Außerdienstliche Nötigung; Wiederholungstat; Rockerclub
Leitsatz
Versucht ein Soldat jemanden durch Androhung von Gewalt gegen Leib und Leben zu nötigen, ist die Herabsetzung im Dienstgrad Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.
Gesetze: § 17 StGB, § 23 Abs 2 StGB, § 240 Abs 1 StGB, § 327 StGB, § 1 Abs 3 SG, § 10 Abs 1 SG, § 10 Abs 3 SG, § 12 S 2 SG, § 17 Abs 2 S 2 § 17 Abs 2 S 3 SG, § 48 S 1 Nr 2 SG, Art 6 MRK, Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 103 Abs 3 GG, § 38 Abs 1 WDO 2002, § 38 Abs 2 WDO 2002
Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: N 2 VL 34/15 Urteil
Tatbestand
1Die maßnahmebeschränkte Berufung betrifft im Wesentlichen die Ahndung von außerdienstlich versuchten Nötigungen.
21. Der 1973 geborene Soldat trat nach seiner Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur 1993 in die Bundeswehr ein. 2003 wurde ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen. Zuletzt wurde er 2007 zum Hauptfeldwebel befördert. Seine Dienstzeit soll planmäßig mit Ablauf des enden.
3Der Soldat wurde seit November 2009 im ... als Innendienstfeldwebel und Führer des Unteroffizierkorps verwendet. Nach dem Bekanntwerden erster Verdachtsmomente wurde ihm zunächst die Ausübung des Dienstes verboten. Die Entscheidung stand im Zusammenhang mit seiner zum Mai 2011 verfügten Kommandierung zum Fachsanitätszentrum ..., der 2015 die Versetzung zum Sanitätsunterstützungszentrum ... folgte.
4Nach Bekanntwerden der Vorwürfe zur Nachtragsanschuldigung wurde der Soldat im Februar 2012 vorläufig des Dienstes enthoben und ihm verboten, Uniform zu tragen; gleichzeitig wurde die Hälfte seiner jeweiligen Dienstbezüge einbehalten. Das Truppendienstgericht hat den Einbehalt ab 2013 auf ein Viertel reduziert.
5In seiner letzten planmäßigen Beurteilung vom wurde der Soldat für die Aufgabenerfüllung auf seinem Dienstposten mit durchschnittlich "7,20" bewertet. Er sei ein engagierter und gewissenhafter Portepeeunteroffizier, der es bei aller Sorgfalt verstehe, nie den Blick für das Wesentliche zu verlieren. Er überzeuge aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten sowie Leistungsmotivation und zeichne sich durch Einsatzbereitschaft aus. Jederzeit sei er bereit, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen und private Belange zurückzustellen. Sein berufliches und soldatisches Selbstverständnis seien tadellos und beispielgebend. Als Erster des Unteroffizierkorps stelle er die Gemeinschaft und das Ansehen der Dienststelle über seine eigenen Interessen. Er zähle bereits zur Spitze seiner Dienstgradgruppe und sei bis in die höchsten Verwendungen der Laufbahn zu fördern.
6Nach der erstinstanzlich verlesenen Aussage des früheren unmittelbaren Disziplinarvorgesetzten Oberleutnant zur See A sind die dienstlichen Leistungen des Soldaten mit "7,2 bis 7,4" zu bewerten. Er sei verlässlich und durchsetzungsstark und es sei dessen Verdienst, das Unteroffizierkorps im Sanitätszentrum gegründet zu haben. Leistungsmäßig stufe er ihn im oberen ersten Drittel ein. In der Berufungshauptverhandlung hat er die Leistungsbewertung bestätigt. Der Soldat sei seine rechte Hand und dessen Mitgliedschaft bei den Bandidos auch bekannt gewesen. Anfragen beim MAD hätten zu keiner negativen Rückmeldung geführt.
7Oberfeldarzt Dr. B als früherer nächsthöherer Disziplinarvorgesetzte hat dies in seiner erstinstanzlichen Aussage bestätigt. Der Soldat habe "den Laden zusammengehalten". Er sei dynamisch gewesen und habe die Leute dazu gebracht, Sachen anzugehen. Als ebenfalls nächsthöherer Disziplinarvorgesetzter hat Oberfeldarzt der Reserve Dr. C ausgesagt, der loyale und korrekte Soldat sei der beste Spieß gewesen, den er je gehabt habe.
8Das aktuelle Zentralregister enthält die Verurteilung des Soldaten wegen versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten auf Bewährung durch das seit Mai 2019 rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts ... vom . Das Strafurteil ist durch Berufungsurteil des (im Folgenden: Landgerichtsurteil 2019) und im Revisionsverfahren durch überprüft und nicht beanstandet worden. Die Strafe wurde ihm 2021 gemäß § 56g StGB erlassen. Der Gegenstand des Strafverfahrens war sachgleich mit den streitgegenständlichen Anschuldigungspunkten (1. bis 3. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom ).
9Daneben ist der Soldat durch - im Zentralregister nicht mehr ausgewiesenes - Urteil des Amtsgerichts ... vom wegen gemeinschaftlich begangener versuchter Nötigung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt worden (im Folgenden: Amtsgerichtsurteil 2012). Die der Verurteilung zugrundeliegenden Handlungen waren sachgleich zu den streitgegenständlichen Anschuldigungspunkten (1. und 2. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom ).
102007 erhielt der Soldat eine förmliche Anerkennung und 1999, 2006 und 2009 wurden ihm Leistungsprämien gewährt. Der nach der Besoldungsgruppe A 8Z besoldete Soldat erhält Nettobezüge von etwa 2 470 €.
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122. Nachdem das gerichtliche Disziplinarverfahren im April 2011 eingeleitet worden war, hat das Truppendienstgericht ... den Soldaten auf der Grundlage der Anschuldigungsschrift vom und mehrerer Nachtragsanschuldigungsschriften mit Urteil vom aus dem Dienstverhältnis entfernt. Nachdem dieses Urteil wegen eines Verfahrensfehlers mit Beschluss des Senats vom aufgehoben worden war, hat das Truppendienstgericht den Soldaten erneut mit Urteil vom aus dem Dienstverhältnis entfernt.
