BGH Beschluss v. - 1 StR 327/21

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Anforderungen für das Vorliegen eines Hangs

Gesetze: § 64 S 1 StGB

Instanzenzug: Az: 231 Js 13885/19 - 18 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten M.   wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Weiter hat es gegen den Angeklagten die Einziehung von 1.310 Euro Bargeld angeordnet.

2Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

31. Der Schuld- und Strafausspruch sowie die Einziehungsentscheidung halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand (§ 349 Abs. 2 StPO).

42. Dagegen erweist sich die Nichtanordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hinsichtlich des Angeklagten M.   als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

5a) Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt mit der Begründung abgelehnt, dass beim Angeklagten bereits kein Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB vorliege, da seine Arbeits- und Leistungsfähigkeit erhalten geblieben, er seinen Verpflichtungen im Ausbildungsbetrieb nachgekommen und er zusätzlich in der Lage gewesen sei, abends über mehrere Stunden hinweg dem Straßenverkauf von Drogen nachzugehen sowie seine Mutter im Haushalt und an ihrem Arbeitsplatz in der Bäckerei zu unterstützen (UA S. 56). Das Landgericht hat den konkreten Umfang des Konsums von Kokain offen gelassen, zumal der Angeklagte widersprüchliche Angaben machte, weshalb es keine konkreten Feststellungen zum Umfang des Konsums von Kokain und den bei ihm eingetretenen gesundheitlichen Folgen habe treffen können (UA S. 9, 23).

6b) Damit hat das Landgericht für das Vorliegen eines Hangs einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt.

7Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 Satz 1 StGB genügt eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Wenngleich erhebliche Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs haben und in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hangs aus (st. Rspr.; z.B. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 291/20 Rn. 7 und vom - 3 StR 415/19 Rn. 8 mwN). Vielmehr kann ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln jedenfalls auch dann anzunehmen sein, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint, was bei einem Betäubungsmittelkonsumenten insbesondere im Bereich der Beschaffungskriminalität in Betracht kommt (vgl. Rn. 19 und Urteil vom - 3 StR 184/20 Rn. 33 f. mwN).

8c) Da die weiteren Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht von vornherein zu verneinen sind, muss über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB neu verhandelt und entschieden werden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:191021B1STR327.21.0

Fundstelle(n):
BAAAI-03399