Besteuerung von Umsätzen einer Bäckerei mit Filialen in „Vorkassenzonen“ eines Supermarkts; Steuersatz
Leitsatz
1. Verkauft eine Bäckerei in Filialen, die sich teilweise in „Vorkassenzonen“ eines Supermarkts befinden, Speisen zum Verzehr vor Ort auf Mehrweggeschirr und mit Mehrwegbesteck, das es nach dem Verzehr der Speisen zurücknimmt und reinigt, führt sie damit (ebenso wie ein Partyservice) sonstige Leistungen aus, die vor Inkrafttreten des § 12 Abs. 2 Nr. 15 UStG dem Regelsteuersatz unterlagen.
2. Art. 6 Abs. 1 Sätze 1 und 3 MwSt-DVO sind auch in Besteuerungszeiträumen vor ihrem Inkrafttreten anwendbar, weil sie rückwirkend Begriffe klären, die sich bereits zuvor in der Richtlinie 77/388/EWG bzw. der Richtlinie 2006/112/EG befunden haben.
3. Eine Änderung der Richterbank steht der Anwendung des § 126a FGO nicht entgegen.
Gesetze: UStG § 3 Abs. 1; UStG § 12 Abs. 2 Nr. 1; UStG i.d.F. vom 19.06.2020 UStG i.d.F. vom 19.06.2020 § 12 Abs. 2 Nr. 15; FGO § 126a; Richtlinie 77/388/EWG Art. 5 Abs. 1; Richtlinie 77/388/EWG Art. 6 Abs. 1; MwSt DVO Art. 6;
Instanzenzug: (EFG 2019, 1793)
Tatbestand
I.
1 Die Beteiligten streiten darüber, welcher Steuersatz auf Umsätze aus dem Verkauf von Speisen, die vor Ort an Tischen auf Geschirr der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) verzehrt wurden, anzuwenden ist.
2 Die Klägerin ist infolge Verschmelzung Gesamtrechtsnachfolgerin der…GmbH & Co. KG (nachfolgend: KG).
3 Die KG stellte im Streitjahr Backwaren aller Art her, vertrieb diese und betrieb Konditoreien und Cafés. In insgesamt 84 ihrer Filialen stellte die KG Tische und Bestuhlung bereit, wobei sich Tische und Stühle überwiegend innerhalb dieser Filialen, ganz vereinzelt aber zusätzlich auch im Freien befanden. 71 der streitbefangenen Filialen befanden sich in sog. Vorkassenzonen (nicht durch geschlossene Wände abgetrennte Eingangsbereiche) von Lebensmittelmärkten. 13 Filialen waren separat betriebene Ladengeschäfte.
4 In allen 84 Filialen erfolgte die Ausgabe der zum Verzehr vor Ort bestimmten Waren und Speisen an den Kunden grundsätzlich direkt am Verkaufstresen. Das Abräumen der (teilweise mit Tischdecken und Blumenschmuck versehenen) Tische oblag in der Regel den Kunden, wobei zur Rücknahme des ausgegebenen Geschirrs Regale bereitstanden, die grundsätzlich durch die Kunden zu befüllen waren. Wenn die Kunden das Abräumen der Tische unterließen, räumte das Personal der KG das Geschirr von den Tischen. Anschließend wurde das Geschirr von Arbeitnehmern der KG gereinigt, die ausschließlich als Verkaufspersonal für Backwaren und nicht als Kellner, Koch oder gastronomisch ähnlich qualifiziertes Fachpersonal angestellt waren.
5 In ihrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Jahr 2006 (Streitjahr) erklärte die KG Umsätze zum allgemeinen Steuersatz in Höhe von ... € und Umsätze zum ermäßigten Steuersatz in Höhe von ... €.
6 Nach zwei Außenprüfungen bei der KG für das Streitjahr ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) davon aus, dass die KG zu Unrecht auf die Umsätze aus dem Verkauf der vor Ort verzehrten belegten Brötchen und Kuchenteile den ermäßigten Steuersatz angewandt habe. Die elektronischen Kassenaufzeichnungen der KG seien unzutreffend, weil in erheblichem Umfang vor Ort verzehrte Speisen nur mit dem ermäßigten Steuersatz erfasst und auch entsprechend versteuert worden seien. Die Umsätze zum Regelsteuersatz seien entsprechend zu erhöhen. Es setzte daher die Umsatzsteuer für das Streitjahr, zuletzt durch Bescheid vom , auf ... € fest und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
7 Mit dem Einspruch wurde geltend gemacht, dass weitere, bisher von der KG zum Regelsteuersatz versteuerte Umsätze eigentlich dem ermäßigten Steuersatz unterlägen. Nach den Grundsätzen des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Bog vom - C-497/09, C-499/09, C-501/09 und C-502/09 (EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256) handele es sich beim Verkauf der in den Filialen zum Verzehr an Ort und Stelle bestimmten Waren um ermäßigt zu besteuernde Lieferungen von Nahrungsmitteln.