13a) Unter Freistellung und Ausklammerung aller übrigen Anschuldigungspunkte hat es drei Tatkomplexe als erwiesen angesehen:
14aa) Zu den Anschuldigungspunkten 1.a. und 1.b. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom stellte es auf der Grundlage der Feststellungen im Amtsgerichtsurteil 2012, von denen sich zu lösen kein Anhalt bestehe, fest:
"Die Zeugin 1 wurde im November 2009 von der Zeugin 2 (alias '...') gefragt, ob sie für den 'Escort-Service-...' arbeiten wolle. Es folgten Gespräche mit dem Angeklagten 3 über die Kosten für die Kunden und den Anteil für die Zeugin 1. Diese entschied sich jedoch, nicht für den 'Escort-Service-...' tätig zu werden und teilte dies der Zeugin 2 im November 2010 zu einem nicht mehr bekannten Zeitpunkt mit. Einen Tag später erschienen die Angeklagten ... und 3 bei der Zeugin 1. Der Angeklagte 3 äußerte gegenüber der Zeugin 1, sie müsse unbedingt für ihn arbeiten. Anderenfalls werden er sie nach ... in eine seiner Wohnungen schicken und eine Annonce in einer Zeitung mit ihrer privaten Anschrift und Handynummer veröffentlichen. Die Zeugin 1 fühlte sich hierdurch stark unter Druck gesetzt. Des Weiteren äußerten beide Angeklagten, sie würden die Zeugin 1 verprügeln, wenn diese in dem Revier von ihnen arbeiten werde.
Am Anfang des Jahres 2011 ließ sich die Zeugin 4 von den Angeklagten davon überzeugen, für den 'Escort-Service-...' tätig zu sein und erotische Massagen anzubieten. Nach außen sollte sie als Geschäftsführerin arbeiten. Für diese Zwecke mietete die Zeugin 4 von der Zeugin 5 eine ca. 30 m² große Wohnung in ..., die am bezogen wurde. Der Mietzins betrug monatlich 400 Euro. Als Bürge verpflichtete sich der Angeklagte 3. In der Folgezeit forderten die Angeklagten 3 und ... von der Zeugin 4 die Zahlung von 420 Euro. Obwohl die Zeugin 4 dies zunächst ablehnte, zahlte sie in der Folgezeit den aufgeforderten Betrag von 420 Euro zweimal an den Angeklagten 3. Nachdem der Zeugin 4 eine Mitarbeiterin, die Zeugin 6, ab dem zur Verfügung gestellt wurde, forderten die Angeklagten von der Zeugin 4 wöchentliche Zahlungen von 840 Euro, was diese aber ablehnte. Am erschienen die Angeklagten gegen 14.00 Uhr in der Wohnung der Zeugin 4 und forderten eine wöchentliche Zahlung von 420 Euro, was die Zeugin 4 erneut ablehnte. Der Angeklagte ... sagte daraufhin, dass hier 'Bandito-Land' sei und dass sie kommen und alles 'platt' machen würden. Der Angeklagte 3 wiederholte dies."
15bb) Zu den Anschuldigungspunkten 1., 2. und 3. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom stellte es auf der Grundlage der Feststellungen im Landgerichtsurteil, von denen sich zu lösen ebenfalls kein Anlass bestehe, fest:
"Der am verstorbene Zeuge 7 trat im Jahr 2013 dem Rockerclub '... MC' als Mitglied bei. Dieser Rockerclub war auf ... tätig und stellte einen Supporterclub des Rockerclubs ... dar und wurde letztlich in '... MC' umbenannt (im Folgenden nur noch: ... MC). Der Angeklagte 8 ist das ranghöchste Mitglied (Präsident) ... MC. Mitte 2014 übernahm der Zeuge 7 die Verwaltung der Vereinskasse. Bis Ende des Jahres 2014 gab es in der Kasse Einnahmen durch Austritte von Mitgliedern des Clubs sowie monatlich zu erbringende Beitragszahlungen der Mitglieder, die zu einem Kassenstand von ca. 12 000 € führten. Laufend kamen weitere monatliche Beitragszahlungen in bar hinein. Der Zeuge 7 bewahrte die Kasse auf dem von ihm bewohnten Grundstück ..., auf. Im Zeitraum Juli 2014 bis Dezember 2015 hatte der Zeuge 7 für den Club Ausgaben getätigt, die jedoch nicht vollständig den Guthabenbestand der Kammer aufgebraucht hatten. Aus nicht näher aufklärbaren Umständen sollte der Zeuge 7 im Dezember 2015 die Kasse an den Angeklagten ... übergeben. Dieser war Mitglied des Rockerclubs ... und in dieser Funktion weisungsberechtigt gegenüber dem Supporterclub ... MC. Am entwickelte sich über den Messangerdienst WhatsApp eine Kommunikation zwischen dem Zeugen 7 und dem Angeklagten ... Darin sagte der Zeuge 7 zunächst zu, die Kasse am zu übergeben, hat diese Zusage im späteren Verlauf des Tages jedoch aus fadenscheinigen Gründen wieder abgesagt. Die maßgebliche WhatsApp wurde durch Verlesen in das Verfahren eingeführt. Um 23.28 Uhr schrieb der Angeklagte ... eine Nachricht mit dem Wortlaut: 'Du hast bis morgen 18.00 Uhr Zeit, die Kasse vorbeizubringen. Ich hoffe für dich, dass es funktioniert - bei der Eierei habe ich langsam eine nicht so schöne Vermutung. 18.00 Uhr ist Gesetz - bis morgen!'. Der Zeuge 7 hatte bis zu diesem Zeitpunkt die in der Kasse vorhandenen Beträge zur Begleichung persönlicher Ausgaben verwendet und war daher nicht in der Lage, den Kassenbestand zu übergeben und übergab entsprechend die Kasse bis um , 18.00 Uhr, an den Angeklagten ... nicht.
