EuGH Urteil v. - C-334/20

Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 – Mehrwertsteuerpflichtiger Umsatz – Begriff – Art. 168 Buchst. a und Art. 176 – Vorsteuerabzugsrecht – Verweigerung – Werbedienstleistungen, die von der Steuerbehörde als überteuert und nutzlos eingestuft werden – Fehlen von zugunsten des Steuerpflichtigen generierten Umsätzen

Leitsatz

Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger die Vorsteuer für Werbedienstleistungen in Abzug bringen kann, sofern eine derartige Erbringung von Dienstleistungen einen der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsatz im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2006/112 darstellt und mit einem oder mehreren steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen oder der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen als allgemeine Aufwendungen in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang steht, ohne dass zu berücksichtigen wäre, dass der für derartige Dienstleistungen in Rechnung gestellte Preis gegenüber einem von der nationalen Steuerbehörde definierten Referenzwert überhöht ist oder dass diese Dienstleistungen nicht zu einer Steigerung des Umsatzes des Steuerpflichtigen geführt haben.

Gesetze: EGRL 112/2006 Art 168 Buchst a, AEUV Art 267

Instanzenzug:

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Amper Metal Kft. und dem Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn) über die Weigerung der genannten Rechtsbehelfsdirektion, die von Amper Metal für Werbedienstleistungen gezahlte Mehrwertsteuer zum Vorsteuerabzug zuzulassen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.

4 Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“

5 Gemäß Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie können die Mitgliedstaaten in den von dieser Bestimmung aufgezählten Fällen zur Vorbeugung gegen Steuerhinterziehung oder ‑umgehung Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass der Normalwert die Steuerbemessungsgrundlage für Lieferungen von Gegenständen oder für Dienstleistungen bildet, die an solche Empfänger erbracht werden, zu denen familiäre oder andere enge persönliche Bindungen, Bindungen aufgrund von Leitungsfunktionen oder Mitgliedschaften sowie eigentumsrechtliche, finanzielle oder rechtliche Bindungen gemäß der Definition des Mitgliedstaats bestehen.

6 Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden“.

7 In Art. 176 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„Der Rat [der Europäischen Union] legt auf Vorschlag der [Europäischen] Kommission einstimmig fest, welche Ausgaben kein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen. In jedem Fall werden diejenigen Ausgaben vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen.“

Ungarisches Recht

8 § 119 Abs. 1 des Az általános forgalmi adóról szóló 2007. évi CXXVII. törvény (Gesetz Nr. CXXVII von 2007 über die allgemeine Umsatzsteuer, im Folgenden: Umsatzsteuergesetz) sieht vor, dass das Recht auf Vorsteuerabzug, sofern in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, zum Zeitpunkt der Festsetzung der geschuldeten Steuer in Höhe der Vorsteuer entsteht, einschließlich des Falles, bei dem die Festsetzung der geschuldeten Steuer gemäß § 196/B Abs. 2 Buchst. a dieses Gesetzes erfolgt.

9 § 120 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes bestimmt, dass der Steuerpflichtige in dem Umfang, wie er – in dieser Eigenschaft – für steuerpflichtige Lieferungen von Gegenständen und für steuerpflichtige Dienstleistungen Gegenstände und Dienstleistungen verwendet bzw. auf andere Art und Weise verwertet, berechtigt ist, von der von ihm zu entrichtenden Steuer die Steuer abzuziehen, die ihm ein anderer Steuerpflichtiger – einschließlich der Personen oder Organisationen, die der vereinfachten Unternehmenssteuer unterliegen – im Zusammenhang mit dem Erwerb der Gegenstände oder der Inanspruchnahme der Dienstleistungen in Rechnung gestellt hat.

10 § 8 Abs. 1 Buchst. d des A társasági adóról és az osztalék adóról szóló 1996. évi LXXXI. törvény (Gesetz Nr. LXXXI von 1996 über die Körperschaftsteuer und die Dividendensteuer, im Folgenden: Körperschaftsteuergesetz), sieht vor, dass das Ergebnis vor Steuern um die unter den Kosten und Aufwendungen verrechnete, als Senkung des Ergebnisses vor Steuern berücksichtigte Summe – einschließlich der Abschreibung der immateriellen Vermögensgegenstände und Sachanlagen –, die in keinem Zusammenhang mit der unternehmerischen bzw. der Ertragserwerbstätigkeit steht, unter besonderer Berücksichtigung der Bestimmungen in der Anlage Nr. 3 dieses Gesetzes erhöht wird.

