Richterablehnung in einer Betreuungssache: Verbindung eines auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung gestützten Ablehnungsgesuchs mit der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde
Leitsatz
Wird in einer Betreuungssache ein Ablehnungsgesuch, das allein auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung gestützt ist, mit der Einlegung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde verbunden, ist dieses unverzüglich i.S.v. § 6 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO angebracht.
Gesetze: § 6 Abs 1 FamFG, § 44 Abs 4 S 2 ZPO
Instanzenzug: LG Darmstadt Az: 5 T 696/20vorgehend AG Offenbach Az: 14 XVII 283/18
Gründe
I.
1Die Beteiligte zu 3 wurde im August 2018 zur Betreuerin für den Betroffenen bestellt. Mit Beschluss vom , zur Post gegeben am , hat das Amtsgericht die Beteiligte zu 3 als Betreuerin entlassen und den Beteiligten zu 1 zum Betreuer bestellt.
2Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligte zu 3 am Beschwerde eingelegt und zugleich den zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Dabei hat sie diese Besorgnis allein mit den Ausführungen des Richters im Beschluss vom begründet. Nach Einholung einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters hat das das Befangenheitsgesuch der Beteiligten zu 3 für unbegründet erklärt. Hiergegen hat die Beteiligte zu 3 mit Schriftsatz vom sofortige Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. Nachdem das Landgericht die Beteiligte zu 3 darauf hingewiesen hatte, dass es das Ablehnungsgesuch für unzulässig halte, weil es nicht unverzüglich gestellt worden sei, hat es die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 3 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich diese mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
3Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
41. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt:
5Das Ablehnungsgesuch der Beteiligten zu 3 sei nicht unverzüglich im Sinne des § 6 FamFG i.V.m. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO gestellt worden und deshalb bereits unzulässig. Nach der seit dem geltenden Vorschrift des § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO, die nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FamFG in einem Betreuungsverfahren entsprechend anwendbar sei, sei ein Ablehnungsgesuch „unverzüglich“ anzubringen, ansonsten sei es als unzulässig zu verwerfen. Das „unverzügliche“ Vorbringen eines Ablehnungsgesuchs im Sinne des § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO erfordere, dass es - je nach den Umständen des Einzelfalls - zwischen wenigen Tagen und maximal zwei Wochen ab Kenntnis der Ablehnungsgründe vorgebracht werde. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die vorgebrachten Ablehnungsgründe allein auf schriftlich vorliegende Tatsachen gestützt würden, sei die Frist eher am unteren Bereich dieser Spanne anzusetzen.
6Die Beteiligte zu 3 habe ihr Ablehnungsgesuch allein auf die Begründung des amtsgerichtlichen Beschlusses vom gestützt, der ihr am übersandt worden sei. Gleichwohl sei ihr Ablehnungsgesuch erst am bei Gericht eingegangen. Dies überschreite die maximale Frist von zwei Wochen deutlich und sei nicht mehr als „unverzüglich“ anzusehen.
72. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beteiligte zu 3 hat ihr mit der Einlegung der Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung vom verbundenes Ablehnungsgesuch rechtzeitig angebracht. Das Beschwerdegericht hätte daher ihre sofortige Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom nicht mit der gegebenen Begründung zurückweisen dürfen.
8a) Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 FamFG i.V.m. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO ist ein Ablehnungsgesuch in Betreuungssachen unverzüglich anzubringen. Diese seit dem geltende Regelung ist auch im vorliegenden Verfahren anzuwenden. Soweit - wie hier - keine Übergangsregeln bestehen, ergreifen Änderungen des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Verfahren (vgl. - NJW 2007, 519 Rn. 14 f.; OLG Hamburg FamRZ 2020, 1283; Zöller/Vollkommer ZPO 34. Aufl. § 44 Rn. 11 a; MünchKommZPO/Rauscher 6. Aufl. Einl. Rn. 479 f.; BT-Drucks. 19/13828 S. 24).
9Nach der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB erfolgt eine Rechtshandlung dann unverzüglich, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern vorgenommen wird. Diese Begriffsbestimmung kann auch zur Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften (vgl. MünchKommBGB/Armbrüster 9. Aufl. § 121 Rn. 15) und somit zur Auslegung des § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO herangezogen werden. Dabei führt die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht dazu, dass die gesetzliche Begriffsbestimmung stets einheitlich zu verstehen ist. Entscheidend für eine an § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB orientierte Auslegung ist vielmehr der Sinn und Zweck sowie die systematische Stellung der Norm, die eine unverzügliche Rechtshandlung in ihrem Tatbestand voraussetzt (vgl. BeckOGK/Rehberg BGB [Stand: ] § 121 Rn. 12).
10b) Ob die Erklärung unverzüglich erfolgt ist, unterliegt im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkter Nachprüfung. Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Entscheidung des Beschwerdegerichts regelmäßig nur darauf überprüfen, ob das Gericht den Rechtsbegriff verkannt hat, ob ihm von der Rechtsbeschwerde gerügte Verfahrensfehler unterlaufen sind und ob es etwa wesentliche Tatumstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt oder Erfahrungssätze verletzt hat (vgl. - NJW 2008, 985 Rn. 19).
11c) Danach ist die Annahme des Beschwerdegerichts, die Beteiligte zu 3 habe ihr Ablehnungsgesuch nicht unverzüglich i.S.v. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO eingereicht, rechtsfehlerhaft. Wird in einer Betreuungssache ein Ablehnungsgesuch, das allein auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung gestützt wird, mit der Einlegung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde verbunden, ist dieses unverzüglich i.S.v. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO angebracht.