Am gegen 20.45 Uhr begaben sich die Angeklagten 8 und ..., der verurteilte Zeuge 9, seinerzeit ebenfalls Mitglied bei den ... MC, sowie die gesondert Verfolgten 10 und 11 mit zwei Pkw zum Grundstück des Zeugen 7 in der ..., wo dieser gemeinsam mit seinem Bruder, dem Zeugen 12, lebte. Die Angeklagten ... und 8 und mindestens ein weiterer Begleiter, möglicherweise der bereits verurteilte Zeuge 9, betraten das Grundstück, während die anderen beiden vor dem Grundstück bei den beiden mitgebrachten Fahrzeugen blieben. Der Angeklagte ... hatte zuvor eine Liste mit Clubsachen erstellt, die sich bei dem Zeugen 7 befanden und die sie von ihm herausverlangen wollten - Gegenstände wie Mobiliar (z.B. Kühlschrank), PC, Kutte, Pullover, Aufkleber etc. Alle Beteiligten hatten zuvor abgesprochen, dass der Zeuge 7 insbesondere auch zur Rückgabe der Vereinskasse mit dem Geld aufgefordert werden sollte, im Weigerungsfall unter Verwendung von Drohungen. Die konkrete Höhe des geforderten Betrages aus der Vereinskasse konnte die Kammer nicht feststellen. Der Angeklagte ... forderte den Zeugen 7 auf, den Fehlbetrag der Kasse zu begleichen. Als offenbar wurde, dass 7 nicht werde zahlen können, verlangte der Angeklagte ... von ihm als Pfand die Herausgabe der Fahrzeugschlüssel und den Fahrzeugbrief des auf dem Grundstück stehenden Pkw des Zeugen 12. Der Zeuge 7 ging in das Haus und in die Wohnstube zu seinem Bruder 12, den er um Hergabe des Fahrzeugbriefs und der Fahrzeugschlüssel bat, was 12 ihm aber verweigerte. Der Zeuge 7 nahm den in der Wohnstube stehenden PC mit und begab sich zum Bereich der offenstehenden Haustür, wo zwischenzeitlich die beiden Angeklagten und die dritte Person standen. Diesen teilte er mit, dass sein Bruder die Herausgabe der Fahrzeugunterlagen verweigere. Danach forderte der Angeklagte ... den Zeugen 7 auf, Unterlagen über das Grundstück, das er gemeinsam mit seinem Bruder bewohnte, als Pfand herauszugeben. Der Zeuge 7 forderte nun seinen Bruder 12, der ihm (7) in den Hausflur gefolgt war und die Forderung des Angeklagten ... gehört hatte, auf, die entsprechenden Unterlagen herauszugeben. Der Zeuge 12 wies die Herausgabe der Grundstückspapiere ebenfalls zurück. Als der Angeklagte ... dies mitbekam, äußerte er gegenüber dem Zeugen 12: 'Sieh zu, dass du die Sachen rausholst, sonst machen wir dich platt'. Gleichwohl verweigerte der Zeuge 12 die Herausgabe der Unterlagen. In der Zwischenzeit hatte sich der Angeklagte 8 in das Haus begeben. Nach der Weigerung des 12 verließ er das Haus wieder, wobei er den PC und eine Kiste mit Clubsachen mitnahm, die ihm der 7 übergeben hatte.
Anschließend begab sich der Zeuge 7 freiwillig in das vor dem Grundstück stehende Fahrzeug des gesondert Verfolgten 10, in das auch der bereits verurteilte Zeuge 9 einstieg. Gemeinsam fuhr man zum Tattoostudio des Angeklagten ... in ... Die Angeklagten 8 und ... fuhren gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten 11 in dem zweiten Pkw ebenfalls dorthin. Entweder noch auf dem Grundstück in ... oder in ... wurde der Zeuge 7 vom Angeklagten ... im Beisein des Angeklagten 8 und der weiteren Beteiligten 9, 10 und 11, die wussten, dass die Drohung aufgrund ihrer Anwesenheit und der damit verbundenen größeren Anzahl an Personen verstärkt wurde, aufgefordert, den Fehlbetrag der Kasse bis Weihnachten zu begleichen, anderenfalls wurde der Gesundheit des Zeugen 7 oder der seiner Familie Schaden angedroht.
Gleichwohl leistete der Zeuge 7 bis Weihnachten 2015 keine Zahlung.
Am 31.12 .2015 traf der Angeklagte ... gegen 12.00 Uhr in den Geschäftsräumen der Firma Rossmann im ... in ... auf die mit dem Zeugen 7 bekannte Zeugin 13. Der Angeklagte fragte die Zeugin 13 zunächst, ob sie Silvester gemeinsam mit dem Zeugen 7 feiere, was diese bejahte. Daraufhin gab er ihr auf, sie solle 7 ausrichten, dass das Geld bis zum Abend da sein solle, ansonsten hänge er ihn am nächsten Morgen auf. Die Zeugin 13 richtete die Worte dem Zeugen 7 per WhatsApp aus. Die WhatsApp wurde durch Verlesung in das Verfahren eingeführt. Sie lautet: 'Hallo 7 ... habe ich getroffen mich gefragt ob du bei uns feierst ich hab gesagt ja. sorry ist ja nichts Schlimmes du sollst die Kohle Bus heute abgeben ansonsten hängt er dich morgen auf soll ich dir sagen. du weißt Bescheid hat er gesagt. o man'. Der Zeuge 7 antwortete der Zeugin 13 sinngemäß: 'na toll, jetzt wissen die ja Bescheid. Der Tag ist für mich gelaufen'. Einige Stunden später erstattete 7 bei der Polizei Anzeige. Zum Zeitpunkt der Anzeige hatte er einen AAK Wert von 1,26 ‰, ohne dass seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit gemindert oder aufgehoben war. Zu einer Übergabe des Geldes kam es nicht.
