Patentnichtigkeitssache: Neuheit eines Wirkstoffeinsatzes zur Prävention vor einer noch nicht manifestierten Krankheit - Präventive Antibiotikabehandlung
Leitsatz
Präventive Antibiotikabehandlung
Der Einsatz eines Wirkstoffs zur Prävention einer Krankheit, die sich noch nicht manifestiert hat, ist nicht neu, wenn die Kriterien, an deren Vorliegen das Patent die erfindungsgemäße Präventionswirkung knüpft, bereits im Stand der Technik als Kriterien für die Verabreichung des Wirkstoffs herangezogen worden sind, und weder eine neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt worden ist (Fortführung von , GRUR 2011, 999 - Memantin).
Gesetze: Art 52 Abs 2 Buchst a EuPatÜbk, Art 54 Abs 1 EuPatÜbk
Instanzenzug: Az: 3 Ni 16/17 (EP) Urteil
Tatbestand
1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 301 626 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme europäischer Prioritäten vom und angemeldet wurde und ein Antibiotikum zur Behandlung einer lokalen Infektion betrifft. Patentanspruch 1, auf den ein weiterer Patentanspruch zurückbezogen ist, lautet:
Antibiotic for the use in the treatment of a local infection for the prevention of a further disease or medical condition which has not yet been manifested in a patient having a primary disease, wherein said primary disease is not an infection and wherein the antibiotic is administered when the level of procalcitonin or fragments thereof of at least 12 amino acids in length, in a sample of the patient selected from the group comprising a blood sample, a serum sample and a plasma sample, is between 0.02 and 0.25 ng/ml.
2Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne, und nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten und hilfsweise in sieben geänderten Fassungen verteidigt.
3Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerinnen, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgen. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel mit ihren erstinstanzlichen Anträgen und zwei weiteren Hilfsanträgen entgegen.
Gründe
4Die zulässige Berufung ist begründet, soweit sie sich gegen die erteilte Fassung und gegen die mit den Hilfsanträgen 1 bis 6 verteidigten Fassungen des Streitpatents wendet. In Bezug auf Hilfsantrag 7 ist das Rechtsmittel hingegen unbegründet.
5I. Das Streitpatent betrifft ein Antibiotikum zur Behandlung einer lokalen Infektion.
61. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift ist Procalcitonin (PCT) ein etablierter Biomarker, mit dem der Schweregrad einer bakteriellen Infektion beurteilt und überwacht werden kann und der mit Schwellwerten von 0,25 ng/ml oder 0,5 ng/ml bereits zur Steuerung von Antibiotikatherapien eingesetzt wurde. Unklar sei, ob eine neben der Infektion vorliegende Primärerkrankung (z.B. Herzinsuffizienz), die das Immunsystem zusätzlich belasten könne, Auswirkungen auf die Interpretation von PCT-Konzentrationen unter 0,25 ng/ml habe.
72. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, die Steuerung von Antibiotikatherapien weiter zu verbessern.
83. Zur Lösung des Problems schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 die Verwendung eines Antibiotikums vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
104. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung.
11a) Gemäß Merkmal 3 ist die Verwendung des Antibiotikums auf Patienten mit einer Ersterkrankung beschränkt, die keine Infektion ist und die sich nach den Angaben in der Streitpatentschrift bereits manifestiert hat oder symptomatisch ist (Abs. 31). Als Beispiele nennt die Streitpatentschrift u.a. Krebs, Diabetes und chronische Magen-Darm-Erkrankungen (Abs. 29).
12b) Von dieser Ersterkrankung zu unterscheiden ist die lokale Infektion, deren Behandlung die Verwendung des Antibiotikums gemäß Merkmal 1 dient.
13aa) Als lokale Infektion bezeichnet die Streitpatentschrift alle Infektionen, die weniger schwerwiegend sind als eine Sepsis (Abs. 23).
14Entgegen der Ansicht der Beklagten grenzt das Streitpatent den Begriff der lokalen Infektion damit nicht von systemischen Infektionen ab, sondern nur von solchen Infektionen, die bereits den Schweregrad einer Sepsis erreicht haben.
15Die lokale Infektion kann durch Verabreichung eines Antibiotikums behandelt werden (Abs. 24), ist also bakteriellen Ursprungs. Auch damit sind systemische Infektionen nicht ausgeschlossen.
16bb) Dass zwischen Ersterkrankung und lokaler Infektion ein Zusammenhang bestehen muss, gibt der Patentanspruch nicht vor. Er schließt einen solchen Zusammenhang aber auch nicht aus.
17c) Gemäß Merkmal 2 dient die Verwendung des Antibiotikums nicht nur der Behandlung der lokalen Infektion, sondern darüber hinaus der Prävention einer weiteren Erkrankung oder weiterer medizinischer Beschwerden (further disease or medical condition), die sich - im Gegensatz zur Ersterkrankung - noch nicht manifestiert haben.
18aa) Zwischen der lokalen Infektion und der weiteren Erkrankung oder den weiteren Beschwerden besteht insoweit ein Zusammenhang, als die (erfolgreiche) Behandlung der Infektion Einfluss auf das Risiko hat, dass eine weitere Erkrankung oder weitere Beschwerden auftreten oder sich manifestieren. Anderenfalls läge eine präventive Wirkung der Behandlung nicht vor.
