Online-Nachricht - Freitag, 07.01.2022

Einkommensteuer | Abgrenzung von Alt- und Neuzusagen bei Direktversicherungen zum Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung (BFH)

Der Zeitpunkt, zu dem eine Versorgungszusage erstmalig erteilt wurde, bestimmt sich nach der zu einem Rechtsanspruch führenden arbeitsrechtlichen bzw. betriebsrentenrechtlichen Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers (Anschluss an , Rz. 350) (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Der Kläger war seit dem Jahr 1992 bei seinem Arbeitgeber angestellt und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Arbeitgeber hatte zugunsten des Klägers als versicherte Person im Rahmen der bei der A-Versicherung bestehenden Gruppenversicherung ab dem eine Direktversicherung (kapitalbildende Lebensversicherung) zur betrieblichen Altersvorsorge und eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen. Der Arbeitgeber versteuerte die Versicherungsbeiträge pauschal nach § 40b EStG in der bis zum geltenden Fassung (EStG a.F.).

Im Jahr 2013 kündigte der Arbeitgeber das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich. In dem anschließenden arbeitsgerichtlichen Verfahren schloss der Arbeitgeber mit dem Kläger im April 2014 vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) einen gerichtlichen Vergleich. Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt der Kläger eine Abfindung. Der Arbeitgeber verpflichtete sich, bis zum einen Teilbetrag als einmalige Entgeltumwandlung nach der sog. Vervielfältigungsregelung gem. § 3 Nr. 63 EStG in der im Streitjahr (2014) geltenden Fassung in eine Direktversicherung bei der B-Versicherung einzuzahlen. Den verbleibenden Abfindungsbetrag hatte der Arbeitgeber unter Abzug der Lohnsteuer mit der Entgeltabrechnung für April 2014 an den Kläger auszuzahlen.

Der Kläger gab in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr die vom Arbeitgeber an die B-Versicherung geleistete Zahlung nicht an. Das FA veranlagte den Kläger insoweit erklärungsgemäß.

Im Rahmen einer bei dem Arbeitgeber durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, die Zahlung an die B-Versicherung sei nicht nach der Vervielfältigungsregelung in § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG steuerfrei. Die Anwendung dieser Vorschrift sei nicht möglich, wenn der Arbeitnehmer bei Beiträgen zu einer Direktversicherung auf die Steuerfreiheit der Beiträge zugunsten der weiteren Anwendung des § 40b EStG a.F. verzichtet habe. So verhalte es sich im vorliegenden Fall. Denn die Beiträge an die A-Versicherung (Altvertrag) seien unter Verzicht auf die Steuerfreiheit nach § 40b EStG a.F. pauschal versteuert worden.

Das FA folgte der Auffassung der Prüferin und erließ einen entsprechenden, geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr.

Das FG wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage ab ().

Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen:

  • Das FG hat zu Unrecht entschieden, der Kläger könne die Steuerbefreiung gem. § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG nach § 52 Abs. 4 Sätze 10 und 12 sowie Abs. 40 EStG nicht in Anspruch nehmen.

  • Ab dem Jahr 2005 wurde durch das Alterseinkünftegesetz auch der Durchführungsweg der Direktversicherung in die steuerliche Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG einbezogen. Für ab 2005 erteilte Direktversicherungszusagen (Neuzusagen) entfiel gleichzeitig die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung nach § 40b EStG a.F. (s. § 52 Abs. 40 EStG). Für die Anwendung von § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG sowie § 40b Abs. 1 und Abs. 2 EStG a.F. kommt es folglich darauf an, ob die entsprechenden Beiträge aufgrund einer Versorgungszusage geleistet werden, die vor dem (Altzusage) oder nach dem (Neuzusage) erteilt wurde (§ 52 Abs. 4 Satz 10 EStG).

  • Zur Beantwortung der Frage, zu welchem Zeitpunkt eine Versorgungszusage erstmalig erteilt wurde, ist grundsätzlich die zu einem Rechtsanspruch führende arbeitsrechtliche bzw. betriebsrentenrechtliche Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers maßgebend; diese kann z. B. in einem Einzelvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder durch Tarifvertrag abgegeben werden (ebenso , Rz. 350). Hiernach ist im vorliegenden Fall eine Neuzusage gegeben. Denn der Arbeitgeber des Klägers hat sich erstmals in dem gerichtlich protokollierten Vergleich im April 2014 vor dem LAG verpflichtet, im Rahmen der Entgeltumwandlung eine Versorgung zugunsten des Klägers durch eine Direktversicherung bei der B-Versicherung zuzusagen. Die vorgenannte Verpflichtungserklärung stellt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Versorgung nicht als bloße Änderung der seit 1997 bestehenden Versorgungszusage dar.

  • Die Finanzverwaltung hat in dem (Rz. 351) verschiedene Beispiele aufgeführt, bei denen ihrer Ansicht nach "bei ansonsten unveränderter Versorgungszusage" keine Neuzusage gegeben ist. Vorliegend ist keiner der genannten Beispielsfälle erfüllt.

  • Hat der Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers mehrere Direktversicherungen abgeschlossen, ist die Frage, ob diese auf verschiedenen Versorgungszusagen beruhen, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Das Fehlen oder Vorliegen eines zusätzlichen biometrischen Risikos kann dabei lediglich als ein Indiz herangezogen werden. Es ist keine gesetzliche Voraussetzung für eine Neuzusage (entgegen , Rz. 355).