Der Angeklagte 8 erhielt am ein Gefährderanschreiben wegen des Vorfalls am . Der Angeklagte ... erhielt mit Schreiben vom ein Gefährderanschreiben wegen des Vorfalls am . Die entsprechenden Gefährderanschreiben und der Vermerk über die Übergabe wurde durch Verlesen in das Verfahren eingeführt. Nachdem die Angeklagten das Gefährderschreiben erhalten und von der Anzeigenerstattung durch den Zeugen 7 erfahren hatten, sahen sie, dass sie ihr Vorhaben, 7 zur Zahlung zu bewegen, nicht mehr umsetzen konnten und gaben es auf. Nach Kenntniserlangung der Anzeige des 7 vom wurde durch den Verteidiger des Angeklagten ... mit Schriftsatz vom Strafanzeige gegen den Zeugen 7 wegen Unterschlagung eines Betrages von fast 11 000 € gestellt. Diesem Schriftsatz waren als Anlagen der o.g. WhatsApp-Chat zwischen dem Zeugen 7 und dem Angeklagten ... beigefügt sowie eine Aufstellung für die Jahre 2012 - 2015, die die Einnahmesituation des ... MC mit Stand 13 800 € darstellten. Der Schriftsatz nebst Anlagen wurde im Selbstleseverfahren ins Verfahren eingefügt."
16cc) Auch der Vorwurf in der 3. Nachtragsanschuldigungsschrift vom habe sich als richtig erwiesen. Denn der Zeuge Stabsgefreiter der Reserve 14 habe ausgesagt, der Soldat habe ihm einen entsprechenden Befehl zwar nicht erteilt; vielmehr habe er selbst den Soldaten gefragt, ob er die Flyer ins Freizeitbüro mitnehmen könne. Der Soldat habe jedoch daraufhin geantwortet: "Warum nicht". Der Soldat hätte nicht dulden dürfen, dass ein Untergebener Werbung mit erkennbarem Sexualbezug im Freizeitbüro auslegen wolle.
17b) Damit liege ein Dienstvergehen (§ 23 SG) vor, weil der Soldat zum einen durch die Duldung des Verbringens von Werbematerial für den "Escort-Service-..." vorsätzlich gegen seine soldatische Dienstpflicht zur Fürsorge für Untergebene (§ 10 Abs. 3 SG), zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG) verstoßen habe. Zum anderen habe er durch die Nötigungen nicht nur gegen das Strafgesetz, sondern vorsätzlich auch gegen seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SG a.F. verstoßen.
18c) Die Pflichtverletzungen seien mit der Höchstmaßnahme zu ahnden, wobei der Soldat als Vorgesetzter verschärft hafte. Auch wenn für die Ahndung entsprechenden Fehlverhaltens eine angemessene Disziplinarmaßnahme noch nicht höchstrichterlich grundsätzlich geklärt sei, sprächen die Umstände des Einzelfalles für die Entfernung aus dem Dienstverhältnis. Der relativ niedrige Strafrahmen der Nötigung spräche zwar zunächst für eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme unterhalb der Höchstmaßnahme; zu ihr führe jedoch, dass der Soldat seinen Opfern mit Gefahr für Leib und Leben gedroht und er dabei seine Zugehörigkeit zu den Bandidos, denen von weiten Teilen der Öffentlichkeit Gewaltbereitschaft zugeschrieben werde, zur Einschüchterung der Opfer eingesetzt habe. Auch wenn er eine möglicherweise berechtigte Forderung habe durchsetzen wollen, spreche gegen ihn die Schwere der Androhung und der Umstand, dass für einen Staatsdiener "Selbstjustiz" unter keinen Umständen in Betracht kommen dürfe. Zudem sei der Soldat 2015 und somit während des gerichtlichen Disziplinarverfahrens erneut mit hoher krimineller Intensität auffällig geworden.
193. Gegen das Urteil hat der Soldat fristgerecht Berufung eingelegt und dabei auch die Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen des Truppendienstgerichts und des Landgerichts bestritten. Später hat er die Berufung auf die Anfechtung der Disziplinarmaßnahme beschränkt und im Wesentlichen damit begründet, dass die Entfernung aus dem Dienstverhältnis unverhältnismäßig sei. Zudem sei die Annahme, er habe seine Bandidos-Mitgliedschaft bewusst zur Einschüchterung der Opfer eingesetzt, fernliegend und vom Truppendienstgericht widersprüchlich gewürdigt worden. Es gehe nämlich selbst davon aus, dass ihm auch von seinen Vorgesetzten vermittelt worden sei, dass seine Mitgliedschaft bedenkenfrei sei und insoweit ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vorliege. Auch sei fraglich, ob die Annahme, den Bandidos werde Gewaltbereitschaft zugeschrieben, maßnahmeverschärfend habe zugrunde gelegt werden dürfen. Denn es habe ebenso festgestellt, die Beurteilung der Frage, ob die bloße Bandidos-Mitgliedschaft eine Pflichtverletzung begründe, erfordere weitere Ermittlungen.
20Zudem habe das Truppendienstgericht die mildernden Tatumstände nicht hinreichend gewürdigt. Dazu gehöre etwa, dass im Amtsgerichtsurteil 2012 nicht er als "Haupttäter" angesehen worden sei. Die Taten seien zudem im Versuchsstadium stecken geblieben. Dies bestätige, dass den Nötigungsmitteln keine besonders schwere einschüchternde Wirkung beizumessen gewesen sei. Zudem habe das Landgericht von der fakultativen Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht, wodurch ein unterdurchschnittliches Tatunrecht zum Ausdruck komme. Auch der gewährte Straferlass spreche für den Soldaten. Hinzu komme die Tatprovokation durch 7, der durch die Veruntreuung eines erheblichen Betrages aus der Vereinskasse den Anlass für die Tat gesetzt habe. Die Nötigungshandlung habe allein der Wiederbeschaffung der unrechtmäßig entwendeten Gelder gedient und nicht seiner Bereicherung. Bei der somit allein in Betracht zu ziehenden Dienstgradherabsetzung müsse dann auch die Überlänge des Verfahrens mildernd wirken.