19Dementsprechend wird in der Streitpatentschrift ausgeführt, dass die Erfindung die Antibiotika-Behandlung von Patienten ermöglicht, die ohne Feststellung des erhöhten PCT-Werts nicht ohne weiteres erfolgt wäre (Abs. 8 Sp. 3 Z. 5-8), und dass die Behandlung der lokalen Infektion zu einem verminderten Risiko des Patienten führt, eine weitere Krankheit oder weitere Beschwerden zu erleiden (Abs. 24).
20bb) Merkmal 2 umschreibt mit dem präventiven Zweck lediglich eine Wirkungsweise, die der Antibiotikaverwendung in einem medizinischen Anwendungsbereich zugeschrieben wird. Denn objektive Voraussetzungen für die Verabreichung des Antibiotikums sind lediglich eine lokale Infektion, eine nicht infektiöse Ersterkrankung und ein PCT-Wert in dem von Merkmal 4 vorgegebenen Bereich. Die bezweckte Präventionswirkung wird unter diesen Voraussetzungen durch die Verabreichung eines Antibiotikums erzielt. Weitere Maßnahmen sieht das Patent nicht vor.
21cc) Entgegen der Auffassung der Berufung reicht es zur Verwirklichung von Merkmal 2 nicht aus, wenn die Verwendung des Antibiotikums der Prävention weiterer Beschwerden dient, die sich ohne qualitative Veränderung des Krankheitsbildes aus der lokalen Infektion im Sinne von Merkmal 1 oder der Ersterkrankung im Sinne von Merkmal 3 ergeben.
22Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich die Begriffe "disease" und "medical condition" inhaltlich voneinander unterscheiden. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, müssten auch weitere Beschwerden Ausdruck oder Folge einer Erkrankung sein, die sich sowohl von der lokalen Infektion als auch von der Ersterkrankung qualitativ unterscheidet.
23Nach der Beschreibung des Streitpatents bezieht sich der Begriff "primary disease" auf eine Erkrankung, die bereits manifest oder symptomatisch geworden ist. Die Bezeichnung "further disease or medical condition" bezieht sich demgegenüber auf eine Erkrankung, die noch nicht manifest oder symptomatisch ist (Abs. 31).
24Hieraus ergibt sich, dass die weitere Erkrankung bzw. die weiteren Beschwerden sich von der Ersterkrankung im Sinne von Merkmal 3 qualitativ unterscheiden müssen. Diese Anforderung ist auch im Falle von weiteren Beschwerden nur dann erfüllt, wenn diese Ausdruck oder Folge einer anderen Erkrankung sind.
25In Bezug auf die lokale Infektion im Sinne von Merkmal 1 gilt nichts anderes. Auch diese muss bereits manifest oder symptomatisch geworden sein, denn die Verwendung des Antibiotikums dient nicht ihrer Prävention, sondern ihrer Behandlung. Aus dem Umstand, dass das Streitpatent eine lokale Infektion von einer Sepsis abgrenzt, ergibt sich aber, dass eine Sepsis als weitere Erkrankung in Betracht kommt.
26II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
27Der Gegenstand des Streitpatents sei ausführbar offenbart. Da die Sepsis als infektiöse Erkrankung nicht unter die Definition der Ersterkrankung im Sinne des Streitpatents falle, klassifiziere der Fachmann sie als Beispiel für eine weitere Erkrankung. Die Frage, ob bei allen Patienten mit einer beliebigen nicht infektiösen Ersterkrankung und patentgemäßer PCT-Konzentration eine Behandlung der lokalen Infektion mit Antibiotika angezeigt sei, könne offenbleiben, weil die Offenbarung einer stets erfolgreichen Behandlung nicht erforderlich sei.
28Die Prioritäten der europäischen Patentanmeldungen 07015271.5 (NK5) und 08152651.9 (NK6) könne das Streitpatent nicht in Anspruch nehmen. In beiden Dokumenten seien die Verabreichung von Antibiotika, die Behandlung einer lokalen Infektion und einer weiteren Erkrankung oder weiterer medizinischer Beschwerden sowie der streitpatentgemäße PCT-Konzentrationsbereich nicht offenbart.
29Der Gegenstand des Streitpatents erweise sich gegenüber der internationalen Patentanmeldung 2008/040328 (NK9) sowie den Fachartikeln von Christ-Crain/Müller (Procalcitonin in bacterial infections - hype, hope, more or less?, Swiss Med Wkly 2005, 135, 451-460, NK12) und Müller et al. (Circulating biomarkers as surrogates for bloodstream infections, International Journal of Antimicrobial Agents 2007, S16-S23, NK17) als neu und auf erfinderischer Tätigkeit beruhend.
30NK9 offenbare nicht, dass eine mittels PCT-Bestimmung gesteuerte Antibiotikatherapie zur Behandlung von Infektionen und Entzündungserkrankungen der Lunge und der Atemwege mit assoziierter Herzinsuffizienz zugleich eine Prävention von Folgeerkrankungen bewirke.
31Nach NK12 werde bei Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (chronic obstructive lung disease [COLD], auch bezeichnet als chronic obstructive pulmonary disease [COPD]) und akuten Exazerbationen (plötzlich auftretenden Verschlimmerungen) bei einem PCT-Schwellenwert von 0,1 ng/ml die Antibiotikagabe empfohlen. Die akuten Exazerbationen stellten entweder eine lokale Infektion oder eine weitere Erkrankung im Sinne des Streitpatents dar. In beiden Fällen fehle es an der Prävention einer dritten Erkrankung.