12aa) Ohne schuldhaftes Zögern und damit unverzüglich handelt ein Verfahrensbeteiligter dann, wenn er die gesetzlich notwendige Rechtshandlung innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalles zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungszeit vorgenommen hat ( - NJW 2008, 985 Rn. 18). Maßgeblich ist dabei keine starre zeitliche Frist. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend ausführt, kann von einem schuldhaften Zögern vielmehr nur dann ausgegangen werden, wenn das Zuwarten nicht durch die Umstände des Einzelfalls geboten ist. Insoweit hat das Beschwerdegericht nicht erkannt, dass das gegen den erstinstanzlichen Richter gerichtete und allein auf die Gründe der amtsgerichtlichen Entscheidung gestützte Ablehnungsgesuch der Beteiligten zu 3 vor der Einlegung ihrer Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung vom wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig gewesen wäre und es daher der Beteiligten zu 3 nicht zumutbar war, das Ablehnungsgesuch zu einem früheren Zeitpunkt bei Gericht einzureichen.
13bb) Grundsätzlich ist nach dem vollständigem Abschluss einer Instanz ein Ablehnungsgesuch mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht mehr zulässig, weil damit die beteiligten Richter ihre richterliche Tätigkeit im konkreten Verfahren beendet haben; die getroffene Entscheidung kann von dem Gericht, dem die im Anschluss daran abgelehnten Richter angehören, nicht mehr geändert werden (BGH Beschlüsse vom - I ZR 195/15 - NJW-RR 2018, 1461 Rn. 4 und vom - IV ZB 38/06 - NJW-RR 2007, 1653 Rn. 5 mwN). Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn sich der Richter, gegen den sich das Ablehnungsgesuch richtet, nach der instanzbeendenden Entscheidung in einem weiteren Verfahrensabschnitt erneut sachlich mit dem Verfahrensgegenstand befassen muss. Denn die Vorschriften der §§ 42 ff. ZPO gelten grundsätzlich für alle Verfahrensabschnitte, in denen eine Ausübung des Richteramtes in Betracht kommt ( - NJW-RR 2007, 1653 Rn. 7 mwN für das Tatbestandsberichtigungsverfahren). Die Verfahrensbeteiligten haben während des gesamten Verfahrens, jedenfalls solange richterliche Streitentscheidung in materieller oder verfahrensrechtlicher Hinsicht gefordert ist, einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf den unvoreingenommenen gesetzlichen Richter (vgl. BVerfG NJW 2011, 2191 Rn. 23).
14cc) So liegen die Dinge hier. Zwar hat die Beteiligte zu 3, die ihr Ablehnungsgesuch allein auf die Gründe der amtsgerichtlichen Entscheidung vom gestützt hat, bereits mit deren Bekanntgabe von dem später von ihr geltend gemachten Ablehnungsgrund Kenntnis erlangt. Nach der instanzabschließenden Entscheidung ist das Ablehnungsrecht der Beteiligten zu 3 erst mit der Einlegung der gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerde wieder aufgelebt. Denn durch dieses Rechtsmittel, an dessen Zulässigkeit nach den getroffenen Feststellungen keine Zweifel bestehen, ist ein Abhilfeverfahren als Bestandteil des Beschwerdeverfahrens gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG eingeleitet worden, das dem erstinstanzlichen Gericht die Möglichkeit einer inhaltlichen Nachprüfung der getroffenen Entscheidung eröffnet (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 93/21 - juris Rn. 17 mwN). Da der Zweck des Abhilfeverfahrens somit auf eine inhaltliche Prüfung der angefochtenen Entscheidung durch das Ausgangsgericht abzielt, bestand für die Beteiligte zu 3 mit der Einlegung ihrer Beschwerde wieder ein Rechtsschutzbedürfnis dafür, das erstinstanzliche Gericht wegen der Besorgnis der Befangenheit ablehnen zu können. Da der Beteiligten zu 3 nicht zumutbar war, ein unzulässiges Ablehnungsgesuch zu stellen, handelte sie bei der Verbindung des Ablehnungsgesuchs mit der Beschwerdeeinlegung ohne schuldhaftes Zögern und damit unverzüglich i.S.v. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO.
15dd) Dieses Ergebnis steht auch mit dem Zweck in Einklang, den der Gesetzgeber mit der Einführung des § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO verfolgt hat. Danach soll die Vorschrift die Regelung in § 43 ZPO, welche einen Verlust des Ablehnungsrechts bei einer rügelosen Einlassung vorsieht, ergänzen und verhindern, dass Ablehnungsanträge von einer Partei aus taktischen Gründen zur Verfahrensverzögerung erst dann gestellt werden, wenn sich im Verlauf des Verfahrens eine für sie ungünstige Verhandlungsposition ergibt (BT-Drucks. 19/13828 S. 17).
16Die Beteiligte zu 3 hat im vorliegenden Fall ihr Ablehnungsgesuch nicht in der Absicht mit der Einlegung der Beschwerde verbunden, das Verfahren zu verzögern. Vielmehr hat sie durch die Beschwerdeeinlegung erst die Voraussetzung dafür geschaffen, dass über ihr Ablehnungsgesuch inhaltlich entschieden werden kann.
173. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen, weil diese noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:190122BXIIZB357.21.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2022 S. 429 Nr. 6
CAAAI-04495