214. Wegen der weiteren Einzelheiten zur Person des Soldaten wird auf das Urteil des Truppendienstgerichts, hinsichtlich der Zeugenaussagen und der in das Verfahren eingeführten Urkunden auf das erstinstanzliche sowie auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung hingewiesen.
Gründe
22Die zulässige Berufung ist unbegründet.
231. Der Senat ist nicht an einer Sachentscheidung gehindert, insbesondere liegen keine Verfahrenshindernisse vor, die gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO zur Einstellung des Verfahrens führen ( 2 WD 18.19 - juris Rn. 15 ff.).
24a) Zum einen kommt eine Verfahrenseinstellung wegen überlanger Verfahrensdauer nicht in Betracht, wenn - wie noch darzulegen - die disziplinarische Höchstmaßnahme geboten ist ( 2 WD 11.20 - Rn. 20 m.w.N.). Zum anderen erlangt sie nur bei extremer Dauer Bedeutung. Davon ist auszugehen, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen und des noch zu erwartenden Verfahrensverlaufs, des noch im Raum stehenden Vorwurfs und gegebenenfalls besonderer persönlicher Umstände des Beschuldigten dessen weitere Belastung mit dem Verfahren selbst unter der Voraussetzung, dass sich die Tatvorwürfe später bestätigen, nicht mehr verhältnismäßig wäre ( 2 WDB 4.17 - Buchholz 450.2 § 108 WDO Nr. 2 Rn. 10). Eine Überlänge extremer Art liegt noch nicht vor.
25Zwar hat das Truppendienstgericht das aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 19 Abs. 4 GG stammende rechtsstaatliche Gebot, nach einer Zurückverweisung das Disziplinarverfahren mit größtmöglicher Beschleunigung zum Abschluss zu bringen ( 2 WD 10.15 - Buchholz 450.2 § 91 WDO 2002 Nr. 7 Rn. 18), nicht beachtet. Die Gerichte haben nämlich die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer deren Pflicht, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet. Dies verbietet es zurückverwiesene Fälle wie Neueingänge zu behandeln und deren Bearbeitung zugunsten jüngerer Fälle über einen längeren Zeitraum liegen zu lassen (vgl. 2 WD 1.17 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 55 juris Rn. 95 m.w.N.). Das Truppendienstgericht wäre somit gehalten gewesen, die mit Senatsbeschluss vom zurückverwiesene und seit September 2011 anhängige Sache zeitnah zum Abschluss zu bringen.
26Jedoch findet die seit der Anhängigkeit der Sache bis zu ihrer endgültigen erstinstanzlichen Entscheidung im Januar 2021 vergangene Verfahrensdauer von etwa 9 Jahren und 5 Monaten nicht in vollem Umfang Berücksichtigung. Denn das Truppendienstgericht hat das Verfahren zunächst von Februar bis September 2012 und im Oktober 2016 bis mindestens September 2019 vom Soldaten unangefochten ausgesetzt, woraus eine Reduzierung der Verfahrensdauer um 3 Jahre und 7 Monate folgt. Die sich daraus ergebende beachtliche erstinstanzliche Verfahrensdauer von maximal 5 Jahren und 10 Monaten ist damit zwar weiterhin überlang, jedoch noch nicht extrem (zu sieben Jahren: 2 WDB 4.17 - Rn. 18).
27b) Zum anderen hat sich das Truppendienstgericht nicht entgegen § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO verfahrensfehlerhaft von den strafgerichtlichen Feststellungen im Amtsgerichtsurteil 2012 und im Landgerichtsurteil 2019 leiten lassen. Die Lösung von den tatsächlichen Feststellungen eines sachgleichen Strafurteils ist im Rahmen des § 84 Abs. 1 WDO auf Fälle beschränkt, in denen das Wehrdienstgericht ansonsten gezwungen wäre, auf der Grundlage offenkundig unzureichender oder inzwischen als unzutreffend erkannter Feststellungen zu entscheiden. Erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen bestehen dann, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen in sich widersprüchlich oder sonst unschlüssig sind, im Widerspruch zu den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen oder aus sonstigen - vergleichbar gewichtigen - Gründen offenkundig unzureichend sind (vgl. 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 348 Rn. 38 ff. m.w.N.).
28Nach Maßgabe dessen bestehen keine erheblichen Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen strafgerichtlichen Feststellungen, deren Richtigkeit der Soldat nach der Berufungsbeschränkung ohnehin nur hinsichtlich der landgerichtlichen Feststellungen und dies bezogen auf die Identifizierung des Soldaten durch den Zeugen 7 in Frage gestellt hat. Diese Frage betrifft zum einen die grundsätzlich nicht mehr überprüfbare strafgerichtliche Beweiswürdigung; zum anderen sind die in der erstinstanzlichen Verhandlung im Loslösungsantrag des Soldaten vorgetragenen Gründe, auf die sich die zunächst unbeschränkte Berufung stützte, identisch mit denen des strafgerichtlichen Revisionsvorbringens. Sie sind jedoch bereits vom Oberlandesgericht überprüft und zurückgewiesen worden, ohne dass der Soldat darzulegen vermochte, dass die revisionsgerichtliche Würdigung ihrerseits fehlerhaft war ( 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 43).
292. Damit steht aufgrund der verfahrensfehlerfreien Tat- und Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts auch für den Senat bindend fest, dass der Soldat die erstinstanzlich festgestellten Pflichtverletzungen begangen und dadurch vorsätzlich gegen die Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SG a.F.) sowie gegen die Dienstpflichten zur Fürsorge für seinen Untergebenen (§ 10 Abs. 3 SG) und zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) verstoßen hat. Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung hat der Senat seiner Entscheidung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 327 StPO grundsätzlich die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Der Prozessstoff wird somit nicht mehr von den Anschuldigungsschriften, sondern nur von den Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Urteils bestimmt (vgl. 2 WD 4.20 - juris Rn. 16 ff.).