32NK17 weise zwar im Zusammenhang mit Blutstrominfektionen auf immungeschwächte Patienten hin, bei denen durch eine PCT-Analyse mit einer frühen und gezielten Antibiotikabehandlung begonnen und so das Risiko einer Sepsis als weitere Erkrankung verhindert werden könne. Dem in Figur 1 der NK17 dargestellten Algorithmus sei jedoch keine Angabe hinsichtlich einer nicht infektiösen Ersterkrankung gemäß Merkmal 3 zu entnehmen. Daran änderten auch die Hinweise auf COLD-Patienten der ProCOLD-Studie, auf Patienten mit neutropenischem Fieber und auf eine allgemeine schwere Komorbidität nichts.
33Ausgehend von NK17 sei dem Gegenstand des Streitpatents auch nicht die erfinderische Tätigkeit abzusprechen. NK17 weise an keiner Stelle auf Ersterkrankungen hin, die keine Infektion seien, sondern lege den Fokus auf Infektionskrankheiten, die zu einer Sepsis führen könnten, so dass der Fachmann keinen Anlass gehabt habe, mit den Begriffen "schwere Komorbidität" oder "Immunschwäche" eine Ersterkrankung gemäß Merkmal 3 in Betracht zu ziehen. Eine Kombination von NK17 mit NK9 führe nicht weiter, da beide Schriften sich mit völlig unterschiedlichen Krankheitssituationen beschäftigten. NK12 gehe über die Lehre der NK17 nicht hinaus.
34III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
351. Das Patentgericht hat mit zutreffender Begründung und insoweit unbeanstandet entschieden, dass das Streitpatent die Prioritäten der Patentanmeldungen NK5 und NK6 nicht in Anspruch nehmen kann.
362. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nicht neu.
37a) Das Patentgericht hat zu Recht entschieden, dass NK17 den Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht vollständig offenbart.
38aa) NK17 befasst sich mit der Verwendung von Biomarkern, insbesondere Procalcitonin, zur Diagnose von Blutstrominfektionen.
39Nach den Ausführungen in NK17 eröffne diese Vorgehensweise die Möglichkeit, Entzündungszustände frühzeitig vor der Entwicklung einer klinisch evidenten Sepsis zu erkennen. Bei immungeschwächten Patienten mit dem Risiko einer Sepsis sei dadurch eine frühere und gezieltere antimikrobielle Therapie möglich. Patienten mit einem niedrigen PCT-Spiegel, die eine Viruserkrankung oder eine nicht infektiöse Entzündungsursache aufweisen, könnten hingegen von einer Behandlung mit Antibiotika ausgeschlossen werden (Abstract).
40Die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 offenbart in schematischer Weise einen auf dem gemessenen PCT-Wert basierenden Algorithmus zur Beurteilung der Frage, ob fiebrige Patienten mit Antibiotika behandelt werden sollen.
41Danach wird bei einem PCT-Wert von 0,25 bis 0,5 ng/ml (µg/l) eine bakterielle Ursache als wahrscheinlich betrachtet und die Verabreichung von Antibiotika tendenziell in Betracht gezogen. Liegt der PCT-Wert im Bereich von 0,1 bis 0,25 ng/ml, wird eine bakterielle Ursache als unwahrscheinlich angesehen und von der Gabe von Antibiotika tendenziell eher abgesehen; sie kommt aber in Betracht, wenn besondere Umstände vorliegen, etwa eine schwere Komorbidität, eine lokalisierte Infektion, eine Immunschwäche oder eine chronische Infektion. Bei Werten unter 0,1 ng/ml wird eine bakterielle Ursache als sehr unwahrscheinlich angesehen und eine Verabreichung von Antibiotika nur dann in Betracht gezogen, wenn sich innerhalb von 6 bis 24 Stunden eine Änderung einstellt.
42bb) Damit sind die Merkmale 1, 2 und 4 offenbart.
43(1) Bei der Blutstrominfektion handelt es sich um eine Infektion unterhalb der Schwelle einer Sepsis und damit um eine lokale Infektion im Sinne von Merkmal 1.
44Dem steht nicht entgegen, dass eine Blutstrominfektion nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Berufungserwiderung zu den systemischen Infektionen gezählt wird. Wie bereits oben aufgezeigt wurde, gehören auch systemische Infektionen zu den lokalen Infektionen im Sinne von Merkmal 1.
45(2) Die Antibiotikagabe erfolgt zur Behandlung dieser Infektion und dient zugleich zur Prävention einer Sepsis, bei der es sich nicht mehr um eine lokale Infektion im Sinne des Streitpatents und deshalb um eine weitere, noch nicht manifestierte Erkrankung im Sinne von Merkmal 2 handelt.
46(3) Der Wertebereich von 0,1 bis 0,25 ng/ml, bei dem laut NK17 die Verabreichung von Antibiotika unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen in Betracht gezogen wird, liegt innerhalb des in Merkmal 4 vorgesehenen Bereichs.
