Einziehung im Sicherungsverfahren: Erfordernis eines Antrags der Staatsanwaltschaft
Leitsatz
Die Einziehung im Sicherungsverfahren ist seit dem Inkrafttreten der Neufassung von § 413 StPO zum im gleichen Umfang wie im Strafverfahren möglich; ein besonderer Antrag der Staatsanwaltschaft ist hierfür nicht erforderlich.
Gesetze: § 413 StPO vom , § 435 Abs 1 S 1 StPO, § 74 StGB
Instanzenzug: LG Görlitz Az: 9 KLs 550 Js 21107/19
Gründe
1Das Landgericht hat die Beschuldigte in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und „gemäß § 74 StGB … als Tatmittel“ eine Schreckschusswaffe, dazu gehörige Munition sowie zwei Dosen Pfefferspray eingezogen. Die mit der Sachrüge begründete Revision führt zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
21. Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch hinreichend den Beleg der Zueignungsabsicht im Fall II. 4 der Urteilsgründe.
32. Die Einziehungsentscheidung kann hingegen nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat die Einziehung der im Eigentum der Beschuldigten stehenden Tatmittel auf § 74 StGB gestützt, ohne zu bedenken, dass diese Rechtsfolge bei – wie hier – schuldlos Handelnden nur nach § 74b Abs. 1 Nr. 1 StGB angeordnet werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 410/17, NStZ 2018, 235; vom – 3 StR 46/19, StV 2020, 371; vom – 5 StR 165/21 jeweils mwN). Die Strafkammer hat insoweit weder die erforderlichen Feststellungen getroffen noch das ihr zustehende Ermessen ausgeübt. Darauf beruht die Einziehungsentscheidung (§ 337 Abs. 1 StPO).
43. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Einziehungsentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang (§ 354 Abs. 2 StPO). Die Feststellungen sind hiervon nicht betroffen und bleiben deshalb bestehen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO); sie dürfen um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
54. Dem Antrag des Generalbundesanwalts, entsprechend § 354 Abs. 1 StPO die Einziehung entfallen zu lassen, weil es diesbezüglich an einem Antrag gemäß § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO und damit einer Verfahrensvoraussetzung fehle (in diesem Sinne zuletzt ), vermag der Senat hingegen nicht zu folgen.
6a) Mit Wirkung zum ist durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom (BGBl. I S. 2099) § 413 StPO dahingehend geändert worden, dass nunmehr auch im Sicherungsverfahren die Einziehung ohne gesonderten Antrag nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO möglich ist.
7aa) Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war die Einziehung nach §§ 73 ff. StGB davon abhängig, dass die Staatsanwaltschaft zusätzlich einen gesonderten Antrag nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO gestellt hatte; weder Ausführungen in der Antragsschrift, dass bestimmte Gegenstände der Einziehung unterliegen, noch einen entsprechenden Antrag in der Hauptverhandlung sah die Rechtsprechung als hierfür ausreichend an (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 410/17, NStZ 2018, 235; vom – 3 StR 558/17, NStZ 2018, 559; vom – 5 StR 109/19, RuP 2020, 36). Dies wurde insbesondere daraus abgeleitet, dass in § 413 StPO nur Maßregeln der Besserung und Sicherung als mögliche Verfahrensgegenstände eines Sicherungsverfahrens benannt wurden (vgl. BGH, aaO).
8bb) Mit der zum in Kraft getretenen Änderung von § 413 StPO wollte der Gesetzgeber auch die Einziehung im Sicherungsverfahren ermöglichen, weil es keinen sachlichen Grund dafür gebe, diese Rechtsfolge nicht auch als Nebenfolge in diesem Verfahren zu ermöglichen (BT-Drucks. 19/27654 S. 108). Der bisherige Gesetzestext von § 413 StPO wurde deshalb um die Worte „sowie als Nebenfolge die Einziehung“ ergänzt.
9b) Der Senat entnimmt dieser Änderung, dass die Einziehung im Sicherungsverfahren nicht von einer weitergehenden Verfahrensvoraussetzung abhängig sein soll als der rechtmäßigen Durchführung des Sicherungsverfahrens, insbesondere nicht mehr von einem gesonderten Antrag, wie ihn § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO vorsieht. Die Einziehung im Sicherungsverfahren ist demnach seit dem Inkrafttreten der Neufassung von § 413 StPO zum im gleichen Umfang wie im Strafverfahren möglich; nicht erforderlich hierfür sind insbesondere ein darauf gerichteter ausdrücklicher Antrag der Staatsanwaltschaft in der Antragsschrift oder eine besondere Eröffnungsentscheidung des Gerichts.
10aa) Zwar kann § 413 StPO nach seinem neuen Wortlaut auch dahingehend verstanden werden, als müsste die Staatsanwaltschaft nunmehr hinsichtlich der Einziehung einen ebensolchen begründeten Antrag stellen wie bezüglich der Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung. Damit hätte sich aber im Vergleich zum früheren Rechtszustand wenig geändert, denn auch nach früherem Recht war ein Antrag nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO möglich. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Vereinfachung des Verfahrens liefe damit weitgehend ins Leere. Die Auslegung einer verfahrensrechtlichen Norm hat indes besonders das Ziel, dem Willen des Gesetzgebers bei der Verfahrensgestaltung nach Möglichkeit zum Erfolg zu verhelfen (vgl. , BGHSt 4, 308 mwN).