30Dabei erfasst die Bindungswirkung einer maßnahmebeschränkt eingelegten Berufung auch die konkreten Straftatbestände, aus denen das Truppendienstgericht die ernsthafte Relevanz im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 (a.F.) bzw. 3 (n.F.) SG abgeleitet hat ( 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 21; zum Verstoß gegen § 7 SG: 2 WD 7.14 - juris Rn. 33). Somit entzieht sich der Prüfung, ob über die vom Truppendienstgericht angenommenen versuchten Nötigungen hinaus nicht eine Straftat höheren Gewichts vorgelegen hat. Ebensowenig bedarf deshalb der Klärung, ob die vom Landgericht vorgenommene Strafrahmenreduzierung hätte Anlass sein müssen, schon die Erheblichkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 SG a.F. anders zu bewerten.
313. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin der Bundeswehr", vgl. 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Im Einzelnen geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
32a) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen".
33aa) Eine Senatsrechtsprechung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen für Fälle, in denen ausschließlich eine außerdienstliche, in strafrechtlicher Hinsicht als einfache (versuchte) Nötigung im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB zu qualifizierende Handlung im Raum steht, besteht nicht. In den vom Senat bislang entschiedenen Fällen erfüllten Nötigungshandlungen regelmäßig zusätzlich andere Straftatbestände, die einen höheren Strafrahmen aufwiesen und damit den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bestimmten (z.B. sexuelle Nötigung: 2 WD 5.09 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 30 Rn. 28, Nötigung im Straßenverkehr: 2 WD 9.92 - BVerwGE 93, 284 <285>; Körperverletzungen: 2 WD 20.15 - NZWehrr 2017, 73 ff.). Dem Gebot kohärenter Rechtsprechung entspricht es, eine in der Androhung von Gewalt gegen Leib und Leben bestehende Nötigung disziplinarisch regelmäßig mit einer Dienstgradherabsetzung gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 62 Abs. 1 WDO zu ahnden (vgl. auch 2 WDB 5.20 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 12 juris Rn. 39).
34bb) Entscheidungsleitend ist dabei, dass bei einer außerdienstlichen Körperverletzung, bei der die qualifizierenden Tatbestandsmerkmale nach §§ 224 - 227 StGB erfüllt sind, die Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet. Dass es sich dabei um ein außerdienstliches Fehlverhalten handelt, rechtfertigt keine mildere Regelmaßnahme. Die Unfähigkeit, im privaten Bereich die Grenzen rechtmäßiger Anwendung von körperlicher Gewalt einzuhalten, hat auch Auswirkungen auf das Vertrauen des Dienstherrn in die dienstliche Zuverlässigkeit des Soldaten. Soldaten üben für den Dienstherrn das staatliche Gewaltmonopol in der Verteidigung des Staates und seiner Bürger nach außen hin aus. Hierbei muss der Dienstherr darauf vertrauen können, dass sie besonnen und unter Beachtung rechtlicher Grenzen vorgehen. Dieses Vertrauen ist beeinträchtigt, wenn ein Soldat im privaten Bereich Gewalt als Mittel der Konfliktlösung einsetzt ( 2 WD 28.12 - juris Rn. 50). Dabei bildet selbst bei einer nur einfachen Körperverletzung eine Dienstgradherabsetzung dann den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen, wenn sie wiederholt begangen wurde ( 2 WD 24.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 64 Rn. 20 m.w.N.). Hätte der Soldat die angedrohte Gewalt somit tatsächlich eingesetzt, hätte er wegen der gemeinschaftlich angedrohten Handlung den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB verwirklicht und Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen wäre eine Dienstgradherabsetzung. Denn nach den Tatsachenfeststellungen des Landgerichtsurteils hat der Soldat unter anderem dem 12 am angedroht "... sonst machen WIR dich platt".
35cc) Dass die Nötigungen im Versuchsstadium stecken geblieben sind, berührt die kategoriale Zuordnung zur ersten Zumessungsstufe nicht. Denn im Wehrdisziplinarrecht steht nicht die Tat als solche im Vordergrund, sondern die durch sie zum Ausdruck gekommenen Charakter- und Persönlichkeitsmängel ( 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 45). Deshalb können Gesichtspunkte der Persönlichkeit oder besondere Vertrauensbeeinträchtigungen eine hohe Disziplinarmaßnahme selbst dann rechtfertigen, wenn dies nach der Schwere des Dienstvergehens für sich genommen nicht indiziert ist. Dem entspricht, dass die Persönlichkeit des Soldaten in § 38 Abs. 1 WDO neben der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens einen gleichgewichtigen und keinen nachrangigen Bemessungsparameter bildet ( 2 WD 14.17 - Buchholz 449 § 11 SG Nr. 3 Rn. 101) und der Versuch einer Straftat bereits ein Dienstvergehen darstellt, die einen Soldaten disziplinarisch grundsätzlich genauso wie eine vollendete Straftat belastet. Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Nichteintritt des Taterfolges - anders als hier - auf zurechenbaren Handeln des Soldaten beruhte ( 2 WD 10.10 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 8 Rn. 24; vgl. auch Scherer/Alff/Poretschkin, Soldatengesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2018, § 23 Rn. 1b; Dau/Schütz, WDO, Kommentar, 7. Aufl. 2017, Vorbem. zu § 15 Rn. 13; Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2021, § 23 Rn. 23).
36dd) Erfolgt die Androhung eines empfindlichen Übels in Gestalt von Gewalt gegen Leib und Leben (vis absoluta) ist die Dienstgradherabsetzung als zweitschwerste Disziplinarmaßnahme zudem regelmäßig auch deshalb geboten, weil dadurch das staatliche Gewaltmonopol nachdrücklich infrage gestellt wird. Da ein Soldat als Amtswalter das staatliche Gewaltmonopol repräsentiert, trifft ihn eine weitaus größere Verpflichtung als sonstige Bürger, es strikt zu wahren und aktiv zu schützen (vgl. 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 24). Denn es ist Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, für die er gemäß § 8 Alt. 2 SG durch sein gesamtes Verhalten auch aktiv einzutreten hat ( 2 WD 3.18 - BVerwGE 163, 16 Rn. 74 und vom - 2 WD 17.19 - Rn. 28, 32). Hinzu kommt, dass sich die Androhung nicht nur gegen das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen allgemein, sondern speziell dessen körperliche Unversehrtheit gerichtet hat. Diesem Wert kommt gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG Verfassungsrang zu. Er schützt nicht nur gegen staatliche Eingriffe, sondern schließt die Pflicht des Staates ein, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren ( - NJW 2021, 1723 Rn. 145).
