BGH Beschluss v. - 2 StR 153/21

Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme: Prüfung der kumulativen Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie einem psychiatrischen Krankenhaus bei einem an einer durch Epilepsie bedingten Psychose sowie einer Alkoholerkrankung leidenden Täter

Gesetze: § 63 StGB, § 64 S 1 StGB, § 72 Abs 1 S 1 StGB, § 72 Abs 2 StGB

Instanzenzug: Az: 24 Ks 8/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen, weil seine Einsichtsfähigkeit bei Begehung der Tat vollständig aufgehoben war. Er ist durch das angefochtene Urteil aber wegen der Anlasstat in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des Urteils; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen.

3Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom Nachfolgendes ausgeführt:

„Die Strafkammer hat bei dem Angeklagten außer der durch eine Epilepsie bedingten Psychose eine langjährig andauernde Alkoholerkrankung festgestellt und sachverständig beraten das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB bejaht. Darüber hinaus ist sie auch insoweit von einem symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang und der Tat ausgegangen, als der nicht unerhebliche Alkoholkonsum des Angeklagten - wie generell bei Epilepsiekranken - seine Krampfschwelle senke und daher die Gefahr, dass er einen Krampfanfall erleide, gestiegen sei. Schließlich hat sie auch die Gefahr bejaht, dass der Angeklagte mitverursacht durch den Hang weitere erhebliche Straftaten begehen wird (UA S. 38).

Ohne sich mit der Frage zu befassen, ob die für eine Anordnung nach § 64 StGB erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht besteht, hat die Kammer jedoch schon deshalb von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen, weil eine isolierte Behandlung des Hangs nicht ausreichend sei, um ihn von der Begehung weiterer erheblicher Taten abzuhalten (UA S. 39). Dies lässt besorgen, dass sie nicht bedacht hat, dass § 72 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StGB es gestatten, mehrere Maßregeln nebeneinander anzuordnen, wenn die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Das gilt auch für Maßregeln gemäß § 63 StGB und § 64 StGB (-, StV 2017, 592).

Die beiden Maßregeln wären nur dann nicht gemäß § 72 Abs. 2 StGB nebeneinander anzuordnen gewesen, wenn bereits die Anordnung einer von ihnen dazu geeignet wäre, den erstrebten Zweck zu erreichen (§ 72 Abs. 1 Satz 1 StGB). Dazu, ob diese Voraussetzung für das Absehen von einer kumulativen Anordnung der Maßregeln nach § 63 StGB und § 64 StGB vorlag, verhält sich das Urteil jedoch nicht. Die Strafkammer hat lediglich ausgeführt, dass eine isolierte Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht ausreichend sei. Mit der Frage, ob umgekehrt bereits die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB zur Zweckerreichung genügt, hat sich die Kammer dagegen nicht ausdrücklich befasst. Dies lässt sich den Urteilsgründen auch nicht zweifelsfrei entnehmen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen zu den Auswirkungen von Alkohol auf die Erkrankung des Angeklagten einerseits und der Einlassung des Angeklagten zu seinem Alkoholkonsum andererseits. So hat der epileptologische Sachverständige ausgeführt, dass die epileptischen Anfälle des Angeklagten durch seinen Alkoholkonsum jedenfalls (mit-)provoziert und getriggert werden (UA S. 26), während der Angeklagte angegeben hat, er habe das Auftreten epileptischer Anfälle sogar durch den Konsum von Alkohol zu verhindern versucht (UA S. 5, 9). Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht, wenn es die Möglichkeit einer kumulativen Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt in den Blick genommen hätte, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 72 Abs. 1 Satz 2 StGB verneint und die Maßnahmen nach § 72 Abs. 2 StGB nebeneinander angeordnet hätte.

Da auch eine konkrete Erfolgsaussicht für die Maßnahme nach § 64 StGB nach den Urteilsgründen jedenfalls nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. etwa Senat, Beschluss vom - 2 StR 93/19 -, m.w.N.). Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann unabhängig davon gleichwohl Bestand haben, weil angesichts der Ausführungen UA S. 39 ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht beim Vorliegen (auch) der Voraussetzungen einer Anordnung nach § 64 StGB gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 StGB ausschließlich diese Maßregel angeordnet hätte.“

4Dem schließt sich der Senat an. Die Sache bedarf unter Heranziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) neuer Verhandlung und Entscheidung.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:180821B2STR153.21.0

Fundstelle(n):
SAAAI-03389