BGH Beschluss v. - AK 43/21

Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Ausgedehnter systematischer Angriff auf die eigene Zivilbevölkerung

Gesetze: § 7 Abs 1 VStGB, § 211 StGB

Gründe

I.

1Der Beschuldigte wurde aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ) am festgenommen. Seither befindet er sich ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe zwischen dem und dem in Gambia im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung gemeinschaftlich handelnd in drei Fällen, davon in zwei Fällen heimtückisch und in einem Fall grausam, einen Menschen getötet, wobei es in einem Fall beim Versuch geblieben sei, strafbar gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, § 211 Abs. 1, 2 Gruppe 2 Variante 1, 2, §§ 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB.

II.

2Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

31. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.

4a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

5aa) In Gambia kam es während der Amtszeiten des Staatspräsidenten Yahya Jammeh von 1996 bis 2017 zu systematischen Menschenrechtsverletzungen, die sich über das gesamte Staatsgebiet erstreckten. Sie betrafen eine Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen, vom politischen Sektor (oppositionelle Politiker oder Studentenvertreter) über die Presse (kritische Journalisten) und das Rechtswesen ("unbequeme" Rechtsanwälte) bis hin zum religiösen und spirituellen Bereich ("unerwünschte" Vertreter religiöser Gemeinschaften und vermeintliche spirituelle Gegner). Die Menschenrechtsverletzungen gingen von dem vom Staatspräsidenten kontrollierten und auf ihn ausgerichteten staatlichen Machtapparat aus. Sie beruhten auf einem organisierten Handeln, für das die folgenden Umstände kennzeichnend waren: auf zentrale Anordnung ausgeführte Tötungen; Bildung von außerhalb des staatlichen Gefängnissystems bestehenden Gewahrsamseinrichtungen; Häufigkeit der Anwendung von Folter gegenüber Gefangenen; fehlende Unabhängigkeit der Justiz mit der daraus resultierenden Gefahr staatlicher Rechtsverletzungen; ständige Neubesetzung von staatlichen Posten; restriktives Vorgehen gegen Oppositionsparteien, Medien und Versammlungen mit flankierender Gesetzgebung; Drohreden des Präsidenten gegen politische Widersacher. Dabei bezweckte das gewaltsame Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte, Jammehs Macht durch Unterdrückung der Opposition und Einschüchterung der Zivilbevölkerung zu erhalten.

6Der Staatspräsident bediente sich jedenfalls seit 2003 des "Patrol Teams" der gambischen Streitkräfte, um seine tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner zu töten. Diese militärische Einheit, deren Angehörige in der Alltagssprache auch "Junglers" genannt wurden, wurde für die Ausführung seiner illegalen Tötungsbefehle eingesetzt; ihr wurden "Todeslisten" übermittelt.

7bb) Im Tatzeitraum vom bis zum gehörte der Beschuldigte dem "Patrol Team" als Fahrer an. Die Einheit führte die ihr befohlenen Tötungen aufgrund eines vorab gefassten Tatplans arbeitsteilig aus. Dem Beschuldigten war bekannt, dass diese Befehle illegal waren, auf den Staatspräsidenten zurückgingen und die Ziele der Unterdrückung der Opposition sowie der Einschüchterung der Zivilbevölkerung verfolgten.

8Im Einzelnen beging der Beschuldigte im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit anderen Mitgliedern des "Patrol Teams" die folgenden drei Taten:

9(1) Am 25. oder beförderte der Beschuldigte sechs andere Angehörige des "Patrol Teams" mit einem Pritschenwagen an eine Straßenecke in die Nähe des Anwesens des gambischen Rechtsanwalts       S.     in dem Stadtteil Ba.    der Hauptstadt B.    . Zweck der Fahrt war die Tötung des Rechtsanwalts, der von dem Staatspräsidenten als Gegner betrachtet wurde. Zwei der Mitglieder der Einheit stiegen aus dem Fahrzeug aus und liefen das letzte Stück zu Fuß zu S.     Wohnanwesen. Als der Rechtsanwalt in seinem Auto vorfuhr, eröffnete das eine Mitglied mit einer Schusswaffe das Feuer auf ihn, so dass S.   , der sich keines Angriffs versehen hatte, getroffen auf dem Fahrersitz zusammensank. Das andere Mitglied, das beauftragt war, den Rechtsanwalt sicher zu töten, hielt ihn für tot und lief deshalb davon. Als der Beschuldigte die Schüsse hörte, machte er sich fahrbereit. Nachdem sich die beiden Mitglieder vom Tatort entfernt hatten und wieder in den Pritschenwagen eingestiegen waren, fuhr der Beschuldigte mit ihnen davon. S.    überlebte den Anschlag schwerverletzt (Fall 1).