8 Durch Einspruchsentscheidung vom half das FA dem Einspruch insoweit ab, als es die Umsätze der Filialen, die keine Sitzplätze vorhielten, dem ermäßigten Steuersatz unterwarf und die Umsatzsteuer für das Streitjahr entsprechend herabsetzte. Im Übrigen, d.h. im Hinblick auf die Umsätze der 84 Filialen mit Sitzplatzangebot, wies es den Einspruch als unbegründet zurück.
9 Das Finanzgericht (FG) Münster wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 1793 veröffentlichten Urteil vom - 15 K 2553/16 U ab. Es entschied, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die Umsätze aus dem Verkauf von Backwaren und Fast-Food zum Verzehr vor Ort in den mit Sitzgelegenheiten ausgestatteten Filialen der KG nicht vorlägen. Bei einer Gesamtbetrachtung der durch die KG im Falle des Verzehrs vor Ort erbrachten Leistungselemente stünden die Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Speisen im Vordergrund.
10 Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts (§ 3 Abs. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes —UStG—).
11 Die Umsätze aus der Abgabe der vor Ort verzehrten Speisen seien Lieferungen und daher dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 des UStG zu unterwerfen. Die vorhandenen Dienstleistungselemente hätten nicht qualitativ überwogen und gäben dem Gesamtumsatz daher nicht das Gepräge.
12 Zunächst seien im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung die nicht zu berücksichtigenden Dienstleistungselemente zu separieren. Dies sei hier in Bezug auf das Mobiliar in 71 Filialen der Fall, weil dieses Mobiliar nicht ausschließlich dem Verzehr der Speisen gedient habe, sondern auch als Treffpunkt und Aufenthaltsbereich.
13 In einem zweiten Schritt ergebe eine qualitative Betrachtung, dass der Durchschnittsverbraucher nicht in die Backfilialen der Klägerin gehe, um dort wie in einem Restaurant beraten, bekocht, bedient und umsorgt zu werden, sondern der Kauf von Brot und Backwaren im Vordergrund stehe. Die Gelegenheit, sich nach dem Einkauf mit einem Getränk oder kleinen Imbiss zu stärken, sei eher nachrangig. Ohne Kellnerservice, echte Beratung der Kunden, Bedienung im eigentlichen Sinne, geschlossene, temperierte Räume, eigene Garderobe, eigene Toilette und Bereitstellung eines Gedecks (Essbesteck, Serviette, Tischdekoration) komme eine Restaurationsleistung nicht in Betracht. Das Bereitstellen von Mobiliar und Geschirr reiche nicht aus. Soweit die Filialen nicht über einen Speisesaal mit Nebenräumen (Garderobe, Toilette etc.) verfügten, könne keine sonstige Leistung vorliegen. Die übrigen Filialen hätten einen imbissartigen Charakter, sodass keine Umsätze ausgeführt würden, die den Verzehr in einem „ansprechenden Rahmen“ wie in einem Restaurant gestatteten. Die Kosten des Umsatzes würden außerdem nicht von der Dienstleistung geprägt, sondern vom Einkaufspreis. Dies habe das FG bei seiner Würdigung verkannt. Es negiere die gefestigte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum Ausschließlichkeitserfordernis der Sitzmöglichkeiten und die hierzu ergangenen Vermutungsregelungen. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, dass das FG trotz fehlendem Kellnerservice, fehlender Garderobe, fehlender Toilette, fehlender geschlossener, temperierter Räume speziell für den Verzehr sowie fehlender individueller Menüzusammenstellung bzw. Zubereitung angenommen habe, dass das Dienstleistungselement überwiege. Art. 6 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwSt-DVO) gelte nicht für das Streitjahr 2006 und führe außerdem zu keiner anderen Beurteilung.
