Einkommensteuer/Verfahrensrecht | Rückwirkendes Ereignis beim Realsplitting (BFH)
Die Stellung des Antrags auf
Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen nach
§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2007 durch den Geber
samt Einreichung der Zustimmungserklärung des Empfängers ist bereits das
rückwirkende Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2
AO, das zur Änderung der
Einkommensteuerfestsetzung des Empfängers der Unterhaltsleistung nach
§ 22
Nr. 1a EStG 2007 führt. Auf die tatsächliche Anerkennung
der Leistungen als Sonderausgaben beim Geber kommt es nicht an
(; veröffentlicht am
).
Sacherhalt: Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 1a EStG bei der Ehefrau, der Klägerin: Die Klägerin wurde im September 2007 von ihrem Ehemann (E) geschieden. In einem zivilrechtlichen Vergleich über die Scheidungsfolgen verpflichtete sich E zur Zahlung eines Abgeltungsbetrags in Höhe von 10.000 € an die Klägerin. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2007 gab sie keine Unterhaltsleistungen i.S. des § 22 Nr. 1a EStG an. Sie wurde mit Bescheid v. erklärungsgemäß veranlagt.
E reichte die Anlage U zur Einkommensteuererklärung, die auch die Zustimmung der Klägerin zum Antrag auf Abzug von Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben enthielt, am bei dem für ihn zuständigen FA ein. Eine Berücksichtigung der Zahlung des Abgeltungsbetrags von 10.000 € als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG war zunächst umstritten. Die Zahlung wurde letztendlich mit Änderungsbescheid vom als abziehbare Unterhaltsleistung anerkannt.
Anschließend änderte das FA mit Bescheid vom die Einkommensteuerfestsetzung der Klägerin für das Streitjahr 2007 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und berücksichtigte die Zahlung als Unterhaltsleistung nach § 22 Nr. 1a EStG. Einspruch und Klage der Klägerin, die sowohl auf eine Feststellung der Nichtigkeit als auch auf die Aufhebung dieses Bescheids gerichtet waren, blieben erfolglos.
Die Richter des BFH lehnten eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung der Klägerin wegen Festsetzungsverjährung ab:
Maßgebendes rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AO ist im Streitfall die Stellung des Antrags auf Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen durch E samt Einreichung der Zustimmungserklärung der Klägerin beim FA am .
Auf die spätere Anerkennung der Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben im Änderungsbescheid des E v. kommt es nicht an.
Damit ist bereits mit der Einreichung der Einkommensteuererklärung des E samt Anlage U und Zustimmung der Klägerin am das Ereignis eingetreten, welches zur Steuerbarkeit der Unterhaltsleistungen bei der Klägerin als Unterhaltsberechtigte nach § 22 Nr. 1a EStG führte.
Eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung der Klägerin für 2007 im Jahr 2015 scheidet aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung aus.
Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:
Im Fall des Realsplittings sind sowohl die Steuerfestsetzung des Gebers der Unterhaltsleistung wie auch die des Empfängers relevant. Sie stehen in einer materiell-rechtlichen Korrespondenz, was der Hinweis auf § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG a.F. bzw. § 10 Abs. 1a EStG n.F. in § 22 Nr. 1 EStG zeigt. Dieses Korrespondenzprinzip ist nicht auch verfahrensrechtlicher Art. Insbesondere ist der Steuerbescheid des Gebers, der seine Leistung als Sonderausgaben abgezogen hat, kein Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 Satz 1 AO. Eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO scheidet aus (vgl. auch Lehnert in Zugmaier/Nöcker, § 175 AO Rz 279, m.w.N.).
Will das FA eine verfahrensrechtliche Korrespondenz zwischen beiden Steuerfestsetzungen herstellen, hat es den anderen Steuerpflichtigen als Dritten am Einspruchsverfahren zu beteiligen (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO). Dies ist hier nicht geschehen.
Stattdessen haben FA und FG gemeint, die Anerkennung der Zahlung des Gebers als Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG a.F. durch das FA reiche aus, um erst dann von einem rückwirkenden Ereignis gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ausgehen zu können – mit der Folge der noch möglichen Änderung der Festsetzung der Geberin in nicht verjährter Zeit.
Aufgrund seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. , BFH/NV 2010, 1790, m.w.N.) hat der BFH jedoch klargestellt, dass der Wortlaut des § 22 Nr. 1a EStG a.F. so zu verstehen sei, dass bereits die Einreichung des Antrags des Gebers nebst Anlage U das rückwirkende Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei. Folglich scheiterte die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung der Empfängerin an der auch unter Berücksichtigung der besonderen Festsetzungsfrist des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO eingetretenen Festsetzungsverjährung.
Auch § 22 Nr. 1a ESG n.F. geht davon aus, dass Sonstige Einkünfte schon vorliegen, soweit für sie die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug beim Leistungs- oder Zahlungsverpflichteten nach § 10 Abs. 1a EStG erfüllt sind. Ob dies bei der Art der von Geber und Empfänger im vorliegenden Fall vereinbarten Zahlung überhaupt gegeben sein kann, erscheint fraglich. Der BFH musste aufgrund der fehlenden Änderungsmöglichkeit diese Frage nicht entscheiden – und hat sie bewusst nur angesprochen.
Quelle: ; veröffentlicht am (il)
Fundstelle(n):
JAAAI-04364