10(2) Am war das "Patrol Team" auf Befehl des Staatspräsidenten mit der Tötung des bekannten gambischen Journalisten      H.     , Herausgeber der Zeitung "T.      ", beauftragt. Für die Tatausführung wurden mindestens zwei Limousinen genutzt, die wie Taxis lackiert waren. Der Beschuldigte steuerte eines dieser Fahrzeuge. Er und jedenfalls vier weitere Mitglieder des "Patrol Teams" postierten sich, auf die Limousinen verteilt, zunächst an einer Polizeistation in K.      . Als sich der Journalist in seinem Fahrzeug näherte, fuhr eines der "Taxis" vor seinen Wagen. Als das vor H.    befindliche Fahrzeug bis zum Stillstand abbremste und ihn auf diese Weise zum Anhalten zwang, schloss der Beschuldigte dieses Fahrzeug ein, indem er direkt hinter ihm hielt. Sodann entstieg ein Mitglied der Einheit dem ersten Wagen und eröffnete mit einer Schusswaffe das Feuer auf den Journalisten, der sich keines Angriffs versehen hatte. Ein weiteres Mitglied verließ daraufhin das von dem Beschuldigten gelenkte Fahrzeug und gab mindestens einen weiteren Schuss auf H.    ab, der an Ort und Stelle verstarb. Anschließend begaben sich die Schützen wieder in die "Taxis", und das "Patrol Team" verließ den Tatort (Fall 2).

11(3) An einem nicht näher bestimmbaren Tag im Tatzeitraum fuhr der Beschuldigte mit einem Pick-up mindestens vier Angehörige des "Patrol Teams" zunächst an einen Ort, an dem sich der Liberianer       N.    aufhielt, dessen Tötung als mutmaßlicher Gegner der Staatspräsident angeordnet hatte. Ein Bekannter N.    s, der in Absprache mit dem Kommandanten der Einheit handelte, hatte ihn auf unverdächtige Weise dorthin gebeten. Der Kommandant nahm den Liberianer fest; dieser stieg auf Geheiß in das Fahrzeug ein. Der Beschuldigte beförderte die Insassen zu einem Ort zwischen dem Flughafen und M.        , wo N.    an einen Baum gebunden und, obwohl er um sein Leben flehte, von einem der Mitglieder der Einheit erschossen wurde. Anschließend wurde die Leiche vor Ort vergraben, woraufhin das "Patrol Team" in dem vom Beschuldigten gesteuerten Fahrzeug den Tatort verließ (Fall 3).

12b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus einer Gesamtschau der bisherigen Ermittlungsergebnisse, von denen namentlich folgende von Bedeutung sind:

13Die Erkenntnisse zu den systematischen Menschenrechtsverletzungen in Gambia während der Amtszeit des Staatspräsidenten Jammeh beruhen auf öffentlich zugänglichen Quellen. Hierzu zählen Berichte staatlicher und überstaatlicher Organisationen, insbesondere des European Asylum Support Office (EASO) der Europäischen Union aus dem Dezember 2017, des Britischen Home Office vom sowie zweier Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen vom 16. März und . Darüber hinaus sind von wesentlicher Bedeutung die Dokumentationen der gambischen Wahrheitskommission (TRRC), die durch den Truth, Reconciliation and Reparations Commission Act 2017 zur Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen während der Amtszeiten des Staatspräsidenten Jammeh eingesetzt wurde.