11 Anlage Nr. 3 Punkt 4 des Körperschaftsteuergesetzes bestimmt:

„Für die Zwecke der Anwendung von § 8 Abs. 1 Buchst. d gelten insbesondere als Kosten und Aufwendungen, die nicht im Interesse der unternehmerischen Tätigkeit anfallen: der Gegenwert einer ohne die allgemeine Umsatzsteuer 200 000 ungarische Forint (HUF) [etwa 555 Euro] übersteigenden Dienstleistung (oder ein Teil davon), wenn aufgrund der Umstände (insbesondere der unternehmerischen Tätigkeit bzw. der Erlöse des Steuerzahlers, des Charakters der Dienstleistung bzw. des Gegenwerts der Dienstleistung) eindeutig festgestellt werden kann, dass die Inanspruchnahme der Dienstleistung im Widerspruch zu den Anforderungen an eine sinnvolle Wirtschaftsführung steht; die Gegenwerte der im Steuerjahr von derselben Person unter demselben Rechtstitel in Anspruch genommenen Leistungen müssen gemeinsam berücksichtigt werden.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

12 Amper Metal ist eine ungarische Gesellschaft, die im Elektroanlagenbau tätig ist.

13 Im Jahr 2014 schloss Amper Metal mit der Gesellschaft Sziget-Reklám Kft. einen Vertrag über die Erbringung von Werbedienstleistungen. Dieser Vertrag betraf die Anbringung von Werbeaufklebern mit dem Firmenzeichen von Amper Metal auf Fahrzeugen bei der Teilnahme an einem Automobilrennen in Ungarn. Über diese Dienstleistungen wurden 2014 von Sziget-Reklám zwölf Rechnungen über einen Gesamtbetrag von 48 000 000 HUF (etwa 133 230 Euro) zuzüglich 27 % Mehrwertsteuer, was einem Betrag von 12 960 000 HUF (etwa 35 970 Euro) entspricht, ausgestellt. Amper Metal brachte die für diese Dienstleistungen entrichtete Vorsteuer in ihren Steuererklärungen für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum in Abzug.

14 Im Anschluss an eine nachträgliche Prüfung dieser Erklärungen verweigerte die ungarische Steuerbehörde erster Instanz diesen Vorsteuerabzug. Außerdem verpflichtete sie Amper Metal, im Zuge der Steuerberichtigung einen Betrag zu zahlen, der der zu Unrecht abgezogenen Vorsteuer entsprach, und verhängte gegen sie eine Steuergeldbuße von 3 240 000 HUF (etwa 8 991 Euro) sowie einen Verzugszuschlag von 868 000 HUF (etwa 2 409 Euro). Die Steuerbehörde ging davon aus, dass die auf die betreffenden Werbedienstleistungen entfallenden Kosten keinen Aufwand darstellten, der mit steuerpflichtigen Tätigkeiten zusammenhänge, die für Amper Metal Einnahmen erzeugten, und dass die von Amper Metal entrichtete Umsatzsteuer somit gemäß § 120 des Umsatzsteuergesetzes nicht abzugsfähig sei.

15 Zur Begründung ihrer Entscheidung berief sich die Steuerbehörde auf Gutachten gerichtlicher Sachverständiger im Bereich Steuern und Werbung. Diesen zufolge seien die fraglichen Werbedienstleistungen zu teuer und für Amer Metal in Wirklichkeit nutzlos gewesen, und zwar insbesondere im Hinblick darauf, welcher Art die Kundschaft der Gesellschaft sei, die sich nämlich aus Papierfabriken, Warmwalzwerken und sonstigen Industrieanlagen zusammensetze, deren geschäftliche Entscheidungen nicht durch Aufkleber auf Rennwagen beeinflusst werden könnten. Die Steuerbehörde stellte hierzu klar, dass der Vertrag über Werbedienstleistungen nicht dem Erfordernis einer „sinnvollen Wirtschaftsführung“ im Sinne von Anlage Nr. 3 Punkt 4 des Körperschaftsteuergesetzes entspreche.

