Energiewirtschaftsrechtliche Verwaltungssache: Antrag auf Erlass einer prozessualen Zwischenverfügung zur erneuten Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde eines Anbieters von Kraftwerkskapazitäten auf dem Regelarbeitsmarkt gegen eine Entscheidung der Bundesnetzagentur über die Herabsetzung der ursprünglich genehmigten Preisobergrenze für Regelarbeitsgebote
Gesetze: Art 19 Abs 4 GG, Art 76 EnWG, Art 77 Abs 3 S 1 Nr 3 EnWG, Art 77 Abs 4 EnWG, § 88 Abs 5 EnWG, § 80 Abs 5 S 1 VwGO
Instanzenzug: Az: VI-3 Kart 49/21 (V)nachgehend Az: EnVR 69/21 Beschluss
Gründe
1A. Die Antragstellerin bietet Kraftwerkskapazitäten ihrer Schwestergesellschaft und Dritter unter anderem auf dem Regelarbeitsmarkt an. Sie wendet sich gegen eine Entscheidung der Bundesnetzagentur, mit der diese die ursprünglich genehmigte Preisobergrenze für Regelarbeitsgebote herabgesetzt hat.
2Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben gemäß Art. 18 der Verordnung (EU) 2017/2195 vom zur Festlegung einer Leitlinie über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem (nachfolgend: EB-VO) 2017 einen Vorschlag für einen nationalen Regelreservemarkt (nachfolgend: MfRRA) unterbreitet. Die MfRRA wurden nach Konsultationen von der Bundesnetzagentur genehmigt. Ihnen liegt ein Modell der freien Preisbildung nach dem Gebotspreis zugrunde. Ziffer 38 Abs. 4 (i) der MfRRA sah in der von der Bundesnetzagentur mit Beschluss vom (BK6-18-004-RAM) genehmigten Fassung vor, dass das Angebot des Regelreserveanbieters einen Arbeitspreis bis zur Höhe der technischen Preisobergrenze von 99.999 €/MWh enthält.
3Der Regelarbeitsmarkt begann am . In dem Zeitraum bis zum kam es zu hohen Preisniveaus für Regelarbeitsgebote. An 33 Tagen wiesen mindestens ein Drittel der bezuschlagten Regelarbeitsgebote einen Arbeitspreis über 9.999 €/MWh aus. Am kam es in dem Viertelstundenintervall von 10:30 Uhr bis 10:45 Uhr zu einem Abruf von Sekundärregelung von 1.357 MW, wobei das höchste abgerufene Gebot bei 61.141,16 €/MWh lag und der mittlere bezuschlagte Arbeitspreis 33.874,70 €/MWh betrug.
4Mit Beschluss vom (nachfolgend: Beschluss) änderte die Bundesnetzagentur die Regelung des § 38 Abs. 4 (i) MfRRA dahin, dass die ursprünglich genehmigte Preisgrenze für Regelarbeitsgebote auf 9.999,99 €/MWh herabgesetzt wurde. In einer Telefonkonferenz am waren die Übertragungsnetzbetreiber zu der beabsichtigten Absenkung der Preisgrenze angehört worden.
5Die Antragstellerin hat Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Sie macht geltend, dieser sei ohne Rechtsgrundlage und in einem Verfahren ergangen, das die in der EB-VO und im Energiewirtschaftsgesetz vorgesehenen Verfahrensregeln missachtet habe. Nachdem im Beschwerdeverfahren am mündlich verhandelt worden war, hat das Beschwerdegericht auf einen Antrag der Antragstellerin vom am die aufschiebende Wirkung der Beschwerde angeordnet, befristet bis zur Anhängigkeit eines Rechtsmittelverfahrens vor dem Bundesgerichtshof. Mit Beschluss vom hat das Beschwerdegericht die streitgegenständliche Entscheidung aufgehoben. Die Bundesnetzagentur hat am gleichen Tag die zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen den Beschluss (erneut) anzuordnen und eine solche Anordnung zudem auch im Wege einer prozessualen Zwischenverfügung bis zur Entscheidung über den Eilantrag zu treffen.
6B. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer prozessualen Zwischenverfügung hat keinen Erfolg.
7I. Ob eine Zwischenentscheidung erforderlich ist, weil zu befürchten ist, dass bis zur abschließenden gerichtlichen Eilentscheidung unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) vollendete Tatsachen geschaffen werden, ist im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln. Der Erlass einer Zwischenverfügung ist, wenn keine anderen überwiegenden Interessen eine sofortige Vollziehung des im Eilverfahren angegriffenen Bescheids erfordern, zulässig und geboten, wenn der Eilantrag nicht von vornherein offensichtlich aussichtslos ist und ohne die befristete Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gefährdet wäre, weil irreversible Zustände oder schwere und unabwendbare Nachteile einzutreten drohen (vgl. , NVwZ 2014, 363 Rn. 7; , juris Rn. 2; , juris Rn. 6 mwN; , NVwZ 2015, 447 Rn. 15).
