Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln: Anforderungen an die Strafzumessung bei Ausschöpfung des Strafrahmens
Gesetze: § 30 Abs 1 Nr 4 BtMG, § 30a Abs 1 Alt 4 BtMG, § 30a Abs 2 Nr 2 Alt 2 BtMG, § 38 Abs 2 StGB, § 46 Abs 2 S 1 StGB, §§ 46ff StGB, § 54 Abs 2 S 1 StGB, § 267 Abs 3 S 1 StPO
Instanzenzug: LG Traunstein Az: 6 KLs 150 Js 43824/19
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt, und zwar den Angeklagten S. zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren sowie den Angeklagten Y. zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren sechs Monaten. Daneben hat das Landgericht die sichergestellten Betäubungsmittel und weitere Gegenstände eingezogen. Die gegen ihre Verurteilungen gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie jeweils die Verletzung materiellen Rechts beanstanden, haben zum Strafausspruch Erfolg.
I.
2Nach den Feststellungen des Landgerichts ließen sich die Angeklagten von einem unbekannt gebliebenen Hintermann anwerben, um im Irak zu übernehmendes Heroin über Deutschland in die Niederlande zu verbringen. Die Angeklagten, die sich während des Transports gegenseitig überwachen sollten, starteten am ihre Reise in R. und hielten sich länger in der Türkei auf. Am begaben sie sich von dort über den Grenzübergangsort „H. “ bei Si. in die irakische Grenzstadt Z. . Dort übernahmen sie von einer nicht ermittelten Person 43.906 Gramm Heroin mit einer Wirkstoffmenge von 23.859,9 Gramm Heroinhydrochlorid; das in 79 Päckchen gepresste Rauschgift mit einem Straßenverkaufswert von mindestens zehn Millionen Euro wurde in einem Hohlraum im Rückraum des Wagens versteckt. Auf der Rückreise fuhren die Angeklagten am gegen 18.30 Uhr über den Grenzübergang W. in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Dort wurden sie einer Fahrzeugkontrolle unterzogen; die Betäubungsmittel wurden sichergestellt.
II.
31. Die Schuldsprüche begegnen aus den Erwägungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Bedenken.
42. Indes hält die Strafzumessung (im engeren Sinne) innerhalb des hier wegen Menge und Art des eingeführten Rauschgifts allein in Betracht kommenden Ausgangsstrafrahmens des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG der - freilich eingeschränkten - sachlichrechtlichen Nachprüfung letztlich nicht stand. Die Erwägungen des Landgerichts, das insbesondere bezüglich des Angeklagten Y. in Richtung der Ausschöpfung des eröffneten Strafrahmens (§ 38 Abs. 2 StGB) geht, lassen besorgen, dass es sich nahezu ausschließlich an Art, Menge und Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel orientiert hat; die außergewöhnlich hohen Strafen sind damit nicht rechtsfehlerfrei begründet. Im Einzelnen:
5a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts, gleichwohl Rechtsanwendung und unterliegt insoweit der revisionsgerichtlichen Überprüfung.
6aa) Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB hat das Tatgericht bei der Strafzumessung die Umstände gegeneinander abzuwägen, die für oder gegen den Täter sprechen. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des eingeräumten Spielraums liegt. Das Gewicht der Strafzumessungstatsachen bestimmt in erster Linie das Tatgericht, dem hierbei von Rechts wegen ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eröffnet ist. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen. Dabei ist dieses lediglich verpflichtet, die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich (st. Rspr.; zuletzt Rn. 7 mit weiteren umfangreichen Nachweisen). Die Begründung des Urteils muss erkennen lassen, dass die wesentlichen Gesichtspunkte gesehen und in ihrer Bedeutung sowie ihrem Zusammenwirken vertretbar gewürdigt wurden; nur in diesem Rahmen kann das Gesetz verletzt sein (§ 337 Abs. 1 StPO; Rn. 40 mwN).
7bb) Bei Betäubungsmitteldelikten prägen Art und Menge des Rauschgifts den Unrechtsgehalt der Tat; sie sind deshalb nicht nur "bestimmende Umstände" (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), sondern regelmäßig vorrangig in die Abwägung einzustellen. Gleichwohl verlieren die allgemeinen Grundsätze der Strafzumessung nach den §§ 46 ff. StGB im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität nicht ihre Bedeutung. Danach ist auch bei Rauschgiftgeschäften die Strafe nach dem Maß der individuellen Schuld zuzumessen. Eine reine „Mengenrechtsprechung“ wäre mit diesen Grundsätzen nicht zu vereinbaren (vgl. Rn. 6; Beschlüsse vom - 2 StR 455/11, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 38 Rn. 5 und vom - 3 StR 28/11 Rn. 8; vgl. aber auch BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 154/11 Rn. 5 und vom - 5 StR 408/16).
