beteiligte zu 1 in ihrer Versorgungsauskunft vom mit 26,8480 Entgeltpunkten bei einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 13,4240 Entgeltpunkten angegeben hat; darin berücksichtigt war ein Entgeltpunkt für Kindererziehungszeiten.
4Das Familiengericht hat die Anrechte mit den jeweils vorgeschlagenen Ausgleichswerten intern geteilt. Hiergegen hat die Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt und über das Anrecht der Ehefrau eine neue Versorgungsauskunft mit einem Ehezeitanteil von 28,4952 Entgeltpunkten bei einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 14,2476 Entgeltpunkten erteilt. Die Veränderung sei zum einen dadurch begründet, dass aufgrund des zum in Kraft getretenen Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz) vom (BGBl. I S. 2016) die Zeiten der Kindererziehung für Geburten vor dem Jahr 1992 rentenrechtlich stärker berücksichtigt würden (sog. „Mütterrente II“). Zum anderen habe die Ehefrau eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen und es bestehe gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ein Besitzschutz für die sich hieran unmittelbar anschließende Altersrente als Folgerente. Der ausgezahlten Altersrente lägen die höheren persönlichen Entgeltpunkte der vorangegangenen Rente wegen Erwerbsminderung zugrunde. Bei der Berechnung des Ehezeitanteils aus den Entgeltpunkten der gezahlten Rente sei deshalb von dem Bescheid der vorangegangenen Rente auszugehen.
5Das Oberlandesgericht hat unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde das Anrecht der Ehefrau mit einem Ausgleichswert von 13,6740 Entgeltpunkten intern geteilt, wobei es (nur) eine Erhöhung des Ehezeitanteils durch die „Mütterrente II“ berücksichtigt hat. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte zu 1 die zusätzliche Berücksichtigung eines durch den Besitzschutz gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erhöhten Ehezeitanteils.
II.
6Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
71. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie gemäß § 70 Abs. 1 FamFG uneingeschränkt statthaft. Zwar hat das Oberlandesgericht in der Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde lediglich die Frage sei, „ob beim Bezug einer Altersrente im unmittelbaren Anschluss an eine besitzgeschützte Erwerbsminderungsrente die Berechnung des Ehezeitanteils und des Ausgleichswerts auf Grundlage der tatsächlich bezogenen Altersrente zu erfolgen hat oder auf Grundlage der zuvor bezogenen Erwerbsminderungsrente“. Diese Erwägungen führen indes nicht dazu, dass die Rechtsbeschwerde über die Beschränkung auf das auszugleichende Anrecht der Ehefrau hinaus weiter beschränkt zugelassen ist. Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung des Senats, dass sich auch bei einer - wie hier - uneingeschränkten Zulassung des Rechtsmittels in der Beschlussformel eine wirksame Beschränkung aus den Entscheidungsgründen ergeben kann (Senatsbeschluss vom - XII ZB 359/19 - FamRZ 2021, 1955 Rn. 14 mwN). Eine Beschränkung der Zulassung auf die von dem Oberlandesgericht aufgeworfene Rechtsfrage wäre aber unwirksam, weil hierüber nicht eigenständig durch eine Teilentscheidung befunden werden könnte (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 353/12 - FamRZ 2015, 313 Rn. 8 mwN).
82. Das Oberlandesgericht hat seine in MDR 2021, 948 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet: Aufgrund der am in Kraft getretenen Regelungen des RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetzes sei der Ehezeitanteil des Anrechts der Ehefrau durch zusätzlich sechs Monate Kindererziehungszeit als Beitragszeit für die Erziehung von vor 1992 geborenen Kindern in Höhe eines Zuschlags von 0,5000 Entgeltpunkten erhöht.
9Abgesehen davon sei der Ausgleichswert jedoch in der ursprünglichen Auskunft vom zutreffend ermittelt worden. Der Ehezeitanteil sei auf der Grundlage der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits tatsächlich gezahlten Altersrente und nicht auf der Grundlage der bis zum bezogenen Erwerbsminderungsrente zu berechnen. Nach dem Beginn des Bezugs einer Vollrente wegen Alters sei der Ausgleichswert in der gesetzlichen Rentenversicherung allein aus den auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkten der tatsächlich bezogenen Altersrente zu ermitteln. Zwar sei nach älterer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Fällen, in denen ein Ehegatte am Ende der Ehezeit eine Erwerbsminderungsrente bezogen habe, mit deren Entziehung nicht mehr zu rechnen gewesen sei, für die Ermittlung des Wertunterschieds von dem tatsächlichen Zahlbetrag der Erwerbsunfähigkeitsrente auszugehen, wenn dieser das fiktiv errechnete Altersruhegeld übersteige. Dies betreffe jedoch Fälle, in denen der Bezug einer Vollrente bis zur abschließenden gerichtlichen Entscheidung noch nicht begonnen habe. Im vorliegenden Fall habe der Bezug einer Vollrente wegen Alters hingegen bereits begonnen. Würde man hier auf die Erwerbsminderungsrente abstellen, würde ein Ehezeitanteil zum Ausgleich gebracht werden, welcher im Anrecht der Ehefrau tatsächlich nicht (mehr) vorhanden sei. Damit würde gegen den Halbteilungsgrundsatz verstoßen, da mehr ausgeglichen würde als die Hälfte des noch vorhandenen Ehezeitanteils. Denn tatsächlich sei der Ehezeitanteil des Anrechts der Ehefrau seit dem Bezug der Altersrente rechnerisch geringer als während des Bezugs der Erwerbsminderungsrente.
103. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
11a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Oberlandesgericht allerdings von einer Erhöhung des Ausgleichswerts durch die rentenrechtliche Höherbewertung von Kindererziehungszeiten durch das RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz vom (BGBl. I S. 2016) ausgegangen, welche auf den Ehezeitanteil zurückwirkt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG; vgl. bereits Senatsbeschluss vom - XII ZB 313/15 - FamRZ 2016, 791 Rn. 32 zur „Mütterrente I“).
12b) Zu Unrecht hat das Oberlandesgericht jedoch die gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI besitzgeschützten Entgeltpunkte der Ehefrau aus ihrer Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht ausgeglichen.
13aa) Wie der Senat bereits in Bezug auf die Gesamtleistungsbewertung und auf die Mindestbewertung von Pflichtbeiträgen entschieden hat, ist nach dem Beginn des Bezugs einer Vollrente wegen Alters der Ausgleichswert in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht auf der Grundlage einer fiktiven Rente, sondern allein aus der tatsächlich bezogenen Rente mit ihren Wertverhältnissen zu ermitteln (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 313/15 - FamRZ 2016, 791 Rn. 26 und vom - XII ZB 350/15 - FamRZ 2016, 1649 Rn. 23).
14Damit hat der Senat seine frühere Rechtsprechung fortgeschrieben, wonach in dem Fall, dass ein Ehegatte am Ende der Ehezeit eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezog, mit deren Entziehung nicht mehr zu rechnen war, und die das fiktiv errechnete Altersruhegeld besitzgeschützt überstieg, für die Berechnung des Versorgungsausgleichs von dem tatsächlichen Rentenzahlbetrag auszugehen war (vgl. Senatsbeschlüsse vom - IVb ZB 504/80 - FamRZ 1982, 33, 34 und vom - IVb ZB 876/80 - FamRZ 1984, 673).
15Der früher als Zahlbetragsgarantie ausgestaltete Besitzschutz (§§ 1254 Abs. 2 Satz 2, 1253 Abs. 2 Satz 5 RVO) richtet sich seit der Neuregelung durch § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI auf einen Besitzschutz an persönlichen Entgeltpunkten. Danach werden, wenn ein Versicherter eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Erziehungsrente bezogen hat und spätestens innerhalb von 24 Kalendermonaten nach Ende des Bezugs dieser Rente erneut eine Rente beginnt, für diese Rente mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte zugrunde gelegt. Auch dieser Vorschrift hat der Senat für den Versorgungsausgleich die Wirkung beigemessen, dass der Ehezeitanteil in solchen Fällen aus der tatsächlich gezahlten höheren Rente zu errechnen ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 225/94 - FamRZ 1997, 160).
16bb) An diesen Bewertungsgrundsätzen ändert die am in Kraft getretene Neuregelung des Versorgungsausgleichs nichts. Bereits nach der Gesetzesbegründung sollte die bisherige Rechtsprechung zu den Auswirkungen des Besitzschutzes in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 88 SGB VI auf den Versorgungsausgleich unberührt bleiben (BT-Drucks. 16/10144 S. 79 f.). Das entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. - juris Rn. 9; - juris Rn. 6; Wick Der Versorgungsausgleich 4. Aufl. Rn. 234; Borth Versorgungsausgleich 9. Aufl. Kap. 2 Rn. 194 f., 212, 216; Rehbein in Götsche/Rehbein/Breuers VersAusglG 3. Aufl. § 41 Rn. 4 und 8; Erman/Norpoth/Sasse BGB 16. Aufl. § 41 VersAusglG Rn. 3; BeckOGK/Kischkel [Stand: ] VersAusglG § 41 Rn. 8; MünchKommBGB/Scholer 8. Aufl. § 41 VersAusglG Rn. 9; MünchKommBGB/Weber 8. Aufl. § 43 VersAusglG Rn. 97 und 102; Johannsen/Henrich/Althammer/Holzwarth Familienrecht 7. Aufl. § 41 VersAusglG Rn. 3; Schulz/Hauß/Hauß Familienrecht 3. Aufl. § 41 VersAusglG Rn. 5; aA im Anschluss an die angefochtene Entscheidung BeckOK BGB/Bergmann [Stand: ] § 5 VersAusglG Rn. 7 und § 43 VersAusglG Rn. 40; jurisPK-BGB/Breuers 9. Aufl. § 5 VersAusglG Rn. 32.2; kritisch auch Bergner NJW 2009, 1169, 1170).
17Die Berechnung des Ehezeitanteils anhand des Bescheids der vorangegangenen Erwerbsminderungsrente steht insbesondere nicht im Widerspruch zu § 109 Abs. 6 SGB VI, wonach der Versorgungsauskunft die nach § 39 VersAusglG zu ermittelnden Entgeltpunkte aus der Berechnung einer Vollrente wegen Erreichens der Regelaltersgrenze zugrunde zu legen sind. Denn auch bei einer Folgerente gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, deren Höhe sich nach dem Besitzschutz der vorangegangenen Erwerbsminderungsrente errechnet, handelt es sich um eine Vollrente wegen Alters (vgl. BSG SozR 3-2600 § 88 Nr. 2; BT-Drucks. 11/4124 S. 173; Schmeiduch FamRZ 1998, 594, 595).
183. Die angefochtene Entscheidung kann daher insoweit keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG), da die anzuwendenden Berechnungsgrundlagen mit der in Bezug genommenen Versorgungsauskunft feststehen und keine weiteren Feststellungen zu treffen sind.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:260122BXIIZB175.21.0
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 2118 Nr. 29
HAAAI-06206