16 Amper Metal legte bei der Steuerbehörde zweiter Instanz Widerspruch ein. Diese wies den Widerspruch zurück und bestätigte die Entscheidung der Steuerbehörde erster Instanz.

17 In diesem Zusammenhang erhob Amper Metal beim vorlegenden Gericht Klage auf Aufhebung der Entscheidungen der ungarischen Steuerbehörden erster und zweiter Instanz. Amper Metal macht geltend, dass das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann ausgeübt werden könne, wenn die Ausgaben des Steuerpflichtigen weder sinnvoll noch wirtschaftlich rentabel seien, so dass sich das angebliche Fehlen eines Werbewerts der erbrachten Dienstleistungen nicht auf dieses Recht auswirke. Auch das Erfordernis eines Nutzens, der zahlenmäßig und nach Posten nachgewiesen werden könne, sei nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, da mit dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem die völlige Neutralität der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis gewährleistet werden solle, sofern diese Tätigkeiten selbst grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterlägen. Zudem entspreche die Steuerbemessungsgrundlage der tatsächlich vom Dienstleistungserbringer, im vorliegenden Fall Sziget Reklám, erhaltenen Gegenleistung, so dass Amper Metal das Vorsteuerabzugsrecht nicht mit der Begründung verwehrt werden könne, dass der an den Dienstleistungserbringer gezahlte Preis angeblich unverhältnismäßig sei.

18 Die Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung macht geltend, dass wirtschaftliche Unvernunft einer Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts entgegenstehe. Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ermögliche die Berichtigung der Steuerbemessungsgrundlage, wie sie in einer Rechnung angegeben sei, wenn sie nicht dem normalen Marktwert entspreche, was vorliegend der Fall sei.

19 Die hauptsächliche Frage, die sich im Rahmen des Ausgangsverfahrens stellt, besteht nach Ansicht des vorlegenden Gerichts darin, ob ein Steuerpflichtiger, der ausschließlich einer steuerpflichtigen Tätigkeit nachgeht, nur dann den Vorsteuerabzug für sich in Anspruch nehmen kann, wenn er objektiv anhand konkreter Daten den Nutzen der von ihm in Anspruch genommenen Dienstleistung nachweisen kann. § 120 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes, der die Wendung „auf andere Art und Weise verwertet“ enthalte, stelle laut seiner Bedeutung in ungarischer Sprache auf eine Verwendung ab, die zu einem Erfolg führe, sowie auf eine effiziente und rentable Nutzung. Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob ein solches Erfordernis mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Mithin sei zu klären, ob Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sei, dass die Vorsteuerabzugsfähigkeit zwingend eine nachweisbare Rentabilität in Form einer Steigerung des Umsatzes des Steuerpflichtigen voraussetzte.

20 Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Muss bzw. kann Art. 168 Satz 1 und Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin ausgelegt werden, dass nach dieser Bestimmung – aufgrund des in ihr enthaltenen Ausdrucks „verwendet werden“ – der Abzug der Vorsteuer aus einem in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerrichtlinie fallenden Umsatz nicht deshalb verweigert werden kann, weil nach Ansicht der Steuerbehörde die vom Rechnungsaussteller im Rahmen eines zwischen unabhängigen Parteien bewirkten Umsatzes erbrachte Dienstleistung für die besteuerten Tätigkeiten des Rechnungsempfängers keinen Nutzen mit sich bringt, mit der Begründung, dass

    • der Wert der vom Rechnungsaussteller erbrachten Dienstleistung (Werbeleistung) in keinem Verhältnis zum vom Rechnungsempfänger aus dieser Dienstleistung gezogenen Nutzen (Umsatz/Steigerung des Umsatzes) steht oder

    • diese Dienstleistung (Werbeleistung) für den Empfänger keinen Umsatz generiert hat?

  2. Muss bzw. kann Art. 168 Satz 1 und Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin ausgelegt werden, dass nach dieser Bestimmung der Abzug der Vorsteuer aus einem in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerrichtlinie fallenden Umsatz verweigert werden kann, weil nach Ansicht der Steuerbehörde der vom Rechnungsaussteller im Rahmen eines zwischen unabhängigen Parteien bewirkten Umsatzes erbrachten Dienstleistung (Werbeleistung) ein unverhältnismäßig hoher Wert zugemessen wird und die Dienstleistung teuer und ihr Preis im Verhältnis zu anderen zum Vergleich herangezogenen Dienstleistungen überhöht ist?

