OFD Berlin - St 122 - S 2241- 2/02

§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG Steuerliche Behandlung der Anwachsung

In den Fällen der Anwachsung stellt sich die Frage, ob die steuerbilanziellen Buchwerte fortgeführt werden können oder ob die Anwachsung die Aufdeckung der stillen Reserven zur Folge hat. Im Gegensatz zum Handelsrecht (vgl. § 738 BGB, § 142 HGB) fehlen ausdrückliche gesetzliche Regelungen für die ertragsteuerliche Behandlung der Anwachsung.

Bei der ertragsteuerlichen Beurteilung der Anwachsung sind zwei Fallgruppen voneinander zu unterscheiden:

Fallgruppe 1:

Der austretende Gesellschafter ist am Vermögen einer zweigliedrigen Personengesellschaft kapitalmäßig nicht beteiligt.

§ 6 Abs. 3 EStG (§ 7 Abs. 1 EStDV a.F.) ist nicht anwendbar. Diese Vorschrift setzt einen Übertragungsvorgang voraus. Hieran fehlt es, weil der austretende Gesellschafter am Vermögen der Gesellschaft nicht beteiligt ist. Steuerlich gesehen sind dem verbleibenden Gesellschafter die seiner Beteiligung entsprechenden Wirtschaftsgüter schon vor der Anwachsung zuzurechnen, so dass sie ihm durch die Anwachsung nicht mehr übertragen werden können. Die Buchwerte sind daher nicht nach § 6 Abs. 3 EStG, sondern mangels eines Anschaffungsvorgangs fortzuführen.

Fallgruppe 2:

Der austretende Gesellschafter ist kapitalmäßig am Vermögen einer zweigliedrigen Personengesellschaft beteiligt.

Im Fall der Anwachsung liegt weder eine Betriebsaufgabe auf der Ebene der Personengesellschaft noch eine Aufgabe des Mitunternehmeranteils auf der Ebene des ausscheidenden Gesellschafters vor. Die gesetzliche Rechtsfolge des Erlöschens des Gesellschaftsanteils sagt, wie die Anwachsung beim verbleibenden Gesellschafter, nichts über den Rechtsgrund des Ausscheidens aus. Die Anwachsung ist steuerlich - entsprechend dem jeweils zugrundeliegenden Rechtsgrund der Übertragung - entweder als entgeltliche oder als unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils zu behandeln.

Bei einer entgeltlichen Übertragung liegt eine Anteilsveräußerung i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG vor.

Bei einer unentgeltlichen Übertragung handelt es sich um einen Fall des § 6 Abs. 3 EStG (§ 7 Abs. 1 EStDV a.F.). Der Erwerber, der verbleibende Gesellschafter, führt die Buchwerte fort; der Vorgang ist erfolgsneutral.

Der BFH hat in selnem Urteil vom (BStBl II 1999, S. 269) im Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters, der auch kapitalmäßig an der Personengesellschaft beteiligt war, entsprechend entschieden.

Handelt es sich bei dem verbleibenden Gesellschafter aber um eine Kapitalgesellschaft, an der der ohne Entschädigung austretende Gesellschafter kapitalmäßig beteiligt ist, stellt das abfindungslose Ausscheiden eine verdeckte Einlage in die Kapitalgesellschaft dar, die nach den Grundsätzen der Betriebsveräußerung bzw. -aufgabe zur Gewinnrealisierung führt. In diesem Fall ist § 6 Abs. 3 EStG (§ 7 Abs. 1 EStDV a.F.) nicht anwendbar.

OFD Berlin v. - St 122 - S 2241- 2/02

Fundstelle(n):
VAAAA-81114