47cc) Merkmal 3 ist hingegen nicht offenbart, weil NK17 nicht eindeutig erkennen lässt, dass das Hinzutreten einer schweren Komorbidität oder einer Immunschwäche bei einem PCT-Wert oberhalb von 0,1 ng/ml ohne weiteres zum Anlass genommen wird, Antibiotika zu verabreichen.
48Wie die Berufungserwiderung zu Recht geltend macht, sind diese beiden Konstellationen in NK17 nur als einzelne unter mehreren Faktoren aufgeführt, die eine Verabreichung von Antibiotika als erwägenswert erscheinen lassen können, obwohl sich eine bakterielle Ursache des aufgetretenen Fiebers aufgrund des eher niedrigen PCT-Werts als unwahrscheinlich darstellt. Als gleichwertige Faktoren werden verschiedene Arten der Infektion benannt.
49Vor diesem Hintergrund ist NK17 nicht eindeutig zu entnehmen, dass eine schwere Komorbidität oder eine Immunschwäche auch und gerade dann die Gabe von Antibiotika indiziert, wenn eine infektiöse Ursache dieser Begleiterscheinungen ausgeschlossen ist. Der Umstand, dass die Wahrscheinlichkeit einer Infektion als zentrales Entscheidungskriterium angeführt wird und dass als zusätzliche Gesichtspunkte verschiedene Formen von anderen Infektionen aufgeführt werden, deutet vielmehr darauf hin, dass die Gabe von Antibiotika auch bei anderen Begleiterscheinungen eher dann in Betracht zu ziehen ist, wenn auch diese auf einer infektiösen Ursache beruhen können. Hierzu stünde es in Widerspruch, Antibiotika auch dann zu verabreichen, wenn eine infektiöse Ursache ausgeschlossen werden kann. Gerade für diese Patientengruppe sieht Merkmal 3 des Streitpatents aber die erfindungsgemäße Verwendung von Antibiotika vor.
50b) NK9 offenbart den Gegenstand von Patentanspruch 1 hingegen vollständig.
51aa) NK9 hat ein Verfahren zur Diagnose von Infektionen oder Entzündungserkrankungen von Atemwegen und Lunge mit assoziierter Herzinsuffizienz zum Gegenstand (S. 1 Z. 5-7, S. 6 Z. 21-24).
52Als Ausgangspunkt für diese Aufgabenstellung wird in NK9 ausgeführt, bei Patienten mit Atemnot sei häufig schwierig zu beurteilen, ob sie an Herzinsuffizienz, Pneumonie oder beidem leiden (S. 2 Z. 18-24).
53Um das gesetzte Ziel zu erreichen, schlägt NK9 vor, Procalcitonin oder eine Teilsequenz als Marker zu bestimmen (S. 1 Z. 7-9). In einer bevorzugten Ausführungsform wird der Wertebereich von 0,01 bis 0,1 ng/ml als signifikant herangezogen und der Schwellenwert im Bereich von 0,03 bis 0,06 ng/ml angesetzt (S. 7 Z. 9-13).
54Das Verfahren dient unter anderem der Therapiesteuerung zur Antibiotikabehandlung einer Infektion der Atemwege und Lunge (S. 8 Z. 13-16). In einer bevorzugten Ausführungsform erfolgt die Diagnose ferner zur Prophylaxe, zur differentialdiagnostischen Früherkennung und Erkennung, zur Beurteilung des Schweregrades und zur therapiebegleitenden Verlaufsbeurteilung einer Infektion oder Entzündungserkrankung der Atemwege und Lunge mit assoziierter Herzinsuffizienz (S. 9 Z. 1-6).
55bb) Damit sind, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, die Merkmale 1, 3 und 4 offenbart.
56(1) Eine Infektion oder Entzündung der Atemwege oder Lunge stellt eine lokale Infektion im Sinne von Merkmal 1 dar. Auf diese Infektion oder Entzündung ist die in NK9 offenbarte Therapiesteuerung zur Antibiotikabehandlung bezogen.
57(2) Merkmal 3 ist offenbart, weil zu den betroffenen Patienten auch solche gehören, die zugleich an einer Herzinsuffizienz leiden.
58(3) Die in NK9 als bevorzugt benannten Schwellenwerte im Bereich von 0,03 bis 0,06 ng/ml liegen innerhalb des in Merkmal 4 spezifizierten Bereichs.
59cc) Entgegen der Ansicht des Patentgerichts ist auch Merkmal 2 offenbart.
60Wie das Patentgericht im Ansatz zutreffend angenommen hat, finden sich in NK9 zwar keine Hinweise auf eine Präventionswirkung im Sinne von Merkmal 2. Dies kann die Neuheit aber nicht begründen, weil der Einsatz von Antibiotika in NK9 von denselben Kriterien abhängig gemacht wird und damit dieselbe zweckgerichtete Vorgehensweise offenbart ist wie beim Streitpatent.
61(1) Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Entdeckung, dass ein bestimmter Wirkstoff einem bei einer bestimmten Krankheit auftretenden pathologischen Zustand entgegenwirkt, keine neue technische Lehre zum Handeln begründen, wenn es im Stand der Technik bekannt war, an dieser Krankheit leidende Patienten zur Linderung der Krankheitssymptome mit dem Wirkstoff zu behandeln, und weder eine neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt worden ist (, GRUR 2011, 999 - Memantin).