Zu den Vorlagefragen

21 Mit seinen Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Steuerpflichtiger die Vorsteuer für Werbedienstleistungen deswegen nicht in Abzug bringen kann, weil zum einen der für derartige Dienstleistungen in Rechnung gestellte Preis gegenüber einem von der nationalen Steuerbehörde definierten Referenzwert überhöht ist und zum anderen derartige Dienstleistungen nicht zu einer Steigerung des Umsatzes des Steuerpflichtigen geführt haben.

22 Gemäß Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie ist der Steuerpflichtige, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen abzuziehen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden.

23 Hierzu ist daran zu erinnern, dass das Vorsteuerabzugsrecht nach ständiger Rechtsprechung integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann. Es kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden. Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer nämlich vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet die völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen. Soweit ein Steuerpflichtiger zum Zeitpunkt des Erwerbs eines Gegenstands oder einer Dienstleistung als solcher handelt und den Gegenstand bzw. die Dienstleistung für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, ist er berechtigt, die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für diesen Gegenstand oder diese Dienstleistung abzuziehen (Urteile vom , Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C‑132/16, EU:C:2017:683, Rn. 25 bis 27, und vom , Mitteldeutsche Hartstein‑Industrie, C‑528/19, EU:C:2020:712, Rn. 23 bis 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24 Im vorliegenden Fall wirft das vorlegende Gericht die Frage nach der Bedeutung des Begriffs „verwendet“ auf, wie er im Text von Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie benutzt wird. Es möchte insbesondere wissen, ob ein übermäßig hoher Preis, der für die an den Steuerpflichtigen erbrachten Dienstleistungen in Rechnung gestellt wurde, und der Umstand, dass diese Dienstleistungen beim Steuerpflichtigen zu keiner Erhöhung des Umsatzes geführt haben, dem Recht auf Abzug der für die Dienstleistungen entrichteten Vorsteuer entgegenstehen können.

25 Was erstens die Feststellung zum übermäßig hohen Preis, der für die an den Steuerpflichtigen erbrachten Dienstleistungen in Rechnung gestellt wurde, und dessen Auswirkungen auf das Vorsteuerabzugsrecht betrifft, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Anwendung von Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie einen Eingangsumsatz voraussetzt, der seinerseits der Mehrwertsteuer unterliegt.

26 Hierzu ergibt sich aus einer ständigen Rechtsprechung, dass eine Dienstleistung nur dann im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie gegen Entgelt erbracht wird und somit steuerpflichtig ist, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet. Dies ist der Fall, wenn zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, wobei die gezahlten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung darstellen, die im Rahmen des Rechtsverhältnisses erbracht wurde, im Rahmen dessen die gegenseitigen Leistungen ausgetauscht werden (Urteil vom , UCMR – ADA, C‑501/19, EU:C:2021:50, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27 Ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, wenn sich zwei Leistungen gegenseitig bedingen, d. h., wenn die eine Leistung nur unter der Voraussetzung erbracht wird, dass auch die andere Leistung erfolgt, und umgekehrt (Urteil vom , San Domenico Vetraria, C‑94/19, EU:C:2020:193, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dagegen ist der Umstand, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit zu einem Preis über oder unter dem Selbstkostenpreis und somit zu einem Preis über oder unter dem normalen Marktpreis ausgeführt wird, unerheblich, wenn es um die Qualifizierung als entgeltliche Leistung geht, da ein solcher Umstand den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der erbrachten oder zu erbringenden Dienstleistung und der empfangenen oder zu empfangenden Gegenleistung, deren Betrag im Voraus und nach genau festgelegten Kriterien bestimmt wird, nicht beeinträchtigen kann (Urteil vom , Administration de l'Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28 Zum anderen ist in Bezug auf den Vorsteuerbetrag, der vom Steuerpflichtigen abgezogen werden kann, darauf hinzuweisen, dass das Vorsteuerabzugsrecht nach der in Rn. 23 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung grundsätzlich für sämtliche, auf den vorausgehenden Umsatzstufen angefallenen Steuern ausgeübt wird, wobei diese Steuern in Abhängigkeit von der anwendbaren Steuerbemessungsgrundlage berechnet werden. Nach der in Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten allgemeinen Regel umfasst die Steuerbemessungsgrundlage bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Art. 74 bis 77 dieser Richtlinie fallen, alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen. Es handelt sich also um die zwischen den Parteien vereinbarte und an den Lieferer oder Dienstleistungserbringer gezahlte Gegenleistung und nicht um einen objektiven Wert wie den Marktwert oder einen von der Steuerbehörde festgelegten Referenzwert.