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Zusammenfassend meint die Klägerin, die Dienstleistungselemente seien entweder nicht zu berücksichtigen (Sitzmöglichkeiten) oder von derart untergeordneter Bedeutung (partielle Gestellung von Porzellangeschirr und dessen Reinigung), dass sie dem Umsatz nicht das Gepräge gäben. Selbst mit dem Besuch eines einfachen Restaurants verbundene Dienstleistungen seien nicht vorhanden: | |
- | nur einfache, imbissähnliche Verzehrvorrichtungen, kein Kellnerservice, keine geschlossenen und temperierten Räume, keine regulären Garderoben und keine eigenen Toiletten; |
- | die zwar vorhandenen, aber einfach gehaltenen Sitzmöglichkeiten seien in 71 Filialen nicht ausschließlich dazu bestimmt gewesen, den Verzehr von Speisen zu erleichtern, sondern hätten den Besuchern der Lebensmittelmärkte zum Verweilen und als Treffpunkt zur Verfügung gestanden; |
- | nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH sei das bereitgestellte Mobiliar in diesen Fällen nicht in die Gesamtbetrachtung mit einzubeziehen; |
- | die vom FG gestützte Auffassung, dass bereits das Vorhandensein von einfachen Sitzgelegenheiten oder die Bereitstellung von Geschirr zu einer sonstigen Leistung führe, verkenne die Reichweite der Rechtsprechung des EuGH. |
15 Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2006 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um ... € niedriger auf ... € festgesetzt wird,
hilfsweise, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
16 Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es verteidigt die angefochtene Vorentscheidung.
17 Der Senat hat durch Beschluss vom - XI R 25/19 (nicht veröffentlicht) mit Einverständnis der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH im Verfahren C-703/19 angeordnet. Nach Ergehen des EuGH-Urteils Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach vom - C-703/19 (EU:C:2021:314) hat der Senat das Verfahren unter dem Az. XI R 12/21 (XI R 15/19) wiederaufgenommen.
18 Beide Beteiligte sehen sich durch das EuGH-Urteil jeweils in ihrer Rechtsauffassung bestätigt.
Gründe
II.
19 A. Die Entscheidung kann im Verfahren gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) ergehen.
20 1. Der Senat hat die Sache in der Sitzung vom in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung beraten und ist einstimmig zu dem Ergebnis gelangt, dass er die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hiervon mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom gleichen Tag unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Von der Möglichkeit zur Stellungnahme hat die Klägerin unter dem Gebrauch gemacht.
21 2. Dass der Senatsvorsitzende wegen Urlaubs am vorliegenden Beschluss nicht mitwirken kann, daher Richterin am Bundesfinanzhof…mitwirkt und sich folglich die Richterbank gegenüber der Sitzung vom geändert hat, steht der Anwendung des § 126a FGO nicht entgegen (Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 126a FGO Rz 6).
22 B. Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin die Revision weiterhin für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Das FG ist bei seiner Prüfung, ob die Umsätze der Klägerin Lieferungen oder sonstige Leistungen sind, von zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine auf diesen Rechtsgrundsätzen basierende tatsächliche Würdigung, dass die Umsätze der Klägerin aus dem Verkauf von Speisen, die vor Ort verzehrt wurden, in dem hier noch streitigen Umfang sonstige Leistungen seien, ist —auch unter Berücksichtigung der Einwendungen der Klägerin— revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
23 1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für „die Lieferungen“ der in der Anlage 2 des UStG bezeichneten Gegenstände.
24 a) Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Demgegenüber sind sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 UStG Leistungen, die keine Lieferungen sind.
25 b) Nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG in der im Streitjahr noch geltenden Fassung war die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle eine sonstige Leistung. Speisen und Getränke wurden gemäß § 3 Abs. 9 Satz 5 UStG zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden. Soweit der Wortlaut des § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG nicht richtlinienkonform gewesen sein sollte, waren im Wege richtlinienkonformer Auslegung die unionsrechtlichen Grundsätze der Rechtsprechung des EuGH und des BFH maßgebend und wäre andernfalls eine Berufung auf das günstigere Unionsrecht möglich gewesen (vgl. , BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480, Rz 35; vom - V R 58/04, V R 59/04, BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487, Rz 54; vom - V R 18/10, BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246, Rz 28; Senatsurteil vom - XI R 33/08, BFH/NV 2011, 1927, Rz 36; s.a. BRDrucks 544/07, S. 99 f.: waren „richtlinienkonform auszulegen“, „Aufhebung klarstellend“).
26 c) § 3 Abs. 1 und 9 UStG beruhten im Streitjahr unionsrechtlich auf den Art. 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG); nunmehr Art. 14 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, wonach als Lieferung eines Gegenstands die Übertragung der Befähigung gilt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen; als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands ist.