8II. Nach diesem Maßstab liegen die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten Zwischenverfügung nicht vor.
91. Es lässt sich nicht feststellen, dass der vorläufige Rechtsschutzantrag der Antragstellerin offensichtlich unzulässig oder unbegründet wäre.
10a) Der Antrag ist zulässig. Für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist gemäß § 88 Abs. 5, § 77 Abs. 3 und 4 EnWG in Verbindung mit § 80 Abs. 5 VwGO der Bundesgerichtshof zuständig. Zwar wird in § 88 Abs. 5 EnWG nicht ausdrücklich auf § 77 Abs. 3 und 4 EnWG Bezug genommen. Die Verweisung kann § 88 Abs. 5 EnWG aber entsprechend dem Rechtsgedanken des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, wonach für einen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung das Gericht der Hauptsache zuständig ist, entnommen werden (vgl. Boos in Theobald/Kühling, Energierecht, § 77 EnWG Rn. 58 [Stand: April 2021]; Hanebeck in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. Aufl., § 77 Rn. 11; Johanns/Roesen in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 77 Rn. 17; zum Kartellverwaltungsverfahren: , WuW/E Verg 175 [juris Rn. 5] - Tariftreueerklärung; Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl., § 76 GWB Rn. 13; Nothdurft in MünchKomm Wettbewerbsrecht, 3. Aufl., § 74 GWB Rn. 5).
11b) Der Antrag ist nicht offensichtlich unbegründet. Insbesondere im Hinblick auf die den Bescheid aufhebende Entscheidung des Beschwerdegerichts sind die Erfolgsaussichten vielmehr derzeit offen.
122. Die nach den genannten Maßstäben vorzunehmende Interessenabwägung geht jedoch zu Lasten der Antragstellerin aus.
13a) Die Antragstellerin macht geltend, eine prozessuale Zwischenentscheidung sei erforderlich, damit es nicht binnen weniger Tage zu einer erneuten Änderung der Preisgrenzen im Regelarbeitsmarkt komme. Die Suspendierung der von der Antragsgegnerin verfügten Preisgrenze sei von den Übertragungsnetzbetreibern bereits im Markt kommuniziert worden. Die Übertragungsnetzbetreiber und Marktbeteiligten stellten sich auf diese Änderung ein. Es sei nicht nur für einen effektiven Rechtsschutz der Antragstellerin erforderlich, sondern auch für die Übertragungsnetzbetreiber und andere Marktbeteiligte wichtig, dass es zwischenzeitlich nicht zu einer erneuten Absenkung der Gebotsgrenzen komme.
14Das greift aus tatsächlichen Gründen nicht durch. Die Bundesnetzagentur hat auf die Veröffentlichung der betroffenen Übertragungsnetzbetreiber vom hingewiesen, wonach die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel nach Einlegung der Rechtsbeschwerde wieder entfallen sei und die technische Preisobergrenze für Regelarbeit in Höhe von 9.999,99 €/MWh weiter zur Anwendung komme (https://www.regelleistung.net). Es trifft folglich nicht zu, dass sich die Marktbeteiligten auf die Änderung einstellen und die Gefahr besteht, dass es binnen weniger Tage erneut zu einer Änderung der Preisgrenzen kommen werde. Die Marktteilnehmer gehen vielmehr - wie während des bisherigen Verfahrens auch - davon aus, dass die Preisobergrenze 9.999,99 €/MWh beträgt.
15b) Soweit die Antragstellerin zur Begründung ihres Antrags auf Erlass einer prozessualen Zwischenverfügung ferner vorträgt, diese sei für einen effektiven Rechtsschutz erforderlich und die weitere Vollziehung des Beschlusses stelle eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinne von § 77 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 EnWG dar, führt die insoweit gebotene Interessenabwägung nicht zum Erlass der begehrten Zwischenverfügung, weil andere überwiegende Interessen die weitere Vollziehung des Bescheids erfordern und die Interessen der Antragstellerin nach der gebotenen Gesamtabwägung dahinter zurücktreten.