37b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme gebieten. Dabei ist zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Dabei müssten sie umso gewichtiger sein, je schwerer das Dienstvergehen wiegt ( 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 53).
38aa) Vorliegend bestehen erschwerende Umstände, die trotz mildernder Gesichtspunkte den Übergang zur Höchstmaßnahme verlangen. Für den Soldaten sprechen zwar seine überdurchschnittlichen Leistungen, die er bis zu seiner vorläufigen Dienstenthebung erbracht hat und die durch die Aussagen der Disziplinarvorgesetzten bestätigt worden sind. Zu berücksichtigen ist auch, dass ihm wegen des Versuchsstadiums keine nachteiligen Folgen der Nötigungshandlung gegenüber den Bedrohten zugerechnet werden können.
39Weder zugunsten noch zulasten ist zu gewichten, dass bei dem Soldaten in der Berufungshauptverhandlung wenig Einsicht und Reue zu erkennen war (vgl. 2 WD 9.19 - Rn. 39). Ungeachtet dessen wirkt mildernd, dass er in dem mit landgerichtlichem Urteil abgeurteilten Nötigungskomplex tatsächlich uneigennützig und zur Durchsetzung einer dem Grunde nach berechtigten Forderung gehandelt hat.
40Zugunsten des Soldaten fällt indes nicht ins Gewicht, dass die Pflichtverletzungen bereits Jahre zurückliegen. Zwar nimmt bei strafrechtlich relevanten außerdienstlichen Handlungen mit zunehmendem Zeitablauf regelmäßig die Notwendigkeit ab, ein solches Geschehen zur Aufrechterhaltung des Ansehens, der Integrität oder der Disziplin in der Bundeswehr zu ahnden; dies begründet nach der Senatsrechtsprechung indes nur dann einen minderschweren Fall, wenn die Pflichtverletzung bereits verjährt und auch nicht strafrechtlich geahndet worden ist ( 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 56, vom - 2 WD 20.19 - juris Rn. 34, vom - 2 WD 21.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 65 Rn. 29 und vom - 2 WD 10.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 77 Rn. 58). Vorliegend sind die Pflichtverletzungen jedoch strafrechtlich geahndet worden.
41bb) Die für den Soldaten sprechenden Umstände sind indes nicht geeignet, das Gewicht jener gegen ihn sprechenden Gründe derart zu kompensieren, dass von der Höchstmaßnahme abgesehen werden könnte.
42(1) Zu den erschwerenden Umständen gehört zunächst, dass der Soldat bereits im ersten Tatkomplex nicht nur einmal, sondern wiederholt durch massive Gewaltandrohung gegenüber zwei Opfern auffällig geworden ist, um eigene wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Insbesondere die Androhung von Prügel zur Durchsetzung eines "Revieranspruchs" in der örtlichen Prostitutionsszene ist als besonders verwerflich anzusehen. Denn dabei hat der Soldat in massiver Weise in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Zeugin 1 eingegriffen. Zugleich hat er versucht, ein auf Einschüchterung und Gewalt basierendes Abhängigkeitsverhältnis der Zeugin 1 zu dem "Escort-Service" aufzubauen.
43(2) Ferner hat er auch im zweiten Tatkomplex nicht nur einmal, sondern wiederholt und sehr massiv Gewalt gegen Leib und Leben von zwei Personen angedroht. Dabei musste die Bedrohungssituation für die Betroffenen auch dramatisch erscheinen, was durch die Anzeige des 7 auch dokumentiert ist. Zwar ist wegen der erstinstanzlichen Ausklammerung und der Maßnahmebeschränkung nicht mehr darüber zu befinden, ob der Soldat schon wegen seiner schlichten Mitgliedschaft bei den Bandidos im seinerzeitigen Rang eines Nomad eine zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis führende Pflichtverletzung begangen hat (vgl. § 107 Abs. 2 Satz 3 WDO); insoweit kann auch dahingestellt bleiben, ob die - gemäß Aussage des sachverständigen Zeugen 15 - nach dem mitgliedschaftlichen Kodex gleichsam bedingungslose Gefolgschaft dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) diametral zuwiderläuft und ob dem Soldaten dies trotz des tolerierenden Verhaltens von Vorgesetzten jedenfalls seit der vierten Nachtragsanschuldigungsschrift (vom ) auch in einer einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB) ausschließenden Weise hätte bekannt sein müssen. Diese prozessuale Beschränkung verbietet indes nicht, dem Verweis des Soldaten auf die Mitgliedschaft bei den Bandidos, seinem - wie den strafgerichtlichen Feststellungen zu entnehmendem - Erscheinen in Gegenwart von Gruppenmitgliedern und seine Äußerungen - wie dies sei "Bandido-Land", man mache sonst alles oder den Zeugen 7 platt oder die Zeugin 1 dürfe nicht in ihrem "Revier" arbeiten - als Umstände zu würdigen, die der Nötigungshandlung den davon Betroffenen nachvollziehbar Lebensangst eingeflößt haben. Die Einlassungen des sachverständigen Zeugen 15 haben den Senat jedenfalls davon überzeugt, dass die "Bandidos" nach ihrem Selbstverständnis zu dem einen Prozent nicht gesetzestreuer Motorradclubs zählen und dass der Vereinigung in nicht vernachlässigbarem Umfang auch vorbestrafte Mitglieder angehören.