62Für den Einsatz eines Wirkstoffs zu präventiven Zwecken kann nichts anderes gelten. Der Einsatz eines Wirkstoffs zur Prävention einer Krankheit, die sich noch nicht manifestiert hat, ist danach nicht neu, wenn die Kriterien, an deren Vorliegen das Patent die erfindungsgemäße Präventionswirkung knüpft, bereits im Stand der Technik als Kriterien für die Verabreichung des Wirkstoffs herangezogen worden sind, und weder eine neue Art und Weise der Wirkstoffgabe gelehrt noch eine Patientengruppe als erfolgreich behandelbar aufgezeigt wird, die mit dem Wirkstoff bislang nicht behandelt worden ist.
63Die Erkenntnis, dass eine vorbekannte Verwendung eines Wirkstoffs zugleich einen weitergehenden (präventiven) Behandlungszweck erfüllen kann, stellt für sich gesehen keine neue technische Lehre zum Handeln dar. Eine Verwendung setzt zwar den zielgerichteten Einsatz zur Erzielung der geschützten Wirkung voraus. Ein zielgerichtetes Handeln in diesem Sinne hat aber nicht zur Voraussetzung, dass die Wirkungsweise des verabreichten Stoffs im Einzelnen bekannt ist. Vielmehr genügt ein Vorgehen, das objektiv darauf gerichtet ist, die geschützte Wirkung herbeizuführen.
64(2) Der in Merkmal 2 angegebene Behandlungszweck hat im Vergleich zu NK9 keine neue Art der Wirkstoffgabe zum Gegenstand und führt, wie die Berufung zu Recht geltend macht, auch nicht zur Erschließung einer neuen Patientengruppe.
65(a) Den Ausführungen in NK9, wonach das offenbarte Verfahren auch die Therapiesteuerung zur Antibiotikabehandlung einer Infektion oder Entzündungserkrankung von Atemwegen und Lunge umfasst, ist zwar, wie die Berufungserwiderung im Ansatz zu Recht einwendet, nicht eindeutig zu entnehmen, dass ein PCT-Wert oberhalb der angegebenen Schwellenwerte ohne weiteres zur Verabreichung von Antibiotika führt. Sie lassen aber hinreichend deutlich erkennen, dass eine solche Behandlung zumindest für den Fall vorgeschlagen wird, dass sich der Verdacht auf eine Infektion von Atemwegen oder Lunge mit oder ohne assoziierte Herzinsuffizienz auf anderem Wege bestätigt.
66Die Behandlung solcher Patienten hat zur Folge, dass auch die in Merkmal 2 vorgesehene präventive Wirkung eintritt, wenn der Patient zusätzlich das Risiko einer noch nicht manifestierten weiteren Erkrankung in sich trägt. Damit wird dieselbe Patientengruppe behandelt, die auch das Streitpatent im Blick hat, und zwar aufgrund desselben Befundes, nämlich einer lokalen Infektion, einer Ersterkrankung, die keine Infektion ist, und eines PCT-Spiegels innerhalb des in Merkmal 4 definierten Bereichs.
67(b) Dass die mit dieser Behandlung verbundene zusätzliche Wirkung nicht erkannt worden ist, begründet vor diesem Hintergrund keinen relevanten Unterschied.
68Wie bereits oben dargelegt wurde, ist ein zielgerichteter Einsatz zur Erzielung einer bestimmten Wirkung schon dann offenbart, wenn ein Vorgehen geschildert wird, das objektiv darauf gerichtet ist, die geschützte Wirkung herbeizuführen. Hierfür genügt beim Streitpatent die Entscheidung zur Verabreichung von Antibiotika, wenn die in den Merkmalen 1, 3 und 4 definierten Kriterien erfüllt sind. Diese Vorgehensweise ist in NK9 für Patienten mit einer Infektion von Atemwegen oder Lunge, einer assoziierten Herzinsuffizienz und einem PCT-Spiegel oberhalb von 0,03 oder 0,06 ng/ml offenbart.
69Die in Merkmal 2 definierte Präventionswirkung ist demgegenüber eine bloße Folge dieses zielgerichteten Vorgehens. Die Verabreichung von Antibiotika hängt auch nach dem Streitpatent nicht davon ab, ob eine weitere Erkrankung bereits eingetreten ist, denn Merkmal 2 sieht gerade vor, dass sich diese noch nicht manifestiert hat. Die Lehre des Streitpatents unterscheidet sich vom Offenbarungsgehalt der NK9 nur insoweit, als die Präventionswirkung ausdrücklich aufgezeigt wird. Sie erschöpft sich in einer Aufdeckung von Wirkungszusammenhängen einer im Stand der Technik bereits bekannten Vorgehensweise. Dies reicht - ungeachtet der wissenschaftlichen Leistung, die zu dieser zusätzlichen Erkenntnis geführt hat - zur Bejahung der Patentfähigkeit nicht aus.
70(c) Dass Patentanspruch 1 die Verwendung von Antibiotika nicht nur bei einer Infektion von Atemwegen oder Lunge mit assoziierter Herzinsuffizienz vorsieht, sondern für jede Kombination aus einer lokalen Infektion und einer Ersterkrankung, die keine Infektion ist, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis.
71Dieser Umstand hat zwar zur Folge, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 über den Offenbarungsgehalt von NK9 hinausgeht. NK9 nimmt aber einen Teil des von Patentanspruch 1 geschützten Gegenstands vorweg. Schon dies hat zur Folge, dass das Streitpatent in der erteilten Fassung keinen Bestand haben kann.