29 Art. 80 der Mehrwertsteuerrichtlinie führt zwar zur Vorbeugung gegen Steuerhinterziehung und ‑umgehung eine Ausnahme zu dieser allgemeinen Regel ein, indem er vorsieht, dass die Steuerbemessungsgrundlage dem Normalwert des betreffenden Umsatzes entsprechen kann. Diese Bestimmung bezieht sich allerdings nur auf Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen an Empfänger, zu denen familiäre oder andere enge persönliche Bindungen, Bindungen aufgrund von Leitungsfunktionen oder Mitgliedschaften sowie eigentumsrechtliche, finanzielle oder rechtliche Bindungen gemäß der Definition des betreffenden Mitgliedstaats bestehen.

30 Zweitens ist zur Feststellung der fehlenden Steigerung des Umsatzes des Steuerpflichtigen, die die Nutzlosigkeit der an ihn erbrachten Eingangsleistungen belegen soll, zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie voraussetzt, dass die vom Steuerpflichtigen als Eingangsumsatz erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden. Gemäß Art. 176 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sind ausdrücklich diejenigen Ausgaben vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen. Mithin muss die vom Steuerpflichtigen für den Eingangsumsatz getätigte Ausgabe geschäftlichen Charakter haben, und die erworbenen Gegenstände oder Dienstleistungen müssen für die Zwecke der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen verwendet werden; indessen machen weder Art. 168 Buchst. a noch Art. 176 Abs. 1 der Richtlinie die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts von einem Kriterium abhängig, das sich auf eine Erhöhung des Umsatzes des Steuerpflichtigen bezöge, oder – allgemeiner – von einem Kriterium wirtschaftlicher Rentabilität des Eingangsumsatzes.

31 Nach ständiger Rechtsprechung muss hingegen grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und der Umfang dieses Rechts bestimmt werden kann. Ein Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer ist nur gegeben, wenn die hierfür getätigten Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören (Urteile vom , Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C‑132/16, EU:C:2017:683, Rn. 28, und vom , Mitteldeutsche Hartstein‑Industrie, C‑528/19, EU:C:2020:712, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32 Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung wird auch bei Fehlen eines solchen Zusammenhangs ein Recht auf Vorsteuerabzug zugunsten des Steuerpflichtigen angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und – als solche – Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen (Urteile vom , Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C‑132/16, EU:C:2017:683, Rn. 29, und vom , Mitteldeutsche Hartstein‑Industrie, C‑528/19, EU:C:2020:712, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33 Daraus folgt, dass das Bestehen eines Rechts auf Vorsteuerabzug anhand der Ausgangsumsätze bestimmt wird, auf die sich die Eingangsumsätze beziehen. Ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang liegt nur dann vor, wenn die Kosten der Eingangsleistungen jeweils Eingang in den Preis der Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen finden, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit liefert bzw. erbringt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Mitteldeutsche Hartstein‑Industrie, C‑528/19, EU:C:2020:712, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34 Die Finanzverwaltungen und die nationalen Gerichte haben alle Umstände zu berücksichtigen, unter denen die betreffenden Umsätze ausgeführt wurden, und nur die Umsätze heranzuziehen, die objektiv im Zusammenhang mit der der Steuer unterliegenden Tätigkeit des Steuerpflichtigen stehen. Das Vorhandensein eines solchen Zusammenhangs ist daher in Anbetracht des objektiven Inhalts des betreffenden Umsatzes zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C‑132/16, EU:C:2017:683, Rn. 31, und vom , Mitteldeutsche Hartstein‑Industrie, C‑528/19, EU:C:2020:712, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35 Im Rahmen dieser Beurteilung vermag das Fehlen einer Steigerung des Umsatzes des Steuerpflichtigen keine Auswirkung auf die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts zu haben. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet nämlich, wie in Rn. 23 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen. Daher bleibt das einmal entstandene Recht auf Vorsteuerabzug bestehen, selbst wenn die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit später nicht ausgeübt wurde und somit nicht zu besteuerten Umsätzen führte oder wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände oder Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt haben, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen steuerpflichtiger Umsätze verwenden konnte (Urteil vom , Sonaecom, C‑42/19, EU:C:2020:913, Rn. 38 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