27 d) Zudem ist im Streitfall —entgegen der Auffassung der Klägerin— Art. 6 Abs. 1 MwSt-DVO mit zu berücksichtigen:
28 aa) Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MwSt-DVO gilt die Abgabe zubereiteter oder nicht zubereiteter Speisen und/oder von Getränken, zusammen mit ausreichenden unterstützenden Dienstleistungen, die deren sofortigen Verzehr ermöglichen, als (Restaurant- und Verpflegungs-)Dienstleistung. Restaurantdienstleistungen sind die Erbringung solcher Dienstleistungen in den Räumlichkeiten des Dienstleistungserbringers (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 MwSt-DVO).
29 bb) Die Abgabe von Speisen und/oder Getränken ist dabei nur eine Komponente der gesamten Leistung, bei der der Dienstleistungsanteil überwiegt (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 MwSt-DVO). Die Abgabe von zubereiteten oder nicht zubereiteten Speisen und/oder Getränken mit oder ohne Beförderung, jedoch ohne andere unterstützende Dienstleistungen, gilt nicht als Restaurant- oder Verpflegungsdienstleistung (Art. 6 Abs. 2 MwSt-DVO).
30 cc) Art. 65 MwSt-DVO ordnet zwar, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, die Anwendung dieser Regelungen erst ab dem an. Bestimmungen der MwSt-DVO können aber trotzdem —zur Vermeidung einer unzulässigen Rückwirkung allerdings auch nur insoweit— in Vorjahren zur Auslegung herangezogen werden, als sie —anders als möglicherweise Art. 6 Abs. 1 Satz 2 MwSt-DVO oder die Fiktion des Art. 6 Abs. 2 MwSt-DVO (vgl. dazu auch , BStBl I 2013, 444, unter I.)— rückwirkend Begriffe klären, die sich bereits zuvor in der Richtlinie 77/388/EWG befunden haben (vgl. allgemein dazu z.B. EuGH-Urteile Leichenich vom - C-532/11, EU:C:2012:720, BStBl II 2013, 891, Rz 32; Welmory vom - C-605/12, EU:C:2014:2298, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2014, 937, Rz 45 f.; Senatsurteil vom - XI R 29/14, BFHE 254, 183, BStBl II 2016, 905, Rz 43, m.w.N.; Brandis, UR 2020, 571, 574). Dies ist jedenfalls bei Art. 6 Abs. 1 Sätze 1 und 3 MwSt-DVO der Fall; denn sie präzisieren in Bezug auf die unterstützenden Dienstleistungen, die den sofortigen Verzehr von Speisen ermöglichen, die Grundsätze der vorangegangenen Rechtsprechung des EuGH (zur Präzisierung der bisherigen Auslegung des Art. 6 der Richtlinie 77/388/EWG durch Art. 6 MwSt-DVO s. ausführlich EuGH-Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 55 ff.; , BFHE 258, 566, Rz 18; Weber, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2020, 92, 93).
31 2. Bei der Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen beim Verzehr von Speisen an Ort und Stelle ist von folgenden Rechtsgrundsätzen der Rechtsprechung des EuGH auszugehen, denen der BFH folgt (s. z.B. , BFHE 234, 443, BStBl II 2013, 238; vom - XI R 6/08, BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 253; vom - XI R 28/11, BFH/NV 2013, 1950; , BFHE 234, 491, BStBl II 2013, 244; vom - V R 3/07, BFHE 234, 484, BStBl II 2013, 241; in BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246; vom - V R 47/10, BFH/NV 2012, 812; vom - V R 28/12, BFH/NV 2013, 1638; vom - V R 14/13, BFHE 245, 272, BStBl II 2014, 869; vom - V R 15/14, BFHE 252, 158, BStBl II 2017, 553; in BFHE 258, 566; vom - V R 61/16, BFH/NV 2018, 63; Senatsbeschlüsse vom - XI B 79/12, BFH/NV 2013, 1953; vom - XI B 37/17, BFH/NV 2017, 1635; , BFH/NV 2018, 732), und die auch das FG, soweit sie ihm bekannt sein konnten, seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat:
32 a) Ob bestimmte Umsätze Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen sind, richtet sich nach ihrem Wesen; dieses ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln (EuGH-Urteil Faaborg-Gelting Linien vom - C-231/94, EU:C:1996:184, BStBl II 1998, 282, Rz 12). Dazu ist nicht nur die quantitative, sondern auch die qualitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen der Lieferung zu bestimmen (vgl. EuGH-Urteile Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 61 und 62; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 48 und 49).