14Die Erkenntnisse zu den vom "Patrol Team" auf Befehl des Staatspräsidenten ausgeführten Tötungen und der Tatbeteiligung des Beschuldigten beruhen auf dessen Angaben im Asylverfahren und bei Interviews mit einem gambischen Auslandssender, ferner vor allem auf von den Schweizer Strafverfolgungsbehörden im Wege der Rechtshilfe übermittelten Unterlagen (insbesondere zu einem Interview eines anderen Mitglieds der militärischen Einheit und zu der Zeugenaussage eines engen Freundes des Beschuldigten), auf gegen ihn durchgeführten Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung sowie auf öffentlich zugänglichen Quellen (namentlich zu Vorgängen vor der TRRC und zu einem Interview mit Rechtsanwalt S.   ). Die seit Haftbefehlserlass durchgeführten weiteren Ermittlungen (Durchsuchungsmaßnahmen gegen den Beschuldigten, Auswertung seines Mobiltelefons und im Rechtshilfeweg gewonnene - ergänzende - Zeugenaussagen) haben den insoweit bestehenden dringenden Verdacht noch erhärtet.

15Wegen der Einzelheiten zu den Beweisergebnissen wird auf den Haftbefehl Bezug genommen, des Weiteren auf die zugrundeliegende Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom sowie auf dessen Einleitungsvermerk vom und Zuleitungsschrift vom .

16c) In rechtlicher Hinsicht ist der unter Gliederungspunkt II. 1. a) geschilderte Sachverhalt dahin zu beurteilen, dass der Beschuldigte jedenfalls des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Mord und in dem anderen Fall mit Totschlag, und des versuchten Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit versuchtem Mord dringend verdächtig ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, § 211 Abs. 1, 2 Gruppe 2 Variante 1, § 212 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB). Auf der Grundlage des dem Beschuldigten angelasteten Sachverhalts ist seine Strafbarkeit wie folgt zu beurteilen:

17aa) Die drei Taten sind jeweils als - mittäterschaftlich begangenes (§ 25 Abs. 2 StGB, § 2 VStGB) - Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB (Fälle 2 und 3) bzw. versuchtes Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1, § 2 VStGB, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB (Fall 1) zu bewerten.

18(1) Der gambische staatliche Machtapparat führte - nach hinreichend gesicherten Erkenntnissen vor allem auch aus der Tätigkeit der TRRC - im Tatzeitraum vorsätzlich einen ausgedehnten und systematischen Angriff gegen eine Zivilbevölkerung im Sinne des § 7 Abs. 1 VStGB.

19(a) Bei einer Zivilbevölkerung handelt es sich um eine größere Gruppe von Menschen, die über gemeinsame Unterscheidungsmerkmale (etwa das gemeinsame Bewohnen eines geografischen Gebiets oder eine gemeinsame politische Willensrichtung) verfügen, aufgrund derer sie angegriffen werden. Kennzeichnend ist, dass die Maßnahmen auf die einzelnen Tatopfer nicht in erster Linie als individuelle Persönlichkeiten, sondern wegen ihrer Zugehörigkeit zu der Gruppe zielen. Nicht notwendig ist hingegen, dass sich der Angriff gegen die gesamte - in einem Gebiet ansässige - Bevölkerung richtet. Vielmehr ist ausreichend, dass gegen eine erhebliche Anzahl von Einzelpersonen vorgegangen wird. Für eine Staatsmacht kann auch die eigene Zivilbevölkerung taugliches Tatobjekt sein; außerhalb bewaffneter Konflikte sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit regelmäßig von einem derartigen einseitigen Vorgehen geprägt.

20Unter einem ausgedehnten Angriff ist - in Anlehnung an die Rechtsprechung der internationalen Strafgerichte - ein in großem Maßstab durchgeführtes Vorgehen mit einer hohen Anzahl von Opfern zu verstehen; dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass sich der Angriff gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Als systematisch ist er zu beurteilen, wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (s. zum Ganzen , BGHSt 55, 157 Rn. 25 ff.; Urteil vom - 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 164 ff.; Beschlüsse vom - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 56; vom - AK 50/20, StV 2021, 596 Rn. 32).

21(b) Das Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte gegen die Opposition in Gambia erfüllt im Tatzeitraum diese tatbestandlichen Voraussetzungen.