  • Das FG hat nicht weiter geprüft, ob die sachlichen Voraussetzungen der Steuerfreiheit hinsichtlich der streitigen Beitragszahlung nach § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG vorliegen. Dies wird es im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

Anmerkung von Dr. Stephan Geserich, Richter im VI. Senat des BFH:

Für die Anwendung von § 3 Nr. 63 Satz 3 EStG sowie § 40b Abs. 1 und 2 EStG a. F. wichtige Abgrenzung von Alt- und Neuzusage haben die Finanzbehörden im , Rz. 349ff. ausführlich Stellung genommen. Nach dem dort niedergelegten Grundsatz der Einheit der Versorgung stellt die Änderung einer Altzusage aus steuerrechtlicher Sicht insbesondere dann keine Neuzusage dar, wenn bei ansonsten unveränderter Versorgungszusage:

  • die Beiträge und/oder die Leistungen erhöht oder vermindert werden,

  • die Finanzierungsform ersetzt oder ergänzt wird (rein arbeitgeberfinanziert, Entgeltumwandlung, andere im Gesamtversicherungsbeitrag des Arbeitgebers enthaltene Finanzierungsanteile des Arbeitnehmers oder eigene Beiträge des Arbeitnehmers),

  • der Versorgungsträger/Durchführungsweg gewechselt wird,

  • die zu Grunde liegende Rechtsgrundlage gewechselt wird (z. B. bisher tarifvertraglich jetzt einzelvertraglich),

  • eine befristete Entgeltumwandlung erneut befristet oder unbefristet fortgesetzt wird oder

  • in einer vor dem erteilten Zusage die Untergrenze für betriebliche Altersversorgungsleistungen bei altersbedingtem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben um höchstens zwei Jahre bis maximal auf das 67. Lebensjahr erhöht wird. Dabei ist es unerheblich, ob dies zusammen mit einer Verlängerung der Beitragszahlungsdauer erfolgt.

Eine Einordnung als Altzusage bleibt auch im Fall der Übernahme der Zusage (Schuldübernahme) nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG durch den neuen Arbeitgeber und bei Betriebsübergang nach § 613a BGB erhalten.

Dagegen soll eine Neuzusage insbesondere vorliegen,

  • soweit die bereits erteilte Versorgungszusage um zusätzliche biometrische Risiken erweitert wird und dies mit einer Beitragserhöhung verbunden ist,

  • im Fall der Übertragung der Zusage beim Arbeitgeberwechsel nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 BetrAVG.

Werden einzelne Leistungskomponenten der Versorgungszusage im Rahmen einer von vornherein vereinbarten Wahloption verringert, erhöht oder erstmals aufgenommen (z. B. Einbeziehung der Hinterbliebenenabsicherung nach Heirat) und kommt es infolge dessen nicht zu einer Beitragsanpassung, liegt keine Neuzusage, sondern weiterhin eine Altzusage vor.

Diese Orientierungshilfe der Finanzbehörden kann auch weiterhin als Richtschnur dienen. Jedenfalls hat sie der BFH in der Besprechungsentscheidung nicht in Frage gestellt. Denn dort stand nicht die Änderung einer Altzusage in Rede. Im Streitfall ist vielmehr zu einem „alten“ Direktversicherungsvertrag (Abschluss vor 2005) ein „neuer“ Direktversicherungsvertrag (Abschluss nach 2004) hinzugetreten.

Zwar ist auch es auch aus Sicht der Finanzbehörden möglich, mehrere Versorgungszusagen nebeneinander, also neben einer Altzusage auch eine Neuzusage zu erteilen (z. B. „alte“ Direktversicherung und „neuer“ Pensionsfonds). Dies soll grundsätzlich unabhängig davon gelten, ob derselbe Durchführungsweg gewählt wird. Wird neben einer für alle Arbeitnehmer tarifvertraglich vereinbarten Pflichtversorgung z. B. erstmalig nach 2004 tarifvertraglich eine Entgeltumwandlung mit ganz eigenen Leistungskomponenten zugelassen, liegt im Falle der Nutzung der Entgeltumwandlung danach eine Neuzusage vor (, Rz. 355).

Den weitergehenden Ausführungen des BMF, wonach insgesamt von einer Altzusage auszugehen sei, wenn neben einem „alten“ Direktversicherungsvertrag (Abschluss vor 2005) ein „neuer“ Direktversicherungsvertrag (Abschluss nach 2004) abgeschlossen und die bisher erteilte Versorgungszusage nicht um zusätzliche biometrische Risiken erweitert werde, ist der BFH jedoch entgegengetreten. Zwar kann es durchaus Fälle geben, in denen eine neue Direktversicherung auch gegenüber einer anderen Versicherungsgesellschaft zusammen mit einer vor 2005 abgeschlossenen Direktversicherung auf der bisherigen Versorgungszusage (sog. Altzusage) beruht. Das Fehlen eines zusätzlichen biometrischen Risikos bei der neuen Direktversicherung kann insoweit (indiziell) dafürsprechen, dass diese auch aufgrund der Altzusage abgeschlossen worden ist. Es ist andererseits aber nicht gerechtfertigt, das Vorliegen einer Neuzusage zwingend von der Versicherung eines zusätzlichen biometrischen Risikos abhängig zu machen. Entscheidend ist vielmehr, zu welchem Zeitpunkt die maßgebliche Versorgungszusage, auf der die jeweilige Direktversicherung beruht, erteilt wurde. Liegen zwei verschiedene Direktversicherungen vor, ist daher zu prüfen, ob diese auf einer Versorgungszusage oder auf verschiedenen Versorgungszusagen beruhen. Diese Frage ist ausweislich der Besprechungsentscheidung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beantworten.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
NAAAI-01279