8cc) Auf gleicher Linie liegen die vom Bundesgerichtshof gestellten Anforderungen an den Begründungsumfang, wenn die verhängten Strafen auffällig hoch sind (vgl. etwa Rn. 8 mwN). Dies gilt erst recht, wenn sie sich gar der oberen Strafrahmengrenze nähern (vgl. nur Rn. 8; vom - 1 StR 149/05 Rn. 5; vom - 2 StR 186/00 Rn. 17; vom - 3 StR 625/94 Rn. 6 und vom - 2 StR 44/85 Rn. 14; Beschlüsse vom - 3 StR 455/14 Rn. 5; vom - 3 StR 500/04 Rn. 2; vom - 4 StR 74/94, BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 8 und vom - 5 StR 587/83 Rn. 4), also den eröffneten Strafrahmen ausschöpfen. Außergewöhnlich hohe Strafen bedürfen einer Rechtfertigung in den Urteilsgründen, die das Abweichen vom Üblichen vor dem Hintergrund der Besonderheiten des jeweiligen Falles verständlich macht (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 445/20 Rn. 5; vom - 4 StR 278/10 Rn. 5; vom - 2 StR 518/85 Rn. 4 und vom - 2 StR 30/82 Rn. 3).
9dd) Nur vereinzelt hat der Bundesgerichtshof in - hier einschlägigen - Kurierfällen allein aufgrund der Art sowie der Menge und der Wirkstoffmenge des gehandelten Rauschgifts in die den Tatgerichten zugewiesene Strafzumessung unter dem Gesichtspunkt des nicht mehr gerechten Schuldausgleichs eingegriffen, sei es, dass die Strafe unvertretbar milde war ( Rn. 3, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 25 und vom - 3 StR 176/07 Rn. 4; siehe aber auch, Rn. 3, 15) oder unvertretbar hoch ( Rn. 13; siehe aber auch Rn. 3, 8).
10b) Nach diesen Maßstäben begegnen die unzulänglichen Strafzumessungserwägungen des Landgerichts durchgreifenden Bedenken.
11aa) Das Landgericht benennt allein als straferschwerend, dass die Schwelle zur nicht geringen Menge um das 15.906fache überschritten ist und es sich bei Heroin um eine gefährliche Droge handelt. Nur dies lässt die verhängten Strafen nicht ohne Weiteres als nachvollziehbar erscheinen, auch nicht unter Beachtung der - auch gegenüber etwa Kokain - gefährlicheren Wirkung von Heroin. An den besonderen objektiven Umständen, die nicht vom - allein der Autonomie des Tatgerichts unterliegenden - persönlichen Eindruck von den Angeklagten aus der Hauptverhandlung abhängen, gemessen, namentlich an der sich über rund sechs Wochen erstreckenden Dauer der Kurierhin- und -rückfahrt, begleitet von Geldüberweisungen, der durchaus auffällig langen Gesamtfahrtstrecke von rund 8.800 Kilometern und des besonders präparierten, zuvor offensichtlich von einer anderen internationalen Gruppierung benutzten Schmuggelfahrzeugs, erscheint der verfahrensgegenständliche Fall nicht - jedenfalls nicht ohne weitere Begründung - als derart außergewöhnlich, als dass die Einordnung in die Kategorie der denkbar schwersten Fälle gerechtfertigt wäre. Hinzu kommt, dass auch Milderungsgründe wie die Sicherstellung des Rauschgifts und das bisherige (nahezu) unbescholtene Vorleben der Angeklagten sich erheblich zu ihren Gunsten auswirken mussten.
12Grundsätzlich erfordert die individuelle Strafzumessung eine Wertung der für die Strafzumessung maßgeblichen Umstände, weil die gesetzliche Vorgabe eines Strafrahmens grundsätzlich bedeutet, dass innerhalb des Rahmens nur für die denkbar schwersten Fälle die Höchststrafe verhängt werden darf (vgl. , BGHSt 58, 158 Rn. 56). Dies schließt, um eine Wertung innerhalb des Strafrahmens vornehmen zu können, den Vergleich mit eher "durchschnittlichen" Fällen notwendigerweise mit ein. Dabei haben freilich bei der individuellen Strafzumessung fremde hypothetische Sachverhalte ebenso außer Betracht zu bleiben wie von anderen Gerichten verhängte Strafen. Maßstab sind das durch den Straftatbestand geschützte Rechtsgut und der Grad seiner schuldhaften Beeinträchtigung.
13bb) Vor allem darf bei Einfuhrfällen das Strafengefüge der §§ 30, 30a BtMG nicht außer Blick geraten. Nach der gesetzlichen Konzeption kommt Qualifikationsmerkmalen wie etwa der Bandenmitgliedschaft (§ 30a Abs. 1 Variante 4 BtMG) oder des Beisichführens einer Waffe (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 Variante 2 BtMG) erheblich straferschwerendes Gewicht zu; dies zeigt sich an der gegenüber der in § 30 Abs. 1 BtMG normierten Strafrahmenuntergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe signifikant höheren des § 30a Abs. 1, 2 BtMG mit einer solchen von fünf Jahren Freiheitsstrafe. Demnach wären - etwa neben einem Sachverhalt, in dem das Rauschgift nicht sichergestellt wird oder der Täter mehrere Einfuhrtaten begeht (§ 54 Abs. 2 Satz 1 StGB; vgl. dazu ) - solche Konstellationen als schwerer zu gewichten, in denen der Kurier Bandenmitglied ist (vgl. auch dazu BGH aaO) oder bei der Einfuhr eine Waffe bei sich führt.
143. Die aufgezeigten Erörterungsfehler lassen die Feststellungen unberührt (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:201021U1STR136.21.0
Fundstelle(n):
DAAAI-05539