Online-Nachricht - Montag, 17.01.2022

Erbschaftsteuer | Teleologische Reduktion des sog. Einstiegstests nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG (FG)

Bei der Übertragung von Kapitalgesellschaftsanteilen ist die Regelung des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG im Wege teleologischer Reduktion dahingehend einschränkend auszulegen, dass sie bei einer originär gewerblichen Kapitalgesellschaft nicht zur Anwendung kommt (; Revision anhängig, BFH-Az. II R 49/21).

Hintergrund: § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG regelt den sog. „Einstiegstest“: Danach ist die Inanspruchnahme der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Begünstigungen für Betriebsvermögen von vornherein ausgeschlossen, wenn der nach dieser Vorschrift modifizierte Wert des Verwaltungsvermögens mindestens 90 v. H. des gemeinen Werts des grundsätzlich begünstigungsfähigen Vermögens beträgt.

Sachverhalt: Der Vater der Klägerin des Streitfalls schenkte dieser im Jahr 2017 alle Anteile an einer GmbH, die ein Unternehmen für den Vertrieb von Arzneimitteln und Medizinprodukten betrieb und auch forschend tätig war. Das Geschäftsleitungsfinanzamt stellte den Wert der Anteile an der GmbH auf 555.975 EUR, die Summe der gemeinen Werte der Finanzmittel auf 2.517.649 EUR, die Summe der gemeinen Werte des Verwaltungsvermögens auf 0 EUR und die Summe der gemeinen Werte der Schulden auf 3.138.504 EUR fest. Der Beklagte versagte wegen des sog. Einstiegstests die Begünstigungen gemäß § 13a Abs. 1 und Abs. 2 ErbStG.

Das FG Münster gab der hiergegen erhobenen Klage statt:

  • Zwar ist vorliegend nach dem Wortlaut des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG die begehrte Begünstigung für Betriebsvermögen vollständig ausgeschlossen, da das Verwaltungsvermögen von 0 EUR zzgl. der Finanzmittel von 2.577.649 EUR mehr beträgt als 90 v. H. des auf 555.975 EUR festgestellten gemeinen Wertes der übertragenen Anteile an der inländischen GmbH.

  • Die Vorschrift ist aber ihrem Normzweck entsprechend im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend einschränkend auszulegen, dass der sog. Einstiegstest dann nicht zur Anwendung kommt, wenn die Kapitalgesellschaft, deren Anteile übertragen wird, ihrem Hauptzweck nach land- und forstwirtschaftlich, originär gewerblich oder freiberuflich ist.

  • Im Streitfall ist der Hauptzweck der Tätigkeit der GmbH ein originär gewerblicher, weshalb der sog. Einstiegstest zu unterbleiben hat.

  • Bei dem „Einstiegstest“ handelt es sich nach seinem Sinn und Zweck um einen speziellen Missbrauchsvermeidungstatbestand. Es soll solches begünstigungsfähiges Vermögen von der Verschonung ausgenommen sein, das nahezu ausschließlich aus Verwaltungsvermögen besteht.

  • Geht die Kapitalgesellschaft aber ihrem Hauptzweck nach einer Tätigkeit i. S. des § 13 Abs. 1, des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 nach, besteht keine Missbrauchsgefahr.

  • Dies gilt insbesondere für Handels- und Dienstleistungsunternehmen, wie es die GmbH der Klägerin betreibt, die typischerweise einen vergleichsweise hohen Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen aus ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aufweisen.

  • Im Gegenteil werden durch eine uneingeschränkte Anwendung des Einstiegstests für solche Unternehmen Anreize gesetzt, entgegen ihrem gewachsenen und üblichen Geschäftsmodell Ausweichgestaltungen oder betriebswirtschaftlich nicht sinnvolle bzw. nachteilige Vorgehensweisen zu wählen, um einen positiven Einstiegstest zu erreichen.

  • Eine teleologische Reduktion des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG in der Weise, dass danach unterschieden wird, welchem Hauptzweck die Tätigkeit der betreffenden Kapitalgesellschaft dient, ist schließlich auch durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG geboten.

Hinweis:

Das FG hat die Revision zum BFH zugelassen. Dort ist das Verfahren unter dem Az. II R 49/21 anhängig. Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des FG Münster veröffentlicht.

Quelle: FG Münster, Pressemitteilung v. (il)

Fundstelle(n):
NWB LAAAI-01793