22Das Vorgehen stellt sich als Angriff gegen eine Zivilbevölkerung dar. Tatsächliche und vermeintliche Gegner des Staatspräsidenten (Oppositionelle, Journalisten, normale Bürger) wurden festgenommen, inhaftiert, gefoltert und getötet. In außerrechtlichen Gewahrsamseinrichtungen wurden Gefangene über Wochen und Monate ohne Vorführung vor einen Richter festgehalten. In den staatlichen Gefängnissen bestanden schwerwiegende Missstände. Die durch die Sicherheitskräfte plan- und routinemäßig ausgeübte Gewalt diente nicht nur der (repressiven) Unterdrückung der Opposition, sondern auch der (präventiven) Einschüchterung der Bevölkerung mit dem Ziel, die Macht des Staatspräsidenten zu erhalten.

23Der Angriff war darüber hinaus ausgedehnt und systematisch. Zum einen erfasste das Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft das gesamte Staatsgebiet von Gambia. Eine Vielzahl gambischer Bürger wurde durch staatliche Repressalien verletzt oder geschädigt; etliche wurden sogar getötet. Zum anderen folgten die - teils dem "Patrol Team" zuzuordnenden - Menschenrechtsverletzungen einem von der Staatsspitze ausgehenden zielgerichteten Plan. Die Gewalt richtete sich in erster Linie gegen - auch persönliche - Gegner des Staatspräsidenten (zum sog. Politikelement, dessen Vorliegen sich hier auf der Grundlage des der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Sachverhalts von selbst versteht, vgl. zuletzt , juris Rn. 37 mwN).

24(2) Die Tötungshandlungen wurden als Einzeltaten im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB "im Rahmen" der von § 7 Abs. 1 VStGB vorausgesetzten Gesamttat ausgeführt. Zwischen ihnen und dem ausgedehnten und systematischen Angriff auf die Zivilgesellschaft bestand der notwendige funktionale Zusammenhang (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 20; , StV 2021, 596 Rn. 45). Für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist erforderlich, dass sich die vom Täter begangene Katalogtat in die Gesamttat einfügt, er mithin seinen Tatbeitrag funktional in den Angriff einstellt (s. , StV 2021, 596 Rn. 49). So liegt es hier. Gegen die drei Männer, die Teil der Zivilgesellschaft waren, ergingen die Tötungsbefehle, weil sie der Opposition zugerechnet oder als ihr nahestehend angesehen wurden. Dies gilt nicht nur für den missliebigen Rechtsanwalt S.    (Fall 1) und den regierungskritischen Journalisten H.     (Fall 2), sondern auch für das Opfer N.    (Fall 3), das - nach den Ermittlungsergebnissen - oppositioneller Ansichten zumindest verdächtigt wurde.

25(3) Der Beschuldigte beging die drei Taten gemäß § 25 Abs. 2 StGB gemeinschaftlich mit den anderen Angehörigen des "Patrol Teams" (zu den Voraussetzungen der Mittäterschaft vgl. etwa , NJW 2021, 2896 Rn. 50). Den Tötungshandlungen lag jeweils ein zuvor gefasster gemeinsamer Tatplan der Mitglieder dieser Einheit zugrunde, der auf die Umsetzung des Tötungsbefehls des Staatspräsidenten gerichtet war und aufgrund dessen sie arbeitsteilig vorgingen. Der Beschuldigte hatte dabei Tatherrschaft. Er leistete den wesentlichen objektiven Beitrag, die Schützen zum Tatort hin- und von dort zurückzubefördern, und hielt sich während der jeweiligen Tatausführung am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe auf; im Fall 3 verbrachte er auch das Opfer dorthin. Der Beschuldigte war somit Teil des jeweiligen Tötungskommandos. Im Fall 2 schloss er einvernehmlich mit dem Fahrer der vorausfahrenden Limousine das Fahrzeug des Opfers ein, um dessen Davonfahren zu unterbinden, und gestaltete so auf besondere Weise das Kerngeschehen mit.

26(4) Der Beschuldigte handelte - hochwahrscheinlich - rechtswidrig und schuldhaft. Seinen Angaben, wer vom "Patrol Team" gegen Befehle aufbegehrt habe, habe riskiert, festgenommen und getötet zu werden, kann kein Sachverhalt mit entschuldigender Wirkung entnommen werden. Konkrete Drohungen für den Fall der Befehlsverweigerung, insbesondere solche, die gemäß § 35 StGB beachtlich sein könnten, sind nach Aktenlage nicht gegeben, ebenso wenig aussagekräftige Vorfälle in Bezug auf einen etwaigen anderen befehlsverweigernden Angehörigen des "Patrol Teams". Vielmehr ergibt sich aus den Aussagen zweier Zeugen, dass ein Mitglied (einer dieser Zeugen) die militärische Einheit freiwillig verließ. Ein diffuses "Klima der Angst" oder eine allgemeine Furcht ohne hinreichende Tatsachengrundlage ist für sich genommen nicht geeignet, eine entschuldigende Wirkung zu entfalten.