16aa) Die Antragstellerin macht geltend, die Folgen der verfügten Preisgrenze könnten angesichts der Funktionsweise des Regelarbeitsmarkts im Nachhinein nicht beseitigt werden. Aufgrund des aktuell hohen Strompreisniveaus und der erheblichen Volatilitäten gerade auch im Intraday-Markt seien die Opportunitätskosten für die Teilnahme am Regelarbeitsmarkt nochmals gestiegen. Die aktuelle Preisgrenze beschränke eine freie und kostenbasierte Preisbildung daher mehr denn je. So betrage die Abrufwahrscheinlichkeit von 1.300 MW nur 0,13%. Bei dieser geringen Abrufwahrscheinlichkeit beliefen sich die Opportunitätskosten auf das 775fache des Intraday-Preises, was schon bei einem Intraday-Preis von nur 50 €/MWh einen Gebotspreis von 38.775 €/MWh ergebe. Die Intraday-Preise lägen jedoch nicht selten über 100 €/MWh.
17bb) Die Bundesnetzagentur hat das Absenken der Preisgrenze damit begründet, dass es angesichts des unerwartet geringen Angebots und der hohen Anbieterkonzentration auf dem Regelarbeitsmarkt entgegen der bei seiner Einführung bestehenden Erwartung nicht zu sinkenden, sondern zu sehr hohen Arbeitspreisen gekommen sei, die dauerhaft und bei unkritischen Systemzuständen zu beobachten seien. Dabei seien insbesondere die Anbieter mit den größten Marktanteilen in erheblichem Umfang für die hohen Preise verantwortlich. Durch die sehr hohen Arbeitspreise komme es zu höchsten finanziellen Risiken für die Bilanzkreisverantwortlichen, die existenzbedrohend sein könnten. Gerade bei volatiler Einspeisung ließen sich Prognoseabweichungen auch bei bester Prognose nicht völlig vermeiden. Sei aber der Direktvermarkter selbst bei geringen Fehlprognosen höchsten Ausgleichsenergiepreisen ausgesetzt, werde er diese Risiken auf Dauer an seine Vertragspartner weitergeben müssen. Durch höhere Direktvermarktungskosten verringere sich die Wirtschaftlichkeit von bestehenden erneuerbaren Energieanlagen und verteuere sich der weitere Ausbau erneuerbarer Energien. Gleiches gelte für Bilanzkreise, über die physikalische Letztverbraucherentnahmen abgewickelt würden. Auch hier müssten die Ausgleichsenergiepreisrisiken an die Endkunden weitergegeben werden. Demgegenüber führe die Preisobergrenze von 9.999 €/MWh nicht zu einer unangemessenen Belastung der Regelreserveanbieter. Der Beschlusskammer lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass dies nicht auskömmlich sei.
18cc) Bei der Interessenabwägung ist zunächst zu berücksichtigen, dass die weitere Vollziehung des Beschlusses insoweit irreversible Zustände schafft, als die Preisobergrenze weiterhin bis zu einer Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung Geltung hat und die Antragstellerin angesichts der Funktionsweise des Regelarbeitsmarkts Gewinne, die sie bei einer höheren Preisobergrenze realisieren könnte, daher nicht erwirtschaften kann. Andererseits treten aber auch die Risiken und Nachteile, die die Bundesnetzagentur insbesondere für die Bilanzkreisverantwortlichen, aber auch für das Ziel einer preisgünstigen, effizienten und umweltverträglichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität (§ 1 Abs. 1 EnWG) festgestellt hat, ebenso irreversibel wieder ein, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde angeordnet wird.
19dd) Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin bisher weder dargelegt noch glaubhaft gemacht hat, dass die ihr entstehenden Nachteile höher zu gewichten seien als diejenigen, die der Allgemeinheit und den anderen Marktteilnehmern entstehen. Sie hat vielmehr erst am und damit nach der mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Diese ist vom Beschwerdegericht auf der Grundlage von § 77 Abs. 3 Satz 4 in Verbindung mit Satz 1 Nr. 2 EnWG wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung, nicht aber wegen des Vorliegens einer unbilligen Härte angeordnet worden. Soweit die Antragstellerin nunmehr vorträgt, aufgrund des aktuell hohen Strompreisniveaus und der erheblichen Volatilitäten gerade auch im Intraday-Markt seien die Opportunitätskosten für die Teilnahme am Regelarbeitsmarkt nochmals gestiegen, ergibt sich daraus schon nicht, in welchem Maße sie dadurch belastet wird. Dem Vortrag lässt sich insbesondere nicht entnehmen, dass die Annahme der Bundesnetzagentur, die festgelegte Preisgrenze führe nicht zu einer unangemessenen Belastung der Regelreserveanbieter und sei nach wie vor auskömmlich, nicht mehr zutrifft. Angesichts des Fehlens schwerer Nachteile gibt für die gebotene Interessenabwägung den Ausschlag, dass der Gesetzgeber der Beschwerde gemäß § 76 Abs. 1 EnWG keine aufschiebende Wirkung beimisst (vgl. 4 VR 6.20, BeckRS 2020, 31888 Rn. 6).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:291121BENVR69.21.0
Fundstelle(n):
WAAAI-04030