33 b) Da die Vermarktung eines Gegenstands stets mit einer minimalen Dienstleistung (z.B. Darbieten der Waren in Regalen, Ausstellen einer Rechnung) verbunden ist, sind bei der Beurteilung des Anteils der Dienstleistungen an der Gesamtheit eines komplexen Geschäfts nur diejenigen Dienstleistungen zu berücksichtigen, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung eines Gegenstands verbunden sind (vgl. EuGH-Urteile Hermann vom - C-491/03, EU:C:2005:157, Rz 22; Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 63; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 50).
34 c) Restaurationsumsätze sind durch eine Reihe von Vorgängen gekennzeichnet, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, während die Dienstleistungen bei Weitem überwiegen; etwas anderes gilt hingegen, wenn sich der Umsatz auf Nahrungsmittel zum Mitnehmen bezieht und daneben keine Dienstleistungen erbracht werden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen (vgl. EuGH-Urteile Faaborg-Gelting Linien, EU:C:1996:184, BStBl II 1998, 282, Rz 14; Bog, EU:C:2011:135, Rz 64; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 51).
35 d) Die Abgabe von Nahrungsmitteln und Getränken zum sofortigen Verzehr ist das Ergebnis einer Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen dieser Speisen, wobei dem Gast zugleich eine organisatorische Gesamtheit zur Verfügung gestellt wird, die u.a. einen Speisesaal als auch das Mobiliar und das Geschirr umfasst (vgl. EuGH-Urteile Faaborg-Gelting Linien, EU:C:1996:184, BStBl II 1998, 282, Rz 13; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 52). Wenn die Abgabe von Nahrungsmitteln nur mit der Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen (d.h. ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit, die nur einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle im Freien ermöglichen) einhergeht und dadurch nur ein geringfügiger personeller Einsatz erforderlich ist, stellen diese Elemente geringfügige Nebenleistungen dar, die am Vorliegen einer Lieferung nichts ändern können (vgl. EuGH-Urteile Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 70; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 53).
36 e) Die Tatsache, dass die Abgabe zubereiteter Nahrungsmittel ihr Kochen, Backen, Braten oder Aufwärmen voraussetzt, was die Erbringung von Dienstleistungen darstellt, ist im Rahmen der Gesamtbeurteilung des betreffenden Umsatzes zum Zweck seiner Einstufung als Lieferung von Gegenständen oder als Dienstleistung zu berücksichtigen. Wenn sich die Zubereitung des warmen Endprodukts im Wesentlichen auf einfache, standardisierte Handlungen beschränkt, die in den meisten Fällen nicht auf Bestellung eines bestimmten Kunden, sondern entsprechend der allgemein vorhersehbaren Nachfrage ständig oder in Abständen vorgenommen werden, stellt sie nicht den überwiegenden Bestandteil des betreffenden Umsatzes dar und kann allein diesem nicht den Charakter einer Dienstleistung verleihen (vgl. EuGH-Urteile Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 67 und 68; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 54).
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f) Im Lichte der unter d und e wiedergegebenen Rechtsprechung ergibt sich aus Art. 6 MwSt-DVO, dass die Kriterien, die für die Beurteilung der Frage, ob die mit der Abgabe von Speisen einhergehenden Dienstleistungen als „ausreichende unterstützende Dienstleistungen“ angesehen werden können, entscheidend sind, um die dem Verbraucher angebotene Leistung als Dienstleistung anzusehen (vgl. EuGH-Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 59). Der Art der Zubereitung von Speisen oder ihrer Lieferung kommt keine entscheidende Bedeutung bei, sondern der Bereitstellung von unterstützenden Dienstleistungen, die mit der Abgabe von zubereiteten Speisen einhergehen, wobei diese Dienstleistungen | |
- | ausreichend sein müssen, um den sofortigen Verzehr dieser Speisen zu gewährleisten, sowie |
- | im Verhältnis zu deren Abgabe überwiegen müssen (vgl. EuGH-Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 58). |
38 aa) Zu berücksichtigen sind u.a. Aspekte wie die Anwesenheit von Kellnern, ein Service (der insbesondere in der Weiterleitung der Bestellungen an die Küche, in der späteren Präsentation der Speisen und deren Darreichung an den Kunden am Tisch besteht), geschlossene und temperierte Räume speziell für den Verzehr der Nahrungsmittel oder auch Garderoben und Toiletten sowie die Bereitstellung von Geschirr, Mobiliar oder Gedeck (vgl. EuGH-Urteile Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 69; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 60).
39 bb) Dienstleistungen, die ein anderer Unternehmer (Dritter) unmittelbar an den Kunden erbringt, sind nicht zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2011, 1927, Rz 35; BFH-Urteile in BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246, Rz 32; in BFH/NV 2013, 1638, Rz 26; in BFHE 258, 566, Rz 17). Eine Berücksichtigung von Verzehrvorrichtungen eines Dritten kommt jedoch dann in Betracht, wenn dem leistenden Unternehmer der Art nach ein Mitbenutzungsrecht an diesen Verzehrvorrichtungen zugestanden worden ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 258, 566, Rz 21).