27bb) Die Tat im Fall 2 ist zugleich als Mord (§ 211 Abs. 2 Gruppe 2 Variante 1 StGB), zu beurteilen, diejenige im Fall 3 jedenfalls als Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB) und diejenige im Fall 1 als versuchter Mord (§ 211 Abs. 1, 2 Gruppe 2 Variante 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB).

28(1) In den Fällen 1 und 2 liegt das Mordmerkmal der Heimtücke vor. Diesbezüglich wird auf den Haftbefehl und den Vermerk des Generalbundesanwalts zu den Delikten aus dem Strafgesetzbuch vom Bezug genommen.

29(2) Ob im Fall 3 ein Mordmerkmal erfüllt ist, kann hier dahinstehen; für die Haftfrage kommt es darauf nicht an.

30Die Annahme des Mordmerkmals der Grausamkeit stößt allerdings - insbesondere in subjektiver Hinsicht - auf Bedenken. Soweit der Generalbundesanwalt in dem vorbenannten Vermerk vom ausgeführt hat, für die gefühllose und unbarmherzige Gesinnung genüge die emotional unbeteiligte und gleichgültige Einstellung des Täters zur möglichst effektiven Tötung, könnte zweifelhaft sein, ob der Beschuldigte - nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen mit dem notwendigen Verdachtsgrad - bei Tatbegehung tatsächlich eine solche Einstellung hatte (s. oben II. 1. c) aa) (4); zur objektiv grausamen Tötung auf Befehl vgl. , BGHSt 49, 189, 196 ff.).

31In den Blick zu nehmen sind auch die Mordmerkmale der Heimtücke (zur Vorverlagerung des Zeitpunkts der Arglosigkeit bei von langer Hand geplanten und vorbereiteten Taten s. , NStZ 2020, 609 Rn. 13; MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 172 f., jew. mwN) sowie der niedrigen Beweggründe (zur politischen Tatmotivation s. BGH, Beschlüsse vom - AK 62/19, juris Rn. 12 mwN; vom - StB 28/20, juris Rn. 37).

32cc) Die Konkurrenzen sind dahin zu bewerten, dass der Beschuldigte drei materiellrechtlich selbständige (§ 53 StGB) Verbrechen gegen die Menschlichkeit beging, davon zwei vollendet und eines versucht. Der Mord, der Totschlag und der versuchte Mord stehen jeweils zu einer dieser Straftaten in Tateinheit (§ 52 StGB).

33Beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, wenn mehrere individuelle Rechtsgutsträger durch zu ihrem Nachteil begangene Einzeltaten verletzt werden, regelmäßig Realkonkurrenz anzunehmen. Etwas anderes kann allerdings in solchen Fällen gelten, in denen der Täter in der ihm in dem Angriff gegen eine Zivilbevölkerung zugewiesenen Funktion in örtlichem und zeitlichem Zusammenhang wiederholt - nach Tatbestandsvariante und Unrechtsgehalt - gleichartige Ausführungshandlungen vornimmt. Dann können auch Taten gegen unterschiedliche Rechtsgutsträger eine Bewertungseinheit bilden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 69; vom - AK 50/20, StV 2021, 596 Rn. 47).

34Danach handelt es sich hier nach vorläufiger Beurteilung um drei tatmehrheitlich verübte Delikte. Zwar beging der Beschuldigte alle Taten in einer Zeit, in der er als Angehöriger des "Patrol Teams" bei Attentaten auf mutmaßliche Oppositionelle eingesetzt war und als Teil des jeweiligen Tötungskommandos insbesondere Fahrerdienste leistete. Dies begründet einen sachlichen Zusammenhang der Taten. Doch fehlt es am zeitlichen und örtlichen Zusammenhang. Die Tötungshandlungen, die verschiedene individuelle Rechtsgutsträger betrafen, erstreckten sich über einen ganz erheblichen Zeitraum. Zudem ereigneten sie sich an unterschiedlichen Orten.