72c) NK12 nimmt den Gegenstand von Patentanspruch 1 ebenfalls vorweg.
73aa) Der Übersichts-Artikel in NK12 befasst sich mit der Verwendung von Procalcitonin als Marker für bakterielle Infektionen.
74In der Einleitung wird die Genauigkeit dieses Markers für eine Vielzahl von Infektionen hervorgehoben und die Einschätzung geäußert, eine PCT-basierte therapeutische Strategie könne den Antibiotika-Einsatz bei Infektionen der unteren Atemwege, der Hauptursache für Sepsis, sicher und deutlich reduzieren.
75Es werde geschätzt, dass bei Exazerbationen von chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COLD) nur 25 % der Patienten von einer zusätzlichen Antibiotika-Therapie profitierten. Da diese Patienten eine beeinträchtigte pulmonale Reserve hätten und die Infektion lokal begrenzt sein könne, sei ein PCT-Wert von unter 0,1 ng/ml als cut-off-Wert zur Vorenthaltung von Antibiotika ratsam. Dieser cut-off-Wert werde in einer aktuellen Studie mit mehr als 200 Patienten (ProCOLD) untersucht (S. 455 rechts Abs. 1).
76bb) Damit sind die Merkmale 1, 3 und 4 offenbart.
77(1) Wie auch die Berufungserwiderung nicht in Zweifel zieht, beruht COLD häufig auf nicht infektiösen Ursachen, während hinzutretende Exazerbationen häufig infektiös sind.
78Entgegen der Auffassung der Berufungserwiderung liegen damit zwei unterschiedliche Erkrankungen im Sinne der Merkmale 1 und 3 vor.
79Hierbei ist unerheblich, ob COLD mit infektiösen Exazerbationen nach dem herkömmlichen Verständnis als einheitliche infektiöse Erkrankung angesehen wird. Wie bereits oben ausgeführt wurde, erfasst Patentanspruch 1 auch solche Konstellationen, in denen zwischen der nicht infektiösen Ersterkrankung und der lokalen Infektion ein Zusammenhang besteht. Diese Voraussetzung ist bei einer Ersterkrankung in Form von nicht infektiös verursachter COLD und dem Hinzutreten einer lokalen Infektion erfüllt.
80(2) Merkmal 4 ist offenbart, weil NK12 (S. 455 rechts Abs. 1) mit dem cut-off-Wert von < 0,1 ng/ml für die Vorenthaltung von Antibiotika zugleich den Schwellenwert offenbart, bei dessen Überschreiten die Gabe von Antibiotika grundsätzlich als indiziert angesehen wird. Der Wert von 0,1 ng/ml und mehr liegt innerhalb des geschützten Bereichs.
81Die ergänzenden Ausführungen in NK12, der mitgeteilte cut-off-Wert werde noch in einer Studie untersucht, führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Ihnen ist lediglich zu entnehmen, dass die Schwelle, bei deren Überschreiten die Verabreichung von Antibiotika als indiziert angesehen wird, noch einer gewissen Schwankungsbreite unterliegen kann. Eine Absenkung der Schwelle unter den offenbarten Wert von 0,1 ng/ml wäre aber schon deshalb unerheblich, weil Merkmal 4 mit 0,02 ng/ml eine erheblich niedrigere Untergrenze vorsieht. Hinweise darauf, dass die Schwelle aufgrund der Erkenntnisse der laufenden Untersuchung auf einen Wert oberhalb der in Merkmal 4 definierten Obergrenze von 0,25 ng/ml erhöht werden könnte, lassen sich NK12 nicht entnehmen.
82cc) Merkmal 2 ist auch in NK12 offenbart.
83(1) Wie in NK9 fehlt es auch in NK12 an der eindeutigen Offenbarung einer Präventionswirkung im Sinne von Merkmal 2.
84NK12 benennt zwar eine Infektion der unteren Atemwege als Hauptursachen einer Sepsis und äußert zugleich die Hoffnung, dass Procalcitonin als Marker eine wirkungsvollere Sepsis-Therapie ermöglicht. Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, wird die Möglichkeit der Ausbildung einer Sepsis im Zusammenhang mit COLD aber nicht angesprochen.
85(2) Ungeachtet dieses Offenbarungsdefizits und des Umstands, dass NK12 weder im Hinblick auf die Ursprungserkrankung noch im Hinblick auf die Exazerbationen zwischen infektiöser und nicht infektiöser Verursachung unterscheidet, erschließt das Streitpatent jedoch auch im Vergleich zu NK12 keine neue Patientengruppe.
86Die in NK12 offenbarte Vorgehensweise führt zur Behandlung mit Antibiotika, wenn eine nicht infektiöse COLD, eine infektiöse Exazerbation und ein PCT-Wert von mindestens 0,1 ng/ml vorliegen. Dies hat bei Patienten, die zusätzlich das Risiko für eine weitere Erkrankung im Sinne von Merkmal 2 in sich tragen, zur Folge, dass die vom Streitpatent vorgesehene Präventionswirkung eintritt. Dass dieser Wirkungszusammenhang in NK12 nicht aufgezeigt wird, ist aus den bereits im Zusammenhang mit NK9 dargelegten Gründen unerheblich.