40 cc) An all diesen Grundsätzen ist auch nach Ergehen des EuGH-Urteils Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach (EU:C:2021:314) festzuhalten, weil in solchen Fällen die unterstützenden Dienstleistungen des Unternehmers ausreichen, um den sofortigen Verzehr der Speisen durch die Kunden zu gewährleisten, sowie im Verhältnis zu deren Abgabe überwiegen.
41 g) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der BFH z.B. entschieden, dass die Abgabe von standardisiert zubereiteten Speisen durch einen Imbissstand zum Verzehr an einem Tisch mit Sitzgelegenheiten zu einem dem Regelsteuersatz unterliegenden Restaurationsumsatz führt; die Schwelle zum Restaurationsumsatz ist überschritten, weil die Bereitstellung von Geschirr, Besteck oder Mobiliar (Tische mit Sitzgelegenheit) —im Unterschied zur bloßen Bereitstellung einer behelfsmäßigen Infrastruktur im Falle von Imbissständen, Imbisswagen oder Kinos— einen gewissen personellen Einsatz erfordert, um das gestellte Material herbeizuschaffen, zurückzunehmen und gegebenenfalls zu reinigen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487; in BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246, Rz 37 und 38; in BFHE 258, 566, Rz 16 f.; s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2018, 732). Der Inhaber eines Grillstands in einem Biergarten erbringt dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistungen, wenn er an Biergartenbesucher gegen Entgelt Speisen abgibt und aufgrund des Pachtvertrags mit dem Betreiber des Biergartens berechtigt ist, seinen Kunden die Infrastruktur des Biergartens zur Verfügung zu stellen (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2017, 1635, Leitsatz). Auch erbringt der Inhaber einer Fischbraterei in einem Biergarten an die Biergartenbesucher dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistungen (Restaurationsumsätze), wenn er gegen Entgelt gegrillte Fische abgibt, er aufgrund von ausdrücklichen oder konkludenten Vereinbarungen mit dem Eigentümer oder Betreiber des Biergartens berechtigt ist, seinen Kunden die Infrastruktur des Biergartens zur Verfügung zu stellen, und dies auch tatsächlich so geschieht (vgl. Senatsbeschluss vom - XI B 89/18, BFH/NV 2019, 945, Leitsatz).
42 h) Dagegen liegt nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH und des BFH bei der Abgabe von Speisen zum Mitnehmen eine (ermäßigt zu besteuernde) Lieferung vor (vgl. z.B. EuGH-Urteil Faaborg-Gelting Linien, EU:C:1996:184, BStBl II 1998, 282, Rz 13 f.; BFH-Urteil in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487, Rz 49 ff.). Dies hat der EuGH nunmehr erneut bestätigt (vgl. EuGH-Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 62), sodass auch daran festzuhalten ist.
43 3. Nach diesen Grundsätzen ist es aufgrund der tatsächlichen Feststellungen sowie der —entgegen der Auffassung der Revision— tatsächlichen Würdigung des Sachverhalts durch das FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, auf die Umsätze der KG aus dem Verkauf von Backwaren und Fast-Food zum Verzehr vor Ort in den mit Sitzgelegenheiten ausgestatteten Filialen der KG den Regelsteuersatz anzuwenden.