35dd) Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß § 7 VStGB folgt dies unmittelbar aus dem in § 1 Satz 1 VStGB normierten Weltrechtsprinzip. Für die Tötungsdelikte nach §§ 211, 212 StGB ergibt sich dessen Geltung aus einer Annexkompetenz (s. BGH, Beschlüsse vom - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 71; vom - AK 47/19, juris Rn. 53; vom - AK 50/20, StV 2021, 596 Rn. 51). Hinsichtlich dieser Straftaten liegen desgleichen die Voraussetzungen der stellvertretenden Strafrechtspflege nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor; insoweit wird auf den Haftbefehl und den Vermerk des Generalbundesanwalts zu den Delikten aus dem Strafgesetzbuch vom verwiesen.

362. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

37Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte - auf freien Fuß gesetzt - dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Er hat im Fall seiner Verurteilung mit einer lebenslangen Haftstrafe zu rechnen. Dem von der Straferwartung ausgehenden hohen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte über persönliche und wirtschaftliche Bindungen nach Westafrika verfügt, sich bereits Ende 2014 von den deutschen Behörden unbemerkt nach Gambia begeben hatte und in einem überwachten Telefongespräch äußerte, eine Rückkehr dorthin zu erwägen, um sich dort etwas aufzubauen. Im Übrigen wird auf den Haftbefehl und die ihm zugrundeliegende Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom verwiesen.

38Die zu würdigenden Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Beschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) desgleichen auf den dort geregelten - subsidiären - Haftgrund der Schwerkriminalität gestützt werden kann.

393. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.

404. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen sowie deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Der Aktenbestand umfasst mittlerweile 20 Stehordner und fünf weitere Bände. Das Ermittlungsverfahren ist, insbesondere auch nach der Festnahme des Beschuldigten am , mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden:

41a) Noch an diesem Tag sind aufgrund der Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Durchsuchungen bei dem Beschuldigten und einem Zeugen (dem erwähnten engen Freund) durchgeführt worden. Es sind Ausweise, schriftliche Unterlagen, Lichtbilder und elektronische Medien (fünf Mobiltelefone, vier Computer und eine Speicherkarte) sichergestellt worden. Die Auswertung der Asservate ist zwar weitgehend, aber noch nicht vollständig abgeschlossen.

42b) Zudem ist am - nach Anhörung des Verteidigers des Beschuldigten - ein politik- und gesellschaftswissenschaftliches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben worden. Ziel ist die weitere Aufklärung von Tatsachen zum (mit hoher Wahrscheinlichkeit) im verfahrensgegenständlichen Zeitraum geführten ausgedehnten und systematischen Angriff des gambischen staatlichen Machtapparats auf die Zivilgesellschaft.

43c) Darüber hinaus sind seit der Invollzugsetzung des Haftbefehls acht Zeugen einvernommen worden; weitere relevante Zeugenvernehmungen sind geplant.

44d) Schließlich ist, nachdem das Verfahren mit der Festnahme des Beschuldigten in die offene Phase eingetreten war, eine Vielzahl von Rechtshilfeersuchen veranlasst worden:

45Die mit europäischen Ermittlungsanordnungen von den italienischen, niederländischen und österreichischen Strafverfolgungsbehörden ersuchten Beweiserhebungen sind mittlerweile durchgeführt worden. Die unter Beteiligung des Bundesamts für Justiz an den in Nigeria ansässigen Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS Court of Justice) sowie die US-amerikanischen und britischen Behörden gerichteten Ersuchen sind noch nicht erledigt. Der Entwurf eines Rechtshilfeersuchens an die Republik Gambia ist dem Bundesamt für Justiz unter dem zur Bewilligung vorgelegt worden. Es zielt insbesondere auf die Vernehmung von Zeugen, die sich vor der gambischen TRRC über den Beschuldigten und die verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfe geäußert hatten oder von denen aus anderen Gründen Erkenntnisse zu diesen Vorwürfen zu erwarten sind.

46e) Wegen näherer Einzelheiten zu den Ermittlungshandlungen und Rechtshilfemaßnahmen wird auf die Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts vom Bezug genommen.

475. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer                    Berg                    Anstötz

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:071021BAK43.21.0

Fundstelle(n):
KAAAI-05220