11bb) Dem Gesetzgeber ging es mit seiner Änderung um den Gleichlauf von Straf- und Sicherungsverfahren bei der Einziehung (näher BT-Drucks. 19/27654 S. 108). Dem wird eine Auslegung gerecht, wonach die Einziehung im Sicherungsverfahren beim Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen keinen anderen prozessualen Regeln folgt als im Strafverfahren, also von keinem gesonderten Antrag abhängt, sondern nur davon, ob der Beschuldigte wie ein Angeklagter in Antragsschrift, Eröffnungsbeschluss oder Hauptverhandlung auf die Möglichkeit dieser Rechtsfolge ausdrücklich hingewiesen wurde (vgl. ).
12cc) Diese am gesetzgeberischen Willen orientierte Auslegung fügt sich auch in das systematische Regelungsgefüge der §§ 413 ff. StPO einerseits und der §§ 435 ff. StPO andererseits ein. Während die §§ 413 ff. StPO das prozessuale Gegenstück zur materiell-rechtlichen Regelung in § 71 StGB bilden (vgl. , BGHSt 31, 132), stellen die §§ 435 ff. StPO das prozessuale Äquivalent für die selbständige Einziehung nach § 76a StGB dar (vgl. MüKo-StPO/Scheinfeld/Langlitz, § 435 Rn. 1). Wie der Gesetzgeber durch die Änderung in § 413 StPO deutlich gemacht hat, soll sich nunmehr die Anordnung der Einziehung im Fall der Durchführung eines Sicherungsverfahrens nicht mehr nach den §§ 435 ff. StPO, sondern alleine nach den §§ 413 ff. StPO richten. Ein selbständig geführtes Einziehungsverfahren nach §§ 435 ff. StPO erschien dem Gesetzgeber in solchen Fällen entbehrlich, weil das Sicherungsverfahren weitgehend den für das Strafverfahren geltenden Regeln folgt (vgl. BT-Drucks. 19/27654 S. 108). Der damit beabsichtigte Gleichlauf von Straf- und Sicherungsverfahren bei der Einziehung setzt allerdings eine enge Verknüpfung der Einziehungsentscheidung mit den verfahrensgegenständlichen Anlasstaten voraus. Die selbständige Einziehung nach § 76a Abs. 1 Satz 1 StGB iVm den §§ 73 ff. StGB kann im Sicherungsverfahren deshalb nicht weiter gehen als in einem entsprechenden Strafverfahren.
13dd) Der nunmehrige Gesetzeswortlaut lässt sich vor diesem Hintergrund auch dahingehend auslegen, dass er die erweiterte Möglichkeit einer gerichtlichen Entscheidung aus staatsanwaltschaftlicher Perspektive beschreibt, aber nicht das Erfordernis eines Antrags als Verfahrensvoraussetzung der Einziehung. Denn bei der beabsichtigten Gleichstellung mit dem Strafverfahren wäre es nicht nur systemwidrig, einen solchen Antrag zu fordern, sondern auch unverständlich, weshalb er in das Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt würde („kann“). Die Eröffnung des Sicherungsverfahrens durch das Gericht bietet – wie beim Strafverfahren – eine hinreichende Grundlage, um auch die mit den verfahrensgegenständlichen Anlasstaten zusammenhängenden Einziehungsfragen in demselben gerichtlichen Verfahren zu klären.
14c) Die Änderung von § 413 StPO zum wirkt sich auch auf laufende Verfahren aus. Fehlte es bislang in solchen Verfahren mangels Antrags nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO bezüglich der Einziehung an einer Verfahrens-voraussetzung, ist dieses Erfordernis mit Wirkung zum entfallen. Derartige Änderungen des Prozessrechts gelten unmittelbar für alle laufenden Verfahren und sind auch noch in der Revisionsinstanz beachtlich; insbesondere ist der Wegfall von Verfahrenshindernissen, sofern – wie hier – Vertrauensschutz nicht ausnahmsweise entgegensteht, regelmäßig so zu behandeln, als hätte von vorneherein kein Hindernis vorgelegen (vgl. näher KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 354a Rn. 5 f. mwN).
155. An einer Entscheidung im Beschlussweg ist der Senat nicht dadurch gehindert, dass der Generalbundesanwalt einen weitergehenden Antrag auf Entfallen der Einziehungsanordnung gestellt hat. Denn der Senat hat die Revision der Beschuldigten zur Einziehungsentscheidung nach § 349 Abs. 4 StPO einstimmig für begründet erachtet, so dass kein Fall des § 349 Abs. 5 StPO vorliegt. Ob das Revisionsgericht anschließend eine Entscheidung nach § 354 Abs. 2 StPO oder (entsprechend) § 354 Abs. 1 StPO trifft, ist hierfür unbeachtlich (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 24/04; vom – 3 StR 96/09).
166. An die bisher entgegenstehende Rechtsprechung der anderen Senate des Bundesgerichtshofs ist der Senat infolge der dargestellten Gesetzesänderung nicht im Sinne von § 132 Abs. 2 GVG gebunden (vgl. , BGHSt 46, 17, 19 mwN).
177. Aufgrund der Teilaufhebung und Zurückverweisung hat sich die mit der Revision erhobene Kostenbeschwerde erledigt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 464 Rn. 20).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:081221B5STR312.21.0
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 10 Nr. 4
NJW 2022 S. 339 Nr. 5
wistra 2022 S. 163 Nr. 4
EAAAI-01525