87IV. Der Rechtsstreit ist zur Entscheidung reif (§ 119 Abs. 5 Satz 2 PatG).
881. Vor dem aufgezeigten Hintergrund erweist sich das Streitpatent in der erteilten Fassung als nicht patentfähig.
892. Hinsichtlich der Hilfsanträge 1 bis 6 gilt nichts anderes.
90a) Hilfsantrag 1 sieht den Ausschluss von Herzinsuffizienz als Ersterkrankung im Sinne von Merkmal 3 vor.
91Dies genügt zur Abgrenzung von NK9, nicht aber zur Abgrenzung von NK12.
92b) Nach Hilfsantrag 2 soll der in Merkmal 4 definierte Wertebereich eingeengt werden auf 0,02 ng/ml bis 0,1 ng/ml.
93Dies genügt zur Abgrenzung von NK12 und NK17, nicht aber zur Abgrenzung von NK9.
94c) Hilfsantrag 3 sieht entsprechend den Vorgaben in Absatz 28 und 30 der Streitpatentschrift, nach denen die weitere Erkrankung keine Infektion ist und aus der Gruppe der kardiologischen Erkrankungen ausgewählt werden kann, den Ausschluss der Sepsis als weitere Erkrankung im Sinne von Merkmal 2 vor.
95Daraus könnte sich allenfalls in Bezug auf NK17 eine abweichende Beurteilung ergeben, nicht aber in Bezug auf NK9 und NK12.
96d) Nach Hilfsantrag 4 soll Merkmal 3 auf bestimmte Infektionen beschränkt werden.
97Auch hieraus ergibt sich keine abweichende Beurteilung im Hinblick auf NK9 und NK12, weil zu den benannten Infektionen auch solche der Atemwege gehören.
98e) Nach Hilfsantrag 5 soll Krebs als Ersterkrankung im Sinne von Merkmal 3 ausgeschlossen werden.
99Dies führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung in Bezug auf NK9 und NK12.
100f) Hilfsantrag 6 sieht eine Kombination der Merkmale aus den Hilfsanträgen 1 und 3 vor.
101Dies reicht zur Abgrenzung von NK12 ebenfalls nicht aus.
1023. In der Fassung von Hilfsantrag 7 erweist sich das Streitpatent demgegenüber als rechtsbeständig.
103a) Hilfsantrag 7 sieht eine Kombination der Merkmale aus den Hilfsanträgen 1 bis 3 vor.
104b) Der so definierte Gegenstand ist weder in NK9 noch in NK12 vollständig offenbart.
105NK9 offenbart als Ersterkrankung im Sinne von Merkmal 3 lediglich eine Herzinsuffizienz. Diese ist nach Hilfsantrag 1 vom Gegenstand des Streitpatents ausgenommen, wie es in der Beschreibung des Streitpatents (Abs. 27) und der Anmeldung (S. 6 Z. 18 f.) als Option ausdrücklich vorgesehen ist.
106NK12 offenbart die Gabe von Antibiotika nur bei einem PCT-Wert von mehr als 0,1 ng/ml. Dies liegt außerhalb des in Hilfsantrag 2 definierten Bereichs.
107c) Der mit Hilfsantrag 7 verteidigte Gegenstand ist durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.
108aa) NK17 legt Merkmal 3 nicht nahe.
109(1) Aus NK17 ergibt sich keine Anregung, gerade eine nicht-infektiöse Ersterkrankung zum Anlass zur Verabreichung von Antibiotika zu nehmen.
110Wie bereits oben dargelegt wurde, sieht NK17 die Verabreichung von Antibiotika trotz niedrigen PCT-Werts auch und insbesondere bei Hinzutreten von Infektionen verschiedener Art vor. Darüber hinaus wird zwischen schweren und schwersten Fällen von Komorbidität unterschieden. Aus all dem ergibt sich keine hinreichende Anregung, der Frage einen Wert beizumessen, ob die weitere Krankheit oder Symptomatik infektiös ist oder nicht und gerade für nicht-infektiöse Erkrankungen die Verabreichung von Antibiotika vorzusehen.
111(2) Aus NK9 ergibt sich ausgehend von NK17 keine weitergehende Anregung.
112Die in NK9 angesprochene Kombination aus einer Infektion oder Entzündungserkrankung von Atemwegen und Lunge und einer assoziierten Herzinsuffizienz lässt sich zwar unter den Begriff der Komorbidität subsumieren. Auch hieraus ergab sich aber kein Hinweis darauf, dass die in NK17 angestrebte Präventionswirkung gerade bei der in NK9 offenbarten Kombination erreicht werden kann, zumal NK9 eine solche Wirkung gerade nicht offenbart.
113Hinzu kommt, dass in NK9 als Schwellenwert 0,03 bis 0,06 ng/ml gemessen in einem Bereich von 0,01 bis 0,1 ng/ml angegeben wird (S. 7 Z. 9-13), was in der NK17 lediglich von dem ersten Ast (< 0,1 ng/ml) des Entscheidungsbaums abdeckt wird, bei dem eine bakterielle Ursache als sehr unwahrscheinlich bezeichnet wird.
114(3) Aus NK12 ergibt sich kein weiterer Offenbarungsgehalt als aus NK9 und damit auch keine weitergehende Anregung.