36 Im vorliegenden Fall lässt sich damit, dass der gezahlte Preis über dem Marktpreis oder einem etwaigen von der Steuerbehörde für entsprechende Werbedienstleistungen festgelegten Referenzwert liegt, gemäß den in den Rn. 26 und 27 des vorliegenden Urteils angeführten Grundsätzen eine Verweigerung der Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts zum Nachteil des Steuerpflichtigen nicht rechtfertigen, sofern der Eingangsumsatz, also die Erbringung von Werbedienstleistungen an Amper Metal, einen mehrwertsteuerpflichtigen Umsatz darstellt.

37 In diesem Zusammenhang ist der Betrag der abziehbaren Vorsteuer nach Maßgabe der in Rn. 28 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen anhand der maßgeblichen Steuerbemessungsgrundlage zu ermitteln, d. h. in Abhängigkeit von der tatsächlich vom Steuerpflichtigen gezahlten Gegenleistung, wie sie sich aus den von ihm vorgelegten Rechnungen ergibt. Art. 80 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist dagegen insofern nicht einschlägig, als sich der Ausgangsrechtsstreit auf einen Umsatz zwischen unabhängigen Vertragsparteien bezieht.

38 Im Hinblick auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umstände wird das vorlegende Gericht anhand des objektiven Inhalts der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Werbedienstleistungen zu würdigen haben, ob diese mit einem zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsatz oder, falls dies nicht der Fall ist, als allgemeine Aufwendungen mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit von Amper Metal in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang stehen oder ob die fraglichen Dienstleistungen Repräsentationsaufwendungen ohne streng geschäftlichen Charakter im Sinne von Art. 176 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellen.

39 Das vorlegende Gericht wird u. a. festzustellen haben, ob mit dem Anbringen von Werbeaufklebern auf Wagen anlässlich des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Automobilrennens das Ziel der Förderung des Absatzes der von Amper Metal vermarkteten Waren und Dienstleistungen verfolgt wurde, so dass das Anbringen der Aufkleber zu den allgemeinen Aufwendungen des Unternehmens zählen könnte, oder ob sich vielmehr die bei dieser Gelegenheit angefallenen Ausgaben als bar jeden geschäftlichen Charakters und ohne Verbindung mit der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens erweisen. Gemäß der in Rn. 35 des vorliegenden Urteils getroffenen Feststellung ist der Umstand, dass sich die von Amper Metal erworbenen Dienstleistungen nicht in einer Erhöhung ihres Umsatzes niedergeschlagen haben, für diese Beurteilung unerheblich.

40 Nach alledem ist festzustellen, dass Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Steuerpflichtiger die Vorsteuer für Werbedienstleistungen in Abzug bringen kann, sofern eine derartige Erbringung von Dienstleistungen einen der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsatz im Sinne von Art. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt und mit einem oder mehreren steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen oder der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen als allgemeine Aufwendungen in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang steht, ohne dass der Umstand zu berücksichtigen wäre, dass der für derartige Dienstleistungen in Rechnung gestellte Preis gegenüber einem von der nationalen Steuerbehörde definierten Referenzwert überhöht ist oder dass diese Dienstleistungen nicht zu einer Steigerung des Umsatzes des Steuerpflichtigen geführt haben.

Kosten

41 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger die Vorsteuer für Werbedienstleistungen in Abzug bringen kann, sofern eine derartige Erbringung von Dienstleistungen einen der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsatz im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2006/112 darstellt und mit einem oder mehreren steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen oder der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen als allgemeine Aufwendungen in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang steht, ohne dass zu berücksichtigen wäre, dass der für derartige Dienstleistungen in Rechnung gestellte Preis gegenüber einem von der nationalen Steuerbehörde definierten Referenzwert überhöht ist oder dass diese Dienstleistungen nicht zu einer Steigerung des Umsatzes des Steuerpflichtigen geführt haben.

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2021:961

Fundstelle(n):
OAAAI-00298