Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Erfolgsprognose bei fehlenden Deutschkenntnissen des Angeklagten
Gesetze: § 64 StGB
Instanzenzug: LG Itzehoe Az: 14 KLs 304 Js 2110/20
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und drei Monaten bis zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt und im Adhäsionsverfahren geltend gemachte Ansprüche zuerkannt. Gegen den Angeklagten K. hat es die Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet, während es für die Angeklagten Dö. und D. von einer solchen Anordnung abgesehen hat. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten Dö. und K. mit ihren unbeschränkten Revisionen, mit denen sachlich-rechtliche Beanstandungen geltend gemacht werden, der Angeklagte Dö. erhebt zudem die nicht näher ausgeführte Formalrüge. Der Angeklagte D. wendet sich mit der Sachrüge allein gegen den Strafausspruch. Während das so beschränkte Rechtsmittel dieses Angeklagten in vollem Umfang Erfolg hat, erzielen die Angeklagten Dö. und K. den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen erweisen sich ihre Rechtsmittel als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Schuldspruchs hat keine die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, dass die gefährliche Körperverletzung in der Begehungsform mittels gefährlichen Werkzeugs, § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, von der schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängt wird (so , NJW 1967, 297, 298; vom - 1 StR 640/66, BGHSt 21, 194, 195; dagegen mit beachtlichen Gründen zum Verhältnis der Tateinheit neigend mwN), beschwert dies die wegen gefährlicher Köperverletzung nach den Qualifikationstatbeständen des § 224 Abs. 1 Nr. 4 und 5 StGB verurteilten Angeklagten jedenfalls nicht.
32. Jedoch kann der Strafausspruch betreffend die Angeklagten D. und K. keinen Bestand haben.
4Zwar besorgt der Senat - anders als der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift - nicht, dass das Landgericht bei der Prüfung des minder schweren Falls des § 226 Abs. 3 StGB nicht bedacht haben könnte, dass das Hinzutreten des vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB einen minder schweren Fall dort begründen kann, wo die allgemeinen Milderungsgründe hierfür nicht ausreichen (vgl. ; Beschlüsse vom - 5 StR 61/16; vom - 1 StR 250/21). Denn es hat in die Würdigung des Vorliegens des minder schweren Falls eingestellt, dass bei den beiden Angeklagten „die durch die zusätzliche Einnahme von Betäubungsmitteln potenzierte Beeinträchtigung des Steuerungsvermögens“ hinzukomme, den Sonderstrafrahmen aber dennoch abgelehnt und erst dann den Normalstrafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert.
5Allerdings weist der Generalbundesanwalt zu Recht auf rechtsfehlerhafte Strafzumessungserwägungen hin. Hierzu hat er ausgeführt:
Das Landgericht hat zulasten des Angeklagten D. (und des Angeklagten K. ) berücksichtigt, dass dieser keinen eigenen nachvollziehbaren Grund für den Übergriff hatte. Damit hat es das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes als schulderhöhend gewertet. Dies erweist sich - worauf die Revision zutreffend hinweist - als rechtsfehlerhaft (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, § 46 Rdnr. 57i m.w.N.).
Ein weiterer Rechtsfehler liegt darin, dass die Strafkammer die „außerordentliche Brutalität“ sowie die „erhebliche Intensität des Übergriffs“ und das „hohe Maß an Menschenverachtung“ ohne jede Einschränkung strafschärfend bei dem Angeklagten D. (und dem Angeklagten K. ) eingestellt hat. Zwar liegt darin kein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB. Jedoch hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht, dass die im Verhalten des Angeklagten zu Tage getretene Brutalität ihren Grund (auch) in seinem rauschbedingten Zustand haben kann, der zur Anwendung von § 21 StGB und zur Milderung des Strafrahmens geführt hat. Immerhin hat der Sachverständige - dessen Einschätzungen die Strafkammer gefolgt ist - dargelegt, dass es bei den Angeklagten D. und K. infolge der Wechselwirkung von Alkohol und Kokain beziehungsweise Amphetamin zu einem Abbau von Hemmungen gekommen sein könnte. Ausgehend hiervon ist es ... widersprüchlich, de[n] Angeklagten ... die objektiven Umstände der Tatbegehung uneingeschränkt strafschärfend anzulasten (hierzu näher BGHR StGB § 21 Strafzumessung 1 f.).
