Strafsache wegen Totschlags mit Adhäsionsverfahren: Beweis- und Darlegungsanforderungen für Entschädigungsansprüche von Hinterbliebenen
Gesetze: § 244 Abs 2 StPO, § 403 StPO, §§ 403ff StPO, § 138 ZPO, § 287 ZPO, § 823 Abs 1 BGB, § 844 Abs 2 BGB, § 844 Abs 3 BGB
Instanzenzug: LG Siegen Az: 31 Ks 3/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Adhäsionsverfahren hat es ihn zudem verurteilt, ein vererbtes Schmerzensgeld, Hinterbliebenengelder sowie monatliche Geldrenten zu zahlen; weitere Schadensersatzpflichten des Angeklagten hat die Strafkammer festgestellt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Der Schuld- und Strafausspruch weist keine sachlich-rechtlichen Mängel auf.
32. Der Adhäsionsausspruch hat indes keinen Bestand, soweit das Landgericht den Adhäsionsklägern - der Ehefrau und den beiden Kindern des Getöteten - jeweils eine monatliche Geldrente (§ 844 Abs. 2 BGB) zugesprochen und Schadensersatzpflichten des Angeklagten festgestellt hat.
4a) Das Landgericht hat die Grundlagen für Schadensersatzrenten der Adhäsionskläger gemäß § 844 Abs. 2 BGB, der an die hypothetische Unterhaltspflicht des Geschädigten anknüpft, weder belegt noch hinreichend dargetan.
5aa) Das Landgericht hat die Beweisanforderungen im Adhäsionsverfahren verkannt. Das Adhäsionsverfahren richtet sich im Wesentlichen nach den Grundsätzen der StPO (vgl. , BGHSt 37, 260, 261; LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 404 Rn. 8; KK-StPO/Zabeck, 8. Aufl., § 404 Rn. 11). Das Gericht hat daher gemäß § 244 Abs. 2 StPO von Amts wegen im Strengbeweis die Umstände zu ermitteln, die für den Entschädigungsanspruch von Bedeutung sind (vgl. LR/Hilger aaO Rn. 9; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 404 Rn. 11).
6Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Hinsichtlich der bei der (fiktiven) Unterhaltsberechnung heranzuziehenden Vermögensverhältnisse und Fixkosten verweisen sie lediglich auf den unstreitigen Vortrag der Adhäsionskläger (§ 138 ZPO), was im Adhäsionsverfahren nicht genügt. Die den Ansprüchen zugrundeliegenden Feststellungen sind daher nicht belegt.
7bb) Es kommt deshalb nicht mehr entscheidend darauf an, dass der Adhäsionsausspruch über die Schadensersatzrenten auch an durchgreifenden Darlegungsmängeln leidet. Die Grundlagen für die zugesprochenen Ansprüche sind nicht nachvollziehbar (vgl. zu den rechtlichen Anforderungen Rn. 5 mwN). Die Urteilsgründe lassen Erwägungen dazu vermissen, wie sich die Leistungsfähigkeit des Geschädigten und die Bedürftigkeit der Adhäsionskläger voraussichtlich entwickelt hätten. Allein der Hinweis auf den insoweit anwendbaren § 287 ZPO (vgl. LR/Hilger, Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, jeweils aaO) genügt nicht. Auch die für 347 Monate angeordnete Geldrente zugunsten der Ehefrau des Getöteten wird mit Blick auf ihre Dauer nicht erläutert.
8Bei den Kindern des Getöteten tritt hinzu, dass in Ermangelung eindeutiger Feststellungen unklar bleibt, ob deutsches Unterhaltsrecht zur Anwendung kommen konnte. Diese Adhäsionskläger hatten zur Tatzeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt möglicherweise in Moldawien, was zur Anwendbarkeit des dortigen Rechts geführt haben könnte (Art. 3 des Haager Unterhaltsprotokolls vom ; vgl. Spickhoff in BeckOK BGB, 59. Ed., Art. 40 EGBGB Rn. 14 mwN).
9cc) Die aufgezeigten Rechtsfehler lassen auch eine teilweise Aufrechterhaltung der Aussprüche zu den Geldrenten durch ein Grundurteil nicht zu.
10b) Die zugunsten der Kinder des Opfers festgestellte Verpflichtung des Angeklagten, ihnen über die befristet zugesprochenen bezifferten Geldrenten hinaus „Schadensersatz durch Entrichtung einer monatlichen Geldrente zu leisten“, leidet an denselben Rechtsfehlern. Dem Senat ist dadurch die Überprüfung verwehrt, inwieweit ein Feststellungsinteresse zu bejahen ist (vgl. Rn. 16).
11c) Auch die Feststellungsaussprüche, die sich auf „sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden“ der einzelnen Adhäsionskläger erstrecken, halten den rechtlichen Anforderungen nicht stand. Das Landgericht hat eigene Gesundheitsschäden und somit Schadensersatzansprüche der Adhäsionskläger aus § 823 Abs. 1 BGB verneint. Es verbleibt damit kein Raum, neben den zuerkannten Hinterbliebenengeldern gemäß § 844 Abs. 3 BGB eine Ersatzpflicht für weitere immaterielle Schäden festzustellen (vgl. LG Tübingen, Urteil vom - 3 O 108/18, juris Rn. 158; Luckey in Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld, 2018, Teil 1 § 2 Rn. 5, 7; Pardey in Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., § 844 BGB Rn. 32). Zugleich ist nicht ersichtlich, dass die Adhäsionskläger weitere materielle Schäden ersetzt verlangen könnten.
12d) Eine Zurückverweisung der Sache nur zur teilweisen Erneuerung des Adhäsionsverfahrens scheidet aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 436/19 Rn. 7 und vom - 5 StR 471/11, BGHR StPO § 406 Grundurteil 6 Rn. 4). Vielmehr ist auch im dargelegten Umfang von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abzusehen (§ 406 Abs. 3 Satz 3 StPO).
133. Angesichts des geringen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels und den notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Gleiches gilt für die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen der Adhäsionskläger (§ 472a Abs. 2 StPO). Insoweit war insbesondere zu berücksichtigen, dass Gerichtsgebühren nur nach dem Wert des zuerkannten Anspruchs anfallen und die Adhäsionskläger durch denselben beigeordneten Rechtsanwalt vertreten werden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:131021B4STR121.21.0
Fundstelle(n):
JAAAI-01973