44 a) Das FG hat angenommen, bei einer Gesamtbetrachtung der durch die KG im Falle des Verzehrs vor Ort erbrachten Leistungselemente stünden die Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Speisen im Vordergrund. Die KG habe den Kunden nicht nur Backwaren und Fast-Food verkauft, sondern diesen gegenüber auch zusätzliche Dienstleistungen erbracht, indem sie neben der Zubereitung der standardisierten Produkte zum Verzehr der Speisen Tische und Sitzmöglichkeiten sowie Tassen, Geschirr und Besteck zur Verfügung gestellt habe und sowohl das Mobiliar als auch das Geschirr gereinigt habe. Das in und um die angemieteten Filialen durch die KG aufgestellte Mobiliar sei sowohl aus objektiver Empfängersicht als auch nach den objektiven Gegebenheiten ausschließlich zur Nutzung durch die Kunden der KG bestimmt gewesen. Aufgrund dieser durch die KG erbrachten Dienstleistungen (Verzehrvorrichtungen, Serviceleistungen, Geschirrstellung) trete der Dienstleistungscharakter in den Vordergrund, obwohl in einigen Filialen der KG keine Garderoben und Toiletten vorgehalten worden seien und überdies kein Kellnerservice (im Sinne einer Bedienung am Sitzplatz) bestanden und es an einer völligen räumlichen Trennung der Vorkassenfilialen von den Vorkassenbereichen der Lebensmittelmärkte, in denen sie untergebracht waren, gefehlt habe. Durch die Gestellung von Tischen und Stühlen, Geschirr und teilweise auch Dekoration sowie die Erbringung von Reinigungsleistungen im Hinblick auf diese Gegenstände sei die Gesamtleistung der KG aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers dennoch als Restaurationsleistung und damit Dienstleistung zu qualifizieren. Der personelle Einsatz könne (insbesondere im Vergleich zu dem erforderlichen personellen Einsatz im Falle eines Außer-Haus-Verkaufes) nicht mehr als nur geringfügig angesehen werden. Denn die Reinigung des Geschirrs, der Tische und Stühle sowie das Aufbringen der Dekoration gehe deutlich über die Herstellung, Zubereitung und den Verkauf der zum Verzehr vor Ort bestimmten Backwaren hinaus und binde Arbeitskraft. Dass die Kunden der KG deren Angestellten im Regelfall kein Trinkgeld gewährt hätten, führe zu keinem anderen Ergebnis der Gesamtabwägung; denn die Gewährung von Trinkgeld sei keine konstitutive Voraussetzung für die Annahme einer Dienstleistung. Das gefundene Ergebnis entspreche außerdem dem Grundsatz, dass Bestimmungen, die Ausnahmen von einem allgemeinen Grundsatz darstellen, eng auszulegen sind.
45 b) Diese Würdigung ist bei Anwendung der unter II.B.2. genannten Grundsätze möglich und verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze; sie bindet daher den Senat (§ 118 Abs. 2 FGO).
46 c) Die Einwendungen der Klägerin führen zu keiner anderen Beurteilung.
47 aa) Soweit die Einwendungen der Klägerin größtenteils darin bestehen, dass sie ihre abweichende Würdigung an die Stelle der Würdigung des FG setzt, berücksichtigt sie nicht, dass die tatsächliche Würdigung für den BFH als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO auch dann bindend ist, wenn die Wertung des FG nicht zwingend, aber möglich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2017, 30, Rz 19; vom - XI R 5/18, BFHE 266, 67, Rz 29; vom - XI R 38/18, BFHE 268, 376, Rz 57, jeweils m.w.N.).
48 bb) Bei ihrem Einwand, dass die Bereitstellung von Mobiliar und Geschirr nicht ausreiche und keine sonstige Leistung vorliegen könne, soweit Filialen nicht über einen Speisesaal mit Nebenräumen (Garderobe, Toilette etc.) verfügten, beachtet die Revision nicht die unter II.B.2.g genannte Rechtsprechung des BFH; die von ihr, der Klägerin, für erforderlich gehaltenen Ausstattungsmerkmale sind danach für die Annahme eines Restaurationsumsatzes nicht erforderlich (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2018, 732, Rz 6).
49 cc) Soweit die Klägerin geltend macht, die Filialen hätten einen imbissartigen Charakter und nur in 13 Fällen geschlossene Räume, sodass keine Umsätze ausgeführt würden, die den Verzehr in einem „ansprechenden Rahmen“ wie in einem Restaurant gestatteten, widerspricht auch dies der unter II.B.2.g genannten Rechtsprechung, von der abzurücken aus Sicht des Senats kein Anlass besteht. Ein imbissartiger Charakter und das Fehlen geschlossener Räume widerspricht der Anwendung des Regelsteuersatzes schon deshalb nicht, weil die Umsätze eines Imbissstands, der seinen Kunden standardisiert zubereitete Speisen zum Verzehr an einem Tisch mit Sitzgelegenheiten verkauft, dem Regelsteuersatz unterliegen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246). Gleiches gilt für Umsätze in einem Biergarten (vgl. Senatsbeschlüsse in BFH/NV 2017, 1635; in BFH/NV 2019, 945).
50 dd) Mit ihrem Einwand, die Kosten der Umsätze würden nicht von der Dienstleistung geprägt, sondern vom Einkaufspreis, beachtet die Revision nicht, dass nach den Ausführungen unter II.B.2.a nicht nur die quantitative, sondern auch die qualitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen ist. Welchen prozentualen Anteil an dem von dem jeweiligen Kunden zu zahlenden Gesamtpreis die zur Zubereitung der Speisen eingesetzten Lebensmittel hatten, was das FG nicht festgestellt hat, ist für die Gesamtwürdigung nicht von entscheidender Bedeutung (vgl. Senatsurteil in BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 253, Rz 41 f.).