44(3) Von massivem Gewicht ist auch, dass der Soldat im Jahr 2015 erneut einschlägige Pflichtverletzungen begangen hat, obwohl er bereits wegen seines Verhaltens in den Jahren 2009 und 2011 durch das Amtsgerichtsurteil 2012 strafrechtlich gemaßregelt worden ist und gegen ihn unter anderem deshalb mit Nachtragsanschuldigungsschrift vom disziplinarische Maßnahmen beantragt worden waren. Die erneute Begehung einschlägiger Pflichtverletzungen während eines disziplinargerichtlichen Verfahrens gebietet in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 38 Abs. 2 WDO regelmäßig eine "Hochstufung" in der Maßnahmeart (vgl. 2 WD 9.17 - Rn. 38, vom - 2 WD 16.20 - Rn. 47 f. und vom - 2 WD 15.10 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 33 Rn. 60), weil der Soldat damit zeigt, dass nachdrückliche Appelle der Rechtsordnung ihn nicht erreichen und er unbelehrbar ist ( 2 WD 22.19 - Rn. 22).
45Der Verwertung des im Amtsgerichtsurteil 2012 abgeurteilten Verhaltens steht auch nicht § 8 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 7 WDO entgegen. Damit sollten ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich die bisher nur durch Verwaltungsvorschrift geregelten Tilgungsfristen für strafgerichtliche Verurteilungen (BT-Drs. 14/4660, Seite 24) gesetzlich festgelegt werden. Das Verwertungsverbot des § 8 Abs. 7 WDO erfasst nach der ratio legis des Disziplinarrechts somit weiterhin nur Straftaten, die nicht den originären Gegenstand der disziplinarischen Anschuldigung bilden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 86.13 - juris Rn. 10 f. sowie vom - 2 B 120.11 - juris Rn. 14; Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 8 Rn. 21; zur Verwertung nicht angeschuldigter, zumessungsrelevanter Umstände: 2 WD 10.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 77 Rn. 51).
46(4) Hinzu kommt, dass der Soldat im zweiten Tatkomplex durch die Duldung der von dem Stabsgefreiten 14 durchgeführten Werbung für den "Escort Service" pflichtwidrig gehandelt hat. Vor allem aber werden Eigenart und Schwere des Dienstvergehens dadurch erhöht, dass der Soldat als Hauptfeldwebel in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung nach § 10 Abs. 1 SG ein Beispiel geben sollen ( 2 WD 2.10 - juris Rn. 30). Der Vorgesetztenstellung kommt vorliegend zudem deshalb ein sehr erschwerendes Gewicht zu, weil der Soldat die exponierte Funktion eines Kompaniefeldwebels wahrgenommen und damit - wie Ziffer 121 und 122 der Zentralrichtlinie A2-2630/0-0-2 es ausdrücken - an der Spitze des Unteroffizierkorps der Einheit gestanden hat. Ihm kam eine Schlüsselfunktion für die Gestaltung der militärischen Gemeinschaft zu und vor allem er sollte durch Charakter, Können und Pflichterfüllung beispielgebend sein. Sein Handeln widersprach jedoch eklatant diesen Anforderungen ( 2 WD 1.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 58 Rn. 22).
47(5) Zu den nachteiligen Folgen der Tat zählt schließlich auch, dass er den bis dahin ausgeübten Dienstposten nicht mehr wahrnehmen durfte und des Dienstes vorläufig enthoben werden musste.
48c) Dass die Verhaltensweisen des Soldaten bereits strafrechtlich geahndet worden sind, nimmt ihnen disziplinarisch nicht ihre Schwere. Insbesondere ist bei der Bemessungsentscheidung ohne Bedeutung, dass gegen den Soldaten in dem letzten Strafverfahren eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr verhängt wurde, so dass das Dienstverhältnis nicht bereits mit Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils gemäß § 48 Satz 1 Nr. 2 SG zur Beendigung des Soldatenverhältnisses geführt hat. Steht im Einzelfall § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstige Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung ( 2 WD 10.19 - NVwZ-RR 2020, 983 Rn. 59). Eine die disziplinare Maßnahmebemessung limitierende Indizwirkung kommt dem nicht zu ( 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 53). Desgleichen gilt für den Umstand, dass dem Soldaten inzwischen die durch das Landgerichtsurteil 2019 ausgewiesene Strafe nach § 56g StGB erlassen worden ist und das Landgericht seinerzeit § 23 Abs. 2 StGB angewendet hat. Dass der Soldat im Amtsgerichtsurteil 2012 nicht als "Haupttäter" angesehen worden ist, nimmt der Handlung ebenfalls nicht ihr disziplinarisches Gewicht. Zum einen hat das Amtsgericht den Angeklagten 3 zwar als "Haupttäter" bezeichnet, den Soldaten jedoch als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) und nicht lediglich als Gehilfen (§ 27 Abs. 1 StGB) verurteilt; zum anderen ist im Disziplinarrecht die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme für die Gewichtung des Dienstvergehens weniger bedeutsam ( 2 WD 3.95 - BVerwGE 103, 246 Rn. 4; Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl., 2017, Vorbem. zu § 15 Rn. 14).
49d) Ist das Vertrauensverhältnis des Bundes zum Soldaten endgültig zerstört, sind nach der Senatsrechtsprechung selbst die besonderen Leistungen des Soldaten nicht geeignet, ein Abweichen von der Höchstmaßnahme zu rechtfertigen, weil die persönliche Integrität eines Soldaten gleichberechtigt neben dem Erfordernis der fachlichen Qualifikation steht ( 2 WD 9.20 - NVwZ-RR 2021, 674 Rn. 46 und vom - 2 WD 16.20 - juris Rn. 56). Auch eine unangemessen lange Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens, wie sie im Zusammenhang mit der Frage eines Verfahrenshindernisses bereits festgestellt wurde, kann sich nicht mehr maßnahmemildernd auswirken, wenn nach den Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO die Höchstmaßnahme zu verhängen ist (vgl. 2 WD 6.21 - juris Rn. 56 m.w.N.)
504. Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:280921U2WD11.21.0
Fundstelle(n):
NAAAI-03813