Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist nach Mandatsniederlegung; Voraussetzungen für Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Gesetze: § 60 Abs 1 VwGO, § 67 Abs 4 S 1 VwGO, § 173 S 1 VwGO, § 78b Abs 1 ZPO, § 85 Abs 2 ZPO, § 87 Abs 1 ZPO, § 87 Abs 2 ZPO, § 244 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 8 K 3/19 Urteil
Gründe
1Die Beschwerde ist unzulässig.
21. Sie ist entgegen § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO und § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils durch einen vertretungsbefugten Prozessbevollmächtigten, sondern lediglich durch den Kläger selbst begründet worden.
32. An einer Fristversäumnis fehlt es auch nicht deshalb, weil das Verfahren wegen der Mandatsniederlegung durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 244 Abs. 1 ZPO unterbrochen gewesen wäre.
4Eine Unterbrechung des Verfahrens tritt nach dieser Regelung in Prozessen mit Vertretungszwang ein, wenn der Prozessbevollmächtigte eines Beteiligten stirbt oder unfähig wird, dessen Vertretung fortzuführen. Die Unfähigkeit zur Vertretung setzt dabei voraus, dass der Prozessbevollmächtigte rechtlich gehindert ist, die Vertretung fortzuführen. Eine Mandatsniederlegung durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers erfüllt diese Voraussetzung nicht ( 5 PKH 8.12 - juris Rn. 14).
5Die Kündigung des Vollmachtvertrags wird vielmehr nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 87 Abs. 1 ZPO erst mit der Anzeige der Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten rechtlich wirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt wird der bisherige Prozessbevollmächtigte durch die von seiner Seite erfolgte Kündigung nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 87 Abs. 2 ZPO nicht gehindert, für den Vollmachtgeber zu handeln. Er bleibt im Außenverhältnis berechtigt und verpflichtet, ihn im Verfahren zu vertreten (BVerwG, Beschlüsse vom - 5 PKH 8.12 - juris Rn. 9 und vom - 4 AV 2.12 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 4 Rn. 9).
63. Dem Kläger kann auch nicht nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil er ohne Verschulden verhindert war, die Beschwerde fristgerecht durch einen vor dem Bundesverwaltungsgericht vertretungsbefugten Bevollmächtigten zu begründen.
7Zwar steht das Verschulden des Prozessbevollmächtigten nach der Mandatsniederlegung nicht mehr nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO einem Verschulden des Beteiligten gleich ( - FamRZ 2006, 1018 <1019>). Einem Rechtsmittelführer, der infolge einer Mandatsniederlegung die Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt hat, kann daher Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn er innerhalb der noch laufenden Frist einen Antrag nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 78b Abs. 1 ZPO auf Beiordnung eines Notanwalts gestellt und substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht hat, dass er rechtzeitig alles ihm Zumutbare getan hat, um sich vertreten zu lassen, insbesondere dass er eine angemessene Zahl von vor dem Bundesverwaltungsgericht vertretungsbefugten Prozessbevollmächtigten vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 333.99 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 3 S. 1 f. und vom - 2 B 4.17 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 5 Rn. 9). Selbst wenn man das Schreiben des Klägers vom , in dem er darauf hinweist, dass er nach der Niederlegung des Mandats durch seinen bisherigen Prozessbevollmächtigten keinen Rechtsanwalt habe finden können, der mit der Materie vertraut sei und über genügend freie Kapazitäten verfüge, um die Nichtzulassungsbeschwerde fristgerecht zu begründen, als Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts versteht, liegen die Voraussetzungen hierfür nicht vor. Denn der Kläger hat weder in diesem Schreiben noch auf entsprechende Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts im Schreiben vom die Anzahl der um Vertretung gebetenen Rechtsanwälte, die Art seiner Bemühungen (schriftlich, mündlich oder telefonisch) oder die Umstände oder Begründung der behaupteten Absagen dargelegt (vgl. zu diesen Anforderungen 2 B 4.17 - Buchholz 303 § 78b ZPO Nr. 5 Rn. 10).
8Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:071221B9B35.21.0
Fundstelle(n):
RAAAI-05115