51 ee) Ebenso wenig greift der Einwand der Klägerin, das FG negiere die gefestigte Rechtsprechung des BFH zum Ausschließlichkeitserfordernis der Sitzmöglichkeiten und die hierzu ergangenen Vermutungsregelungen. Das FG hat vielmehr diese Rechtsprechung zutreffend auf den Streitfall angewendet.
52 (1) Zwar ist, worauf die Revision im Ausgangspunkt zu Recht hinweist, das bloße Vorhandensein von Mobiliar, das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern, bei der Prüfung des anzuwendenden Steuersatzes nicht als Dienstleistungselement zu berücksichtigen (z.B. sofern möblierte Bereiche zugleich auch als Warteraum und Treffpunkt dienen, vgl. EuGH-Urteil Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 73; BFH-Urteile in BFHE 234, 484, BStBl II 2013, 241, Rz 26; in BFH/NV 2018, 63, Rz 16 f.).
53 (2) Das FG hat diese Rechtsprechung in Rz 24 der Vorentscheidung (EFG 2019, 1793) berücksichtigt; es ist allerdings im Rahmen der von ihm vorgenommenen Gesamtwürdigung (insbesondere aufgrund der räumlichen Nähe, der Farbe des Mobiliars, der teilweise abweichenden Bodenfarbe und der teilweise von der Klägerin aufgestellten Dekoration) im Streitfall zu dem —aus Sicht des Senats nicht nur möglichen, sondern zutreffenden— Ergebnis gelangt, dass das in und um die Filialen aufgestellte Mobiliar der KG sowohl aus objektiver Empfängersicht als auch nach den objektiven Gegebenheiten ausschließlich zur Nutzung durch die Kunden der KG bestimmt war. Dies gilt —entgegen der Auffassung der Klägerin im Schreiben vom — auch für die Filialen, in denen die Bodenfarbe nicht abweichend war und in denen keine Dekoration aufgestellt war.
54 (3) Im Übrigen berücksichtigt die Klägerin nicht, dass sie den Kunden Geschirr und Besteck zur Verfügung gestellt, dieses zurückgenommen und gereinigt hat. Soweit bei einem Partyservice mit Standardspeisen schon die Bereitstellung und Rücknahme von Geschirr und Besteck sowie dessen Reinigung ausreicht, um den Regelsteuersatz zur Anwendung zu bringen (vgl. Senatsurteil in BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 253, Rz 43; BFH-Urteile in BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480; vom - V R 55/06, BFHE 223, 539, unter II.6.; vom - V R 66/09, BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250, Rz 20; vom - V B 74/09, BFH/NV 2011, 1547, Rz 5; in BFH/NV 2013, 1638, Rz 17; zur Reinigung von Geschirr und Besteck s.a. Senatsurteil in BFH/NV 2013, 1950, Rz 30), gilt dies aus Gründen der Wahrung des Grundsatzes der Neutralität erst recht für die Klägerin, die mehr Leistungen als ein (zum Regelsteuersatz besteuerter) Partyservice erbringt. Dass die Bereitstellung von Geschirr und Besteck durch die KG teilweise in „Vorkassenzonen“ (und nicht zu Hause beim Kunden) erfolgt ist (und die KG daneben weitere Leistungen erbracht hat), führt zu keiner für sie, die Klägerin, günstigeren umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung.
55 d) Auf die Frage, wie Umsätze in einer sog. „Gastronomie-Mall“ mit gemeinschaftlich genutztem Mobiliar eines Dritten zu beurteilen sind (vgl. , zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Deutsches Steuerrecht 2021, 2785; vorgehend , EFG 2021, 1062), kommt es daher im Streitfall nicht an.
56 4. Sonstige Rechtsfehler der Vorentscheidung bzw. des angefochtenen Bescheids sind nicht ersichtlich. Insbesondere wurde auf den Verkauf von Speisen zum Mitnehmen der ermäßigte Steuersatz angewendet. Auch war die Klägerin nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH verpflichtet, ihre Umsätze gesondert aufzuzeichnen (vgl. Senatsurteil vom - XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921; Senatsbeschluss vom - XI B 85/13, BFH/NV 2014, 828; EuGH-Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 65).
57 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:B.150921.XIR12.21.0
Fundstelle(n):
BStBl 2022 II Seite 417
HFR 2022 S. 252 Nr. 3
PAAAI-02742