115bb) Ausgehend von NK9 lag der Gegenstand des Patentspruchs 1 ebenfalls nicht nahe.
116NK9 bietet keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass im Falle einer Infektion oder Entzündungserkrankung der Atemwege und Lunge mit assoziierter Herzinsuffizienz die Verwendung von Antibiotika auch zur Prävention einer noch nicht manifestierten weiteren Erkrankung oder weiterer medizinischer Beschwerden im Sinne von Merkmal 2 führt. Schon deshalb lassen sich der Entgegenhaltung keine Hinweise darauf entnehmen, dass eine solche Wirkung auch bei der Kombination einer lokalen Infektion und einer anderen nicht-infektiösen Ersterkrankung eintritt.
117Entgegen der Auffassung der Berufung reicht für eine diesbezügliche Erwartung nicht aus, dass NK9 Pneumonie als einen besonderen Fall der Infektion benennt und bekannt war, dass Patienten mit Pneumonie ein erhöhtes Risiko für eine Sepsis aufweisen. Auch insoweit offenbart NK9 nämlich nicht die präventive Wirkung in Bezug auf eine weitere Erkrankung.
118Nach NK9 begünstigt das Vorliegen einer Herzinsuffizienz eine Pneumonie, weshalb eine frühe Diagnose und eine dadurch eröffnete frühe Behandlung mit Antibiotika die Prognose betroffener Patienten erheblich verbessert und Behandlungskosten reduziert (S. 4 Z. 5-12). Dementsprechend erfolgt die Diagnose auch zur Prophylaxe und differentialdiagnostischen Früherkennung (S. 9 Z. 1 f.). Diese Ziele betreffen aber die Pulmonie, also eine lokale Infektion im Sinne von Merkmal 1, nicht eine weitere Erkrankung im Sinne von Merkmal 2.
119cc) Ausgehend von NK12 ergaben sich keine weitergehenden Anregungen.
120Wie bereits oben dargelegt wurde, wird die Behandlung einer Sepsis in NK12 zwar als wichtiges Ziel benannt. Selbst wenn darunter nicht nur die Behandlung einer bereits manifestierten, sondern auch die Prävention einer drohenden Sepsis, die nach Hilfsantrag 3 ohnehin vom Gegenstand des Streitpatents ausgenommen ist, verstanden werden könnte, fehlte es an einem Bezug zwischen dieser Zielsetzung und den Ausführungen zu Patienten mit COLD und akuten Exazerbationen. Damit fehlt es zugleich an einer Anregung, die Prävention einer Sepsis auch für solche Patienten in Erwägung zu ziehen.
121d) Wie das Patentgericht in Bezug auf die erteilte Fassung zu Recht ausgeführt hat, ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 so offenbart, dass der Fachmann ihn ausführen kann. Dies gilt auch für die mit Hilfsantrag 7 verteidigte Fassung.
122Entgegen der Auffassung der Berufung ist unerheblich, ob es einzelne Kombinationen einer lokalen Infektion und einer nicht-infektiösen Ersterkrankung gibt, bei der die beanspruchte Präventionswirkung nicht eintritt. Für die ausführbare Offenbarung genügt es, dass die Streitpatentschrift Kombinationen aufzeigt, bei denen sich die Wirkung einstellt.
123Nach der Rechtsprechung des Senats ist grundsätzlich nicht erforderlich, dass jede denkbare Ausführungsform, die unter den Patentanspruch subsumierbar ist, in der Patentschrift ausführbar offenbart ist (, BGHZ 198, 205 = GRUR 2013, 1210 Rn. 20 - Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren). Grundsätzlich genügt es vielmehr, wenn die Patentschrift einen gangbaren Weg aufzeigt und den Fachmann in die Lage versetzt, die Geeignetheit anderer in Frage kommender Wege zuverlässig zu beurteilen (, BGHZ 147, 306 = GRUR 2001, 813, juris Rn. 87 f. - Taxol). Insbesondere bei der Beanspruchung offener oder weiter Bereiche ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass der mögliche Patentschutz durch den Beitrag zum Stand der Technik begrenzt wird ( Xa ZR 100/05, BGHZ 184, 300 = GRUR 2010, 414 Rn. 23 - Thermoplastische Zusammensetzung).
124Bei Anlegung dieser Maßstäbe reicht es im Streitfall für eine ausführbare Offenbarung aus, dass das Streitpatent sowohl für Merkmal 1 als auch für Merkmal 3 - neben der ausgenommenen Herzinsuffizienz - mehrere Erkrankungen nennt, bei denen sich die beanspruchte Wirkung einstellt. Hieraus ergeben sich ausreichende Hinweise, um einen Eintritt der Wirkung auch in anderen Konstellationen hinreichend sicher zu beurteilen.
125Eine nicht auf einzelne Erkrankungen beschränkte Anspruchsfassung steht auch in Einklang mit dem Beitrag, den das Streitpatent zum Stand der Technik leistet. Dieser besteht nicht allein darin, für bestimmte Kombinationen aus lokaler Infektion und nicht infektiöser Ersterkrankung eine Präventionswirkung aufzuzeigen, sondern darin, dass eine solche Wirkung grundsätzlich bei jeder Kombination dieser Art in Betracht kommt.
126V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 PatG sowie § 92 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:141221UXZR107.19.0
Fundstelle(n):
SAAAI-04857