Bereits auf den beiden aufgezeigten Rechtsfehlern beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht. Rechtsfehlerhaft sind lediglich daraus abgeleitete Schlussfolgerungen.
6Dem schließt sich der Senat an.
73. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB gegen den Angeklagten K. kann keinen Bestand haben. Dies gilt schon deswegen, weil nach den Urteilsgründen nur „nicht ausgeschlossen“ sei, „dass die Therapie zum Erfolg führen“ werde. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt und die Anforderungen des § 64 Satz 2 StGB, wonach es einer positiv festzustellenden hinreichend konkreten Erfolgsaussicht bedarf (vgl. hierzu , BVerfGE 91, 1; , NStZ-RR 2018, 275, 276; Beschlüsse vom - 2 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 141, 142; vom - 4 StR 147/19, NStZ-RR 2020, 38; vom - 2 StR 172/19, NStZ-RR 2020, 71), nicht beachtet haben könnte. Hinzu kommt, dass die fehlenden Sprachkenntnisse des Angeklagten als prognoserelevanter Umstand (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 513/12, NStZ-RR 2013, 241; vom - 2 StR 62/20; vgl. demgegenüber aber , StV 2021, 645) nicht in eine gebotene Gesamtwürdigung der für und gegen die Therapierbarkeit sprechenden Aspekte (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 147/19, NStZ-RR 2020, 38; vom - 2 StR 172/19, NStZ-RR 2020, 71) eingestellt worden sind, sich das Landgericht insoweit allein auf den Therapiewillen des Angeklagten gestützt hat.
84. Die Nichtanordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt gegen den Angeklagten Dö. weist ebenfalls durchgreifende Rechtsfehler auf. Denn das Landgericht hat der Ablehnung der Anordnung im Anschluss an die Ausführungen des Sachverständigen zugrunde gelegt, dass es an einem symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Alkohol und der Tat fehle. Zwar habe der Alkohol zu einer Enthemmung des Angeklagten bei der Tat geführt, der Übergriff habe aber letztlich einen anderen Grund gehabt. Dies legt nahe, dass das Landgericht verkannt hat, dass es für ein Zurückgehen der Anlasstat auf den Hang nicht erforderlich ist, dass dieser alleinige Ursache oder bestimmender Auslöser für die Anlasstat war, es vielmehr genügt, dass der Hang neben anderen Umständen mitursächlich war (st. Rspr., vgl. nur ) bzw. negativen Einfluss auf die Qualität der Straftat hatte (, StV 2017, 321, 322; Beschluss vom - 2 StR 225/13, NStZ-RR 2014, 43). Soweit das Landgericht auch keine „ernsthafte Therapiewilligkeit“ des Angeklagten feststellen konnte, kann auch dies das Unterbleiben der Maßregelanordnung nicht tragen. Denn es stützt diese Ansicht ohne weitere Würdigung auf die Einschätzung des Sachverständigen, wonach der Therapiewille nur formaler Natur sei und es dem Angeklagten tatsächlich um eine Haftvermeidung gehe. Woran der Sachverständige dies festmacht, bleibt ebenso offen wie die Frage, wie sich die nur „formale“ Behandlungsbereitschaft zu dem Resultat eines in 2018 durchlaufenen zweiwöchigen Klinikaufenthalts mit nachfolgender Kokainabstinenz verhält.
9Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. nur ). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:091121B5STR208.21.0
Fundstelle(n):
TAAAI-05538